Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Frau Schöne-Firmenich, passen Sie auf, dass es kein Lippenbekenntnis ist, wenn
Sie hier voller Inbrunst behaupten, die Politik müsse die Rahmenbedingungen setzen, um eigene Lebensentwürfe möglich zu machen. Seien Sie ganz vorsichtig!
Für das erste Lebensjahr des Kindes wird hier in Sachsen öffentlich nichts groß angeboten. Wenn Sie sich umschauen, dann wissen Sie, dass die meisten Krippen Kinder erst mit einem Jahr, als ganz seltene Ausnahme mit einem halben Jahr aufnehmen. Aber was ist zum Beispiel mit dem Drittel Unternehmerinnen und sonstigen selbstständigen Frauen in diesem Lande, die es sich nicht leisten können, ihre Firma für ein Jahr verwaisen zu lassen? Das ist eine Frage, die man sich schon einmal stellen muss.
Eine Frau, die versuchen will, das erste Jahr mit Kinderbetreuung irgendwie zu überbrücken, ist darauf angewiesen, eine Tagesmutter oder eine private Kita zu finden. In Frankreich kann man dafür 15 000 Euro im Jahr steuerlich absetzen, in Deutschland 4 000.
Es ist nicht so, dass es wirklich Wahlfreiheit gäbe, jedenfalls nicht im ersten Lebensjahr des Kindes. Deswegen sollten Sie ganz vorsichtig damit sein, wie Sie hier auftreten und was Sie sagen. Man kann natürlich behaupten: „Alles wird besser.“ Das heißt aber noch lange nicht, dass es gut ist.
Meiner Meinung nach brauchen Kinder vor allen Dingen glückliche Mütter. Da ist es durchaus relevant, ob eine Frau zum Familieneinkommen beitragen und ihre eigene Existenz absichern will, weil sie nicht sicher sein kann, dass der Mann das überhaupt schafft. Schauen Sie sich doch einmal das Alleinverdienermodell an, dem Sie mehrheitlich anhängen und dem Sie in diesem Land eine gewisse Monopolstellung verschafft haben. Es ist doch so, dass heutzutage nur noch ein Fünftel der Männer der Meinung ist, das Alleinverdienermodell sei wirklich etwas, womit man leben und arbeiten könne. Das heißt, nur noch ein Fünftel Ihrer Zielgruppe ist überhaupt der Meinung, dass diese Monopolstellung gerechtfertigt ist. Deswegen ist es dümmlich, wenn in der Debatte von „Rabenmüttern“ oder davon gesprochen wird, dass Frauen jetzt diskriminiert würden, wenn sie zu Hause blieben. Alle Lebensentwürfe haben dieselbe Berechtigung. Sie sind nur nicht in der Lage, diesen Kulturkampf in der CDU inhaltlich auszufechten. Das ist Ihr Problem.
(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion.PDS und der FDP – Beifall der Abg. Dr. Gisela Schwarz und Gunther Hatzsch, SPD)
Ihre innere Unsicherheit in dieser Frage reflektiert sich dann eben ganz genau in den Konflikten, wie wir sie sachsenöffentlich beispielhaft an den Ministern Flath und Orosz verfolgen konnten.
Ja, wir wollen die Monopolstellung des Alleinverdienermodells brechen. Das ist richtig. Das ist der politische
Andererseits kann ich Sie trösten: Wir wollen das Alleinverdienermodell weder verbieten noch benachteiligen. Auch die CDU wird im 21. Jahrhundert ihren Platz und ihre Berechtigung haben.
Aber das heißt noch lange nicht, dass Sie die Monopolstellung bis ins 22. Jahrhundert durchfechten müssen. Wir leben in Zeiten des demografischen Wandels. Es gibt viele Ein-Kind-Familien. Es ist durchaus sinnvoll, darüber nachzudenken, ob ein Einzelkind die ersten drei Jahre nur zusammen mit der Mutter aufwachsen oder nicht vielleicht doch in eine Gruppe mit Gleichaltrigen kommen sollte. Man kann das ja einmal diskutieren.
Meine Damen und Herren! Wir leben in einem freien Land. Was das heißt, machen Ihnen gerade sehr viele junge Frauen vor. Die Frauen können sowohl den Wohnort als auch den Zeitpunkt ihrer Mutterschaft frei wählen. Sie von der Union fürchten natürlich den Untergang des Abendlandes. Da gibt es noch eine gesteigerte Formation hier drüben; das lasse ich ganz weg. Wenn Sie so weitermachen, „meine lieben Herren“ da drüben, dann werden Sie irgendwann einmal bei Beate Uhse Puppen bestellen müssen. Wir Frauen machen das jedenfalls nicht länger mit!
Frauen können frei wählen, wann und unter welchen Umständen sie Mutter werden. Die Entscheidung hängt auch davon ab, ob sie der Meinung sind, dass es ökonomisch funktioniert.
Jetzt sage ich im Verständnis von Gender Mainstreaming, falls Sie immer schon einmal wissen wollten, was das eigentlich heißt: Es ist den Männern doch gar nicht zuzumuten, schon gar nicht in Zeiten der Globalisierung, 20 oder 25 Jahre lang völlig allein dafür zuständig zu sein, das Familieneinkommen zu sichern.
