Protocol of the Session on January 20, 2005

(Heiterkeit und Beifall bei der PDS und der FDP)

Herr Biedenkopf wäre stolz auf Sie gewesen. Ihm war die aus seiner Sicht „zu hohe“ Erwerbsneigung ostdeutscher Frauen auch schon immer ein Dorn im Auge.

Was wir schließlich auch erleben, ist eine Radikalisierung der Stimmung unter den Betroffenen, weil sie verzweifelt sind. Das ist in der Tat erschreckend und ich erachte es auch als eine Gefährdung der Demokratie. Aber dem dürfen wir als Politikerinnen und Politiker nicht mit Zynismus begegnen, etwa mit dem Zynismus, dass die Einführung von Hartz IV, Frau Nicolaus, für die Betroffenen kein Spaziergang sei. Ja, das können Sie so einfach sagen. Es ist auch zynisch, wenn Bundestagsabgeordnete sagen, die Forderung nach Angleichung an das Westniveau sei albern und überflüssig. Wer von Bundestagsdiäten lebt, kann das so einfach sagen. Zynisch sind die Äußerungen der GRÜNEN, die große Potenziale darin sehen, dass Ein-Euro-Jobber den Kindern in den Schulen gesunde Ernährung beibringen. Am besten nimmt man dafür zuvor entlassene Lehrerinnen – in Sachsen werden wir ja bald genug davon haben –, damit die Unterrichtsqualität auch stimmt.

Zynisch ist es schließlich, wenn Herr Nitzsche von der CDU die Arbeitslosen zum Aufräumen nach Khao Lak schicken will. Angesichts eines solchen blanken Zynismus darf man sich auch über Politikverdrossenheit nicht wundern.

(Beifall bei der PDS und der NPD und vereinzelt bei der CDU und der FDP)

Bitte kommen Sie zum Schluss.

Ich komme zum Schluss. Meine Damen und Herren, dieses Gesetz ist im Grunde nicht zu retten, weil der Grundsatz falsch ist. Ihre Alternativen funktionieren nicht. Unsere Alternativen, Frau Nicolaus, liegen auf dem Tisch. Ich habe Ihnen hier die „Agenda Sozial-Kritik und Alternativen zur Agenda 2010“ mitgebracht. Sie können einmal hineinsehen und darüber können wir dann streiten.

Meine Damen und Herren, es wäre auch zynisch, wenn wir jetzt nicht für die notwendigen Nachbesserungen kämpfen würden. Hier gibt es Dringendes zu tun. Eines vor allem möchte ich betonen: Das beste Gegengift gegen Lohndumping ist nicht ein Landesbeirat, sondern es ist und bleibt ein gesetzlich festgelegter Mindestlohn.

(Beifall bei der PDS und vereinzelt bei der NPD)

Schließlich werden wir auch das Land in die Pflicht nehmen, wenn es um die Aufrechterhaltung aktiver Arbeits

marktpolitik geht. Sie werden in der Haushaltsdebatte noch von uns hören.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS)

Wird von der CDU das Wort gewünscht? – Frau Nicolaus, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie hätten das Papier hier liegen lassen können, dann hätte ich die Dinge daraus entnommen, die aber mit Sicherheit nicht zielführend sind. Doch es ist immer ganz gut, wenn man auch Ihre Argumente hört.

(Zuruf von der PDS: Da hätten Sie was lernen können!)

Mir geht es darum, noch einmal einige Dinge klarzustellen. Zunächst meine ich, auch Hausfrau sein ist ein ganz ehrbarer Job, ein anerkannter Beruf. Das soll an dieser Stelle betont werden.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der PDS)

Darüber werden wir uns noch unterhalten. Wir haben den Vorschlag eingebracht, dass die Anerkennung der Tätigkeit der Frau, wenn sie den Weg wählt, zu Hause für ihre Familie da zu sein, dementsprechend finanziell untersetzt wird.

(Zuruf von der PDS)

Ja, es können auch Hausmänner sein, gar keine Frage. Diesen Punkt habe ich bei Ihnen vermisst.

Aber wir sollten zum Ernst der Sache zurückkehren. Wir lassen uns die gute wirtschaftliche Entwicklung des Freistaates Sachsen nicht schlechtreden. Denn wir haben – Sie hätten vielleicht besser zuhören sollen, als ich das vorhin betont habe – von allen neuen Bundesländern den besten Weg genommen. Wir haben die höchste Arbeitsplatzdichte zu verzeichnen.

