Den Fraktionen wird zu einer allgemeinen Aussprache das Wort erteilt. Es beginnt die CDU-Fraktion. Danach folgen: Linksfraktion, SPD, NPD, FDP, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn gewünscht.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dass der Freistaat Sachsen sich in seiner Verfassung von 1992 nicht mit einem allgemeinen Staatsziel der Kulturförderung zufrieden gibt, wie es sich in den meisten deutschen Verfassungen findet, sondern in Arti
kel 1 ein Kulturstaatsgebot neben die traditionellen Staatsfundamentalnormen stellt, hat seinen guten Grund.
Die Kultur in Sachsen hat ihre Wurzeln in den Überlieferungen einer mehr als tausendjährigen Geschichte. Ihre Wirkungen sind in der Mentalität und im Heimatgefühl der Menschen bis heute lebendig.
Georg Milbradt, unser Ministerpräsident, hat einmal Kultur als „Grundnahrungsmittel“ für das Leben der Menschen in Sachsen bezeichnet. Dass dies besonders in Sachsen so ist, hat auch historische Gründe.
Nach dem Wiener Kongress 1815, als Sachsen nahezu zwei Drittel seines Territoriums und einen Großteil seiner Bevölkerung an Preußen verliert und in die politische Bedeutungslosigkeit versinkt, rettete Sachsen sein Selbstbewusstsein in den sprichwörtlich gewordenen sächsischen Kulturstolz. Dieser Kulturstolz bestimmt unsere Identität bis heute maßgeblich mit. Er hat auch durch die beiden Diktaturen getragen, die unsere großen sächsischen Kulturinstitutionen, wie zum Beispiel Staatskapelle oder Thomanerchor, Kunstsammlungen oder Landesbibliothek, zwar beeinträchtigen, ihre kulturelle Substanz im Kern aber nicht zerstören können. So ist es für mich kein Zufall, dass gerade im Freistaat Sachsen – bisher allein in Deutschland, inzwischen aber mit bundesweiter Vorbildwirkung – nach Auslaufen der kulturellen Übergangsfinanzierung nach dem Einigungsvertrag das System des Kulturraumgesetzes entwickelt wurde.
1994, als der nachrevolutionäre Gestaltungsspielraum von der Regierung Biedenkopf noch kraftvoll genutzt werden konnte, ist ein kreatives Regelwerk entstanden. Es ist bis heute mit zwei Namen verbunden: Matthias Theodor Vogt, heute Professor in Görlitz, der das System entwickelte, und Hans-Joachim Meyer, erster Staatsminister für Wissenschaft und Kunst nach der Wiederbegründung des Freistaates, der das Gesetz politisch durchsetzte.
Das Kulturraumgesetz hat die Kulturpflege als Pflichtaufgabe der Gemeinden und Landkreise festgeschrieben – auch das ist einmalig in Deutschland – und den regionalisierten Kulturlastenausgleich als Prinzip für die Förderung der kulturellen Infrastruktur eingeführt. Mit der solidarischen Finanzierung und Strukturierung der für die gesamte Region bedeutsamen Kulturinstitutionen und Kulturaktivitäten war für Erhalt und Fortentwicklung von Kunst und Kultur, vor allem in den ländlichen Räumen, eine unverzichtbare Grundlage gelegt. Auf dieser Basis sind leistungsfähige Kulturräume entstanden, die unter beachtlichen Anstrengungen den Reichtum unserer Kulturlandschaft in Breite und Qualität erhalten und weiterentwickelt haben. Das Kulturraumgesetz hat sich nach allgemeiner Auffassung hervorragend bewährt.
