Protocol of the Session on January 26, 2007

1950 bis 1990 rund 536 Milliarden Euro Schulden aufgebaut wurden. Das sind rund 13 Milliarden Euro pro Jahr. Im Zeitraum von 1990 bis 2005, in den zwölf Jahren, stieg der Schuldenstand auf rund 1,5 Billionen Euro. Kollege Rößler hat es schon erwähnt. Das sind circa 83 Milliarden Euro pro Jahr.

Wer den Film „Aufstand der Rentner 2030“ gesehen hat, –

(Gitta Schüßler, NPD: „… der Alten“! – Zuruf des Abg. Dr. Matthias Rößler, CDU)

„... der Alten 2030“ – das ist richtig. Herr Rößler, man weiß ja nicht, ob Sie in diesem Zeitraum schon Rentner sind.

(Dr. Matthias Rößler, CDU: Wir arbeiten durch, wir sitzen mit 70 noch hier!)

der sollte wissen, dass wir, wenn das so weitergeht, dann 3,6 Billionen Euro Schulden haben. Das entspräche einer Zinslast von 150 Milliarden Euro bei einem jetzigen Bundeshaushalt von 260 Milliarden Euro. Gestatten Sie mir im Zusammenhang mit diesem Antrag diese nachdenklichen Worte.

Diese Schuldenexplosion ist entstanden, weil Kredite aufgenommen wurden, um die Lasten der deutschen Einheit zu stemmen.

(Karl Nolle, SPD: So ist es!)

Hier fand eine solidarische Verschuldung statt. In den Jahren 2003 bis 2004 nahmen zum Beispiel die vier Geberländer Bayern 2 Milliarden Euro, BadenWürttemberg 1 Milliarde Euro, Hessen 1,4 Milliarden Euro und Nordrhein-Westfalen 7 Milliarden Euro neue Schulden auf. Gleichzeitig fanden aber Transferleistungen im Länderfinanzausgleich, inklusive Berlin, von 6,8 Milliarden Euro statt. Dazu kommen die Bundesergänzungszuweisungen in einer Gesamtsumme für den Osten von rund 13,6 Milliarden Euro. Das sind zusammen 20 Milliarden Euro Transferleistungen. Der Freistaat ist Hauptnutznießer dieser Transferleistungen. Diese fließen in die Sozialsysteme wie Renten- und Krankenkasse – Stichwort Bergbaurentner und Ausgleichszahlungen.

Warum führe ich das so detailliert auf? Natürlich sind wir gut und haben gut gewirtschaftet. Das ist unbestritten. Aber berechtigt uns das, auf diejenigen zu zeigen, die sich belasten, um uns überhaupt erst zu ermöglichen, gut zu wirtschaften? Berechtigt uns das, auf diejenigen zu zeigen, die nicht so gut sind wie wir, andere Voraussetzungen und vielleicht weniger Glück hatten?

Zum Stichwort Glück möchte ich anmerken: Wie sähe unsere Haushaltssituation aus, wenn wir die Folgen der Flut 2002 allein und nicht mit einem milliardenschweren solidarischen gesellschaftlichen Kraftpaket hätten meistern müssen? Daher sollten wir im Zuge dieser Föderalismusreform II eher sachliche und leise Töne zum Thema Schuldenbegrenzung von uns geben. Statt markiger Worte sollten wir uns für eine solidarische Meisterung des

Problems der Verschuldung der öffentlichen Haushalte einsetzen. Wenn der David Sachsen den Goliath Geberländer zu Fall bringt, dann droht die solidarische Länderfinanzbeziehung darunter zertrümmert zu werden. Glauben Sie mir, im Gegensatz zur Bibel fällt hier der Goliath sehr gern und schnell.

Deshalb sehen wir drei Schwerpunkte im Zuge dieser Reform: erstens die Sicherstellung der Fortführung des Solidarpaktes II, zweitens die weitere solidarische Ausgestaltung des Länderfinanzausgleichs und drittens solidarische und konsensuelle Regelungen zur Begrenzung und zum Abbau der Verschuldung der öffentlichen Haushalte.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Ich erteile der Linksfraktion.PDS das Wort. Herr Dr. Friedrich, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Bis jetzt wurde über viel Geld, Transferleistungen, angeblich viel zu teuere Rentner usw. usf. gesprochen. Ich denke, das ist richtig; auch darüber muss man sprechen. Jedoch sollte man dieses Thema richtig einordnen, nämlich in die Reform der bundesstaatlichen Ordnung. Hierbei geht es um nicht mehr und nicht weniger als eine weitere grundlegende Weiterentwicklung und Änderung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland.

