Ich zitiere weiter: „Dabei hatten Innenministerium und Organisationskomitee vor der WM darauf bestanden, die Eintrittskarten zu personalisieren, um professionelle Schwarzhändler auszuhebeln und etwaige Gewalttäter schon im Vorfeld herauszufiltern. Interessenten mussten Namen, Geburtsdatum und Personalausweisnummer nennen, um an den insgesamt fünf Verlosungsphasen der FIFA teilnehmen zu dürfen. Doch etwa 10 % der Tickets wurden von vornherein ohne Namensangabe verkauft, und Identitätsüberprüfungen vor den Stadien finden ebenfalls stichprobenartig statt.“
„Mit der Zwei-Klassen-Vergabe der Tickets wird das Sicherheitskonzept ad absurdum geführt“, sagte Klaus Jansen, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, dem „Spiegel“.
Mittlerweile verdichtet sich die Überzeugung, dass die Fußballweltmeisterschaft unter Überwachungs- und Bespitzelungsgesichtspunkten als gigantisches Freilandexperiment der globalistisch ausgerichteten Industrie genutzt wurde – ein groß angelegter Feldversuch, wie man künftig mit welchen Technologien möglichst effizient ganze Bevölkerungen und Bevölkerungsgruppen kontrollieren kann.
Die Bespitzelung unserer Bürger, die während der WM 2006 sichtbar geworden ist, wird auch in Zukunft durch die NPD-Fraktion bekämpft werden, wo immer sich die Gelegenheit dazu bietet. Ob Staatssicherheit oder Verfassungsschutz: Ein Spitzel- und Überwachungsstaat ist eine Beleidigung für freie und mündige Bürger.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schon sagenhaft, welche Bögen hier geschlagen werden, wenn es um die Fußball-WM 2006 geht. Dann taucht auf einmal – 70 Jahre zurück – die Olympiade 1936 auf und beinahe entschuldigend der Hinweis, dass es Adolf nicht gelungen sei, die Menschen damals so zu durchleuchten wie heute bei der Fußball-WM. Ich sage Ihnen: Das lag nicht an dem fehlenden Willen, sondern wahrscheinlich nur an den technischen Möglichkeiten.
Im Übrigen muss man eines sagen: Die damaligen Machthaber hatten so etwas eigentlich nicht wirklich nötig. Die hatten vorher nämlich schon jeden, den sie auch nur für gefährlich hielten, in Konzentrationslager abwandern lassen.
Kommen wir zur Sache, zur Großen Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 und der Auswertung der Sicherheits- bzw. Überwachungsmaßnahmen.
Die WM – sie ist ein halbes Jahr her – ist gut ausgegangen. Wir alle freuen uns darüber. Es gab tolle Spiele, es war eine tolle Stimmung. Ich war mit meinen beiden Söhnen in Leipzig beim Spiel Niederlande – Serbien. Es war eine super Stimmung in der Stadt, es war eine Stimmung, die unbeeinträchtigt war von einem Überaufgebot von Polizei, wie man es woanders bei anderen Veranstaltungen gesehen hatte. Die Polizei erschien relativ zivil, sie war freundlich. Die Stimmung war gut. Man merkte nicht, welche Überwachung dort vorher und während des Spieles wirklich stattfand. Das macht sie aber nicht weniger effektiv und rechtsstaatlich nicht weniger bedenklich,
wenn sie ohne gesetzliche Grundlage und ohne ausreichende Kontrolle daherkommt, meine Damen und Herren.
Zu den Sicherheitskonzepten muss ich Folgendes sagen: Die WM war ein Erfolg, sie war friedlich, sie ist geglückt, aber niemand kann sagen, dass sie nur wegen der Sicherheitskonzepte so glücklich verlaufen ist. Noch könnte man sagen, dass sie trotz der Sicherheitskonzepte so glücklich verlaufen ist. Wir wissen es nicht und es ist auch gut so, dass niemand den ernsthaften Versuch unternommen hat, die denkbaren Gefahren zu realisieren.
