Sechstens. Wir sind für eine selbstverständlich großzügige Ausgestaltung der familiären und sonstigen für den Kommunikationsprozess notwendigen Kommunikationsmöglichkeiten der Jugendstrafgefangenen. Es ist aus unserer Sicht mit Modernitätsmaßstäben und den Möglichkeiten moderner Kommunikationstechnologien, wie wir sie heute haben, nicht vereinbar, Gefangene allein – allzumal Jugendstrafgefangene – auf postalische oder gelegentliche Besuchskontakte zu verweisen, sondern wir sind hier schon der Auffassung, dass es eine Möglichkeit bestimmter Telefonkontakte geben und eine großzügige Mindestdauer bei familiären Besuchen im Strafvollzug von monatlich wenigstens vier Stunden im Gesetz festgeschrieben werden sollte.
Siebentens. Wir reden einem Recht auf Bildung für Jugendstrafgefangene das Wort. Die Versorgung mit Schulangeboten ist für alle Gefangenen, die der Schulpflicht unterliegen, zu gewährleisten, und im Vollzug begonnene Ausbildungen müssen in aller Regel nach Entlassung aus dem Vollzug fortgesetzt werden können.
Achtens. Wir wünschen uns im Gesetz ein sozialpädagogisch durchdachtes Disziplinarwesen, das in seinem Normengehalt die zu ahndenden Tatbestände und die
zulässigen Sanktionsmaßnahmen hinreichend klar bestimmt. Disziplinarmaßnahmen sollen aus unserer Sicht nur erfolgen, wenn Konfliktregelungen, also Interventionsmaßnahmen, vorher versagt haben bzw. unangemessen wären. So sollte zum Beispiel die Frage der isolierten Unterbringung im Arrest als Ultima Ratio im Gesetz vorgesehen werden.
Neuntens und letztens. Wir plädieren – und werden dies bei der Debatte des Gesetzentwurfes entsprechend vorschlagen – für die Etablierung eines sogenannten Strafvollzugsbeauftragten, der – dies entspricht internationalen Standards und völkerrechtlichen Vorgaben – in gewisser Weise gewährleistet, dass diese Standards eingehalten werden, und an den sich als Ombudsmann Strafgefangene und Jugendstrafgefangene wenden können, sodass wir über diesen Weg die Möglichkeit schaffen, dass sich Strafgefangene – neben den allgemeinen Möglichkeiten der Petition – auch an diesen Beauftragten halten können.
Wir sehen diesem Gesetzentwurf mit großem Interesse entgegen und glauben, dass die Staatsregierung in dieser Zehn-Länder-Gruppe konstruktiv mitgearbeitet hat. Wir meinen allerdings, dass es zu diesem Gesetzentwurf noch längere Debatten sowie Änderungen geben wird. Wir denken aber, dass es ein guter Auftakt zu dieser Debatte sein kann.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das, was im Antrag der Koalitionsparteien auf den ersten Blick auffällt, ist das völlige Fehlen von irgendwelchen einklagbaren Rechten der Gefangenen. Dies wäre vielleicht in Ordnung, wenn die Gefängnisse ein Hort der Rechtssicherheit wären – was aber nach allem, was man hört, nicht der Fall ist. Die Verfasser des CDU-/SPD-Antrages scheinen trotzdem zu glauben, dass Anstaltsleitungen und Vollzugspersonal aus lauter psychologisch geschulten, hoch sensiblen Gutmenschen bestehen, die ausschließlich die ethisch und sozial günstige Persönlichkeitsentwicklung der Inhaftierten vor Augen haben.
Die NPD-Fraktion tritt mit Sicherheit nicht für einen urlaubsähnlichen Strafvollzug ein, bei dem die Gefangenen mehr damit beschäftigt sind, auf ihre Rechte zu pochen, als Rechenschaft über ihr Leben und ihre Straftaten abzulegen.
Der Strafvollzug muss bei aller für die Strafgefangenen kalkulierbaren, moralisch nachvollziehbaren Härte eben auch gerecht, fair und frei von Willkür sein. Dabei haben wir als NPD-Fraktion eher das Gefühl, dass in den Haftanstalten das Gegenteil die Regel ist. Eine angemessene Härte scheint häufig zu fehlen. Wenn die Koalitionsparteien in ihrem Antrag fordern, dass Disziplinarmaßnahmen in den Haftanstalten hinter ausgleichenden Konfliktlösungen zurückstehen müssen, dann zeigt dies deutlich,
wie die lebensfremde Milieutheorie der 68er-Ideologen die Denkweise der Altparteien bestimmt. Der Mensch ist gut, nur die Gesellschaft ist schlecht, so lautet das Credo.