(Beifall bei der CDU)

Dafür sollten wir unseren Dank aussprechen und sollten uns als Hohes Haus nicht echauffieren und nicht alles schlechtreden, sondern die Dinge, die gut sind, hochhalten. Wir sollten nicht dazu beitragen, dass alle in Lethargie verfallen. Dass der Umgang mit Hartz IV schwer ist, hat keiner der Redner in Abrede gestellt: ich nicht, Herr Gerlach nicht, auch die Redner der anderen Fraktionen nicht. Das wird auch niemand tun. Aber wir sind gehalten, Reformen, die notwendig sind, nicht kaputtzureden, ehe sie überhaupt begonnen haben. Daran sollten wir uns orientieren. Wir sollten die Nöte der Menschen ernst nehmen und bemüht sein, die Dinge, die nicht so laufen, wie man es sich vorstellt, einer Lösung zuzuführen.

Gerade der Unterschied zwischen Ost und West ist ein Problem. Die Ministerin hat entsprechende Verhandlungen mit Herrn Clement geführt und wird das auch weiterhin tun, weil die Ermittlung der Summe von 331 Euro auf der Basis von 1998 beruht. Seitdem sind aber einige

Jahre vergangen. Jetzt geht es uns darum, dass dieser Betrag angehoben wird.

Wir wollen auch die Sorgen der Landkreise nicht verniedlichen. Aber auch dort sind wir nicht untätig, sondern es sind Bemühungen im Gange, auch diese Probleme zu lösen. Es sind sehr viele Schienen, die dabei berücksichtigt werden müssen. Es sind die Sonderbedarfszuweisungen, über die man auch stundenlang referieren könnte. Dann gibt es noch Extrazuweisungen über das Landesamt, die bis zum 5. des Monats von den jeweiligen Gebietskörperschaften beantragt werden müssen.

Natürlich müssen wir für die Zukunft unseren Blick auf die Dinge schärfen, was Hartz IV betrifft. Niemand kann Arbeitsplätze aus dem Ärmel schütteln. Aber wir sollten unsere Aufmerksamkeit auch darauf richten, Chancen für Langzeitarbeitslose zu schaffen, und sollten sie nicht dort lassen, wo sie jetzt sind, sondern sollten sie dort abholen, wo sie jetzt sind. Dafür gibt es mit Hartz IV verschiedene Instrumentarien, die wir in Zukunft nutzen sollten.

Wir sollten uns mehr darüber unterhalten, wie wir vorankommen, als die Situation schlechtzureden. Wir alle gemeinsam – dazu rufe ich hier auf – sollten die Dinge, die im Argen liegen, zu bereinigen versuchen und nicht nur herumnörgeln, ohne konstruktive Beiträge zu leisten. Wir von unserer Seite jedenfalls sind darum bemüht, Probleme, die die Langzeitarbeitslosigkeit betreffen, anzupacken und zu beseitigen, um den Menschen zu helfen und nicht nur Schelte zu verteilen.

(Beifall bei der CDU)

Wird von der SPD-Fraktion das Wort gewünscht? – Dann frage ich die NPD-Fraktion. Bitte, Herr Apfel.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! War schon die Umsetzung von Hartz IV problematisch, so liegen die wahren Probleme noch vor uns. Als gravierendstes der auf mittlere bis lange Sicht zu befürchtenden Probleme ist zu nennen, dass Langzeitarbeitslose wieder in Arbeit gezwungen werden, aber nicht in den regulären Arbeitsmarkt zurückkehren, sondern als Ein-Euro-Jobber vor allem Handwerksbetrieben Konkurrenz machen. Im unteren Lohnsegment wird das Realeinkommen weiter sinken und die Konsumnachfrage noch weiter nachlassen. Gleichzeitig nimmt das Kapital den gnadenlosen Verdrängungswettbewerb um die wenigen verbleibenden Arbeitsplätze zum Anlass, den Bogen immer weiter zu überspannen. Auch nach massiven Protesten hielt der Industrie- und Handelskammertag zum Beispiel an seinem umstrittenen Vorschlag fest, Ein-Euro-Arbeitsgelegenheiten für Langzeitarbeitslose auch in Privatbetrieben zu ermöglichen. Die soziale Marktwirtschaft eines Ludwig Erhardt, eines Karl Schiller oder eines Alfred Müller-Armack wird in Deutschland ausgerechnet von der SPD zu Grabe getragen, die sich in einen Verein rotlackierter Neoliberaler verwandelt hat.

