Meine Damen und Herren! Das Präsidium hat folgende Redezeiten für die Fraktionen festgelegt: CDU 50 Minuten, Linksfraktion.PDS 35 Minuten, SPD 15 Minuten, NPD 13 Minuten, FDP 13 Minuten sowie BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 13 Minuten. Es beginnt die Linksfraktion.PDS. Danach folgen CDU, SPD, NPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die Staatsregierung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident! „Spät kommt er, doch er kommt!“, möchte man aus Schillers „Piccolomini“ zitieren. Aber da war, anders als bei Schiller, kein weiter Weg, der Euer Säumen entschuldigen könnte. Sie sind einfach zu spät – aus eigener Schuld, und die Halbzeit ist schon lange herum. Sie kommen mir heute vor, als würde Günter Netzer mit seinem Kommentar zur ersten Halbzeit erst in der 55. Minute anfangen, obwohl das Spiel schon lange wieder läuft. Es läuft offensichtlich so schlecht und recht wie in der ersten Halbzeit, und auch deren Lob hilft wohl nicht mehr viel weiter.
„Leicht beieinander wohnen die Gedanken, doch hart im Raume stoßen sich die Sachen“, vermerkt uns wiederum Schiller in „Wallensteins Tod“. Sie, Herr Ministerpräsident, haben durch ihn, Schiller, uns dies heute eindrucksvoll bestätigt.
Nehmen Sie eigentlich wahr, wie hart im Raume sich die Sachen stoßen? Ihre heutige Rede hat bewiesen, Sie nehmen es nicht wahr.
Frei nach Schillers „Don Carlos“ könnte man der Koalition ins Stammbuch schreiben: „Zweieinhalb Jahre und nichts für die Unsterblichkeit getan!“
Was aber war des Ministerpräsidenten langer Rede kurzer Sinn? Vergleiche zur Frage in Schillers “Piccolomini“. Es war der kurze Sinn beileibe nicht „Ich bin besser als mein Ruf!“, wie Schillers „Maria Stuart“ von sich meinte, sondern es hilft nichts: Sie sind noch schlechter als Ihr Ruf, meine Damen und Herren von der Koalition.
Im Koalitionsvertrag – also vor Tisch – las man’s anders – frei nach Schillers „Piccolomini“: „Vor Tische las man’s anders“, als es jetzt als magere Speise serviert wird. Auf das Verhältnis von Koalitionsvertrag und Wirklichkeit passt genau, was der Chor in Schillers „Braut von Messina“ rezitiert: „Hinter den großen Höhen folgt auch der tiefe, donnernde Fall.“
Ich kehre von Schiller zurück in die Bilderwelt des Sports und stelle fest: Sie, Herr Ministerpräsident, haben hier ein Steherrennen versucht, sind aber zu spät aufgewacht. Sie meinten, wer sich zuerst bewegt, verliert. Die Linksfraktion.PDS hat sich tatsächlich zuerst bewegt. Wir haben die wirkliche Halbzeitbilanz unter die Leute gebracht. Sie haben heute versucht, aus dem Windschatten heraus anzugreifen, und sind kläglich gescheitert. „Es treibt Sie das verworrene Streben blind und sinnlos durchs wüste Leben“, Schiller „Braut von Messina“.
Wir haben zur Halbzeitbilanz der Koalition unter dem Titel „Versprochen, gebrochen, vertagt“ zwölf Felder aufgezeigt, auf denen diese Koalition versagt hat, und zwar gravierend. Nichts davon, was Sie, Herr Ministerpräsident, heute gesagt haben, hat uns in diesem Urteil zweifeln lassen.
Auch wenn die Arbeitslosenzahlen gesunken sind, haben Sie nur einen unzureichenden Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit geleistet. – Ich komme darauf zurück.
Die Mauer zwischen Gymnasium und Mittelschule ist nicht niedriger geworden, sondern höher. In der Schulpolitik spricht Martin Dulig immer darüber, wie Schule gemacht werden müsste, und malt das in den schönsten Farben aus.
Wenn es jedoch an die konkrete Umsetzung seiner farbigen Visionen von Schule geht, dann muss man feststellen, dass nichts davon Wirklichkeit geworden ist. Selbst das hochgelobte Projekt der Gemeinschaftsschule, das als Einstieg in den Umbau der Schule angekündigt worden war, kommt nicht voran. Der Stellenabbau geht weiter, anders als in der Koalitionsvereinbarung versprochen.
