Lassen Sie mich zum Schluss auf einen weiteren höchst wichtigen Aspekt eingehen, der mit dem eben Genannten in unmittelbarem Zusammenhang steht: Wenn wir nicht mit allen Kräften und großem Mut zu Veränderungen für einen neuen Schub in Forschung, Entwicklung und Hochschulbildung sorgen, werden wir das Ziel verfehlen, im Konzert der führenden Länder mitzuspielen und für den von allen gewünschten Wohlstand für unser Land etwas daraus zu gewinnen. Es wäre unverantwortlich, wegen kleinlicher ideologischer Vorbehalte die Entwicklung aufzuhalten und die Augen vor dem zu verschließen, was sich hierzu in anderen Ländern tut.
Wenn es nicht gelingt, die Bedingungen für Arbeitsplätze und gute Verdienstmöglichkeiten weiter entscheidend zu verbessern, dann ist die Arbeiterklasse – wie es mein Kollege Weiss jüngst ausgedrückt hat – tatsächlich nicht zu retten. Aber wir wollen sie zusammen mit Ihnen durchaus retten. Sachsen hat eine gute Entwicklung genommen. Wir verfügen über kulturelle Kleinode von Weltrang und haben ein reiches kulturelles Leben – Hochkultur wie Volkskunst, gepflegte und wunderschöne Landschaften. Wir sind ein gastfreundliches und weltoffenes Land, wir haben eine hervorragende Ausgangssituation, um weiterhin erfolgreich sein zu können.
Lassen Sie uns weiterhin auf den Leistungswillen, den Fleiß und das Können der sächsischen Bevölkerung bauen. Vertrauen wir darauf, dass die Dezentralisierung von Verantwortung und Gestaltungsfreiheit zum Beispiel an unseren Hochschulen oder auf der kommunalen Ebene neue Kräfte freisetzen wird, auf die wir dringend angewiesen sind.
Herr Präsident! Liebe Kollegen Abgeordnete der demokratischen Fraktionen! Sie alle waren mit Sicherheit schon mehr als einmal im Gebäude Archivstraße 1 auf der anderen Elbseite. Vielleicht ist Ihnen dabei aufgefallen, dass in diesem Haus, in dem die Staatskanzlei ihren Amtsgeschäften nachgeht, an einer Wand die Porträts aller sächsischen Ministerpräsidenten hängen, die demokratisch legitimierte Regierungen
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident! Ich weiß nicht genau, ob Sie die Reihe Ihrer Amtsvorgänger schon einmal ganz bewusst durchgegangen sind. Doch wenn Sie sich die Namen und vor allem die Parteizugehörigkeit dieser Persönlichkeiten genauer ansehen, werden Sie zu einem auf den ersten Blick überraschenden Ergebnis kommen: Von allen Ihren Vorgängern im Amt, Herr Ministerpräsident, waren sechs im Besitz eines sozialdemokratischen Parteibuches, nur ein einziger der Porträtierten war Mitglied einer konservativen Partei.
Wie ich gehört habe, ist die Tatsache dieser sozialdemokratischen Übermacht in der Sächsischen Staatskanzlei – ich nehme allerdings an, es ist die einzige – für Ihre Mitarbeiter immer wieder Ansporn, ihr Bestes zu geben.
Jedenfalls sind von einem Ihrer Mitarbeiter, der eine Besuchergruppe durch das Gebäude führte und mit dieser die Porträts im Empfangszimmer diskutierte, sinngemäß folgende Worte überliefert: Von den Ministerpräsidenten, die Sie hier sehen, sind über die Hälfte Sozialdemokraten. Wir in der Staatskanzlei tun aber alles dafür, dass in naher und mittlerer Zukunft das Verhältnis zugunsten der Konservativen ausgeglichen wird.
Bei diesen Bemühungen wünsche ich Ihnen, Herr Ministerpräsident, und Ihren Mitarbeitern viel Erfolg. Seien Sie aber versichert, dass wir diese sportliche Herausforderung annehmen und auch daran arbeiten, dass für die Sozialdemokraten das ohnehin günstige Verhältnis weiter verbessert wird.
Unter Ihren Vorgängern, Herr Ministerpräsident, befanden sich Persönlichkeiten wie Erich Zeigner oder Richard Lipinski, die auch heute noch hohes Ansehen genießen. Während ihrer Regierungszeit sind eine Reihe von progressiven Gesetzen, vor allem im Schulbereich, verabschiedet worden: kostenfreier Unterricht, mehr Unterrichtsstunden, Herabsetzung der Klassenstärken, Universitätsausbildung für Volksschullehrer. Das sind Dinge, die heute selbstverständlich erscheinen, aber hart erkämpft wurden.