(Beifall bei der NPD)

Die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich wird weiter zunehmen, teilweise mit krassen Konsequenzen, wie wir sie von den Schwellenländern wie Brasilien und Mexiko kannten. Der Deutsche Mieterbund rechnet aufgrund der Hartz-IV-Gesetze mit dem Beginn einer beträchtlichen Umzugswelle und als Folge davon mit einer Ghettoisierung. Meine Damen und Herren von der PDS! Es ist durchaus ehrenwert und begrüßenswert, wenn Sie nun zu einem Monat des Widerspruchs gegen Hartz IV aufrufen und Beratungsleistungen anbieten. Das kann aber nicht den Eindruck zerstreuen, dass Sie wie ein Feuerwehrmann handeln, der zum Löschen eines Brandes herbeigeeilt kommt, den er selbst zuvor gelegt hat.

(Widerspruch bei der PDS)

Wenn Sie Hartz IV wirklich als den größten Angriff auf den Sozialstaat seit der Gründung der BRD betrachten, so wie Sie es immer wieder betonen, dann wäre es Ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit gewesen, wirklich alles, aber auch alles zur Verhinderung dieser Gesetze zu unternehmen. Die Landesregierungen mit PDS-Beteiligung in Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin haben sich im Bundesrat eben nicht mit einem klaren Nein zu den Gesetzen geäußert, sondern man hat sich feige und bequem mit einer Enthaltung um eine klare Position gedrückt. (Zurufe von der PDS)

Nein, meine Damen und Herren von der PDS-Fraktion, Sie haben nicht alles genutzt, um Hartz IV aufzuhalten.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, jetzt nicht mehr.

(Lachen bei der PDS)

Ich habe noch eine halbe Minute Redezeit und möchte diesen Gedanken zu Ende führen. Sie hätten die Möglichkeit gehabt, mit einem Bruch der Koalition in Berlin und in Mecklenburg-Vorpommern zu drohen. Am Ende jedoch, meine sehr verehrten Damen und Herren, war Ihnen Ihre Postengeilheit wichtiger als das soziale Gewissen.

(Zurufe von der PDS)

Ihre jetzige Empörung und Ihr Versuch, das Thema für sich zu benutzen, wirken deshalb reichlich aufgesetzt und unglaubwürdig. Wer in Deutschland soziale Opposition will, der muss schon zu den Nationaldemokraten gehen. Danke schön. (Beifall bei der NPD – Zuruf von der PDS: Ha, ha!)

Wird von der FDP-Fraktion das Wort gewünscht? – Herr Morlok, bitte.

Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Ich möchte auf einen Punkt eingehen, den

ich heute Morgen der Zeitung entnommen habe. Es geht um das Ansinnen, dass die Staatsregierung vorhat, die Bemessungsgrundlagen für die Auszahlung der Mittel für die Kommunen zu ändern, und zwar von der Anzahl der Bedürftigen hin zur Einwohneranzahl. Das bedeutet, dass den Großstädten, die von den sozialen Problemen am meisten betroffen sind, erhebliche Einnahmen verloren gehen. Es geht um 17 Millionen Euro in Leipzig, um 5 Millionen Euro in Dresden und um 4 Millionen Euro in Chemnitz. Ich muss sagen, so geht es nicht. Man kann nicht – sofern der Bericht zutreffend ist – hergehen, nachdem alle kommunalen Haushalte abgeschlossen sind und sich die Kommunen viel Mühe gegeben haben, die Haushaltslage in den Griff zu bekommen, und als Staatsregierung hinterher sagen: Nein, das haben wir uns ganz anders vorgestellt, ihr müsst vor Ort damit klarkommen, wie eine Haushaltsdeckung erreicht wird!

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Morlok? – Bitte, Herr Dr. Pellmann.

Verehrter Herr Morlok, wir sind beide Leipziger Stadträte. Würden Sie mir Recht geben, dass die CDU offensichtlich die Großstädte schon aufgegeben hat? Ansonsten wäre das, was Sie zitiert haben, überhaupt nicht zu erklären.

(Kerstin Nicolaus, CDU: Völliger Stuss! – Weitere Zurufe von der CDU)

Ich kann Ihnen darin Recht geben, wenn wir das Leipziger Kolorit mit hineinnehmen wollen. Das ist daran zu erkennen, wie schwer sich die CDU getan hat, in Leipzig einen OB-Kandidaten zu finden. Damit wird das untermauert, was Sie eben gesagt haben. interjection: (Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Heinz Eggert, CDU)