Völlige Fehlanzeige bisher beim vollmundig angekündigten modernen neuen Hochschulgesetz. Die CDU schlägt in der Hochschulpolitik alles über einen Leisten, den Leisten des wirtschaftlichen Nutzens. In der Praxis bedeutet das, den Umbau der Universitäten und Hochschulen zu Dienstleistungsunternehmen vorzunehmen.
Man will eine Entpolitisierung der Hochschule zugunsten einer technokratischen Institution. Damit – am Beispiel der Hochschulen – sind wir ganz offensichtlich beim entscheidenden Charakteristikum für die Politik der CDU unter Georg Milbradt insgesamt. Die moderne Gesellschaft gilt Ihnen, Herr Ministerpräsident, als ein technokratisches Projekt, bei dem allzu viel Mitsprache nur stört.
Auf diese Weise wird die ganze Gesellschaft entpolitisiert und demokratischer Protest sogar tendenziell kriminalisiert – und das bei einem Koalitionspartner, der einmal einen Bundeskanzler stellte, dessen Politik unter dem Motto stand: „Mehr Demokratie wagen!“
Wohl nicht umsonst hat Angela Merkel in ihrer Antrittsrede vor dem Deutschen Bundestag zwar an Willy Brandt erinnert, ihre politische Maxime dann aber mit „Mehr Freiheit wagen!“ umschrieben. Die politische Freiheit des Citoyen, die wir auch wollen, ist dabei jedoch ganz offensichtlich nicht gemeint. Vielmehr geht es der Kanzlerin und der CDU einzig um die unternehmerische Freiheit. Dahinter haben dann Ansprüche auf Demokratie zurückzustehen. Herr Ministerpräsident, Sie gehören eigentlich auch hinter den Zaun von Heiligendamm –
nicht, weil auch Sie einer dieser angeblich Großen sind, sondern weil all jene, die der Liberalisierungs- und Globalisierungstyrannei anhängen, die Isolation in Heiligendamm als Strafe verdient haben.
Auf dem Altar einer merkwürdigen neuen Freiheit werden politische Freiheiten geopfert, so eben auch die Wissenschaftsfreiheit. Wissenschaft und akademische Ausbildung sind nicht mehr Partner der Wirtschaft – das sollten sie sein –, sondern sie werden zu deren Mägden degradiert. Freilich kann ich in diesem Zusammenhang – dies tue ich sehr gern – den Widerstandsgeist der SPD nur
loben. Herr Prof. Weiss, im Streit um die Personal- und Tarifhoheit im Hochschulbereich geht es sicher auch um die Arbeiterklasse. Die Sorge um diese ehrt Sie; eine solche ist unter Sozialdemokraten kaum noch üblich. Es geht aber noch mehr um die Qualität unserer Universitäten und Hochschulen, um die sich nicht zuletzt auch die Arbeiterklasse sorgen muss.
Gehen die Tarif- und Personalhoheit auf die Universitäten und Hochschulen über, so wird sich sehr schnell die Universitas Litterarum auflösen; sie ist aber immer noch die billigste Organisationsform von Interdisziplinarität. 50 % des Personalfonds wird man dann künftig für drei bis vier Spitzen ausgeben, mit denen man sich schmücken will; die zweite Hälfte des Geldes für den Restbetrieb, aus dem sehr bald ein scheinbar verzichtbares Fach nach dem anderen herausfallen wird. Lassen sich das die Betroffenen nicht gefallen – und sie werden es sich nicht gefallen lassen –, so werden sie danach streben, eine eigene Hochschule bzw. Universität mit der Dominanz ihrer Fächer zu gründen. Sie können diesen Prozess sehr schön dort beobachten, wo man die Personalhoheit bereits auf die Universitäten und Hochschulen übertragen hat, zum Beispiel in Österreich. Am Ende wird die Sache teurer statt billiger, und vor allem wird sie kleinkarierter. Verraten ist das Recht auf Bildung, zu dem doch auch das Recht auf akademische Bildung gehört.
