Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war mir alles zu destruktiv, was ich da von der Linksfraktion gehört habe. Deshalb will ich mit ein paar objektiven Daten beginnen. Ich denke auch, dass das notwendig ist, weil mir das ewige Schlechtreden – bei allem Verständnis für die Problemlagen – langsam zum Halse heraushängt.
Man muss doch mal zur Kenntnis nehmen, dass wir in Sachsen eine hervorragende Wirtschaftsentwicklung und hervorragende Wirtschaftsdaten haben!
Wenn Sie das nicht erfreut, tut es mir leid. Mich erfreut es. Man muss auch zur Kenntnis nehmen, dass die Wirtschaft wächst wie seit vielen Jahren nicht mehr.
Wenn man den aktuellen Daten des Statistischen Landesamtes glauben darf – und das tue ich an dieser Stelle –, dann stieg 2006 das reale Bruttoinlandsprodukt des Freistaates im Vergleich zum Vorjahr um 4 %. Bundesweit lag der Zuwachs hingegen nur bei 2,5 %. Das sind positive Daten.
Wenn man sich anschaut, wo das herkommt, muss man feststellen, dass die treibende Kraft genau in diesem Bereich das verarbeitende Gewerbe ist. Hier wurde ein Gesamtumsatz von circa 50,3 % erwirtschaftet. Auch das ist ein Plus von 14,3 %.
Damit nicht genug. Es gibt noch ein paar Zahlen mehr, die belegen, dass etwas Positives auf dem Weg ist. Im Vergleich zum April 2006 waren im April 2007 circa 65 000 Menschen weniger arbeitslos. Für 2007 und 2008 lässt sich erahnen, dass sich diese Dynamik am sächsischen Arbeitsmarkt sicher noch positiver darstellen wird. Man könnte durchaus sagen, dass – neben den Entwicklungen auf Bundesebene – auch die Koalition hier in Dresden eine gute Arbeit leistet. Das ist in der Tat die positive Seite.
Es gibt natürlich – das muss man klar bekennen – eine negative Seite der Medaille. Die Zahlen sagen es: Ende April waren circa 342 000 Menschen in Sachsen arbeitslos, und das kann uns nicht befriedigen. Im Klartext heißt das, dass der von mir beschriebene wirtschaftliche Aufschwung an großen Teilen von Langzeitarbeitslosen wahrscheinlich vorbeigeht.
Jetzt kommen wir zum eigentlichen Problem: Wie gehen wir mit diesem Punkt um? In der alten Bundesrepublik gab es seit Mitte der Siebzigerjahre eine Vielzahl von Modellen und Ansätzen. Zunächst hat man versucht, das Problem der Massenarbeitslosigkeit damit zu lösen, dass man gesagt hat, wir müssen die Nachfrage einfach erhöhen. Das war die Politik der Siebzigerjahre. Wir müssen dann dazu kommen, dass wir angebotsorientierte Politik machen. Danach haben wir feststellen müssen, dass sowohl das eine als auch das andere nicht richtig funktioniert hat.
Deshalb ist der Antrag der Koalition richtig, denn er sagt im Kern: Es ist Zeit, dass wir über Konzepte nachdenken müssen und Konzepte kritisch hinterfragen sollen. Vor allem brauchen wir eine öffentliche Debatte darüber, wie wir neue Arbeitsstrukturen und -formen finden, dass die Gesellschaft von morgen im Hinblick auf die Herausforderungen der Globalisierung in der Lage ist, diese zu meistern.
Dann kommt man zu der Frage: Wie macht man das? Dazu fällt mir unter anderem folgender Satz des amerikanischen Nobelpreisträgers Samuelson ein: „Der Markt hat kein Herz.“ Ich glaube, das hat er treffend beschrieben. Insofern ist die Herausforderung für die Politik ganz klar: dass wir dieses Thema nicht allein dem Markt überlassen dürfen. Genau an dieser Stelle ist auch der Staat gefordert,
im Rahmen von Sozial- und Arbeitsmarktpolitik Antworten darauf zu geben und Instrumente zu entwickeln, wie wir aus den Problemen der Massenarbeitslosigkeit herauskommen.
Der Europäische Sozialfonds kann in der Tat eine gute und aktive Grundlage dafür liefern, dass wir dabei einen Schritt weiterkommen. Ich sage bewusst „kann“, weil es richtig ist, was die Kollegin von der PDS gesagt hat und was auch mein Eindruck war: dass bis 2004 systematisch versucht worden ist, gerade im Bereich des ESF zugunsten der EFRE-Maßnahmen herunterzufahren. Die Grundlage dafür haben die Operationellen Programme 2000 bis 2006 geschaffen. Diese alten Operationellen Programme waren so konzipiert, dass sie die Vorgaben der Europäischen Union zusätzlich mit sächsischen Bestimmungen verschärft haben und dass der Mittelabfluss in der Tat nicht so funktioniert hat, wie wir uns das ab 2005 gewünscht hätten. Nur, die Kritik, die sich für die PDS dahinter verbirgt, geht natürlich vollkommen an die falsche Adresse.
