Protocol of the Session on March 15, 2007

Stattdessen wird hier gesagt, die Frage, was rechtlich möglich ist, sei falsch gestellt. Die entscheidende Fragestellung sei herauszufinden, was nötig sei. Nein, nicht der Zweck geht vor Recht!

(Beifall bei der FDP und der Linksfraktion.PDS und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Herr Staatsminister, wenn Sie sagen, dass Sie Verfassungsänderungen fordern, dann müssen Sie dazusagen, welche. Hinzufügen müssten Sie, welche Verfassungsprinzipien Ihnen bei der Bekämpfung von Sexualstraftätern im Wege zu stehen scheinen. Darauf haben Sie verzichtet. Das ist auch ziemlich undurchsichtig geblieben. So kann es nicht verwundern, dass Sie hier in diesem Hause Beifall aus der wirklich ganz falschen Ecke erhalten.

Die Vorschläge, die gemacht worden sind, finden nicht unsere Zustimmung. Die Forderung nach einem Gremium zur Abstimmung von Überwachungsmaßnahmen ist unklar. Wozu soll es da sein? Welche Überwachung jenseits der Führungsaufsicht ist gemeint? Welche gesetzliche Grundlage soll dafür in Anspruch genommen werden? Das Recht der Polizei auf Betreten der Wohnung ist ein eklatanter Verstoß gegen Artikel 13 des Grundgesetzes und Artikel 30 der Landesverfassung.

(Zuruf von der CDU: Dann müssen wir es ändern!)

Das sind Grundrechte. Manche haben es immer noch nicht verstanden: Grundrechte lassen sich nicht abschaffen, auch nicht für manche. Sie gelten für alle. Redefreiheit, Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit gelten für alle, auch wenn manche das nicht verstehen. Man kann natürlich sagen: „Ich verzichte auf das Recht auf Meinungsfreiheit, weil ich ohnehin nichts beizutragen habe.“ Dennoch bleibt dieses Grundrecht bestehen.

(Beifall bei der FDP, der Linksfraktion.PDS und den GRÜNEN)

Gleiches gilt für das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung. Man darf nicht argumentieren: Nur weil jemand einmal als Straftäter verurteilt worden ist, nimmt er ab sofort nicht mehr an dem Grundrecht auf Schutz des Kernbestandes der Wohnung teil.

Der nächste Punkt betrifft die Sexualstraftäterdatei. Es lohnt sich, im Wortlaut nachzulesen, was dazu geäußert worden ist. Es heißt jetzt, Sie hätten nicht eine allgemeine Datei gefordert oder vorgeschlagen. Zu lesen ist:

Der Bürger – nicht „bestimmte Bürger“ oder „unter bestimmten Voraussetzungen“ – muss in die Lage versetzt werden, Gefahren zu erkennen und diese auch durch Eigenverhalten zu minimieren. Deshalb ist es erforderlich, durch eine öffentliche Datei sicherzustellen, dass Informationen über Sexualstraftäter, zum Beispiel der Wohnort, in geeigneter Weise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Hört, hört!)

Das ist eine allgemeine, von jedermann einsehbare Datei. Enthalten ist keine Begrenzung im Sinne bestimmter Voraussetzungen wie Sportvereine. Nein, das ist der elektronische Pranger in Reinform.

(Beifall bei der FDP, der Linksfraktion.PDS und den GRÜNEN)

Wenn Sie in diesem Zusammenhang zu solchen elektronischen Keulen greifen, dann ist das reichlich fragwürdig. Die Methoden des Internets verschärfen die Wirkung des Prangers erheblich. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung wird für eine bestimmte Gruppe von Menschen schlicht abgeschafft. Sie sollen kein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung mehr haben. Das ist – der Datenschützer hat es gesagt – der denkbar schwerstmögliche Eingriff in dieses Grundrecht.

Im § 2 des Strafvollzugsgesetzes heißt es: „Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen...“

Das hätte sich erledigt, wenn er an einen solchen Pranger gestellt würde. Die Erfahrungen aus den USA zeigen: Der Pranger schützt nicht vor solchen Straftaten. Stattdessen wird er von manchen als Aufforderung missverstanden, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, das heißt als Aufforderung zur Selbstjustiz. Ein solcher Pranger wird

nichts nutzen. Ihn zu fordern ist im Moment billig. Faktisch ist er verfassungswidrig.

