Protocol of the Session on June 6, 2007

Zu erstens – Unterbringung: Wir wehren uns gegen einen „Glasglockenvollzug“. Damit meinen wir einen Vollzug, in welchem sich der Gefangene für die Zeit der Haft in Einschluss befindet. Denn wenn diese „Glasglocke“ dann weggenommen wird, das heißt, wenn der Jugendliche wieder in Freiheit ist, ist er wieder allen Problemen – Drogenversuchungen und -kontakten usw. – ausgesetzt. Wir nehmen den Grundsatz, dass der Jugendstrafvollzug den Lebensverhältnissen „draußen“ angepasst werden

muss, ernst. Der offene Vollzug ist bei uns die Regel, der Einschluss ist begründungsbedürftig.

Hierzu kann ich Ihnen allerdings einige statistische Angaben nicht ersparen. Wir wissen aus kriminologischen Forschungen, dass Jugendgefangene, die im geschlossenen Vollzug untergebracht waren, zu 63 % wieder in die Haft zurückkehren. Im offenen Vollzug ist die Quote schon anders; hier sind es nur 37 %. 2006 wurden in Sachsen nur 7,6 % der Jugendgefangenen im offenen Vollzug untergebracht, das sind 39 von 515 Gefangenen. Dies können Sie in der Antwort auf unsere Große Anfrage nachlesen. Da es im offenen Vollzug nur 34 Plätze gibt, beträgt dort die Auslastung 115 %.

(Unruhe im Saal)

Wir werden über dieses Thema noch einige Male diskutieren, deshalb wäre es vielleicht besser, wenn Sie zuhören würden.

Zudem gibt es laut Antwort auf unsere Große Anfrage keinen offenen Vollzug für weibliche Jugendgefangene. Diese werden nach Aussagen aus der Praxis dann im offenen Strafvollzug für Frauen untergebracht. Dieser Zustand ist unserer Meinung nach nicht haltbar. Wir haben außerdem in unserem Gesetzentwurf eine Unterbringung in Wohngruppen bis zu acht Personen mit pädagogischer Betreuung vorgesehen.

Zu zweitens – Anspruch auf Bildung, Arbeit und Therapie: Die Perspektiven für Jugendliche und Heranwachsende, in Zukunft ein straffreies Leben zu führen, sind wesentlich größer, wenn sie an Bildungsmaßnahmen teilnehmen. Wenn Jugendliche eine Berufsausbildung im Vollzug abgeschlossen haben, liegt die Rückkehrquote nur noch bei 21 % – gegenüber sonst rund 55 %. Daher haben wir einen Vorrang von Bildung vor Arbeit normiert und gestalten dies als Anspruch auf Bildung aus.

Anders als im Referentenentwurf der Staatsregierung halten wir es nicht für zielführend, wenn Jugendliche gezwungen werden, sich zu bilden und zu arbeiten. Wir sind der Auffassung, dass Zwangsverpflichtungen auch im Strafvollzug nicht zur gewünschten Wirkung führen. Wir wollen, dass die Gefangenen, falls sie nicht motiviert sind, mit Motivierungsstrategien zu Bildung und Arbeit herangezogen werden.

Aus der Antwort auf unsere Große Anfrage hat sich ergeben, dass nur 72 der genannten 515 Gefangenen im Jugendstrafvollzug an Haupt- und Realschulkursen teilnehmen. Wir meinen, dass dies besser werden muss. Wir hätten uns auch gefreut, wenn wir gründlichere

Antworten bekommen hätten. Es scheint jedoch so, dass die Staatsregierung überhaupt nicht weiß, welche Bildungsangebote im Einzelnen mit welchem Bildungserfolg in Anspruch genommen werden.

Zudem haben wir in unserem Gesetzentwurf einen Anspruch auf suchttherapeutische Behandlung und Therapie statt der Einführung von Drogenhunden verankert. Wann, wenn nicht im Jugendstrafvollzug, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir eine Chance, an die Jugendlichen heranzukommen? Eine Suchttherapie schließen wir allerdings im geschlossenen Vollzug aus, da die Jugendlichen sich auch während der Therapie erproben müssen. Aber auch im geschlossenen Vollzug haben sie einen Anspruch auf suchttherapeutische Beratung.