Vollkommen an die falsche Adresse, weil für die Verabschiedung der Operationellen Programme 2000 bis 2006 weder die SPD noch das von ihr geführte Wirtschafts- und Arbeitsministerium zuständig waren. Bei dem neuen Programm 2007 bis 2013 ist es in der Tat spürbar, dass es eine sozialdemokratische Handschrift gibt. Wenn man sich das anschaut – –
Da können Sie lachen, Kollegin Henke. Lachen ist ja gesund und ist immer wichtig; Zwischenfragen sind vielleicht interessanter. Wenn Sie eine andere Auffassung haben, dann stellen Sie sie dar.
Ich sage, dass dort auf jeden Fall eine neue Prioritätensetzung klar erkennbar ist. Das ist im Bereich der Förderung der Berufsausbildung der Fall,
das ist die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit, das ist die Frage der berufsbegleitenden Qualifizierung, das sind soziale Eingliederungen Benachteiligter, das ist die Förderung von Unternehmergeist und Existenzgründerinitiativen.
Wenn man sich den Antrag der Linksfraktion ansieht, muss man feststellen, dass genau diese Punkte, die Sie beklagen, die angeblich nicht in diesem Operationellen Programm enthalten sind, genau dort vorhanden sind.
Wenn man von dieser Analyse ausgehen kann, die ich darzustellen versucht habe, dann geht es doch im Wesentlichen darum, dass wir uns alle aktiv an einem solchen Veränderungsprozess beteiligen sollen. Bei aller Kritik muss man zur Kenntnis nehmen, dass auch die Maßnahmen der Bundesregierung in Teilen Früchte tragen.
Aber – das sage ich immer wieder – wir dürfen natürlich nicht die Augen davor verschließen, dass wir ein großes Problem damit haben, Menschen in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Es gehört zur Ehrlichkeit als Politiker, dass man das auch benennt. Genau an diesem Punkt sagt der Antrag der Koalition zu Recht: Wir müssen alles daran setzen, dass wir die Erfordernisse des Arbeitsmarktes erkennen, dass wir das Qualifikationsprofil der Menschen verbessern und anpassen. Gleichzeitig lässt dieser Antrag nicht offen, ob wir damit am Ziel der Vollbeschäftigung festhalten oder uns davon abkehren. Aus Sicht der SPD gibt es diesbezüglich keinen Zweifel.
Die Menschen brauchen – das ist sehr wichtig – verstärkt eine Förderung, auch von staatlicher Seite, und die bekommen sie. Als Beispiel möchte ich die Situation der Jugendlichen nennen, weil uns alle diese Entwicklung nicht befriedigen kann. Bundesweit haben 590 000 Jugendliche unter 25 Jahren leider keine Ausbildung.
Was machen die Spitzenverbände der Arbeitgeber an dieser Stelle? Sie fordern – mit Blick darauf, dass es in absehbarer Zeit ein Fachkräfteproblem geben wird – nicht etwa, dass man zu gemeinsamen Aktionen übergehen sollte, wie man denn diese schwierige Situation bewältigen kann; nein, sie sagen, die Bundesregierung müsse die Freizügigkeit für ausländische Fachkräfte erleichtern.
Damit hier kein falscher Zungenschlag hineinkommt und die braune Seite vielleicht schon zu johlen anfängt:
Es geht genau nicht darum, dass Deutschland ein Problem damit hat, dass ausländische Fachkräfte hier herkommen; überhaupt nicht. Deutschland war und ist auch aufgrund der Lage im Herzen Europas ein Einwanderungsland, und daran wird sich auch nichts ändern. Wenn man sich die sächsische Geschichte ansieht: Auch da hängt der Erfolg im Wesentlichen davon ab, dass Sachsen in den letzten 200 Jahren weltoffen war und diese Weltoffenheit genutzt hat, zum Aufstieg in der europäischen Industrieregion beitragen zu können.
Abschotten hat also keinen Sinn; und diejenigen, die sich abschotten wollen, sind in der Tat die Verlierer der Globalisierung. Insofern ist es richtig, dass Sachsen weltoffen ist und bleibt.