Ich darf daran erinnern, dass bei der ersten Stufe dieser Reform, die bekanntlich in wesentlichen Teilen am 1. September des vergangenen Jahres in Kraft getreten ist, eine große Menge von Artikeln – konkret 19 Artikel des Grundgesetzes – geändert, zwei gestrichen und vier hinzugefügt worden sind. Bei der zweiten Stufe der Reform wird man nicht auf ganz so hohe Zahlen kommen; aber ich denke, wir werden zu gegebener Zeit noch hinreichend Möglichkeiten haben, die materielltechnischen Dinge im Landtag zu besprechen. Ich werde heute nicht der Versuchung unterliegen, eine verkappte Haushaltsdebatte an diesem späten Freitagnachmittag ins Plenum zu bringen.

Ich darf an das sehr überschaubare Anliegen unseres Antrages erinnern. Er wurde am 07.12.2006 eingebracht, also circa 14 Tage, bevor es zur Konstituierung dieser Reformkommission gekommen ist. Damals, am 07.12., waren mitnichten die Punkte, die wir beantragt hatten, erledigt. Ganz im Gegenteil: Das war die heiße Phase der Entscheidungsfindung. Ich bin sehr wohl der Meinung, dass es ein guter, rechtzeitiger Antrag war und dass wir voll zu Recht eine problemadäquate Zusammensetzung dieser wichtigen Bundesstaatskommission angemahnt haben. Ich komme noch darauf zu sprechen, dass die Zusammensetzung nicht so ist, wie wir sie uns vorstellen,.

Zum Zweiten wollen wir – das ist eine bittere Lehre aus der ersten Stufe der Reform –, dass der Sächsische Landtag unter anderem als Stätte der politischen Willensbil

dung im Freistaat Sachsen ganz markant und immer rechtzeitig in alle wesentlichen Entscheidungen zu der wichtigen zweiten Stufe der Reform der bundesstaatlichen Ordnung einbezogen wird. Ich darf darauf verweisen – bis jetzt haben wir ein einziges Mal über die Föderalismusreform im Landtag gesprochen –, dass das bei der ersten Reform mitnichten der Fall war.

Ich erinnere an den 16. März 2006, an die 43. Sitzung des Landtages. Damals hat meine Fraktion mit der Drucksache 4/4119 den Herrn Ministerpräsidenten ersucht, vor dem Parlament eine Regierungserklärung zu den absehbaren Folgen und den Verhandlungspositionen der Sächsischen Staatsregierung der Föderalismusreform, der Stufe I, abzugeben. Das war damals hochaktuell. Wie wir alle wissen, ist in den folgenden dreieinhalb Monaten in einem wahren Schnelldurchlauf und – man muss es so sagen – mit einer Basta-Politik, die Altbundeskanzler Schröder alle Ehre gemacht hätte, sowohl durch die CDU/CSU als auch durch die SPD – trotz substanzieller Bedenken einzelner Fraktionäre, vor allem der SPD – diese Reform eigentlich eins zu eins durchgepeitscht worden.

Wir können nur hoffen, dass bei der zweiten so wichtigen Stufe der Reform Gleiches nicht noch einmal passiert. Deshalb sind beide Anträge, die heute vorliegen, zeitgemäß und wichtig.

Ich muss bemerken, dass der Herr Ministerpräsident bis zum heutigen Tag die Regierungserklärung zu den Auswirkungen der Föderalismusreform, der Stufe I, vor dem Sächsischen Landtag nicht abgegeben hat. Wir haben damit ein gewisses Alleinstellungsmerkmal innerhalb der Familie der Landtage. Nach meiner Recherche sind wir der einzige Landtag in der Bundesrepublik Deutschland, in dem dieses Thema nicht durch eine Regierungserklärung des entsprechenden Ministerpräsidenten bzw. Regierenden Bürgermeisters behandelt worden ist. Eine ziemliche Einmaligkeit, eine Sonderrolle – ich denke, darauf können wir nicht besonders stolz sein.

(Zuruf des Abg. Karl Nolle, SPD)

Inzwischen verdichten sich die Anzeichen, dass aus der „Mutter aller Reformen“ – so hat es der Immer-nochMinisterpräsident Edmund Stoiber einst genannt – längst die „Mutter allen Murkses“ geworden ist. So hat es der GRÜNEN-Geschäftsführer Volker Beck bezeichnet.