Die Mittel, derer sich die Staatsregierung bedient hat, um im Vorfeld Gefährdungen auszuschließen, insbesondere das Akkreditierungsverfahren, können gleichwohl auch jetzt noch einer politischen Bewertung zugeführt werden und sie müssen es auch; denn es ist nicht auszuschließen, dass wir in Zukunft ähnliche Großereignisse haben werden, zwar nicht in unmittelbarer zeitlicher Nähe, aber denkbar ist so etwas.
Man muss im Nachhinein sagen: Diesbezüglich hat die Antwort der Staatsregierung auf die Große Anfrage nur einen relativ bescheidenen Erkenntnisgewinn gebracht. Ich hätte mir vorstellen können, dass hierauf ausführlicher eingegangen worden wäre. Zur Frage im Zusammenhang mit dem Akkreditierungsverfahren: Von den 7 000 Betroffenen wurde nur 194 Personen die Akkreditierung verweigert. Das ist schlimm genug für die Betroffenen.
Ferner ist die Frage zu prüfen, wie das Akkreditierungsverfahren abgelaufen ist. Ob die bloße Erwähnung im Passsystem, meine Damen und Herren, für die Verweigerung einer Akkreditierung ausreicht, ist durchaus kritisch zu hinterfragen. Herr Kollege Piwarz, so viel als Anmerkung: Es handelt sich bei den im Passsystem erfassten Personen nicht um rechtskräftig verurteilte Straftäter, sondern es ist völlig ausreichend, wenn sie im Zuge eines Ermittlungsverfahrens bei der Polizei erfasst werden, das heißt irgendwo von einem Verfahren betroffen sind. Ihre diesbezügliche Aussage war unzutreffend.
Das Verfahren ist undurchsichtig gewesen – wir haben es kritisiert –, das Verfahren ist es auch geblieben. Wir halten es für dringend notwendig, dass so etwas in Zukunft auf eine gesetzliche Grundlage gestellt wird, wenn es überhaupt möglich ist. Es geht hierbei um die Übermittlung dem Grunde nach sensibler Daten von Verfassungsschutzbehörden und der Polizei letztlich für die Zwecke von Privaten, denn die FIFA ist ein privater Sportveranstalter und mehr nicht. Sie ist keine Behörde, auch wenn immer so getan wird. Sie ist keine international völkerrechtlich agierende Organisation. Sie ist ein überregionaler Sportverein – mehr nicht.
Die Einwilligung der Betroffenen für die Akkreditierung ist nur eine Scheinlösung gewesen; denn wer nicht eingewilligt hat, konnte es gleich vergessen, in die Nähe eines Stadions zu kommen. Das ist keine wirkliche Alternative, meine Damen und Herren.
Wir haben gesagt, dass wir uns eine Evaluierung und eine bessere Auskunft zu den Fragen gewünscht hätten. Wir halten den Antrag, den die GRÜNEN als Entschließungsantrag vorgelegt haben, durchaus für sinnvoll und werden diesem daher unsere Zustimmung geben.
Wird weiterhin von den Fraktionen das Wort gewünscht? – Möchte sich die Staatsregierung äußern? – Herr Staatsminister Dr. Buttolo, bitte schön.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fußball-WM 2006 stellte mit Abstand die größte Herausforderung für Deutschland und seine Sicherheitsbehörden in jüngster Vergangenheit dar. Die Herausforderungen wurden mit Bravour gemeistert; sowohl der Fußballweltverband, eine Vielzahl anderer Nationen als auch die internationale Presse haben das Sicherheitskonzept der deutschen Behörden gelobt.
„Deutschland ist unschlagbar bezüglich der Sicherheit“, das ist nur eine der vielen Schlagzeilen. Millionen Fußballfans aus aller Welt haben in Deutschland friedlich und ausgelassen Fußball gefeiert. Deutschland und nicht zuletzt Sachsen haben sich der Welt als gastfreundlich, als offen und tolerant präsentiert. Die Stimmung in den Fußballstadien und -stätten ist für viele Gäste zur unvergesslichen Erinnerung geworden.