Sie müssen doch einmal überlegen, dass Frauen eine gewisse materielle Sicherheit erwarten. Nicht jede kann einen Millionär abbekommen, schon gar nicht in Sachsen.
Vor diesem Hintergrund ist es interessant, dass sehr viele Männer gesagt haben, sie wünschten sich mehr Zeit für die Kinder, flexiblere Arbeitszeiten, eine 30-StundenWoche, wenn die Kinder klein sind, und mehr Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Wir reden von Umfragen unter Männern, nicht unter Frauen. Männer haben diese Wünsche geäußert. Wie gesagt, nur noch 20 % der Männer stehen dem Alleinverdienermodell nahe.
Wenn wir alle diese Punkte so sehen und ich, wie gesagt, der Meinung bin, dass man den Männern in Zeiten der Globalisierung nicht zumuten kann, ganz allein für alles aufzukommen, dann frage ich mich, Herr Flath, ob Sie Ihre persönlichen Erfahrungen aus einer Zeit, die schon über 16 Jahre zurückliegt, nicht einfach vergessen können. Schauen Sie sich einmal eine Kinderkrippe oder Kindertagesstätte an, um zu sehen, wie zufrieden und glücklich die Kinder dort sind!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau SchöneFirmenich, in einem muss ich Ihnen recht geben: Es ist schön, dass wir in einer Demokratie leben. Deswegen muss Herr Flath heute auch keine Repressalien befürchten.
Aber er muss sich einer kritischen Debatte im Parlament stellen, wenn er dem Image Sachsens schadet. Genau diesem Ziel dient unsere heutige Diskussion.
Ich möchte noch einmal auf einen Aspekt eingehen, der schon von Frau Hermenau angesprochen wurde, nämlich zur Anregung, die Herr Flath zum demografischen Wandel gemacht hat.
Sie haben gesagt, Krippenplätze würden nicht zu höheren Geburtenraten führen. Ein Babyboom sei nicht zu erwarten. Das ist richtig. Doch das hat auch nie irgendjemand behauptet. Umgekehrt stimmt es noch viel weniger, dass dann mehr Kinder geboren würden, wenn man dem konservativen Leitbild einer Hausfrauenehe folgen würde. Im Gegenteil, in Europa haben genau diejenigen Länder die höheren Geburtenraten, die moderne Familienpolitik betreiben. Das sind Frankreich, die skandinavischen Länder, das sind diejenigen Länder, die Frauen und Männern ermöglichen, Kinder zu haben, und in denen beide einer eigenständigen Existenzsicherung durch Erwerbsarbeit nachgehen können.
Insofern sind Krippen nicht allein der Schlüssel für Familienfreundlichkeit, sondern gute Zukunftsaussichten und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Diese Vereinbarkeit scheitert im Westen tatsächlich an der Krippenbetreuung, im Osten scheitert sie an den fehlenden Arbeitsplätzen und an schlechten Zukunftsaussichten. Wenn Sie sich die Umfragen ansehen, was sich potenzielle junge Eltern wünschen, dann sind es flexiblere und kürzere Arbeitszeiten sowie auf Platz 3 der Wunschliste in der Tat bessere Betreuungsmöglichkeiten für Kinder unter drei Jahren. Mehr Geld für das Zuhausebleiben findet nur bei einer Minderheit Anklang.
Es ist schön, Frau Schöne-Firmenich, dass auch Sie sich zur Neutralität der Wahlfreiheit und zur Wahlfreiheit der Lebensentwürfe bekennen. Sehr gut. Aber: Wenn wir hier in diesem Hohen Hause die einseitige Privilegierung der Hausfrauenehe im Familienrecht kritisiert haben, dann haben Sie diese verteidigt. Das ist das Problem. Familienförderung gehört doch in erster Linie dahin, wo Kinder sind, und nicht dorthin, wo Trauscheine vorhanden sind. Auch das gehört zur Neutralität.
Herr Flath, Sie hätten sich einfach einmal informieren können, bevor Sie die Behauptung in die Welt setzen. Es sind ja auch Kollegen aus Ihren Reihen in der EnqueteKommission. Da ist genau das, was ich dargestellt habe, der Stand der Debatten. Es geht um einen Mix aus Investitionen in die Betreuungsinfrastruktur und um eine moderne Zeitpolitik. Das sagen sowohl der Familienbericht Ihrer Bundesregierung als auch Ihre Sachverständigen in der Kommission.
Herr Patt hat dort eine andere Position vertreten und deswegen lasse ich gern auch die Nachfrage zu.
Frau Kollegin, wo fühlen Sie sich persönlich gehindert, Kinder in unserem Freistaat zu bekommen? Wo fühlen Sie sich persönlich gehindert, Familien zu bilden? Und können Sie sich vorstellen, wenn sich das Parlament selbst regenerieren müsste und nicht immer wieder neu gewählt würde, dass es hier zwei Parteien gäbe, die mitreden – die FDP und die NPD, die als Erste hinausfliegen würden, weil sie keine Wiederholungsgeburten haben? Als Nächstes würden Sie zusammen mit den GRÜNEN hinausfliegen. Ganz am Ende gibt es hier noch zwei Parteien, die tatsächlich diesen Zielwert von zwei Kindern im Durchschnitt erreichen.
Die Frage: Wo fühlen Sie sich in unserem Land gehindert, vielleicht auch dazu beizutragen, dass wir hier mehr Kinder haben?