Aber so sehr, wie sie immer beteuern, sind den Koalitionären die kommenden Generationen ohnehin nicht ans Herz gewachsen, sonst wären wir nicht ostdeutsches Schlusslicht bei der Krippenbetreuung, und Sie hätten beim letzten Doppelhaushalt nicht den Rotstift bei der Jugend angesetzt.
Dass die Jugendhilfe als Gegenfinanzierungsmasse für Vorhaben im Bildungsbereich herhalten musste, davon konnten kein Theaterblitz und kein Theaterdonner in der Haushaltsdebatte ablenken. Aber: „Wenn man für jeden Donner und jeden Blitz, den ihr losbrennt mit eurer Zungenspitz’, die Glocken müsst’ läuten im Land umher – es wäre bald kein Mesner zu finden mehr.“ – So sagt der Kapuziner in Schillers „Wallenstein“, und dies gilt wohl auch für diese Koalition.
Ärztemangel breitet sich im Lande aus, Armut ebenso, und der dazugehörige Bericht wird uns vorenthalten. Beim Klimaschutz blockiert sich die Koalition. Der in der Koalitionsvereinbarung angekündigte regelmäßige Lagebericht über die sozialen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Entwicklungen in den Grenzregionen mit entsprechenden Schlussfolgerungen ist bisher nicht ein einziges Mal veröffentlicht worden. Zur Gleichberechtigung komme ich noch; aus der Koalition hört man dazu vorwiegend Unverbindliches. Im Kampf gegen die Kriminalität gibt es erhebliche Defizite. Der Runde Tisch gegen Gewalt führt, anders als versprochen, nach wie vor ein Schattendasein. Korruption wird nur unzulänglich bekämpft, und wie es scheint, ist Kriminalität auch in höchsten Kreisen von Politik, Justiz, Polizei und Verwal
tung fest verankert. Ich möchte ganz deutlich sagen: Das ist kein Pauschalurteil und keine Generalverdächtigung. Im Gegenteil: Es gilt, die überwiegende Mehrheit der Anständigen endlich zu schützen. Das braucht sichere und schnelle Aufklärung der jetzt im Raum stehenden Vorwürfe, und das braucht nicht zuletzt die Aufdeckung der Strukturen und Verantwortlichen der Vertuschung.
Wenn die Menschen ihr Vertrauen in die staatlichen Institutionen mehr und mehr verlieren, so liegt dies auch daran, dass das Versprechen vermehrter Mitsprache der Bürger gebrochen wurde. Die anstehende Funktional- und Verwaltungsreform ist ein unrühmliches Beispiel dafür. Sie ist eine Reform „von oben“, weit vorbei an Bürgerwillen und Bürgerbedürfnissen, weit vorbei an der Mehrheit der Bevölkerung. Lassen wir gerade bei dieser Reform nicht zu, dass einst über unser Hohes Haus gesagt wird, was Fiesco in Schillers „Verschwörung des Fiesco zu Genua“ sagt: „Der Feigen waren mehr denn der Streitbaren, der Dummen mehr denn der Klugen. Mehrheit setzte durch.“
Ich meine, mehr Streitbarkeit und Klugheit sollten endlich die Mehrheit auch in diesem Hause beseelen. Dies gilt für alle Entscheidungen, und es ist nur im demokratischen Diskurs erreichbar; auch darauf komme ich noch einmal zurück.
Nun, Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Reihe „versprochen – gebrochen – vertagt“ ließe sich noch sehr lange fortsetzen. Ich will mich auf Schwerpunkte konzentrieren. Lassen Sie mich deshalb zur Problematik von Wirtschaft und Arbeit kommen. Zunächst das durchaus Erfreuliche – und niemand wird es leugnen –: Ja, wir alle freuen uns über eine Konjunktur, die nach Sachsen durchschlägt und in Sachsen deutliche Verbesserungen bei der Beschäftigung bringt: 52 000 Arbeitsplätze mehr als zuvor, viel mehr Arbeitsplätze als in vielen Jahren der Stagnation, und weiteren Zuwachs. Das soll niemand gering schätzen, obwohl man schon hier darauf aufmerksam machen muss, dass 325 000 Arbeitslose nach wie vor eine viel zu große Zahl ausmachen. Aber daran sind ja selbst Sie, Herr Ministerpräsident, heute nicht vorbeigekommen. Deshalb muss man schon fragen, ob die Staatsregierung alle Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um der Arbeitslosigkeit mit den ihr gegebenen Mitteln zu begegnen. Die Antwort ist leider ein deutliches Nein. Meine Kollegin Caren Lay hat dazu am 11.05.2007 hier im Plenum ausführlich gesprochen, Sie können es im Protokoll nachlesen.