Diesen Erfolg haben wir uns erarbeiten müssen. Bereits unmittelbar nachdem Deutschland im Jahre 2000 den Zuschlag zur Ausrichtung der WM erhalten hatte, wurde mit den Vorbereitungen begonnen. Im Rahmen länderübergreifender Arbeitsgruppen wurden Sicherheitskonzepte entwickelt und ihre Tauglichkeit im Rahmen des Confederationscups und der Fußballbundesliga überprüft.
Die deutschen Behörden haben konsequent alle Personen, die in der Vergangenheit als störend in Erscheinung getreten waren, in der Datei „Gewalttäter Sport“ erfasst. Diese Erkenntnisse dienten dem Veranstalter als Grundlage, um Stadienverbote auszusprechen. Ich möchte sehr deutlich sagen: Die Erfassung dieser Täter, das Nehmen der Fingerabdrücke – sowohl der konventionellen als auch der genetischen – erfolgte keineswegs im Zusammenhang mit der WM, sondern es erfolgte zu früheren Zeiten, als die betroffenen Gewalttäter auffällig wurden.
Frau Dr. Ernst, ich favorisiere keineswegs den gläsernen Menschen, sondern gläsern soll nur derjenige sein, der eine massive Gesetzesverletzung vorgenommen hat.
Vielen Dank. – Herr Staatsminister, können Sie mir mitteilen, wie viele Personen – ich habe Sie jetzt so verstanden, dass die genetischen Fingerabdrücke bereits im Vorfeld von den PnCFankategorien genommen wurden – aus diesem Kreis – im Zusammenhang mit der WM oder überhaupt – mit genetischem Fingerabdruck erfasst worden sind?
Das kann ich Ihnen hier nicht mitteilen, Herr Lichdi. Ich kann Ihnen aber mitteilen, dass es diese Datei „Gewalttäter Sport“ in der Tat gibt, worin diese vier Kategorien eingruppiert werden. Es ist nicht so, dass man wahllos Aufgefallene unmittelbar vor der WM gebeten hat, ihren Fingerabdruck abzugeben, sondern der Fingerabdruck
Ich habe spezifisch danach gefragt, wie viele genetische Fingerabdrücke – in ungefähren Größenordnungen – von Fans abgenommen wurden. Ich habe Verständnis dafür, dass Sie nicht die Zahl nennen können; aber können Sie eine Größenordnung nennen? Sie haben nur mit Ja geantwortet, und ich habe überhaupt keine Vorstellung: Waren es fünf, 200 oder wie viele?
Herr Lichdi, da ich mir beim nächsten Mal nicht von Ihnen sagen lassen möchte, dass ich Ihnen die Unwahrheit gesagt habe, kann ich nur sagen: Ich weiß es jetzt nicht und werde mich auch nicht in die Versuchung hineinmanövrieren lassen, dass ich „Schätzen Sie mal!“ entspreche. Dies tue ich nicht. Ich werde Ihnen, wenn Sie es wünschen, diese Information im Nachhinein zukommen lassen; denn wie ich die Sache einschätze, werden wir uns ja demnächst nochmals zu diesem Thema unterhalten.
Im Vorfeld der Spiele der WM wurde eine Vielzahl präventiv-polizeilicher Maßnahmen veranlasst. So wurden allein in Sachsen 584 Gefährdeansprachen durchgeführt, 502 Aufenthaltsverbote für die Stadt Leipzig ausgesprochen und 35 Meldeauflagen erlassen. Hier, Herr Lichdi, möchte ich wieder an Ihren Beitrag anknüpfen. Es ist natürlich jedem freigestellt, die Gefährdeansprachen in ihrer Wirkung nicht zu schätzen. In meinem polizeilichen Bereich werden diese Gefährdeansprachen in ihrer Wirkung sehr wohl geschätzt; denn dem betroffenen Gewalttäter zu signalisieren: Wir wissen, dass du es eventuell wieder vorhast, wir ermahnen dich aber bewusst, dies nicht zu tun, das hat Wirkung.
