Herr Dr. Martens, eine Frage: Sie sagten vorhin, dass die Völker in verschiedenen europäischen Staaten dem EU-Verfassungsentwurf zugestimmt hätten. Auf meinen Zwischenruf haben Sie dann relativiert, dass es Parlamente gewesen seien. Rufen Sie uns noch einmal die beiden Länder in Erinnerung, wo in einem Fall 55 % des Volkes in einer direkten Volksabstimmung gegen den EU-Verfassungsvertrag gestimmt haben und im anderen Fall 62 %? Erstens also die Frage, ob Sie das noch einmal in Erinnerung rufen können.
Und zweitens: Geben Sie mir in der Einschätzung recht, dass der von uns gerade diskutierte EU-Reformvertrag nichts anderes als die leicht verkleidete Fortsetzung des durch zwei Völker in direkter Wahl abgelehnten EUVerfassungsentwurfs ist?
Erstens. Er ist nicht leicht abgeändert, sondern in verschiedenen Punkten deutlich abgeändert. Zweitens. Es waren Abstimmungen in Frankreich und in den Niederlanden, in denen dieser Vertrag durchgefallen ist. Aber das heißt nicht, dass dieser Vertrag grundsätzlich „gegen den erklärten Willen der europäischen Völker“, wie Sie in Ihrem Antrag schreiben, formuliert werden soll.
ischen Union, wenn Sie auf die Steuererhebung verweisen, die durch den Ministerrat beschlossen werden muss. Dann sagen Sie, das seien die Regierungen und die würden über die Steuern befinden. Nein, in Deutschland befinden nicht die Regierungen über Steuern, sondern Parlamente. Das haben Sie übersehen.
Herr Apfel verweist darauf, dass 84 % der Rechtsnormen aus der EU kommen würden. Auch das ist dummes Zeug. Das ist nämlich die Zahl sämtlicher Rechtsakte der Europäischen Union einschließlich des sogenannten Sekundärrechtes und des Vollzuges des Sekundärrechtes. Davon verstehen Sie nichts. Das sind Verordnungen aufgrund von völkerrechtlich bindenden Abkommen, beispielsweise die Festsetzung von verschiedenen Quoten in Handelsabkommen, in Fischereiabkommen und Ähnlichem. Das ist das, was bei uns in Deutschland die Behörden durch Verwaltungsakte machen. Im EU-Recht muss es durch Verordnungen und andere Rechtsakte geschehen.
Sie sprechen von einer dramatischen Zunahme von Kompetenzen ausländischer Institutionen und benennen den Ministerrat als Brüsseler Bürokratie. Nein, der Ministerrat ist die Versammlung der Regierungen der Mitgliedsstaaten. Das ist nicht Brüssel, sondern das ist die Gemeinschaft der Mitgliedsländer.
Und noch etwas: Das ist keine ausländische Institution, die EU, sondern auch Deutschland gehört der Europäischen Union an, und zwar seit Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Deutschland ist der größte Mitgliedsstaat. Wir sind für uns selbst nicht Ausland. Europäische Union – das sind auch wir; selbst wenn Sie das nicht wahrhaben wollen.
Dieser Vertrag, meine Damen und Herren, bringt deutliche Vorteile. Die doppelte Mehrheit sorgt für mehr Gewicht Deutschlands im Ministerrat. In Zukunft werden Mehrheitsentscheidungen nach dem System der doppelten Mehrheit getroffen. Eine Mehrheit ist dann erreicht, wenn 55 % der Staaten, die 65 % der Bevölkerung repräsentieren, zustimmen.
Nebenbei bemerkt wird Deutschland angemessener repräsentiert als nach den Regelungen des Vertrages von Nizza. Es gibt in vielen Bereichen mehr Mehrheitsentscheidungen, die bisher Einstimmigkeitsregeln unterlagen. Es werden in Zukunft Entscheidungen mit Mehrheit getroffen, insbesondere im Bereich der Justiz- und der Polizeizusammenarbeit, das heißt, einzelne Staaten können das Handeln nicht mehr aufhalten, was die Handlungsfähigkeit der Union erhöht.
Es gibt öffentliche Ratstagungen. Der Ministerrat kann seine Entscheidungen nicht mehr hinter verschlossenen Türen treffen, sondern er muss öffentlich abstimmen, wenn er gesetzgeberisch tätig wird. Das Europäische Parlament wird deutlich gestärkt und ist sogar der große
Gewinner dieser Reform. Dieses Parlament ist jetzt in fast allen Bereichen an den Entscheidungen der Europäischen Unionen beteiligt und wählt den Kommissionspräsidenten.
