Protocol of the Session on January 20, 2005

(Beifall bei der SPD)

Die Diskussion um Unterrichtsausfall, Lehrerstellenabbau und Schulschließungen ist immer schmerzlich. Das merken wir auch aktuell. Aber hier verkürzt man eine Bildungsdebatte wieder auf Ressourcen und auf Strukturen. Im Rahmen unserer Bemühungen um eine Qualitätsverbesserung der sächsischen Schulen denken wir daher auch über neue Konzepte des Lehrereinsatzes nach. Wir müssen doch die wichtige Ressource Lehrerarbeitszeit viel besser zur individuellen Förderung unserer jungen Menschen einsetzen.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Es muss uns klar sein: Unterrichtszeit ist nicht gleich Lernzeit und noch weniger gleich individuelle Förderung. Wenn wir weiterhin dieser Fiktion hinterherlaufen, machen wir unsere Schulen immer teurer, ohne dass wir die Bildung verbessern. Wir wollen also die wirkliche Lernzeit der Schülerinnen und Schüler deutlich steigern. Aber kommen wir zurück zur Gegenwart und zu dem Antrag. Die derzeitige Situation ist eine Folge von Beschlüssen der letzten Legislaturperiode, und zwar konkret auch des letzten Haushalts, weil das 2. Schuljahr nach wie vor zum alten Haushalt gehört. Die Möglichkeiten des Ministeriums, hier in Ihrem Sinn zu reagieren, sind also beschränkt, wenn der Gesetzgeber nicht im Haushaltsvorgriff dazu ermächtigt. Aber dazu ist weder dieser Antrag geeignet, noch würde dies das Problem lösen. Deshalb lehnen wir den Antrag ab.

(Beifall bei der SPD)

Für die NPD-Fraktion spricht Frau Schüßler.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit längerem schon drängen Interessenverbände und Gewerkschaften auf eine Neuverhandlung der Teilzeitvereinbarungen. An den sächsischen Grundschulen ist es seit Jahren gängige Praxis, dass die Lehrerinnen und Lehrer über den eigentlichen bezahlten Beschäftigungsumfang von 16 Stunden hinaus unterrichten. Die Personalpolitik, wie sie hier betrieben wird, ist katastrophal. Auf dem Rücken unserer Kinder werden die Sparzwänge des Landes Sachsen ausgetragen. Herr Minister Flath nennt es „Optimierungsbedarf“, gemeint ist aber der Abbau von knapp 3 000 Lehrerstellen bis 2006. Dabei ist die Aufforderung des Regionalschulamtes Dresden, auch wenn sie jetzt zurückgezogen worden ist, ver

mutlich erst der Anfang. Anstatt aus dieser Situation zu lernen, soll der Kurs jetzt auf Mittelschulen und Gymnasien übertragen werden. Ich weiß aber nicht, ob die Schließung von 25 Gymnasien und 100 Mittelschulen die sanfte Schulnetzplanentwicklung ist, von der im Koalitionsvertrag gesprochen wurde.

Die Staatsregierung spricht ständig von einem „modernen und zukunftsorientierten Sachsen“. Unsere Zukunft sind unsere Kinder. Es muss also oberste Priorität haben, dass es an den Grundschulen keinen Unterrichtsausfall gibt und dass der Ergänzungsbereich weder gekürzt noch gestrichen wird. Hier sind wir über die Parteigrenzen hinaus gefordert, gemeinsam Konzepte für die Behebung des unhaltbaren Zustandes im Hinblick auf die Bildung an Grundschulen zu entwickeln.

Deshalb wird meine Fraktion dem Antrag der PDS zustimmen.

(Beifall bei der NPD)

Ich rufe die FDPFraktion auf. Herr Abg. Herbst, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Thema Unterrichtsausfall ist zweifellos ein Punkt, dem wir auch in diesem Plenum besondere Aufmerksamkeit widmen müssen. Statistisch – da hat Herr Colditz recht –, zumindest nach der amtlichen Statistik, ist das Thema Unterrichtsausfall an den Grundschulen weniger gravierend als an anderen Schultypen. Aber ich sage auch: Statistik darf nicht über die praktischen Probleme hinwegtäuschen. Ich bin auch etwas misstrauisch geworden zumindest gegenüber der amtlichen Statistik. Wenn man den Rechnungshofbericht liest, der den Unterrichtsausfall an Mittelschulen untersucht hat, stellt man fest, dass einfach einmal über 600 000 Unterrichtsstunden, die nicht gegeben wurden, in der amtlichen Statistik unter den Tisch gefallen sind. Man weiß nicht, wie es im Grundschulbereich ist. Aber die Informationen, die jedenfalls unsere Fraktion hat, und zwar von den Problemlagen in den Schulen vor Ort, zeigen, dass es schon Unterrichtsausfall gibt. Auch wenn er statistisch nicht so gravierend auf Landesebene ist, ist er vor Ort doch praktisch vorhanden.