Zu drittens – soziale Konflikte lösen lernen: Um nach der Haft nicht erneut straffällig zu werden, müssen die Gefangenen lernen, mit Konflikten umzugehen – mit Konflikten untereinander und mit Beschäftigten. Allein der Anstieg der Körperverletzungen im Vollzug ist extrem besorgniserregend. So stieg die Anzahl der Körperverletzungsdelikte von 99 im Jahr 1999 auf 232 im Jahr 2006 – also um 130 %. Jugendliche und Heranwachsende artikulieren sich immer häufiger durch Gewalt. Das müssen wir als Problem ernst nehmen. Wir führen deshalb ein Konfliktregelungsverfahren ein. Das ist nicht einfacher. Einfacher ist es auf alle Fälle, Pflichten festzulegen und bei Nichtbefolgung Disziplinarmaßnahmen zu verhängen. Aber dies – das sehen wir an der Rückkehrerquote – führt nicht zum gewünschten Erfolg. Nur wenn wir es schaffen, mit den Gefangenen ins Gespräch zu kommen, Pflichtverletzungen anzusprechen und Konflikte auch durch unabhängige dritte Personen zu schlichten, wie wir es im § 71 unseres Gesetzentwurfes geregelt haben, haben wir eine Chance, dass Gefangene diese Art der Konfliktlösung auch in ihrem späteren Leben anwenden werden. – Den Arrest schaffen wir hingegen im Jugendstrafvollzug ab, da wir ihn für menschen- und völkerrechtswidrig halten.

Zu viertens – Einrichtung eines oder einer unabhängigen Strafvollzugsbeauftragten. Dies ist ein sehr wichtiger Punkt unseres Gesetzentwurfes. Schon im Juni 2005 hat der Sächsische Landtag unserem Antrag zugestimmt, sich für eine Ratifizierung des Zusatzprotokolls zur UNAntifolterkonvention einzusetzen und die sächsischen Behörden über die Antifolterkonvention zu unterrichten. Teil dieses internationalen Abkommens ist die Schaffung eine Präventionsmechanismus. Danach haben die Staaten eine oder mehrere Stellen zu bilden, die Besuche zur Verhinderung von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung durchführen. Die Einrichtung eines unabhängigen Beauftragten für den Strafvollzug ist ein Schritt zur Umsetzung dieses Abkommens auf Landesebene. Dieser ist dann nicht nur für den Jugendstrafvollzug zuständig, sondern auch für den Erwachsenenstrafvollzug und für die Abschiebehaft.

Die Situation ist in Sachsen zum Teil furchterregend. Im letzten Jahr hatten wir 25 Minderjährige in Abschiebehaft. Beim Erwachsenenstrafvollzug hat das Landgericht Bautzen im Jahr 2005, bestätigt durch das Oberlandesgericht Dresden, die Menschenunwürdigkeit der Haftbedingungen in der JVA Bautzen festgestellt. Hätten wir zu dieser Zeit bereits einen Strafvollzugsbeauftragten gehabt, wäre es zu dieser Situation vielleicht überhaupt nicht gekommen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Auch die Anstaltsbeiräte und der Petitionsausschuss haben in dieser Situation nichts genutzt. Der/die Strafvollzugsbeauftragte ist hingegen für die Gefangenen erreichbar, wenn sie sich mit Beschwerden an ihn/sie wenden. Er wird außerdem im Rahmen der Genehmigung der Anstaltsordnung gehört, er überprüft die Situation in den Anstalten des Landes auf ihre Übereinstimmung mit den verfassungsrechtlich und durch Menschenrechtskonvention garantierten Rechten der Gefangenen, und er berichtet nicht zuletzt regelmäßig dem Landtag.

Die zwei Großen Anfragen der letzten Zeit zeigen, dass im Parlament doch erheblicher Informationsbedarf besteht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen erreichen, dass Jugendgefangene nicht wieder straffällig werden. Das ist ein enormes Ziel. Es ist sehr wichtig, dass dieses Ziel engagiert angepackt und nicht zugunsten eines Billigvollzugs vernachlässigt wird. Auch gerade deshalb, weil wir die Arbeit vor Ort sehr schätzen, wollen wir uns mit unserem Gesetz für diesen Vollzug einsetzen. Wir möchten keine Glasglocke über die Jugendgefangenen stülpen, sondern sehen größere Chancen darin, mit den Jugendlichen zu arbeiten und die Zeit des Vollzugs zu nutzen. Dann wird sich die Situation der Jugendlichen auch dahin gehend verbessern, dass sie eine Zukunft in einem straffreien Leben sehen.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und bitte um Überweisung an die entsprechenden Ausschüsse.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön. – Meine Damen und Herren, das Präsidium schlägt Ihnen vor, den Gesetzentwurf zum Vollzug der Jugendstrafe im Freistaat Sachsen an den Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss – federführend –, an den Ausschuss für Soziales, Gesundheit, Familie, Frauen und Jugend und an den Haushalts- und Finanzausschuss zu überweisen. Wer stimmt diesem Vorschlag zu? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisung einstimmig erfolgt.