Das sind alles Dinge, die Sie nicht wahrhaben wollen, die Sie nicht sehen können, sondern bei denen Sie sich stattdessen in Ihren hohlen Phrasen versteigen bis hin zu der Formulierung, hier gehe es um Verträge zur Auflösung Deutschlands. Das mitnichten. Das Einzige, was sich hier auflöst, ist vielleicht Ihr Verstand.
Ohne Verständnis der Regelungen ist dieser Antrag in vielen Teilen nur stupide. Was perfide ist, ist Ihre Berufung auf die Widerstandsklausel des Grundgesetzes in Artikel 20 Abs. 4. Meine Damen und Herren, Sie wissen genau, vor welchem historischen Hintergrund die Klausel in das Grundgesetz aufgenommen wurde, nämlich aus den Erfahrungen, die zu einem fürchterlichen Krieg in Europa und zur fast völligen Zerstörung Deutschlands geführt haben. Auch aus diesen Erfahrungen heraus ist die Europäische Union gegründet worden. Sie ist zwar kompliziert, sie ist mühselig und sie wird von vielen nicht verstanden. Manche wollen sie auch nicht verstehen, so wie Sie. Aber in der Tat ist sie ein Erfolgsmodell. Sie arbeitet zwar schwerfällig, aber sie wird besser, und dieser Vertrag ist ein Schritt, dies zu bewirken.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Weihnert, das Grundgesetz hat sich in seiner ursprünglichen Form – obwohl auch nie vom Volk bestätigt – doch als eine vernünftige Gesetzesgrundlage bewährt. Der Artikel 23, auf den Sie sich berufen, ist in der jetzigen Form in den Wendewirren hinzugefügt worden. Dieser Artikel ist auch nie vom Volk bestätigt worden.
Die Herren von Herrenchiemsee hatten eine schwere Arbeit zu leisten und haben ein vernünftiges Gesetzeswerk zustande gebracht. Das, was jetzt aber teilweise an Änderungen kommt, lässt schon stark zu wünschen übrig.
Sie selbst haben das Argument geliefert, warum unserem Antrag zuzustimmen wäre. Sie haben selbst gesagt, dass es in Zukunft Mehrheitsentscheidungen geben soll. Mehrheitsentscheidungen heißt aber, es kann auch gegen ein Volk sein. Es muss gar nicht das deutsche Volk sein, es kann gegen irgendein Volk in Europa eine Mehrheitsentscheidung geben. Dabei wäre es doch legitim, dass die Völker über eine so schwerwiegende Veränderung in einer geheimen Abstimmung, in einem Plebiszit darüber entscheiden können, ob sie das wollen oder nicht.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der derzeitige EU-Vertrag zählt in Artikel 3 – ich zitiere – insgesamt
21 gemeinsame Politiken auf. In Artikel 5 des Vertrages wird die allgemeine Arbeitsweise zwischen der EU und den Mitgliedsstaaten festgelegt. Es wird zwischen ausschließlichen Zuständigkeiten der Gemeinschaft und den Zuständigkeiten im Rahmen des Subsidiaritätsprinzips unterschieden. Bei Letzterem wird die EU nur dann tätig, wenn – ich zitiere – „die in Betracht gezogenen Maßnahmen auf der Ebene der Mitgliedsstaaten nicht ausreichend erreicht werden können“.
Die ausschließlichen Zuständigkeiten beschränken sich derzeit auf die gemeinsame Handelspolitik, die gemeinsame Agrarpolitik und die Aufgaben der Europäischen Zentralbank. Aus dieser äußeren Form von zwischenstaatlicher Zusammenarbeit haben im Laufe der Jahre die Europäische Kommission und der Europäische Gerichtshof in einer Art Teamspiel die Zuständigkeiten der EU immer mehr ausgeweitet. Das läuft folgendermaßen: Die Kommission erhebt wegen irgendwelcher Nichtbeachtung von Wettbewerbsvorschriften Klage. Der EuGH gibt dann dieser Klage statt und setzt damit neues EU-Recht.
In dieser Weise ist vor allen Dingen das Wettbewerbsrecht immer mehr ausgeweitet worden. So entschied der EuGH zum Beispiel, dass die Vergabe der Qualitätsbezeichnung „Markenqualität aus deutschen Landen“ durch die genossenschaftliche, unter öffentlicher Aufsicht stehende Centrale Marketinggesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft mbH ein Verstoß gegen das Verbot von mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen darstelle. Eine offensichtlich absurde Entscheidung. Durch reihenweise derartige Entscheidungen hat der Europäische Gerichtshof das sogenannte EU-Wettbewerbsrecht, eine Art Pseudorecht, erst ein wenig geschaffen, eben durch Rechtsetzung. Ein entsprechendes reguläres Gesetzgebungsverfahren in den Verträgen selbst wurde aus Angst vor Konflikten, wie zum Beispiel mit dem deutschen Grundgesetz, nicht vereinbart. Man zog es vor, durch diese Salamitaktik von Kommission und EuGH scheibchenweise neues Recht zu setzen.