Das Schreiben des Regionalschulamtes Dresden, auch wenn es jetzt korrigiert ist, ist schon erschreckend. Es ist immerhin ein amtliches Schreiben, das einen Offenbarungseid darstellt. Es gibt eben nicht nur vom Regionalschulamt Dresden diese Informationen. Es gab im letzten Jahr auch aus dem Regierungsbezirk Leipzig Informationen, dass Förderunterricht und AGs wegfallen müssen, weil man Mühe hat, die normale Unterrichtsversorgung sicherzustellen.

Ich glaube, wir sind uns über alle Fraktionen hinweg einig, dass wir den Grundschulen insgesamt mehr Aufmerksamkeit widmen müssen. Als Stichworte „optimierte Schuleingangsphase, Fremdsprache“ nur zwei Punkte, die zeigen, dass wir eigentlich höhere Anforderungen an die Lehrer, an die Unterrichtsversorgung, auch an die Unterrichtsqualität gerade in den Grundschulen haben. Diese größere Herausforderung bezieht sich auch darauf, dass wir mit der Heterogenität der

Schüler, mit der Leistungsdifferenzierung mit größerem Aufwand umgehen müssen. Das heißt, der einzelne Lehrer braucht jetzt schon mehr Zeit, um sich individuell um Schüler zu kümmern.

Wir können also nicht davon ausgehen, dass mit der Situation, wie sie jetzt ist, die neuen Anforderungen, die auch die Staatsregierung, auch der Bildungsminister stellt, erfüllt werden. Dazu müssen die Rahmenbedingungen für die Grundschule geändert werden. Es reicht eben nicht aus, hierzu etwas in die Koalitionsvereinbarung zu schreiben, sondern es ist wichtig, wirklich an die Umsetzung zu gehen.

Bis heute ist nicht klar, wie die 800 Stellen, von denen gesprochen wird, wirklich geschaffen werden. Wie viele Neueinstellungen gibt es? Wie viele Teilzeitverträge und mit welchem Umfang werden entsprechend verlängert? Man verweist auf die Haushaltsdebatte. Nur, meine Damen und Herren, wie viele Veränderungen an den Grundschulen notwendig sind, haben wir doch nicht erst nach den Landtagswahlen erkannt. Zumindest wir haben sie vorher erkannt. Wir waren nicht in diesem Plenum, aber Sie als CDU hatten doch viele Jahre Zeit, sich auf diese neuen Anforderungen einzustellen, das heißt, dies auch schon im letzten Haushalt entsprechend zu berücksichtigen.

Ich will aber auch etwas zur Ehrenrettung der Staatsregierung sagen. Es ist auf der anderen Seite illusorisch, den Stundenausfall generell zu unterbinden. Dass in einem Jahr keine Stunde an einer sächsischen Grundschule ausfällt, ist eine Illusion.

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Das muss aber Ziel sein!)

Ja. Ziel ist es auch, dass wir versuchen, für jeden Sachsen eine Arbeitsstelle zu schaffen. Ziel ist auch, dass kein Sachse Opfer von Kriminalität wird. Das alles sind ehrenwerte Ziele. Aber ich muss sie praktisch erreichen können. Deshalb stellen wir als FDP auch einen entsprechenden Änderungsantrag, der versucht, dies auf eine realistische Stufe zu bringen. Wir wollen das Ansinnen der PDS, den Unterrichtsausfall an Grundschulen möglichst zu verhindern, unterstützen, weil dieses Anliegen wichtig ist und wir es auch für richtig erachten.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Geben Sie mir Recht, Herr Herbst, dass wir, wenn im Grundschulbereich der gesamte Ergänzungsbereich ausgereicht werden würde, so wie es eigentlich sein müsste, auch keinen Unterrichtsausfall im Grundschulbereich hätten? Denn das lässt sich plantechnisch natürlich ohne Probleme realisieren. Dann hätte man wenigstens einen kleinen Puffer, aber er reicht mir noch nicht. Ich möchte eigentlich Stunden haben, die zusätzlich zur Verfügung stehen. Aber wenn wir dieses Minimum hätten, brauchten wir keinen Unterrichtsausfall hinzunehmen. Aber das existiert nicht.