Für Gefangene, die es verstehen, sich beim Personal beliebt zu machen, sich Vorteile auf Kosten von Mitgefangenen zu verschaffen, und dabei vielleicht Mitgefangene unterdrücken, kann die Haftzeit durchaus Ähnlichkeit mit einem Erholungsurlaub annehmen. Im Gegensatz dazu kann ein Inhaftierter, dessen Nase dem Vollzugsbeamten nicht passt, Schikanen aller Art erleben – von unfreundlicher Behandlung über den Entzug von Rechten bis hin zur Duldung von schwerem psychischem Druck oder sogar Misshandlungen durch Mitgefangene.
Dass es derartige Auswüchse in den Gefängnissen tatsächlich gibt, pfeifen inzwischen die Spatzen von den Gefängnisdächern. Die Haftanstalten leiden unter Überbelegung, Personalknappheit und einer Verrohung unter den Inhaftierten, die zumindest in den westlichen Anstalten zum großen Teil mit ethnischen Gegensätzen, Subkulturbildung und dem Fehlen gemeinsamer ethischer und moralischer Grundsätze zusammenhängen.
Mittlerweile häufen sich die Meldungen von Häftlingsmisshandlungen durch Häftlinge. Vor einiger Zeit ging ein Fall durch die Presse, bei dem ein Häftling gleichsam unter den Augen der Vollzugsbeamten zu Tode geprügelt wurde. Welchen verheerenden Eindruck derartige Verhältnisse auf junge Menschen machen, kann man sich leicht ausmalen. Für wenig gefestigte junge Menschen, ob nun altersmäßig Jugendliche, Heranwachsende oder junge Erwachsene, können derartige Erlebnisse zu einem endgültigen inneren Bruch mit jedem gesellschaftlichen Konsens führen.
Der im Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD angestrebte Grundsatz der Einzelunterbringung bei Nacht für jugendliche Straftäter beispielsweise scheitert in vielen Haftanstalten schon aus Gründen der Platzkapazität. Offenbar scheinen sowohl das betreffende Urteil des Bundesverfassungsgerichts als auch der Antrag der sächsischen Regierungsparteien von Verhältnissen auszugehen, bei denen einzig und allein das vom Personal anzuwendende didaktische und psychologische Prinzip zur gezielten Verbesserung der Inhaftierten festgelegt werden müsse. Der Gesetzgeber soll sich zuerst um die schlichte Rechtssicherheit in den Gefängnissen kümmern und sich erst dann der theoretischen Definition von Idealzuständen zuwenden.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Sachsen sitzen – ich habe vorhin nachgesehen – rund 500 Jugendstrafgefangene ein, die
das bisher auch ohne ausreichende gesetzliche Regelung für den Strafvollzug tun. Eine solche Regelung ist notwendig – das ist gesagt worden – und sie ist dringend notwendig. Aber ob der Antrag, der von der Koalition hier vorgelegt wurde, dafür ausreichend ist, das möchte ich bezweifeln.
Bereits im Jahr 1972 hat das Bundesverfassungsgericht zum Erwachsenenstrafvollzug gesagt, dass dies ohne gesetzliche Grundlage verfassungswidrig ist. Daraufhin wurde das Strafvollzugsgesetz gemacht, aber kein Gesetz über den Jugendstrafvollzug. Dementsprechend hielt auch die Sächsische Staatsregierung dies nicht für vordringlich. Noch am 7. September 2004 teilte die Staatsregierung dazu mit: „Ein differenzierter Jugendstrafvollzug wird bereits betrieben. Gesetzliche Vorgaben hierzu sind überflüssig.“ Punkt. Die Gründe dafür waren nach Ansicht der Staatsregierung:
„Insbesondere in formeller Hinsicht lässt die nach Verabschiedung des Strafvollzugsgesetzes fehlende Bereitschaft des Verfassungsgerichts zu weiteren Initiativen im Bereich des Jugendstrafvollzugs erkennen, dass der Druck gegenüber dem Gesetzgeber zur Schaffung eines Jugendstrafvollzugsgesetzes gesunken ist.“
Dahinter steckte wahrscheinlich die Annahme, man müsse nur lange genug Rechtsbruch betreiben, dann rege es niemanden mehr auf.