Nun möchte ich heute keine lange Vorlesung über die große Tradition der Sozialdemokratie in Sachsen halten; mir, meinen Fraktionskollegen im Hohen Haus und allen Sozialdemokraten im Land ist sie jedoch bewusst, und sie motiviert uns in unserem täglichen politischen Handeln. Für eine Tatsache sind diese sechs sozialdemokratischen Ministerpräsidenten ein ebenso unwiderlegbarer Beweis wie unsere erfolgreiche Arbeit in den letzten zweieinhalb Jahren, nämlich: Sozialdemokraten können regieren. Ich bin sogar der festen Überzeugung, mit den Sozialdemokraten wird unser Sachsen gut regiert.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, uns ist klar, dass wir nicht allein regieren, sondern in einer Koalition mit der CDU.
Beide Partner mussten zunächst einen mühsamen Lernprozess absolvieren. Die CDU musste lernen, Macht zu teilen – und ich kann mir vorstellen, wie schwer Ihnen das nach langen Jahren der absoluten Mehrheit gefallen ist –; die SPD wiederum musste lernen, bei allem das Machbare in den Blick zu nehmen. Nicht alle Forderungen aus der Zeit der Opposition sind in der praktischen Regierungsarbeit sofort durchsetzbar.
Es gab auch Dinge, die wir gemeinsam lernen mussten, meine Damen und Herren, vor allem von der CDUFraktion. Wir mussten lernen, Kompromisse zu schließen. Ein Kompromiss ist per definitionem der Ausgleich zwischen möglicherweise diametral entgegengesetzten Interessen. Ein Kompromiss kennt keine Sieger und Verlierer. Beim Ringen um eine für beide Seiten akzeptable Lösung muss man stets beachten, dass es für jede Partei Grundsätze gibt, aus denen sie ihr eigenes Selbstverständnis ableitet. Diese Grundsätze respektieren wir natürlich gegenseitig.
Zu den conditiones sine quibus non einer guten Koalitionsarbeit gehört ferner ein gegenseitiges Grundvertrauen, die Überzeugung, dass das Verbindende zumindest über den begrenzten Zeitraum einer Wahlperiode stärker ist als das Trennende.
Hier können wir – Herr Ministerpräsident, Sie sagten es –, an die gemeinsamen Wurzeln und Ideale aus der Zeit der friedlichen Revolution im Herbst 1989 anknüpfen. Und, meine sehr verehrten Damen und Herren, es gehört dazu ein Mindestmaß an Berechenbarkeit. Es ist nicht hilfreich, wenn ein Partner quasi über Nacht seine Meinung zu einem politischen Problem ändert und diese 180-GradKehrtwende dem verblüfften Koalitionspartner 20 Minuten vor der Plenarsitzung offenbart.
Es ist ebenso wenig hilfreich, den zahlenmäßig kleineren Koalitionspartner immer wieder daran erinnern zu wollen, wie unglaublich klein er sei. Die Lösung von Streitfragen in der Koalition kann nur auf gleicher Augenhöhe erfolgen. Ich denke, wir haben dies gemeinsam gelernt, und wenn man auch manches besser machen und manches effektiver gestalten könnte – diese Koalition funktioniert trotz des von Anfang an begleitenden Lamentos der Oppositionsparteien, trotz des Dauergezeters einiger Ihrer Repräsentanten, Herr Kollege Porsch.
(Beifall bei der SPD – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Das ist unsere Aufgabe, dazu sind wir gewählt worden!)
Diese Koalition funktioniert ein wenig so wie eine sächsische Expedition auf den Mount Everest: Im Basiscamp am Fuß des Berges wird zu Beginn das Team zusammengestellt, das aus alten Haudegen und jungen Kräften besteht, dann klettert man die ersten Etappen, muss Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und die des Partners entwickeln.
Zwischendurch zerrt mancher Sturmwind an den Sicherungsleinen, der Proviant auf den Etappen wird möglicherweise knapp, den einen oder anderen Teilnehmer verlassen vielleicht kurzfristig die Kräfte, die Zusammenarbeit aber klappt immer besser, auch wenn unterwegs oft über die beste Route zum Gipfel diskutiert wird und diskutiert werden muss.
Wie sagten Sie soeben, Herr Ministerpräsident? Wir suchen im fairen Streit die beste Lösung. Genau das tun wir, und wenn es dabei einmal Scherereien gibt, wissen wir doch, dass es uns gemeinsam um die beste Lösung geht.
Beide Gruppen profitieren dabei übrigens voneinander. Die erfahrenen Bergsteiger verraten ihre Tricks und die Jungen schlagen Wege vor, die die anderen überhaupt noch nicht ins Auge gefasst hatten und nicht kennen. Die sächsische Expedition hat jetzt das Camp auf halber Höhe, also bei 4 000 Metern, erreicht und die Luft wird zugegebenermaßen dünner. Mancher ist bereits auf Sauerstoff angewiesen,
damit er die Expedition nicht abbricht. Aber wenn die Teilnehmer in die Tiefe blicken, meine sehr verehrten Damen und Herren, können sie stolz auf den weiten Weg sehen, den sie gemeinsam bereits geschafft haben.
(Beifall bei der SPD und der CDU – Dr. Johannes Müller, NPD: Das Gleichnis ist so wirklichkeitsfremd wie Ihre Politik!)