Ich kann Ihre Frage kurz beantworten. Natürlich ist es möglich, auch den bisher vorhandenen Unterrichtsausfall zu reduzieren, überhaupt keine Frage. Aber es ist illusorisch – ich sage es noch einmal – zu verhindern, dass wirklich keine Stunde irgendwo ausfällt. Das muss man auch in der PDS-Fraktion anerkennen. Dieser Anspruch ist im Antrag absolut formuliert.

Herr Herbst, es gibt eine weitere Zwischenfrage.

Herr Herbst, es ist absolut formuliert als Ziel. Ist Ihnen bekannt, dass in der Sächsischen Verfassung das Ziel der Vollbeschäftigung ebenfalls formuliert ist?

Natürlich, Herr Porsch. Auch Sie als Fraktionsvorsitzender werden wissen, dass es Unterschiede zwischen Verfassungszielen und Zielen, die man in konkreten Plenumsanträgen stellt, gibt. Sie sitzen zumindest länger im Parlament als wir. Ich bin damit am Ende meines Redebeitrages. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP)

Gibt es aus den Fraktionen weiteren Redebedarf? – Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Günther-Schmidt, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auslöser für den heutigen Antrag zur unverzüglichen Sicherstellung des Unterrichts an Grundschulen war die Berichterstattung in der Presse zum Jahreswechsel. Wir haben gehört, dass es spontan eine Verbesserung gegeben hat. Die Lage scheint sich entspannt zu haben. Nichtsdestotrotz geht es hierbei um ein grundsätzliches Problem, das seit Jahren bekannt ist, hartnäckig ignoriert wird und heute wieder einmal thematisiert werden soll: Unterrichtsausfall an Schulen, heute an Grundschulen. Mit dem flächendeckenden Teilzeitkompromiss für Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer von 1997 wurden die Stundenumfänge für die Lehrerinnen und Lehrer in drei Stufen bis zum Schuljahr 1999/2000 auf 57,14 % des Stundendeputats von vollzeitbeschäftigten Lehrkräften mit entsprechenden Einkommensreduzierungen gesenkt. Seitdem ist es notwendig, durch so genannte Aufstockungsstunden die Unterrichtsversorgung sicherzustellen.

Bis zum Jahre 2000 wurden diese Aufstockungsstunden nach Bedarf geplant, seitdem werden sie nur noch in Einzelfällen bei dringlichem Bedarf genehmigt. Das Rotationsprinzip an den Schulen ist gang und gäbe. Fast alle Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer haben inzwischen Aufstockungsstunden, allerdings sind diese regional unterschiedlich, verteilt. Der Schwerpunkt liegt im Bereich des Regionalschulamtes Zwickau, wo im Durchschnitt fünf bis sieben Unterrichtsstunden pro Lehrkraft zusätzlich erteilt werden. Aufstockungsstunden finden im Stellenplan keinen Niederschlag. Würde man die tatsächlich geleisteten Aufstockungsstunden als reguläre

Unterrichtsverpflichtung der Lehrerinnen und Lehrer im Stellenplan verankern, hätte man die im Koalitionsvertrag verankerten 800 Stellen schon aufgestockt. Von „zusätzlich“ kann also keine Rede sein. Das ist eine Frage der Ehrlichkeit und der Haushaltstransparenz.

Obwohl Aufstockungsstunden geleistet werden, obwohl ausreichend Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer vorhanden sind, fällt nach wie vor Unterricht aus. Der prozentuale Anteil ist zwar im Vergleich zu anderen Schularten relativ gering, kann aber dennoch nicht hingenommen werden. Besonders hoch ist der planmäßige und außerplanmäßige Unterrichtsausfall in den Fächern Ethik und Religion sowie beim Förderunterricht, der zur Absicherung der Unterrichtsversorgung im Grundbereich häufig ausfällt.

(Dr. André Hahn, PDS: Leider!)