Besonders perfide wird die Vorstellung des Prangers dann, wenn Eltern von missbrauchten Kindern unter Umständen entgegengehalten würde: „Warum habt ihr denn nicht im Internet nachgesehen und euch schlau gemacht?“ In der ursprünglichen Fassung lautet die Begründung: Damit sollen Eltern in die Lage versetzt werden, ihre Kinder zu schützen. – Gefordert wird Eigenschutz. Wenn etwas passiert, haben die Kleinen vielleicht selbst schuld, weil die Eltern nicht rechtzeitig im Internet nachgeschaut hatten? Bei einer solchen Variante wird das Ganze perfide.

Man könnte noch mehr sagen, zum Beispiel zur Unverhältnismäßigkeit der generellen Erhebung von DNAProben. Das ist eben nicht der Fingerabdruck des 21. Jahrhunderts; er sollte es auch nicht werden. Das Gesetz hat deswegen die Erhebung von solchen Proben an strenge Voraussetzungen geknüpft.

Herr Minister, Ihre Vorstellungen sind in großen Teilen verfassungswidrig. Das Verständnis, das hinter ihnen steckt, ist bedenklich. Das alles haben Sie angekündigt mit den Worten, die Zeit des Redens müsse nun vorbei sein. Angesichts dessen frage ich: Was hat die Staatsregierung in den vergangenen 17 Jahren gemacht?

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Geredet!)

Ich dachte, sie hätte immer gehandelt, nach dem Motto: „Kein Land ist so sicher wie Sachsen“. Jetzt kommt die markige Ankündigung, die Zeit des Redens müsse vorbei sein. Das heißt auf gut Deutsch: Rechtspolitisch ist es 05:45 Uhr. – Nein, das findet nicht unsere Zustimmung. Hinterher wird der Justizminister – das nehme ich zumindest an – dies alles gut finden müssen.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Schönreden müssen!)

Meine Damen und Herren! Wenn wir uns diesem Problem nähern wollen, dann müssen wir es ernsthaft und im Rahmen der Verfassung tun. Gleichzeitig rufe ich alle zu einer gewissen verbalen Abrüstung auf. Sie tut not, weil wir sonst denen einen Gefallen tun, die nur darauf warten, von solchen Diskussionen profitieren und das Schiff in eine ganz andere Richtung lenken zu können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der Linksfraktion.PDS und den GRÜNEN)

Die Runde der Abgeordneten beendet Herr Abg. Lichdi. Er spricht für die Fraktion der GRÜNEN.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Am 6. März legte der Innenminister dem Kabinett Vorschläge für Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor Sexualstraftätern vor. Diese Vorschläge wurden in einer Pressemitteilung des Innenministers veröffentlicht. Er fordert

unter anderem die – mittlerweile oft besprochene – für „jedermann zugängliche Sexualstraftäterdatei.“ Sie haben diese Forderung in Ihrem Redebeitrag vorhin abgemildert. Zumindest haben Sie es versucht; so haben Sie das Vereinsbeispiel gebracht.

Der Datenschutzbeauftragte hat zu Recht darauf hingewiesen, dass eine „öffentlich zugängliche Sexualstraftäterdatei“, soll sie denn wirksam sein, auch ein Lichtbild enthalten muss. Sonst wäre sie bei Kindern nicht sinnführend.

Nein, Herr Buttolo, Sie haben hier diesen Vorschlag nicht zurückgenommen, Sie haben ihn im Gegenteil bekräftigt. Ich bedaure das sehr.

Eine für jedermann zugängliche Sexualstraftäterdatei ist ein grob verfassungswidriger Vorschlag; ich gehe noch weiter – er ist nicht einfach grob verfassungswidrig, er kündigt im Kern die Grundlage unserer Verfassung, nämlich die Würde jedes einzelnen Menschen zu achten, auf. Genau diese Menschenwürde sollte hinter jedem staatlichen Handeln stehen. Sie handeln hier staatlich.

Eine für jedermann zugängliche Sexualstraftäterdatei greift in das Recht auf Resozialisierung, das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein, das in Artikel 3 Abs. 1 und Kapitel 1 Abs. 1 im Menschenwürdeprinzip des Grundgesetzes wurzelt.

