Protocol of the Session on December 12, 2006

Aber Ihr Konzept vom Schuldenabbau nun dagegengesetzt: 20 Milliarden Euro Schulden wollen Sie in 15 Jahren abbauen. Das ist deutlich mehr als eine Milliarde Euro pro Jahr. Das ist auch Weltrekord, Weltrekord der Fantasterei.

(Lachen und Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Wenn Sie das wirklich schaffen wollen, Herr Ministerpräsident, dann müssen Sie andere heranlassen. Sie haben vorhin einen guten Finanzministerkandidaten genannt, Herrn Weckesser aus meiner Fraktion. Dann braucht man aber natürlich auch einen anderen Ministerpräsidenten.

(Zuruf von der CDU)

Allerdings wundert mich in diesem Land gar nichts mehr, das muss ich auch sagen. Man will ja auch unter Folter gewonnene Aussagen als Beweismittel legitimieren. Machen Sie weiter so, und wir kommen in eine sich schon massiv andeutende Abbauphase für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir von der Linksfraktion sehen die Probleme im Lande an allen Ecken und Enden. Wir sehen auch die Erfolge – ganz selbstverständlich. Das habe ich hier bei ähnlichen Anlässen schon hundert Mal gesagt. Aber wir sehen auch die Probleme. Wir wollen Sachsen durch Zukunftsinvestitionen in mehr Arbeit, Beschäftigungsförderung, gute Bildung für alle und kommunale Handlungsfähigkeit materiell, kulturell und vor allem sozial stärken.

Dies ist mit dem gleichen Geld, das Sie von der Staatsregierung und die Sie tragenden Fraktionen ausgeben

wollen, möglich. Wir beweisen dies mit unserem alternativen Haushaltsansatz und mit unserem alternativen Förderkonzept für den Freistaat Sachsen.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Alternativ ist eben kein Gegensatz zu Sparsamkeit, Zielgenauigkeit und Effizienz beim Einsatz finanzieller Mittel, wie Sie uns immer unterstellen wollen. Unsere Alternative ist die Alternative zu Fantasielosigkeit und Mangelhaftigkeit des Regierungsentwurfes.

Sosehr es richtig ist, Herr Ministerpräsident, dass man nicht mehr Schulden machen sollte, als die eigene Leistungsfähigkeit verträgt, um nicht in eine Schuldenfalle zu tappen, so richtig ist doch auch, dass heute Kredite ganz selbstverständlicher Bestandteil von Wirtschaftstätigkeit, ja, wichtige Faktoren zur Erhöhung der Wertschöpfung sind. Das gilt für Wirtschaft, für Privat und für Staat. Wenn Sie einzig mit Ihrem Verzicht auf Neuverschuldung so wichtig tun – und das gar gesetzlich fixiert in die Verfassung bringen wollen –, dann haben Sie – entschuldigen Sie – politisch mit Ihrem Haushalt wohl kaum noch irgendetwas anderes Aufregendes zu bieten. Denn trotz geringer Schuldenlast geht es in Sachsen nirgends wirklich entschieden besser zu als in den anderen neuen Bundesländern. Wir haben allesamt nach wie vor die gleichen Probleme und unterscheiden uns durch diese Probleme von den westdeutschen Ländern. Sachsen braucht also eine andere Politik!

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Sachsen braucht eine Politik, die versucht, zum einen Menschen im Land, in den Regionen zu halten und zum anderen Menschen in das Land zu holen und ihnen Lebensperspektiven zu bieten. In dieser Zielstellung stimmen wir ja überein, Herr Ministerpräsident. Es tut mir leid, aber Sie machen es wirklich nicht richtig. Deshalb ist eine Politik gefragt, die auf regionale Steuerung, regionale Verantwortung und regionale Akteure setzt; nicht zuletzt, weil es mit einem solchen Ansatz möglich ist, mit passenden Angeboten auf soziale Probleme vor Ort zu reagieren, sodass soziale Folgekosten sinken und nicht steigen.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Wir nehmen die demografische Entwicklung als vorrangiges Problem ernst. Deshalb wollen wir eine Politik, die auf mehr soziale Gleichheit und mehr individuelle Freiheit setzt. Eine solche Politik berücksichtigt, dass eine Gesellschaft als Ganzes nicht zuerst finanziell, sondern vor allem geistig – immateriell und materiell – Vorsorge trägt. Nicht wechselseitige Zahlungsansprüche sichern ausreichend Zukunft, sondern gebildete Menschen, Infrastruktur und Produktionsmittel. Wir brauchen nämlich jede Begabung – Chancengleichheit hat nichts mit Gleichmacherei zu tun – für die Entwicklung des Landes. Warum werden nicht schon heute allen Kindern und Jugendlichen – unabhängig von der finanziellen Situation ihrer Eltern – optimale Entwicklungschancen geboten,

wenn sie es doch sind, die in den kommenden Jahrzehnten die Hauptlasten zu tragen haben?

