Eigentlich hatte ich Ihnen eine Frage gestellt. Sie haben nachher noch einmal Gelegenheit, hier an das Pult zu treten. Ich meine es ernst mit meiner Frage: Wo ist eigentlich wirklich die Grenze bei der CDU bei der Totalverdrahtung, bei der Unter-Generalverdacht-Stellung jedes Bürgers und jeder Bürgerin? Genau das tun Sie hier. Allein, wenn ich an die Grenze komme und meinen Pass zeige, hinterlasse ich Datenspuren. Auf diese kann jede Polizeivollzugsbehörde zu jedem Zweck, der ihr günstig oder nicht günstig erscheint, zugreifen. Herr Schowtka, verstehen Sie nicht, was hier passiert? Da stelle ich den Datenschutz, der mir eigentlich als Grundrecht garantiert sein sollte, unter Opportunitätserwägung irgendeiner Polizeivollzugsbehörde – ich weiß nicht, wo Sie herkommen, aus Hoyerswerda oder aus irgendeiner Ecke. Das hat nichts mehr mit Rechtsstaatlichkeit zu tun, weil das Wesen des Rechtsstaates nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1984 ist, dass ich jederzeit kontrollieren kann, was mit meinen Daten wo an welcher Stelle gemacht wird. Genau das lösen Sie auf.
Jetzt ist es natürlich so gewesen, dass die Bundesregierung in ihrer Erwiderung auf die Bundesratsinitiative das zum großen Teil abgelehnt hat, und zwar durchaus mit dem richtigen Hinweis, der dem Kollegen Brangs vorhin wohl nicht so präsent war, dass es nämlich gegen die EURichtlinie verstößt. Ganz banal, Artikel 4 Abs. 3 – darin steht, dass die Ausgabe dieser Daten nur zur Identifizierung und zur Authentifizierung des Passes erlaubt ist und nicht für die weitere Verwendung, die der Bundesrat gedacht hat. Nein, das ist ein weiterer Schritt, wie Herr Martens zu Recht gesagt hat, in Richtung Überwachungsgesellschaft. Ich sage Ihnen ganz ehrlich, dass ich es leid bin, diese Debatten hier immer wieder zu führen,
weil ich merke, dass es bei Ihnen nichts ausrichtet. Sie werden bis zum Exzess alles austreten, bis wir tatsächlich in einer Überwachungsgesellschaft leben. Ich würde gern einmal wissen, wo Ihre Grenze ist.
Das war die Runde der Fraktionen. Gibt es seitens der Fraktionen weiteren Aussprachebedarf? – Das ist nicht der Fall. Herr Staatsminister der Justiz, Herr Mackenroth, bitte.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrte Damen und Herren Abgeordneten! Die Pressemeldungen zum Entwurf des neuen Passgesetzes überschlagen sich. Gegensätzliche Positionen werden ausführlich dargestellt, unterschiedliche Schwerpunktsetzungen in Diskussionen zum Teil mehr als deutlich herausgearbeitet. Wir haben es ja gerade gehört. Herr Lichdi meint, Hoyerswerda sei eckig. In Berlin laufen die Gespräche in der Koalition, deren Ergebnis nicht bekannt und nicht vorhersehbar ist.
Die Staatsregierung und der Staatsminister des Innern, den ich heute hier vertreten darf, sehen keinen Anlass, sich zu einem Gesetzentwurf der Bundesregierung zu äußern, dessen konkreter Inhalt sich noch in der parlamentarischen Abstimmung befindet und für den die Sächsische Staatsregierung keinerlei Verantwortung trägt. Wir informieren gern über unsere Positionierung zu dem ursprünglich von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf im Vorfeld der parlamentarischen Befassung. Insoweit will ich auf die erste Frage der Drucksache antworten.
Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme vom 16.02.2007 eine Erweiterung des Nutzungszweckes des automatisierten Abrufes von Lichtbildern aus den Registern durch Polizei und Ordnungsbehörden vorgeschlagen – § 22a Abs. 2 Passgesetz neu. Diese Möglichkeit sollte nicht nur im Rahmen von Verkehrsordnungswidrigkeiten, sondern auch bei der Verfolgung von Straftaten zugelassen werden. Diesen Vorschlag haben wir unterstützt, da der Wertungswiderspruch evident ist. Für Verkehrsordnungswidrigkeiten soll ein automatisierter Abruf möglich sein, nicht aber für die Verfolgung von Straftaten.
Der Vorschlag des Bundesrates in seiner Stellungnahme, die Datenverarbeitungsmöglichkeiten zur Identitätsüberprüfung im Rahmen einer Kontrolle zu erweitern – § 16a Satz 1 und 3 Passgesetz neu –, wurde von der Staatsregierung nicht unterstützt, da datenschutzrechtliche Bedenken überwogen.
rungen anschließen, inwieweit Ihr Abstimmungsverhalten oder das Abstimmungsverhalten der Staatsregierung mit Artikel 4 Abs. 3 der genannten EU-Richtlinie, die Ihnen sicher bekannt ist, 2252 aus 2004, vereinbar ist? Ich kann sie Ihnen gern noch einmal zitieren.