Natürlich gilt für den Rest der Expedition, dass bei zunehmender Höhe die Moral stimmen muss, damit aus kleinen Unstimmigkeiten keine großen Konflikte werden. Es gilt, den berühmten Höhenkoller zu vermeiden, denn die Expedition braucht alle Kraft gemeinsam, weil sie nicht genau weiß, welche Gletscherspalten noch auf dem weiteren Weg, also in der Zukunft, liegen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, am Beginn meiner Rede habe ich mich davon überzeugt gezeigt, dass Sachsen mit den Sozialdemokraten gut regiert wird. Genauso klar ist aber auch, dass Sachsen mit uns sozialer regiert wird.
Wir sind das soziale Korrektiv in dieser Koalition, das darauf achtet, sozialen Belangen stärker Geltung zu verschaffen.
Man kann natürlich nur dann ordentlich regieren, wenn man weiß, wo die Reise hingehen soll. Nur dann, wenn politische Überzeugungen, die auf Grundwerten beruhen, in konkretes Regierungshandeln münden, ist man glaubwürdig. Allein mit dem Anspruch, regieren zu wollen, kann man keine erfolgreiche Politik für die Menschen machen. Das sage ich ausdrücklich in Ihre Richtung, Herr Kollege Zastrow. Richtschnur unserer Politik, das Korsett, das unsere politischen Forderungen stützt, ist soziale Gerechtigkeit. Daran muss sich die SPD seit ihrer Gründung messen lassen. Das erwarten auch die Menschen in Sachsen von uns. Deswegen möchte ich die Gelegenheit nutzen, hier deutlich zu machen, was soziale Gerechtigkeit für die Sozialdemokraten bedeutet.
Erstens. Wir wollen für alle Menschen vergleichbare Bedingungen für ihre Beteiligung am wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben. Diese Beteiligung muss unabhängig von Alter, Geschlecht, Einkommen oder familiärem Hintergrund sein. Schlüssel zu dieser Chancengleichheit ist Bildung.
Zweitens. Wir sind der Überzeugung, dass der Zusammenhalt unserer Gesellschaft auch davon abhängt, dass der Abstand zwischen Reich und Arm nicht immer größer wird. Jeder muss abhängig von seiner Leistungsfähigkeit dazu beitragen, unser Gemeinwesen zu stärken. Es muss aber auch jeder, unabhängig davon, wo er arbeitet, so viel verdienen, dass er seine Familie mit Anstand ernähren kann.
Drittens. Wir denken darüber nach, welche Bedingungen zukünftige Generationen für ihr Leben vorfinden. Soziale Gerechtigkeit kann nicht nur für die Gegenwart gefordert werden, sondern muss auch in Zukunft durchsetzbar sein.
Aktuelle Politik muss so gestaltet werden, dass spätere Generationen weniger belastet sind. Das betrifft die Schonung der Ressourcen, möglichst geringe Belastung der Umwelt und natürlich eine Finanzpolitik, die den Namen nachhaltig zu Recht trägt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dafür, dass es mit uns in dieser Koalition sozial gerechter zugeht, kann ich Ihnen eine Fülle von Beispielen liefern. Ganz kurz nur zur Arbeitsmarktpolitik: Angesichts der immer noch viel zu hohen Arbeitslosigkeit liegt natürlich ein ganz wichtiger Schwerpunkt der Regierungsarbeit auf dem Gebiet der Arbeitsmarktpolitik. Hier sind eine Reihe neuartiger Initiativen und Projekte auf den Weg gebracht worden. Dazu zu berichten bleibt aber dem zuständigen Minister für Wirtschaft und Arbeit Thomas Jurk vorbehalten.
Unsere Politik muss sich in Zukunft auch verstärkt auf die Gruppe von Menschen richten, die trotz aller Anstrengungen, trotz guter Konjunkturlage und trotz der durchgeführten Reformen zurzeit auf dem ersten Arbeitsmarkt keinen Platz findet. Für diese Menschen müssen wir Perspektiven schaffen, bei denen subventioniertes Nichtstun durch bezahlte und gesellschaftlich sinnvolle Tätigkeit ersetzt wird. Meine Fraktion hat dafür ein Konzept vorgelegt. Wir werden für seine Umsetzung kämpfen.
Bildungspolitik: Natürlich ist unser Ziel längeres gemeinsames Lernen und eine andere Schul- und Lernkultur. Mit den ersten sächsischen Gemeinschaftsschulen haben wir für einen Paradigmenwechsel in der Schulpolitik gesorgt, und die vom klassischen Schulsystem vorgenommene frühe Entscheidung für eine bestimmte Schulform und die damit einhergehende soziale Selektion wird zurückgedrängt. Auch Ganztagsschulen tragen zu einer neuen Bildungskultur bei. Dafür stehen 30 Millionen Euro zur Verfügung. Mein Kollege Martin Dulig hat dazu in der gestrigen Aktuellen Stunde ja schon das Wesentliche gesagt.