Es gibt weitere prominente Stimmen, denen getrost unterstellt werden kann, dass sie genau wissen, wovon sie sprechen. Ich nenne nur eine kurze Auswahl: Renate Künast von den GRÜNEN mit Blick auf die blamable Tatsache, dass sich die Anzahl der im Bundesrat zustimmungspflichtigen Gesetze mitnichten markant verringert hat – ich erinnere, das war eines der erklärten Ziele der Föderalismusreform Stufe I –, sondern dass sie gerade einmal von 51 % auf 47,5 % gesunken ist. Sie hat gesagt, der Bund hat mit Zitronen gehandelt. Sie wirft der amtierenden Bundesregierung vor, einen „Scherbenhaufen in der Verfassung verankert“ zu haben, woran vor allem

deren „handwerkliche Unfähigkeit und Beratungsresistenz“ schuld sei.

Die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP bemerkt, dass die „Mutter aller Reformen schon auf den ersten Metern hinkt“.

Der stellvertretende Chef meiner Schwesterfraktion im Deutschen Bundestag, Bodo Ramelow, spricht völlig zu Recht von einer kraftlosen Föderalismusreform, die lediglich zu einem geführt habe: Bundesweit wichtige Regelungen, zum Beispiel zum Nichtraucherschutz, zur beitragsfreien Kinderbetreuung oder zum Schutz vor Gammelfleisch, bleiben jetzt im Gestrüpp der neuen Zuständigkeiten hängen.

Selbst der so besonnene Manfred Kolbe von der CDU, einst sächsischer Justizminister, zieht das bittere Fazit: „Wenn Macht über Vernunft siegt, hat man halt nachher das Chaos.“

Ich denke, diesen Einschätzungen ist wenig hinzuzufügen. Sie relativieren ganz klar das überaus optimistische Bild, das meine beiden Vorredner hier gezeichnet haben.

Zurück zu unserem Antrag. Natürlich haben wir zur Kenntnis genommen, dass mit besagter Bundestagsdrucksache 16/3885 die Einsetzung dieser gemeinsamen Kommission beschlossen ist. Es sind keine Mehrheiten erkennbar, die das noch einmal ändern. Deshalb darf ich heute die Ziffer 1 unseres Antrages für erledigt erklären. Dennoch – das sage ich ganz deutlich – ist diese Zusammensetzung der Kommission mit 32 stimmberechtigten Mitgliedern, von denen immerhin 20 der Exekutive angehören – nämlich vier der Bundesregierung und 16 den Landesregierungen –, hochgradig problematisch. Denn es bleiben zwölf Bundestagsabgeordnete in der Bundestagskommission und null Landtagsmitglieder – Sie verhören sich nicht – als stimmberechtigte Kommissionsmitglieder. Dieses Verhältnis – 20 aus der Exekutive zu zwölf aus der Legislative – spricht Bände; denn es zeigt auf, wohin zukünftig die Reise gehen wird: nämlich zu einer weiteren Stärkung des Exekutivföderalismus bei einer weiteren Marginalisierung der Rolle der Landtage, zu einer weiteren Aushöhlung des kooperativen Föderalismus und einer schleichenden Ausbreitung des Wettbewerbsföderalismus. Im Gegensatz zu meinem Kollegen Matthias Rößler kann ich mich darüber mit meiner Fraktion überhaupt nicht freuen.

Vergleicht man die nunmehr beschlossene Zusammensetzung der Kommission mit der Bundesstaatskommission bei der Stufe I, dann fällt auf, dass es bereits in der Anzahl der beratenden Mitglieder zu einer weiteren Zurückdrängung des Einflusses der Mitglieder der Landtage gekommen ist. Damals haben noch sechs Landtagsmitglieder diese Kommission beraten – darunter zwei Präsidenten und vier Fraktionsvorsitzende; bezeichnenderweise allesamt aus den alten Bundesländern –; diesmal sollen es nur noch zwei Landtagspräsidenten und zwei Fraktionsvorsitzende sein. Nun muss man kein Mathematiker sein, um sich bei diesem Proporz ausrechnen zu können, dass

dabei die alten Bundesländer erwartungsgemäß wieder einmal unter sich bleiben werden und eine Stimme des Ostens nicht zum Zuge kommen wird. Dies ist insofern bedauerlich, als gerade bei den Bund-LänderFinanzbeziehungen die spezifische Sicht der Legislative in den neuen Bundesländern fehlt.

Es ist für mich nicht nachzuvollziehen, dass Sie, Herr Ministerpräsident Milbradt, einerseits bei jeder sich bietenden Gelegenheit die anerkannt solide sächsische Finanzpolitik loben und als Vorbild für andere Bundesländer preisen, ja, sogar ein generelles Verschuldungsverbot in das Grundgesetz aufnehmen wollen; andererseits aber nichts, ja, rein gar nichts dafür tun, um einen angemessenen sächsischen Einfluss in dieser wichtigen Kommission zu erhalten.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja, bitte.