Wie haben wir uns im Bundesrat positioniert? Wir haben dem Vorschlag zugestimmt, die strenge Löschungsregelung, nämlich die unverzügliche Löschung der erhobenen Daten nach Beendigung der Prüfung der Echtheit des Passes und der Identität des Inhabers, zu erweitern, um die Daten für die notwendige Beweissicherung auch im nachfolgenden Strafverfahren oder zur Gefahrenabwehr zur Verfügung zu haben.
Zur zweiten Frage, welche Erwägungen von uns sowie im Bundesratsverfahren betreffs der Verfassungskonformität dieser geplanten Gesetzesänderung angestellt worden sind. Insoweit, Herr Lichdi, kann ich auf Ihre Frage antworten. Wir haben weder verfassungsrechtliche Bedenken gehabt noch Bedenken, dass die Regelungen gegen die EU-Vorgaben verstoßen. Auch die Stellungnahme des Bundesrates enthält keine diesbezüglichen Erwägungen. Im Übrigen verweise ich auf die Stellungnahme des Bundesrates vom 16.02.2007 und die Gegenäußerung der Bundesregierung.
Abschließend noch einmal: Wir haben es hier nicht mit einem sächsischen Gesetzesvorhaben zu tun. Es geht um ein Bundesgesetz, das sich zudem noch im Entwurfsstadium befindet. Die Staatsregierung sieht derzeit keinen Anlass, einen Gesetzentwurf zu verhindern, dessen konkreten Inhalt wir gegenwärtig noch nicht einmal kennen.
Die Staatsregierung hat ein festes Verfahren verabredet. Wir werden uns dann damit auseinandersetzen, wenn die Sache im Bundesrat ist. Wir hatten ja noch nicht einmal Gelegenheit, uns innerhalb der Koalition zu streiten. Ich bin auch gar nicht sicher, dass wir uns über diesen konkreten Entwurf streiten werden.
Herr Bartl, die Staatsregierung ist kein Mittäter und schon gar nicht ein Mittäter von rechtswidrigen oder verfassungswidrigen Vorhaben. Herr Lichdi, das Reizwort Überwachungsstaat – mir ist nicht erinnerlich, dass irgendjemand aus der Koalition in Berlin oder Dresden einen Überwachungsstaat gefordert hätte.
Sparen Sie sich den Versuch, durch die Besetzung von Begriffen Inhalte vorzugeben – mit dieser Koalition wird Ihnen das nicht gelingen.
Was wir wollen und worüber wir auch innerhalb dieser Koalition streiten werden: Der Zielkonflikt zwischen innerer Sicherheit auf der einen Seite und den Freiheitsrechten des Bürgers auf der anderen Seite ist kein statischer Prozess. Er ist unter Einschluss neuer technischer Möglichkeiten immer wieder neu dynamisch auszuleben. Es gibt keine perfekte Schwarz-Weiß-Lösung, sondern es gibt graue Lösungen, die wir auch innerhalb dieser Regierung finden werden.
Noch eines, Herr Bartl: Sie haben Kollegen Schäuble vorgeworfen, er wolle die Unschuldsvermutung einkassieren. Auch das ist völlig falsch: Die Unschuldsvermutung gilt im Strafverfahren; sie gilt natürlich nicht im Bereich der Gefahrenabwehr. Wenn wir im Bereich der Gefahrenabwehr nur solchen Hinweisen zu Straftätern nachgehen würden, von deren Schuld oder Täterschaft wir überzeugt wären, könnten wir jede Art von Vorfeldbeobachtung einstellen. Das ist nun allerdings mit den berechtigten Sicherheitsinteressen der Bevölkerung überhaupt nicht mehr vereinbar. Deswegen ist das die Antwort der Staatsregierung auf Ihre Fragen.
Danke schön. – Gibt es nach den Ausführungen des Staatsministers noch einmal Aussprachebedarf? – Das ist nicht der Fall. Somit kommen wir zum Schlusswort; Herr Bartl, bitte.
(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Sei vorsichtig, hier wird mitgeschrieben! – Leichte Heiterkeit bei der Linksfraktion.PDS)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Staatsminister, wenn Sie eine EU-Richtlinie haben und die Bundesregierung daran geht, einen Gesetzentwurf in den Bundestag einzubringen, und nun geht der Bundesrat daran, zu diesem Gesetzentwurf Stellung zu nehmen, und nun wird in den Bundesländern vereinbart, wie man sich im Bundesrat dazu stellt, dann darf ich doch wohl erwarten, dass der Justizminister des Freistaates Sachsen die EURichtlinie liest – das darf man doch normalerweise vom Justizminister erwarten! – und fragt, ob das, was jetzt der Freistaat Sachsen nach der Vorlage der unionsregierten Länder im Bundesrat beschließen soll, mit der EURichtlinie zusammengeht. Und dann muss er doch die Frage von Herrn Lichdi ganz einfach beantworten können: Ich habe es geprüft – ja oder nein. Und Sie sagen, ich kann die Frage nicht beantworten. Die können Sie auch nicht beantworten – jedenfalls nicht zu Nutz und Frommen Ihrer Fraktion oder nach der Erwartungshaltung des Kabinetts –; darüber bin ich mir im Klaren.