Aber am 31. Mai 2006 war Schluss, und zwar endgültig. Unter dem Aktenzeichen 2 BvR 1673/04 hat das Bundesverfassungsgericht auf den Tisch gehauen und gesagt: Bis 31.12.2007 ist diese Materie gesetzlich zu regeln.
Welche Vorstellungen die Sächsische Staatsregierung bisher hat, ist dem Parlament noch nicht mitgeteilt worden. Die Koalition schlägt in ihrem Antrag einige Punkte vor, die Berücksichtigung finden könnten und sollten. Der Antrag selbst weist aber erhebliche Mängel auf. Bereits in Ziffer 1 Satz 1 stellt sich die Frage, wie der Antragsinhalt denn eigentlich lauten soll. Auch bei mehrfachem lautem Vorlesen wird der Sinn dieser Formulierung nicht deutlich.
Sie haben verschiedene Wünsche, die als solche zwar recht nett klingen, aber inhaltlich reichlich schwammig oder unverbindlich sind, wie zum Beispiel die Formulierung, dass Bildungsangebote auf Nachhaltigkeit angelegt sein sollten oder „Die Nachrangigkeit von Disziplinarmaßnahmen ist sicherzustellen“ oder „Die Möglichkeit einer umfassenden jugendspezifischen Betreuung während der Haftzeit ist zu schaffen“. Ja, was denn sonst? Das ist ja Aufgabe des Jugendstrafvollzugs, meine Damen und Herren. Es handelt sich hier um Programmsätze, die allerdings als Eckpunkte einer gesetzlichen Regelung nur wenig hilfreich sind.
Wir hätten uns außerdem gewünscht, dass einige Probleme angesprochen werden, die im vorliegenden Antrag nicht enthalten sind. Was ist zum Beispiel mit den Suchtgefahren, die im Jugendstrafvollzug lauern? Es gibt Statistiken, die davon sprechen, dass über 50 % der
Insassen im Jugendstrafvollzug Drogenkonsum betreiben – auch dort, im Strafvollzug. Das wird in Ihrem Antrag nicht aufgegriffen.
Was ist mit der Frage der Sprachprobleme? Wir haben als ein erhebliches Problem im Jugendstrafvollzug die Bildung von Subkulturen und Sprachprobleme, die eine Abgrenzung, Segregation und Subkulturbildung befördern. Auch das wird nicht erwähnt.
Schließlich rechtspolitisch: Die harten Probleme werden im Antrag umschifft. Was ist mit der Frage der Unterbringung im offenen Vollzug als Regelvollzug? Oder der Frage des Besuchsumfangs mit einem gesetzlich – wohlgemerkt: gesetzlich – geregelten Mindestanspruch? Auch dies enthält der Antrag nicht.
Lassen Sie mich schließlich noch eines anfügen: Ein erhebliches Problem ist die Frage des Rechtsweges. Welche Instanz soll hier für Rechtsmittel im Jugendstrafvollzug zuständig sein? Soll dies der Amtsrichter sein, der Jugendrichter, oder soll das die Strafvollstreckungskammer machen? Das wird nicht angesprochen. Das sind aber Essentials und ich befürchte, auch bei diesem Antrag wird zum einen nur mal wieder Beschäftigungstherapie für das Parlament betrieben nach dem Motto „Es ist gut, dass wir mal darüber geredet haben“ und zum anderen, bei den harten Sachthemen, vermeidet die Koalition eine inhaltliche Festlegung, nicht, weil sie die Probleme nicht erkennt, sondern weil sie sich nicht in der Lage sieht, aus welchen Gründen auch immer, diese Probleme zu lösen und konkrete Vorschläge vorzulegen.