Jetzt komme ich zu einer zweiten Bemerkung. Obgleich das Kulturraumgesetz und seine Änderungen von diesem Hohen Haus jeweils einstimmig beschlossen wurden und
sich unzweifelhaft bewährt haben, war es aus verfassungs- und finanzpolitischen Gründen regierungsintern und unter den Landräten nie unumstritten. Der Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung mit der Bildung kultureller Pflichtzweckverbände musste verfassungsrechtlich haltbar ebenso gut begründet werden wie die Abkopplung der Kulturraummittel von den Finanzströmen des kommunalen Finanzausgleichs. Deshalb ist die Befristung des Gesetzes eingeführt worden. Deshalb jedes Mal die lebhaften politischen Debatten bei der Verlängerung. Weil dem so ist, waren die Kulturbeflissenen in diesem Land sehr froh, als sie in der Koalitionsvereinbarung von 2004 lasen, dass die Geltungsdauer des Gesetzes bis zum Jahr 2011 verlängert werden sollte und sogar die jährlichen Zuwendungen an die Kulturräume um 10 Millionen Euro angehoben wurden.
Kundige wissen, dass diese Regelungen mit dem Namen des mit der Kultur sehr verbundenen, von mir hochgeschätzten ehemaligen Kollegen Karl-Heinz Kunckel verbunden sind, dem langjährigen Vorsitzenden der sächsischen SPD und ihrer Landtagsfraktion.
Es geht heute lediglich darum, die Koalitionsvereinbarung umzusetzen. Dass die Gelegenheit genutzt wird, den Strukturfonds aus Kulturraummitteln beim Sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen, ist verständlich und richtig.
Dritte Bemerkung: Ich gestehe gern zu, dass die Verlängerung des Gesetzes spät kommt. Die deswegen anklagenden Reden der Oppositionsfraktionen werden wir dann gewiss noch zu hören bekommen. Dazu ist zu sagen:
Insofern bestand nie ein wirkliches Risiko für die Akteure in den Kulturräumen, die natürlich längst Verträge eingehen mussten, die weit über 2007 hinausführen.
Ich kann hier versichern, dass alle Verzögerungen mit Überlegungen zu tun hatten, wie das Kulturraumgesetz dauerhaft gesichert werden kann. Damit komme ich zur letzten Bemerkung.
Die vorliegende Novellierung wird zur Übergangslösung, sobald wir, wie vorgesehen, eine Neugliederung der Landkreise beschließen. Denn wenn die Landkreisreform in Kraft tritt, läuft das Kulturraumgesetz für den größeren Teil der ländlichen Kulturräume ins Leere, weil deren
Zweckverbände kraft Gesetzes aufgelöst sind. Die Landkreisreform zieht also zwingend eine Kulturraumanpassung nach sich. Die Diskussion hierum soll jetzt nicht geführt werden, und Verwaltungs- und Landkreisreform sollen nicht mit der Kulturraumanpassung vermischt werden. Eines nach dem anderen.
Drei Ziele der dann notwendigen Novellierung will ich aber hier schon nennen. In ihnen weiß ich mich auch mit unserem Koalitionspartner einig.
Zweitens: Die Aufstockung der Mindestzuwendungen des Freistaates an die Kulturräume muss dauerhaft festgeschrieben werden.
Drittens: In das System des Gesetzes und die in ihm festgelegte Struktur der Kulturräume darf nur so weit eingegriffen werden, wie die veränderte Landkreisstruktur dies zwingend erfordert.