(Jürgen Gansel, NPD: Das ist Tätertümelei!)

Ach, Herr Gansel!

(Zuruf von der NPD: Das ist so!)

Der Verurteilte muss eine konkrete und grundsätzlich resozialisierbare Chance auf Freiheit haben, so das Bundesverfassungsgericht.

Eine öffentlich zugängliche Datei führt aber dazu, dass denjenigen, die ihre Strafe verbüßt haben und nicht mehr als gefährlich eingestuft sind – denn sonst müssten sie in Sicherheitsverwahrung genommen werden –, ein normales Leben

(Holger Apfel, NPD: Fünffach vorbestraft!)

durch Stigmatisierung im persönlichen Wohnbereich lebenslang verwehrt wird.

Herr Buttolo, es gibt nun zwei Möglichkeiten. Sie haben vielleicht nicht verstanden, dass dieser Vorschlag gegen die Menschenwürde verstößt. Das ist schlimm. Dann fehlt Ihnen eine entscheidende Qualifikation für Ihr wichtiges Amt.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

Sie sind nämlich nicht nur Minister für öffentliche Sicherheit, sondern Sie sind auch Minister für die Sächsische Verfassung und ihre Grundrechte. Aber leider hören wir über Grundrechte, über ihre Beachtlichkeit und wie sie zu schützen sind, aus Ihrem Munde nie etwas.

Aber, Herr Buttolo, Sie haben sehr wohl verstanden, dass Ihr Vorschlag gegen die Menschenwürde verstößt; Sie haben ihn aber trotzdem vorgebracht. Laut Pressebericht berufen Sie sich auf Ergebnisse einer Arbeitsgruppe im Innenministerium. Sie haben also offensichtlich sehr wohl die Verfassungswidrigkeit dieses Vorschlages gekannt. Ich sage es so deutlich und so hart: Darauf deutet auch die weinerliche Opferpose, die Sie schon mal als Minister präventiv in einer Presseerklärung eingenommen und die Sie auch hier weiter vorgeführt haben. Wir müssen daraus schließen, dass der Minister bewusst die Menschenwürde des ehemaligen Straftäters zur Disposition stellen will. Der Internetpranger ist ein barbarischer Rückfall in öffentlich-rituelle Strafformen, die ihre Nutzlosigkeit zur Abschreckung von Straftaten seit Jahrhunderten erwiesen haben.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

Herr Buttolo, Sie betreiben nichts anderes als die bewusste Entwertung zentraler Verfassungsprinzipien. Ich sage das ganz bewusst.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

Herr Buttolo, Sie sollten die Vorfälle in den USA kennen, in denen Menschen der Lynchjustiz zum Opfer gefallen sind. Herr Minister, ich frage Sie: Wollen Sie zur Selbstjustiz auffordern oder ihr Vorschub leisten?

Ich sage es auch, weil Sie sich hier so hingestellt und auf Ihr Gewissen berufen haben: Wollen Sie diese Last auf Ihr Gewissen laden? Sie wollen dies durch den potenziellen Opferschutz rechtfertigen. Sie übersehen dabei, dass Sexualstraftäter nicht nur in ihrem Wohnumfeld zuschlagen, sondern auch zu verreisen pflegen. Sie sagen nicht, dass es eine riesige Dunkelziffer von Sexualstraftätern gibt, und zwar im Nahbereich. Diese können Sie damit nicht erfassen. Da können Sie keinen Schutz bieten. Sie suggerieren den Menschen damit die Möglichkeit eines Schutzes, der objektiv nicht gegeben ist.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Sehr richtig!)

Sie fördern die Gefahr des Abtauchens; denn welcher sexuelle Straftäter, der dann noch gefährlich ist, wird dort wohnen bleiben? Die Vorstellung ist doch absurd. Wie wollen Sie den fangen? Wie wollen Sie ihn im Zaum halten? Nein, Ihre Vorschläge sind populistisch, sie sind vielleicht aus einer verständlichen moralischen Erregung über die schlimmen Morde verständlich, aber sie sind trotzdem aktionistisch. Sie wollen aktionistischerweise Entschlossenheit und Härte im Interesse der Kinder demonstrieren.