Herr Kollege, Sie haben gerade gesagt, dass ich mich darüber gefreut hätte.

Ist Ihnen nicht aufgefallen, dass ich mich eher gewundert habe, dass Sie sich als PDS so bescheiden mit Rede- und Antragsrecht für die Vertreter der Landtage zufriedengegeben haben, während ich mir gewünscht hätte, dass Sie als Opposition vielleicht etwas mehr fordern und dass Sie über das, was ohnehin schon eingetroffen ist, hinausgehen, statt sich damit zufriedenzugeben? Ist Ihnen diese feine Ironie in meiner Rede aufgefallen?

Wir sprechen jetzt von verschiedenen Dingen, Herr Rößler. Ich habe mich doch etwas entsetzt gezeigt, dass Sie sich mit dieser Freude über die angeblich radikale Föderalismusreform Stufe II – auf Deutsch: Wettbewerbsföderalismus – so weit ausgebreitet haben. Wenn es mehr gibt, sind wir gern dafür – stellen Sie einen entsprechenden Änderungsantrag über Ihre Bundestagsfraktion.

(Dr. Matthias Rößler, CDU: Wir wollen sie nicht überfordern!)

Es wäre nicht unwichtig gewesen, dabei gerade die Sicht des Sächsischen Landtages – nicht nur die Sicht des sächsischen Ministerpräsidenten; das ist ja legitim – in diese Reformkommission einzubringen, da der Sächsische Landtag bekanntlich seit vielen, vielen Jahren nicht unwesentlich dazu beigetragen hat, dass es zu dieser anerkannt soliden Finanzpolitik gekommen ist. Ich sage das ganz deutlich – bei aller Unterschiedlichkeit im Detail: Doppelhaushalt, alternativer Haushaltsansatz usw. –: Wir haben dazu beigetragen – meines Wissens auch die anderen demokratischen Oppositionsfraktionen –, dass der regierungsamtlich vorgegebene Verschuldungsrahmen nicht überschritten wird; wir haben diese solide Finanzpolitik mitgetragen. Diese Erfahrungen werden nun in der Kommission fehlen.

Deshalb kann ich hier aber nicht den Ministerpräsidenten tadeln, sondern muss die entsprechende Frage an den Herrn Landtagspräsidenten Iltgen stellen: Herr Iltgen, was haben Sie getan und wie haben Sie sich in der Konferenz der Landtagspräsidenten konkret für eine angemessene sächsische Interessenvertretung bei der Besetzung der neuen Kommission eingesetzt?

Wenn es heute auf diese und einige weitere meiner Fragen eine angemessene Antwort gibt und wenn wir zukünftig engstens in diese wichtige Reformarbeit einbezogen werden, dann hat die heutige Debatte wirklich Sinn gemacht.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Ich erteile der Fraktion der NPD das Wort; Herr Delle, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem der Bundestag am 15. Dezember gegen das Votum der PDS und bei Enthaltung der GRÜNEN die Einsetzung der Gemeinsamen Kommission zur Modernisierung der Bund-LänderFinanzbeziehungen beschlossen hat, dürfte sich der Antrag der PDS-Fraktion hier im Landtag eigentlich erledigt haben. Er ist zu einem großen Teil mit dem entsprechenden PDS-Antrag im Bundestag identisch. Wir können ihm aber trotzdem zustimmen, sollten Sie ihn zur Abstimmung stellen.

Dem Antrag der CDU- und SPD-Fraktion stimmen wir auch zu, obwohl wir es eigentlich für selbstverständlich halten, dass die Staatsregierung den Landtag regelmäßig über ihre Vorstellungen zur Finanzverfassungsreform auf dem Laufenden halten und über die Beratungsergebnisse informieren sollte.

Die Staatsregierung hat im Grunde genommen deswegen ihren Sitz in der Kommission, weil sie im Bundesrat eine gesetzgebende Aufgabe hat, obwohl sie eigentlich gar keine Legislative, sondern Exekutive ist. Die Legislative sind nämlich vielmehr wir. In dieser Hinsicht ist der deutsche Föderalismus schon etwas merkwürdig.

Wenn aber nun schon die Exekutive die Aufgabe der Legislative übernimmt, dann sollte sie wenigstens die richtige Legislative unaufgefordert auf dem Laufenden halten; ich denke, das kann man schon erwarten.