Ich komme zum Schluss. Ich könnte mir vorstellen, dass wir heute die gute Tradition dieses Hohen Hauses fortsetzen können, die Novellierung des Kulturraumgesetzes einstimmig zu beschließen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 19. Juni dieses Jahres gab das SMWK eine Pressemitteilung heraus, in der Frau Staatsministerin Stange über den Kabinettsbeschluss zur Verlängerung des Kulturraumgesetzes und die Einbringung des Gesetzentwurfes in den Landtag informierte. Darin hieß es unter anderem: „Jetzt geht es darum, das Kulturraumgesetz so schnell wie möglich an die bevorstehende Neugliederung der Landkreise und kreisfreien Städte im Rahmen der Verwaltungs- und Funktionalreform anzupassen.“
Wir haben jetzt bekanntlich November und ich komme gleich am Anfang auf die von Herrn Heitmann gerade völlig richtig vorhergesagte anklägerische Passage der Opposition. Wie erklärt sich die beträchtliche Verzögerung in der parlamentarischen Behandlung der eigentlich noch vorgeschalteten kleinen Novelle des Kulturraumgesetzes, nachdem sie am 4. Juli von Frau Stange im Landtag eingebracht worden war? Inhaltliche Gründe gibt es aus unserer Sicht dafür nicht. Allein dem Verhalten der Regierungskoalition, präziser nach unserer Auffassung der von Ministerpräsident Milbradt angeführten Lobby der CDU-Finanzpolitiker ist diese Verzögerung geschuldet. Sie entdeckte Anfang September plötzlich noch vermeintlichen Änderungsbedarf und vertagte die endgültige Behandlung der Gesetzesnovelle im Ausschuss für
Wissenschaft und Hochschule, Kultur und Medien. Die Staatsministerin, die auf eine abschließende Behandlung schon an diesem Tag gehofft hatte, sah sich düpiert. Bei der abermaligen Behandlung der Novelle in der Novembersitzung des zuständigen Ausschusses hatte sich der angebliche Änderungsbedarf in Luft aufgelöst. Änderungsanträge waren jedenfalls nicht eingebracht worden.
So scheint der Grund für die Verzögerung offenkundig der Parteitag der CDU gewesen zu sein, der im September anstand und vor dessen Ausgang man keine verbindliche Festlegung treffen wollte. Bei den Akteuren in Kultur und Kulturpolitik hat diese Verzögerung in den letzten Wochen völlig zu Recht für erhebliche Verunsicherung, ja Empörung gesorgt, denn sie haben das Manöver als das erkannt, was es war: der Missbrauch der Gesetzesverlängerung als Spielball von kleingeistigem, innerkoalitionärem Wahlkampf.
Die Linksfraktion ist deshalb sehr froh darüber, dass wir heute endlich die Verlängerung des Kulturraumgesetzes beschließen können. Das Gesetz hat auch nach unserer Auffassung seine Intention im Wesentlichen erfüllt. Kleinere Abstriche darin sind freilich zu machen. Sie sprechen für ein verbessertes Gesetz, wie es mit der Kreisgebietsreform ohnehin notwendig wird. Wir haben die drei Kernbotschaften von Herrn Heitmann gerade mit sehr viel Wohlwollen aufgenommen.
Bemerkenswert ist das Kulturraumgesetz, das für Sachsens identitätsstiftende dichte Kulturstruktur unverzichtbar ist, nach unserer Auffassung vor allem in einer Hinsicht: Es gibt leistungsfähige Gremien zur Entscheidungsfindung, die eine demokratische Mitwirkung gewährleisten, bei der die politische Entscheidungsgewalt der Kulturkonvente mit der fachlichen Kompetenz der ehrenamtlich agierenden Kulturbeiräte einen verantwortlichen solidarischen Umgang mit öffentlicher Kulturförderung und einen spartenübergreifenden Gestaltungswillen erkennen lassen. Auf diese Weise ist ein öffentliches Bewusstsein für die Wirkungsmöglichkeiten der Kultur in Sachsen entstanden. Diesen demokratischen Diskurs über die Bedeutung der Kultur in der Gesellschaft zu ermöglichen scheint mir eine der hauptsächlichen Aufgaben von Kulturpolitik zu sein.
Die Konstruktion der Entscheidungs- und Mitwirkungsgremien in den ländlichen Kulturräumen bedarf jedoch einer weiteren demokratischen Ausgestaltung. Wie das konkret geschehen kann, werden wir bei der anstehenden zweiten Novellierung des Kulturraumgesetzes diskutieren. Eine Demokratisierungschance sehen wir beispielsweise in einem neuen Berufungs- und Wahlverfahren der ehrenamtlichen Mitglieder des Kulturbeirates.