Sie hatten in Ihrem Beitrag angesprochen, dass die Meldeauflagen in einer sehr hohen Dichte erfolgt sind. Herr Lichdi, wenn Meldeauflagen eine Wirkung erzielen sollen, um etwas zu verhindern, muss natürlich eine hohe Dichte vorhanden sein. Wenn ich bei einem Ereignis wie einer WM eine Meldeauflage aller sieben Tage ausspreche, kann ich sie von vornherein sausen lassen. Deshalb war die Maßnahme, die Meldeauflage für jeden Tag auszusprechen, durchaus sinnvoll.
Um in den Stadien ein Höchstmaß an Sicherheit zu gewährleisten, haben alle unmittelbar dort tätigen Personen das Akkreditierungsverfahren über sich ergehen lassen müssen. Ich möchte es noch einmal ganz deutlich sagen: Es war ein bundesweit abgestimmtes, einheitliches
Vorgehen, da wir eben gerade über dieses Akkreditierungsverfahren verhindern wollten, dass unzuverlässige Personen in die Nähe bzw. in das Innere der Stadien geraten. Grundprinzip war, möglichst alle möglichen Gefährdungen von vornherein auszuschließen. Vor allem auch bei der Absicherung von Public-ViewingVeranstaltungen hat die Polizei eng mit den Sicherheitsbehörden der Städte und Gemeinden kooperiert. Dies hat wunderbar funktioniert. Besonders hervorheben möchte ich aber auch die gute Zusammenarbeit mit unseren europäischen Nachbarstaaten sowie den Behörden der Teilnehmerstaaten. Bereits im Vorfeld der WM wurden Informationen zu dem zu erwartenden Störpotenzial sowie zu Anreisewegen ausgetauscht.
Wie Sie alle wissen, ist das Einsatzkonzept der Sicherheitsbehörden voll aufgegangen. Die Spiele sowie viele Begleitveranstaltungen verliefen störungsfrei. Ich bin froh darüber, Herr Lichdi, dass ich nicht hier stehen muss und über Pannen in Sachsen während der WM zu berichten habe. Dass alles störungsfrei gelaufen ist, ist vor allem dem umsichtigen und konsequenten Handeln unserer Beamten zu verdanken, die mit ihrem freundlichen und offenen Auftreten die polizeiliche Strategie umgesetzt haben.
Durch organisatorische Maßnahmen haben wir dafür Sorge getragen, dass ein hohes Maß an Polizeipräsenz gegeben war. Ich möchte nochmals auch diese Gelegenheit nutzen, um für das umsichtige Handeln aller Einsatzkräfte den Dank auszusprechen.
Viele der gewonnenen Erfahrungen bei der Absicherung der WM im Jahr 2006 sind auf Ligaspiele übertragbar. Dies halte ich angesichts der aktuellen Sicherheitsprobleme in vielen Fußballstadien für mehr als angezeigt. Vor diesem Hintergrund wird sich der Arbeitskreis Innere Sicherheit der Ständigen Konferenz der Innenminister und Senatoren der Länder Anfang Januar 2007 zu einer Sondersitzung unter Einbeziehung des Deutschen Fußballbundes treffen.
Das Sicherheitskonzept der Polizei, dessen wesentliche Punkte ich nochmals dargelegt habe, dient sowohl den österreichischen und schweizerischen Behörden bei der Vorbereitung der Fußball-Europameisterschaft 2008 als auch Südafrika für die WM 2010 als Grundlage für ihre Planungen. Auch dies ist ein Beweis für die Qualität unserer Konzepte und die Professionalität der Arbeit der Sicherheitsbehörden.