Dieser Antrag ist für uns der Ausweis einer Unentschlossenheit auf einem Gebiet, das eine solche Unentschlossenheit nicht verdient und auch nicht verträgt. Wir werden diesem Antrag mit seinen Mängeln so, wie er vorliegt, nicht zustimmen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Jugendschöffin habe ich mich immer wieder gefragt: Was ist denn eigentlich schiefgelaufen, dass diese Jugendlichen jetzt vor Gericht stehen? – Ebenso habe ich mir aber auch die Frage gestellt: Was ist notwendig, um den Jugendlichen und Heranwachsenden nicht nur ihre Schuld deutlich zu machen, sondern sie zu befähigen, ihr Leben zukünftig ohne Straftaten und eigenverantwortlich zu führen? – Ich muss Ihnen sagen, dass mich ein Besuch in der JVA Zwickau anlässlich dieser Tätigkeit als Jugendschöffin sehr betroffen gemacht hat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Zusammenhang mit der Föderalismusreform haben jetzt die Bundesländer auch die Zuständigkeit für den Strafvollzug erlangt. Herr Bräunig hat es schon gesagt: Das hat Ängste ge
weckt, ob es einen Wettkampf um den härtesten und billigsten Strafvollzug geben wird. Wir sind, wie auch Herr Bräunig ausgeführt hat, ebenso der Meinung, dass eine länderübergreifende Einigung gefunden werden muss.
In dem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob es uns im Freistaat Sachsen gelingt, die Verantwortung für den Jugendstrafvollzug auch als Chance zu nutzen.
Tatsächlich ist dieser vorweihnachtliche Antrag der Koalition eine kleine Überraschung, wenn er auch nicht die mir unterstellten niederen Beweggründe bei mir ausgelöst hat. Es ist ein Antrag zur Ausgestaltung eines eigenständigen Jugendstrafvollzugsgesetzes, der wichtige Forderungen von Praktikern aufgreift, der das Votum des Bundesverfassungsgerichtes ernst nimmt und der demzufolge Verbesserungen erhoffen lässt. Darin bin ich auch nicht so pessimistisch, wie Herr Dr. Martens es eben dargestellt hat.
Eines zeigt dieser Antrag deutlich: Sie haben der Versuchung widerstanden, sich auf dem Rücken junger Menschen in sächsischen Haftanstalten als Hardliner zu profilieren. Dafür möchte ich Ihnen danken.
Aber wer Ihren vorweihnachtlichen Wunschzettel genau durchliest, erkennt auch, dass Wichtiges und Wesentliches fehlt. Wir begrüßen die angestrebten Mindeststandards beim Vollzug der Jugendstrafe als ersten Schritt. Aber ohne Ergänzungen droht das Gesetzesvorhaben auf der Strecke zu bleiben – jedenfalls mit den Ambitionen, mit denen Sie es hier verbunden haben. Ich werde darauf bei der Begründung unseres Änderungsantrages näher eingehen.
Hier beschränke ich mich auf die Darstellung der aktuellen Situation. Warum brauchen wir ein Jugendstrafvollzugsgesetz?
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon gesagt worden, dass sich der Jugendstrafvollzug seit Jahren in einer Dauerkrise befindet. Einerseits war die gesetzliche Ausgestaltung bisher unzureichend, ja sogar verfassungsrechtlich bedenklich. Weitaus schwerwiegender aber ist die Krise in der Praxis des Haftvollzuges. Nicht das Karlsruher Urteil, sondern zuerst der Mord in der JVA Siegburg sollte uns aufschrecken. Nicht im offenen Vollzug und auch nicht in einer sozialtherapeutischen Abteilung, nein, in einer Gemeinschaftszelle im normalen Zellentrakt, unter allgemein üblichen Haftbedingungen geschah dieser Mord. Das ist unvorstellbar.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Überbelegung bei den Gefangenen und die Unterbesetzung beim Personal fördern eine Anstaltssubkultur, die von Gewalt, Misstrauen, Einschüchterung und Verrohung geprägt ist. Dadurch entsteht ein Klima, das fördert, was eigentlich verhindert
werden soll. Kriminalität erscheint als völlig normales Alltagsphänomen. Damit ist es dann auch normal und erstrebenswert, innerhalb dieses Musters aufzusteigen – Karriereleiter der Kriminalität nennt man so etwas. Das ist die Botschaft von Siegburg. Die Jugendlichen und Heranwachsenden werden nicht auf ein Leben ohne Straftaten, auf einen Neuanfang vorbereitet, wenn man sie die meiste Zeit nur wegsperrt und sich selbst oder – schlimmer noch – den Mitgefangenen überlässt.
Wie sieht es in Sachsen aus? Mit 132 Jugendstrafgefangenen pro 100 000 Einwohner dieser Altersgruppe liegt Sachsen auf dem unrühmlichen zweiten Platz im Bundesvergleich. In der Jugendabteilung der JVA Zwickau waren zu Jahresbeginn 74 Häftlinge inhaftiert, obwohl es nur 48 reguläre Plätze gibt.