Denn das ist eindeutig: In der EU-Richtlinie steht drin, dass die Daten nur erhoben werden dürfen, um auf dem Chip im Pass gespeichert zu werden. Punkt! Wenn ich dann mitbekomme, dass die Daten, die der Bürger zwangsweise abgibt, mit der ausdrücklichen Versiche
rung, dass sie nur auf seinen Pass gehen und nur dort bleiben, sonst hat sie niemand – die 25 Meter, von denen Lichdi sprach, bekommen sie noch dazu –; wenn er dort hingeht und nach dem, was jetzt passieren soll, gleichzeitig sein Täterfoto oder seinen Fingerabdruck für potenzielle künftige Vergleichsmöglichkeiten liefert, dann ist das doch eine völlige Überschreitung des Rubikon.
Sie wissen doch, dass es bis heute so ist: Wenn ich jemanden IT-behandeln will, also seinen Fingerabdruck nehmen oder ihn fotografieren will, dann muss er einer Straftat von erheblicher Bedeutung schuldig sein.
Er muss praktisch einer Straftat von erheblicher Bedeutung verdächtig sein. Es ist doch ganz einfach: Erst dann können Sie ihn fingern, erst dann können Sie ihm ein Bild abnehmen. Jetzt nehmen Sie ihm praktisch mit dem Pass das Bild ab, den Fingerabdruck, und haben damit parallel eine Datei, die Sie abrufen und in Zukunft zur Strafverfolgung verwenden wollen.
Ich sage noch einmal: Wenn ich als Justizminister merke, es gibt einen Wertungswiderspruch, jetzt sollen eigentlich die nur auf dem Chip gespeicherten Daten für die Verkehrsüberwachung oder für die Verfolgung von Rasern verwendet werden – sie müssen doch dann auch für Straftaten verwendet werden –; dann muss ich doch als Justizminister sagen: Wir müssen dagegen kämpfen, dass diese Daten zur Verfolgung von Verkehrsverstößen verwendet werden, weil die EU-Richtlinie dies nicht zulässt und weil die Verfassung dies nicht zulässt. Er kann nicht sagen, wir machen es andersherum: Wenn wir schon mal die Verkehrsstraftäter und die Verkehrsordnungswidrigkeiten überwachen, dann überwachen wir doch gleich noch mit derselben Datei alle anderen. Das ist doch überhaupt nicht mehr auszuhalten!
Herr Schowtka, mein Kollege Lichdi fragte vorhin: Wo hört denn das mit Ihnen auf? Nehmen Sie doch um Gottes Himmels willen einmal das Leben zur Kenntnis! Hier habe ich die „Freie Presse“ vom heutigen Tag, überschrieben im Leserforum mit „Schäubles Pläne zu Terrorbekämpfung: ,Wollt ihr die totale Überwachung?’“ Dort stehen sieben Lesermeinungen drin – die erste überschrieben „Überwachungsstaat zum Machterhalt der Mächtigen“; die nächste überschrieben „Das MfS lässt grüßen“; die nächste überschrieben „Willkommen im Stasi-Staat“; die nächste überschrieben „Wegen einer Minderheit wird das Grundgesetz ausgehebelt“; die nächste überschrieben „Volk unter Generalverdacht“. Das sind doch Ihre Wählerinnen und Wähler, die Sie längst in Ihrem praktischen Handeln exakt so bewerten.
Begreifen Sie mal: Die Bürgerinnen und Bürger nehmen Ihnen Ihre Erklärung, Sie wollen keinen Überwachungsstaat, nicht mehr ab. Sie erleben tagtäglich Handlungen, die sie sehr wohl als Hinführung zum Überwachungsstaat sehen. Und so, wie für die Staatssicherheit der Klassenfeind der allgegenwärtige Gefahrenmoment war, ist es für Sie, Herr Schowtka, der Terrorismus.
Ein letzter kurzer Satz: Herr Schowtka, Sie werden genau dort landen, wo die Staatssicherheit gelandet ist.
(Beifall bei der Linksfraktion.PDS – Volker Bandmann, CDU: Herr Bartl, dafür sind Sie ein guter Kronzeuge!)
Meine Damen und Herren! Das war das Schlusswort. Nach dem Schlusswort kommt die Abstimmung. Ich stelle die Drucksache 4/8496 zur Abstimmung. Wer dieser Drucksache zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer stimmt nicht zu? – Wer enthält sich? – Bei keinen Enthaltungen und einer größeren Anzahl von Zustimmungen ist dieser Antrag dennoch abgelehnt und dieser Tagesordnungspunkt ist beendet.