Im Kern geht es doch aber darum: Warum reagieren auch Arbeitgeberverbände so und warum werden bestimmte Jugendliche genau mit solchen Äußerungen zu den Rattenfängern hingetrieben? Die Politik der Spitzenverbände, dass man sagt, diese 590 000 Jugendlichen kann man nicht mehr integrieren, man müsse sich anderer Mittel bedienen, bedeutet doch im Klartext, dass sie sie abgeschrieben haben. Genau diese Politik sollten wir nicht mittragen, und da müssen wir etwas dagegensetzen.
Deshalb müssen wir uns aus meiner Sicht klar zum Recht auf Schutz des Eigentums bekennen, aber wir brauchen auch eine Jugend, die ein Recht auf Ausbildung hat. Genau hier müssen wir als Freistaat ansetzen – und das tun wir auch. Wenn man sich anschaut, dass es in
Deutschland eine Entwicklung gibt – dass man zwar mit der Abiturnote 4 studieren kann, dass aber halbwegs sinnvolle Abschlüsse von Mittel- oder Hauptschülern nicht anerkannt werden und man sagt, das hätte mit einer mangelnden Ausbildungsreife zu tun und sie werden per se abgelehnt –, dann haben wir die Situation, dass wir damit auf Jahre junge Menschen in staatlich finanzierte Warteschleifen schicken – ohne jegliche Perspektive.
Ich weiß, dass das, was ich für die Spitzenverbände gesagt habe, für einen großen Teil der Handwerksbetriebe und Mittelständler nicht zutrifft. Das begrüße ich sehr, weil genau die Mittelständler, die vor Ort in den Handwerksbetrieben ansässig sind, in den letzten Jahren ihrer Verantwortung, was die Ausbildung anbelangt, nachgekommen sind.
Es geht also darum, dass wir Geld dafür in die Hand nehmen müssen, die Ausbildungsmöglichkeiten auch im Bereich des Mittelstandes zu erhöhen. Die Koalition hat ja im Herbst 2006 einen ausgeglichenen Haushalt vorgelegt, und der Doppelhaushalt 2007/2008 zeigt deutlich, dass die Koalition eine solide Finanzpolitik betreibt. Aber wir brauchen – vielleicht im Gegensatz zu anderen Bundesländern, gerade was zusätzliche Steuereinnahmen betrifft – eben jetzt nicht allein die Position, dass wir diese Einnahmen ausschließlich für die Haushaltskonsolidierung nehmen, sondern wir sollten darüber nachdenken, solche zusätzlichen Einnahmen für die Stärkung der Ausbildungsförderung, insbesondere der dualen Ausbildungsförderung, einzusetzen. Mit anderen Worten müssen wir darüber diskutieren, ob wir klotzen wollen und nicht kleckern.
Klar ist aber auch: Wir sollten uns nicht von einer Debatte leiten lassen, die davon spricht, dass Mitnahmeeffekte auf uns zukommen. Die Mitnahmeeffekte können wir uns durchaus leisten, wenn dabei tatsächlich neue Ausbildungsplätze für die Jugendlichen in Sachsen herauskommen. Wir müssen also auch im Bereich der dualen Ausbildung fördern und sollten darüber nachdenken, ob auch dort temporär die Anforderungen gesenkt werden, um damit die Bugwelle der Altbewerber in eine Vermittlung zu bringen.
Klar ist, dass der Staat nicht alles leisten kann. Insofern ist es mein Ansatz bzw. der Ansatz der SPD-Fraktion, dass die ausbildungsunwilligen Jugendlichen, die einfach nicht wollen, gleichzeitig die Schranken des Staates kennenlernen müssen; und Solidarität darf nicht als Einbahnstraße verstanden werden.
Wir müssen gleichzeitig darüber nachdenken, dass gerade neue Technologien mit den veränderten Anforderungen an die Mitarbeiter zu einem immer härteren Auswahlprozess führen und dass man heutzutage selbst mit guter Qualifikation nicht automatisch vor Arbeitslosigkeit gefeit ist. Insofern müssen wir neue Beschäftigung schaffen. Ich unterstütze deshalb ausdrücklich alle Überlegungen und Konzepte von Kommunen, die sich diesem Thema nähern, zum Beispiel über die Frage von Bürgerarbeit oder von sozialem Arbeitsmarkt. Genau in diesem Kontext
steht das von der SPD-Fraktion verabschiedete Konzept, das ins Netz eingestellt ist und auf das sich Kollegin Lay bezogen hat.
Kollege Hahn, lesen macht schlau – das ist die alte Bauernregel; Sie können es sich gern im Internet ansehen.
Die Grundidee dieses Konzeptes, nämlich „Sozialer Arbeitsmarkt Sachsen“, geht davon aus, dass Arbeitslose, die nicht direkt durch den Einsatz eines arbeitsmarktpolitischen Instrumentes in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden können, zeitnah mit einem nicht befristeten Vertrag im Bereich von gemeinnütziger Arbeit integriert werden.