Frau Stange sprach in ihrer bereits erwähnten Einbringungsrede am 4. Juli 2007 auch davon, dass es ihr erklärtes Ziel ist, beim Kulturraumgesetz perspektivisch zu einer Entfristung zu kommen. Auch Herr Heitmann sprach gerade davon. Viele gute Gründe sprechen für diese Entfristung. Zumindest einer soll an dieser Stelle genannt werden: die Herausbildung einer leistungsfähi
gen, regional basierten Kulturstruktur, die auf der Grundlage des Kulturraumgesetzes seit vielen Jahren landesweit existiert und 2006 in der im Auftrag des SMWK veröffentlichten Studie von Klaus Winterfeld „Das Sächsische Kulturraumgesetz – eine Bilanz nach elf Jahren“ ausführlich dargestellt wurde. Stellvertretend möchte ich an dieser Stelle nur auf die Bibliotheksnetzwerke in der Oberlausitz und im Erzgebirge verweisen.
Für die Umsetzung dieser beabsichtigten Entfristung, die allerdings einer Herkulesaufgabe gleicht, wünscht Ihnen, Frau Staatsministerin, die Linksfraktion das nötige Stehvermögen. Wir teilen diese Zielsetzung völlig. Sie würden damit zweifellos einen Meilenstein in der sächsischen Kulturpolitik setzen, die allerdings derzeit weniger von Heldentaten geprägt ist, wenn man beispielsweise an das kürzlich vorgestellte Theater- und Orchestergutachten der Staatsregierung denkt, das wenig Gutes erahnen lässt. Darin wird ganz offen über weitere Zusammenlegungen, sprich: Einsparungen von Kultureinrichtungen, spekuliert. Der aktuelle Bericht des Kultursenats weist daher in eindringlicher Weise auf das Gefährdungspotenzial für die Theater und Orchester hin, was man seinerzeit bei der Erarbeitung des Kulturraumgesetzes nicht für möglich gehalten hat.
Der Kultursenat fordert angesichts dieser Gefahren „eine inhaltliche Zusammenarbeit zwischen dem Freistaat, den Kulturräumen und den Trägern der Theater und Orchester, die auf der Basis eines gemeinsamen Konzeptes für die Theater- und Musiklandschaft in Sachsen langfristige Planungssicherheit für die Institutionen schafft und sie aus der Abhängigkeit von kurzfristigen Schnellentscheidungen auf kommunaler und regionaler Ebene befreit“. Der Kultursenat warnt zugleich vor der rein ökonomischen Sicht auf die Kultur, wie sie mitunter auch in diesem Haus gepflegt wird. Ohne mir diese verkürzte Perspektive zu eigen zu machen, empfehle ich diesbezüglich einen näheren Blick in die vor einigen Wochen erschienene Studie zur wirtschaftlichen Bedeutung der Semperoper für Dresden und die Region. Bei einem staatlichen Zuschuss von 37 Millionen Euro ergibt sich eine wirtschaftliche Gesamtauswirkung von knapp 144 Millionen Euro, das ist ein Faktor von 3,9. Diese Umwegfinanzierung ist in der Bundesrepublik wahrscheinlich einmalig. Natürlich können solche bemerkenswerten Werte nur ausgewählte kulturelle Leuchttürme erreichen. Gerade deshalb ist die heutige Verlängerung des Kulturraumgesetzes so wichtig, denn es gibt eine Vielzahl von kulturellen Einrichtungen, die auf seine Segnungen angewiesen sind.
Das Sächsische Kulturraumgesetz ist gewissermaßen ein kleines Bollwerk gegen eine gefährliche Entwicklung, die der Berliner Schriftsteller Ingo Schulze am vergangenen Sonntag anlässlich der Verleihung des Thüringer Literaturpreises 2007 in Weimar wie folgt charakterisiert hat: „Die Tendenz zur Refeudalisierung des Kulturbetriebes geht einher mit einer allgemeinen Privatisierung und damit Ökonomisierung aller Lebensbereiche, wie des Gesundheitswesens, der Bildung, des Sports, des Ver
kehrssystems, der Wohnungswirtschaft, der Energiewirtschaft bis dahin, dass private Firmen Polizeiaufgaben übernehmen.“
Besser kann man die Gründe für unsere Zustimmung zum vorliegenden Gesetzentwurf nicht auf den Begriff bringen.