Meine Damen und Herren, wir kommen zu

Tagesordnungspunkt 12

1. Lesung des Entwurfs Gesetz zur Stärkung der parlamentarischen Kontrolle des Einsatzes nachrichtendienstlicher Mittel im Freistaat Sachsen

Drucksache 4/8872, Gesetzentwurf der Linksfraktion.PDS

Frau Lay, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unser Gesetzentwurf zur Stärkung der parlamentarischen Kontrolle des Einsatzes nachrichtendienstlicher Mittel im Freistaat Sachsen kommt genau zur rechten Zeit; denn eines dürfte nach der gestrigen Sondersitzung zum Korruptionsskandal in Sachsen allen klar sein: Die Parlamentarische Kontrollkommission wurde vom Landesamt für Verfassungsschutz mehrfach an der Nase herumgeführt.

Wir wurden – erstens – weder über die weitere Beobachtung der Organisierten Kriminalität nach dem Urteil des Verfassungsgerichts ausreichend und umfassend informiert, geschweige denn über die Brisanz der Inhalte. Dass wir überhaupt Einblick in die Akten erhalten, ist der Prüfung des Datenschützers zu verdanken. Bis dahin haben wir die Originalakten des Verfassungsschutzes nie zu Gesicht bekommen.

Zweitens. Sind Kinderpornografie, Strafvereitelung im Amt, Korruption, Vorteilsnahme und Bestechlichkeit oder etwa der Verrat von Dienstgeheimnissen – all diese Vorwürfe, wie sie derzeit in der Presse kolportiert werden – etwa keine Vorgänge von zentraler Bedeutung? Ist es nicht von zentraler Bedeutung, wenn man zumindest mancherorts an der Unabhängigkeit und Funktionsfähigkeit von Polizei und Justiz zweifeln muss? Was, wenn nicht diese Dinge, ist von zentraler Bedeutung und hätte deswegen in die PKK gehört?

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS, den GRÜNEN und des Abg. Karl Nolle, SPD)

In dieser Einschätzung waren wir uns übrigens alle einig und deswegen haben wir an dieser Stelle auch eine Rüge an das Landesamt für Verfassungsschutz ausgesprochen.

Dass sich nun heute herausstellt, dass Herr de Maizière als Innenminister zumindest über den damaligen Kenntnisstand zur Organisierten Kriminalität informiert war, uns als PKK aber nicht über seine Entscheidung über die Nichtabgabe an die Staatsanwaltschaft informiert hat, halte ich wirklich für einen enormen Vorgang. Auch ich kann hier einen Rechtsbruch erkennen, der sicherlich noch ein Nachspiel haben wird.

Wir brauchen die Stärkung der Rechte der PKK auch, damit nicht der Eindruck entsteht, dass wir es zulassen, dass Hinweise unter den Tisch gekehrt oder verschleiert werden – auch oder erst recht dann nicht, wenn es sich um brisante Hinweise und Informationen handelt.

Aber selbst jetzt, meine Damen und Herren, da die Arbeit der PKK angesichts der Korruptionsaffäre so deutlich auf

dem öffentlichen Prüfstand steht, wird uns gegenüber immer noch nicht mit offenen Karten gespielt. Da erfahren wir nach über einem halben Jahr, nachdem unsere Prüfung der Vorgänge um die OK begonnen hat, und drei Wochen, nachdem sie öffentlich in aller Welt diskutiert werden, dass es noch weitere Unterlagen gegeben hat, Unterlagen, die wir nicht kennen, die aber in der Zwischenzeit schon mal geschreddert wurden.

Meine Damen und Herren, auch jenseits dieser skandalösen Vorgänge kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Arbeit in diesem Gremium im Wesentlichen oder zumindest teilweise Alibicharakter hatte. Die Arbeit in einer Parlamentarischen Kontrollkommission beschreibt der FDP-Politiker Burkhard Hirsch zutreffend – ich zitiere –: „Viel zu lange haben wir uns in den kalten Kellern mit Belanglosigkeiten den Hintern platt gesessen und immer wieder haben wir uns gefragt, ob man den ganzen Laden nicht am besten auflöst.“

(Beifall der Abg. Dr. Cornelia Ernst, Linksfraktion.PDS)

Rüde Worte, aber ich komme nicht umhin, mir diese Frage das eine oder andere Mal selbst zu stellen.