Ich möchte nur noch einmal einige schwere Sünden in Erinnerung rufen – ausdrücklich ohne Anspruch auf Vollständigkeit. In der Förderpolitik beobachten wir seit jeher eine Gewichtung zugunsten der Wirtschaftspolitik und zuungunsten der Arbeitspolitik, und, Herr Ministerpräsident, selbstverständlich, auch wenn die Förderung der Wirtschaft an erster Stelle für die Schaffung von Arbeitsplätzen steht; wir haben eine Struktur von Arbeitslosigkeit, mit der allein damit nicht zurechtzukommen ist.
Ich komme auch darauf später noch zu sprechen. Sachsen quittiert die Verschleuderung von 88 Millionen Euro ESFGeldern in zwei Jahren, im Wesentlichen durch restriktivbürokratisches Vorgehen bei der Mittelbewilligung. Staatsminister Jurk hat eine halbe Legislatur ohne arbeits- und beschäftigungspolitisches Programm regiert. Erst im letzten Plenum wurde beschlossen, ein solches aufzulegen. Der 2003 erst einmal angekündigte, 2004 im Koalitionsvertrag wieder versprochene und im Doppelhaushalt 2005/2006 endlich mit 30 Millionen Euro veranschlagte mittelständische Wachstumsfonds ist bis 2005 überhaupt nicht zur Wirkung gekommen. 2006 – hört, hört! – wurden erstmalig ganze vier Unternehmen aus diesem Fonds gefördert.
(Demonstrativer Beifall bei und Bravo-Rufe von der Linksfraktion.PDS – Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Spitze!)
Ein Innovationsbeirat ist bis heute, zwei Jahre nach seiner Ankündigung, noch immer nicht berufen, und das Ziel einer regional ausgewogenen Technologieförderung wurde nicht erreicht. Im Gegenteil: Die ab 2007 gültige Richtlinie für Technologietransfer birgt die Gefahr in sich, dass Technologiegründerzentren in strukturschwachen Gebieten Sachsens von der Förderung abgekoppelt werden. Wir verzeichnen Fantasie- und Kreativitätslosigkeit bei der Entwicklung von Arbeitsmarktinstrumenten. Berlin hingegen – Sie bringen ja immer das Beispiel –, wo die Linkspartei mitregiert, schuf 2 500 Stellen im öffentlichen Beschäftigungssektor, und in Sachsen-Anhalt profiliert sich selbst die CDU mit dem Konzept „Bürgerarbeit“. In Sachsen: Fehlanzeige. Es gibt keine Initiative für Mindestlöhne, obwohl Sachsen eines der Niedriglohnländer und das Bundesland ist, in dem am häufigsten Hartz IV zusätzlich zu einer Vollzeitbeschäftigung beantragt werden muss. Herr Staatsminister Jurk, Sie haben den Aufruf der SPD zu Mindestlöhnen unterschrieben. Und was folgt daraus? – Offensichtlich nichts. De facto freilich – und jetzt muss ich Staatsminister Jurk wirklich in Schutz nehmen – ist der Minister als Arbeitsminister ohnehin entmachtet, weil die ESF-Gelder auf die Ministerien verteilt worden sind. Deshalb kann der Ministerpräsident auch erklären, dass die sächsische Wirtschaftspolitik nach wie vor CDU-Politik sei.
Sie ist nicht in Sachsen entstanden, diese Konjunktur. Wie sie aber und für wen sie in Sachsen ankommt, dafür kann die Staatsregierung schon etwas. Da gönne ich Ihnen die positiven Aspekte durchaus. Aber das Schicksal der Langzeitarbeitslosen und das Schicksal der strukturschwachen Regionen zeigen uns, dass die Quantität der Arbeitslosigkeit zwar sinkt, ihre Struktur aber weitgehend gleichbleibt.