Damit ist das Ziel des Förderunterrichts infrage gestellt und ad absurdum geführt. Darüber hinaus machen die veränderten Rahmenbedingungen im Grundschulbereich die tatsächliche Ausweisung zusätzlicher Planstellen und die Rücknahme des Teilzeitkompromisses notwendig.

Erstens zur Entwicklung der Schülerzahlen. Innerhalb von zwei Jahren ist die Zahl der Grundschüler um 10 % gestiegen, von 95 000 Schülerinnen und Schülern im Schuljahr 2002/2003 auf 104 000 Schülerinnen und Schüler im Schuljahr 2004/2005. Der Trend setzt sich fort.

Zweitens. Gleichzeitig sank der Lehrkräftebestand stärker als vom SMK prognostiziert. Angenommen wurde ein Rückgang von knapp 12 500 Lehrkräften im Schuljahr 1997/98 auf zirka 11 000 im Schuljahr 2003/2004. Tatsächlich reduzierte sich im gleichen Zeitraum der Lehrkräftebestand von 11 750 auf zirka 9 900 Lehrkräfte.

Drittens zur Altersstruktur. Das Durchschnittsalter der Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer ist mit 47,9 Jahren das höchste in allen Schularten.

(Dr. André Hahn, PDS: Ja, so ist es!)

Im Jahre 2004 waren 873 Lehrerinnen und Lehrer an Grundschulen zwischen 60 und 65 Jahre alt, was einer jährlichen Verrentungsrate von 120 Vollzeitstellen entspricht.

Viertens: neue Aufgaben für die Grundschulen. Mit dem Schuljahr 2004/2005 sind neue Lehrpläne in Kraft getreten. Innere Differenzierungen sowie Diagnostik und Analyse zur individuellen Lernförderung finden mehr Berücksichtigung. Notwendige Kooperationen zur Realisierung des fächerübergreifenden Unterrichts und die neuen Anforderungen des Projektlernens ziehen einen Fortbildungsbedarf nach sich, der ebenfalls stundenmäßig abgefangen werden muss. Änderungen in der Stundentafel, eine verbesserte Schuleingangsphase und verpflichtende Kooperationen zwischen der Grundschule, dem Kindergarten und dem Hort verschärfen die personellen Probleme. Statt den zusätzlichen Bedarf an Lehrkräften seriös zu finanzieren, hören wir vom neuen Kultusminister Stichworte wie Schulschließungen und Lehrerstellenabbau.

Wir sind der Auffassung, dass die genannten Umwälzungen wesentlich konstruktiver genutzt werden müssen: Erhalt eines dichten Netzes von Grundschulen,

kleine Klassen, kurze Schulwege, Zwergschulen auf dem Lande. In der Grundschule wird die Basis für eine erfolgreiche Schullaufbahn gelegt. Beste Bedingungen für die frühe Bildung sind also nicht nur eine Frage der Haushalts- und Finanzpolitik, sondern eine Frage der weisen Vorausschau, nicht zuletzt unter demografischen Aspekten.

Durch eine verantwortungsvolle und ehrliche Personalpolitik des SMK ließen sich die positiven Ansätze, die mit den genannten Reformen durchaus zu erkennen sind, in eine moderne Schulpolitik fortentwickeln. Leider scheinen die Potenziale auch dieses Mal ungenutzt zu bleiben.

Ich möchte kurz auf den Änderungsantrag der FDPFraktion eingehen. Wir können diesem Änderungsantrag nicht zustimmen. Gerade der Unterschied zwischen geplantem Unterrichtsausfall und nicht geplantem Unterrichtsausfall ist der entscheidende Punkt. Es geht um die Frage, ob wir es uns leisten wollen, einen Personalpuffer vorzuhalten, um eine 100-prozentige Unterrichtsversorgung zu garantieren. Mit der Formulierung der FDPFraktion im Änderungsantrag würde das nicht mehr möglich sein. Stattdessen werden wir dem Antrag der PDS-Fraktion zustimmen.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS – Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Sehr richtig!)

Ich frage die Staatsregierung, ob das Wort gewünscht wird. – Herr Staatsminister Flath.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Es ist jetzt gar nicht so leicht, auf das einzugehen, was von den einzelnen Fraktionen an Themen aufgeworfen worden ist. Eigentlich wäre es notwendig, dazu eine Regierungserklärung zu halten.

(Dr. André Hahn, PDS: Dazu haben Sie noch ein bisschen Zeit!)