Diese Verschleierungstaktik wird nun offenbar nicht mehr für erforderlich gehalten. Man hat schon so viele vollendete Tatsachen geschaffen, dass man die Maske fallen lassen kann. Hier kommt der EU-Reformvertrag ins Spiel, und zwar dergestalt, dass er die Zuweisung von Zuständigkeiten an die EU wesentlich rigoroser und umfangreicher feststellt als bisher, eben in Form von Zuständigkeiten der Gesetzgebung.
In Artikel 2 des vorgestellten Gemeinschaftsvertrages wird der Unterschied zwischen ausschließlicher Zuständigkeit der EU und geteilter Zuständigkeit zwischen EU und Mitgliedsstaaten neu festgelegt.
In Artikel 3 werden die ausschließlichen Zuständigkeiten der EU definiert. In Artikel 4 werden die geteilten Zuständigkeiten definiert.
Vergleicht man die neuen Artikel 2, 3 und 4 mit den entsprechenden Artikeln des Grundgesetzes, dann entspricht Artikel 2 in etwa den Artikeln 70 bis 72 des Grundgesetzes, der Artikel 3 entspricht Artikel 73 des
Der EU-Vertrag legt sehr systematisch die Kompetenzverteilung zwischen den Gesetzgebungsorganen der EU und den Mitgliedsstaaten fest. Das geschieht im Wesentlichen in der gleichen Weise, wie das Grundgesetz die bundesstaatliche Kompetenzverteilung zwischen den Gesetzgebungsorganen des Bundes und der Bundesländer festlegt. Warum ist das wichtig, meine Damen und Herren? Es ist deshalb wichtig, weil dadurch bewiesen ist, dass die EU durch den Reformvertrag den Schritt vom De-factoBundesstaat zum De-jure-Bundesstaat macht.
Im Jahre 1993 waren die Richter am Bundesverfassungsgericht scheinbar froh, behaupten zu können, dass die Verträge keine bundesstaatlichen Elemente enthielten, obwohl es die Spatzen von den Dächern pfiffen, dass das Ziel eben doch ein Bundessstaat war. Inzwischen hat man durch die genannte Salamitaktik und die illegale Rechtsetzung so viele vollendete Tatsachen geschaffen, dass eine de jure bundesstaatliche Regelung angeblich unvermeidbar sei. Man hofft, dass das Bundesverfassungsgericht auch diese Kröte schlucken wird, sofern es überhaupt Stellung nehmen muss, was man natürlich zu vermeiden versuchen wird.
Zwar wird dieser raffiniert eingefädelte Betrug nicht von allen Deutschen durchschaut, aber die meisten merken zumindest, dass etwas nicht stimmt, und reagieren entsprechend. Das führt zu den bekannten Ergebnissen bei den Umfragen. Es liegt auf der Hand, dass das ganze Spiel durch eine Volksabstimmung hochgradig gefährdet wäre.
Deshalb, sind wir der Meinung, müssen wir mit einer Initiative des Freistaates aktiv werden. Stimmen Sie deshalb unserem Antrag zu.
Wird von den Fraktionen noch das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Die Staatsregierung? – Dann bitte ich, das Schlusswort zu sprechen. Herr Apfel, bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es verwundert nicht, wenn vom Volk längst abgehobene Politiker in Ermangelung wirklicher Argumente beleidigend und ausfällig werden.
Herr Dr. Martens, das stört mich nicht sonderlich, denn bekanntlich stört es eine deutsche Eiche nicht, wenn sich eine Sau dran reibt.
Sie sind ja auch nicht auf die beleidigenden Ausführungen des Herrn Dr. Martens eingegangen. Sei es drum. Sie werden es nicht begreifen – –
Herr Apfel, Sie haben den Präsidenten nicht zu kritisieren! Ich erteile Ihnen einen zweiten Ordnungsruf und mache Sie darauf aufmerksam, wenn ich das zum dritten Mal tun muss, dass Sie dann von der Sitzung ausgeschlossen sind.
Wegen der von Anfang an vorhandenen Absicht, die EU zum Bundesstaat zu entwickeln, und wegen der Erkenntnis, dass dies gegen das Grundgesetz verstößt, wurde der Vertrag von Maastricht als Eselsbrücke für das Bundesverfassungsgericht konzipiert. Im Jahre 1993 ging das Gericht bereitwillig über diese Brücke, obwohl die EU schon in den Startlöchern stand, eine staatsähnliche Rechtsetzung zu entfalten, obwohl klar war, wohin die Reise gehen würde.