Meine Damen und Herren, wenn wir Verfassungsschutzaffären wie diese in Zukunft verhindern wollen – ich nehme an, insbesondere die Koalition wird ein Interesse daran haben –, dann müssen wir die Rechte der PKK stärken. Ich freue mich, dass auch die anderen Kollegen PKK-Mitglieder gestern diese Auffassung vertreten haben. Da trifft es sich gut, dass die Linksfraktion.PDS schon seit einigen Monaten an einem Gesetzentwurf zu eben jenem Thema arbeitet. Dieser Gesetzentwurf kann die Grundlage für eine fraktionsübergreifende Beratung sein.

Was will die Linksfraktion im Einzelnen?

Wir wollen erstens eine deutliche Stärkung von Minderheitenrechten. Es kann doch nicht angehen, dass wir als Oppositionsvertreter vor der Korruptionsaffäre anhand juristischer Diskussionen häufig darum kämpfen mussten, dass unserem Auskunftsersuchen überhaupt entsprochen wird. Viel zu oft haben Landesamt und Innenministerium so getan oder den Eindruck vermittelt, als würde es sich hier um eine Art Goodwill handeln. Ständig die Debatte darüber, worüber denn genau berichtet werden muss, was unser Auskunftsanspruch ist, und das juristische Geplänkel darüber, ob das Auskunftsrecht auch den einzelnen Mitgliedern der PKK oder einer Minderheit zusteht oder nur dann, wenn es von der Mehrheit der PKK getragen wird!

Ich bin es leid, meine Damen und Herren, den Mitarbeitern von Landesamt und auch Innenministerium in diesem Gremium die Würmer aus der Nase ziehen zu müssen! Und ich habe den Eindruck, dass sich auch die Kollegen PKK-Mitglieder aus den anderen Fraktionen dieser Auffassung inzwischen anschließen. Das Recht auf Auskunft, meine Damen und Herren, muss deshalb das Recht einer Minderheit und das Recht eines einzelnen Mitglieds sein. Ansonsten sind die Rechte der Opposition oder einer Minderheit in diesem Gremium grundlegend beschnitten.

Außerdem müssen die Auskunftsrechte der PKK klar definiert werden. Wir machen einen Vorschlag: Alles, worüber dem SMI berichtet wird, muss auch uns als PKK berichtet werden.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Bis heute, meine Damen und Herren, ist unklar, was dem SMI zu welchem Zeitpunkt bekannt war, was das SMI über die Vorgänge wusste. Auch diese Frage wird uns als PKK und auch den Innenausschuss sicherlich noch beschäftigen. In Zukunft wollen wir es sofort wissen, damit wir als Abgeordnete auf gleicher Augenhöhe mit dem SMI agieren können.

Bei der Ausweitung der Minderheitenrechte kann es nicht nur um Unterrichtung gehen, sondern auch um Akteneinsichtsrechte und um die Einsicht in Dateien und Unterlagen. Das darf in Zukunft auch nicht von einer mehr oder weniger zufälligen Prüfung des Datenschützers abhängen und erst recht nicht vom Gutdünken des Verfassungsschutzes.

Meine Damen und Herren, stellen Sie sich vor, dass sich im Laufe einer Prüfung durch die PKK vielleicht auch die Beamten in einer so großen Behörde nicht immer alle einig sind. „Drei Juristen, vier Meinungen“, sagt ja der Volksmund. Theoretisch denkbar wäre also auch, dass die einzelnen Bediensteten unterschiedliche Strategien verfolgen oder dass das, was einzelne Mitarbeiter betreiben, von der Hausspitze nicht geteilt oder – sagen wir es einmal so – unterdrückt wird. Nur so als Vorstellung! Dann kann es nicht angehen, dass wir als PKK darum ringen müssen, diese Mitarbeiter überhaupt zu Gesicht zu bekommen. Nein, das muss zu unseren selbstverständlichen Rechten gehören!

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Außerdem wollen wir es jedem Bediensteten des Verfassungsschutzes ermöglichen, sich mit Eingaben an die PKK zu wenden, und zwar auch an der Führung des Hauses vorbei. Das ist sicherlich die bessere Variante als der Geheimnisverrat an Enthüllungsjournalisten.

Dass wir in diesem Gremium komplett auf uns allein gestellt sind, ohne Juristen und ohne technische Ausstattung, wollen wir ändern. Dort besteht ein Ungleichgewicht gegenüber der Behörde, die wir kontrollieren müssen. Dann, wenn es komplexe Sachverhalte zu prüfen gilt, müssen wir auch die Möglichkeit haben, einen

Sachverständigen mit der Prüfung zu beauftragen. Das wäre in diesem Fall sicherlich auch eine gute Idee.