Jetzt beantworten Sie mir bitte die Frage, warum Sie kein kostenloses Vorschuljahr wollen und dafür lieber eine gute Dividende beim Pensionsfonds für Beamte absichern. Sie haben die Frage nicht beantwortet. Ich sage Ihnen, warum: Weil Sie von der CDU seit 16 Jahren die Absicherung Ihrer Herrschaft durch einen schwarzen Beamtenapparat für wichtiger halten als die Zukunft des Landes!

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS – Zuruf von der CDU)

Es mag Sie durchaus ehren, dass Sie wenigstens für die Zukunft der Beamten und ihrer Pensionen stehen. Sie stehen dabei in der gesetzlichen Pflicht.

(Dr. Fritz Hähle, CDU: Ja, eben!)

Aber der gesetzlichen Verpflichtung, sich für die Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder in die gleiche Pflicht zu nehmen, haben Sie sich bisher verweigert, und Sie weigern sich auch weiterhin.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Herr Ministerpräsident, das kostenlose Vorschuljahr hat natürlich etwas mit Qualität zu tun: mit der wichtigsten Qualität eines Bildungssystems, mit der Qualität der Chancengleichheit. Die Qualität, die Sie finanzieren, ist wieder Qualität für Auserwählte. Angesichts dessen will ich gar nicht mehr fragen, warum nicht alle Kinder die Chance haben, zum Beispiel ein Musikschulangebot ihrer Wahl zu nutzen, wenn die musikalische Bildung so wichtig ist, wie man hört.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Aber die Probleme sind leider elementarer und erdrückender. Wie soll der Wandel zu einer offenen, innovativen Gesellschaft, die den Anforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht wird, geschaffen werden, wenn Kinder – und zwar nicht wenige und nicht in Einzelfällen – in Armut heranwachsen müssen, die strukturell bedingt ist, und wenn nicht einmal deren Mittagessen gesichert ist? Ein solcher Fakt, Herr Ministerpräsident, lässt das Eigenlob Ihrer Rede wirklich zum Himmel stinken!

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Wir nehmen das nicht länger hin. Im Übrigen sind die notwendigen Personaleinsparungen nicht nur massiv bei der Polizei und bei den Lehrerinnen und Lehrern möglich, auch wenn gerade bei Letzteren fast nur Angestelltenverhältnisse vorliegen, deren Auflösbarkeit per Kündigung – übrigens anders, als es im westdeutschen öffentlichen Dienst der Fall ist – auch noch nach mehr als 15 Dienstjahren möglich ist.

Das hat die CDU von Anfang an so gewollt und hat es durchgesetzt. An der Vergleichbarkeit der Lebensbedingungen in allen Teilen Deutschlands, wie sie das Grundgesetz fordert, haben Sie sich allerdings damit versündigt.

Jetzt setzt auch noch der vorsätzliche Missbrauch ein. Dort kann man entlassen, darum entlässt man dort. Die SPD macht das mit, entgegen allem, was sie je in der Opposition verkündet hat, und begnügt sich mit dem Kuhhandel um das Regierungspräsidium Leipzig, Frau Köpping und den Kreissitz Borna.

Wie auch immer: Wenn denn eingespart werden muss, dann bitte in allen Ministerialbereichen und vor allem bei unnötigen Verwaltungen. Da stehen die Regierungspräsidien natürlich wieder auf dem Prüfstand.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Ich meine, die Falle war ja gut aufgestellt. Die SPD lehnte immer die Regierungspräsidien ab, die CDU geht angeblich auf die Sache ein, reduziert drei Regierungspräsidien um eines – gerade das in Leipzig. Was bleibt der SPD anderes übrig, als dann wieder für drei Regierungspräsidien zu sein? Sie konnten ja gar nicht mehr anders. Das ist überhaupt kein Vorwurf, aber es ist nur eine Milchmädchenrechnung.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Neue Namen gibt es! – Zuruf von der CDU)

Die Staatsregierung ließ bisher in ihrer Politik keine mittelfristigen Strategien erkennen. Es wurde immer wieder klar, dass morgen nicht mehr gilt, was heute versprochen wird. So wurden kreative Menschen verjagt, anstatt sie zu gewinnen. So werden Probleme bestenfalls verwaltet, aber nicht beseitigt.

Ich will in meinen Ausführungen – soweit es die zugebilligte Zeit erlaubt – dies jetzt noch an einigen Beispielen verdeutlichen. Seit Wochen feiern die Statistiker – und mit ihnen die CDU und die SPD – den Rückgang der Arbeitslosigkeit in Sachsen. Jedem und jeder, der oder die einen Arbeitsplatz bekommen hat, sei dies mehr als gegönnt. Das möchte ich ganz deutlich sagen. Diese Arbeitsplätze sind in der Mehrzahl überhaupt nicht sicher oder wenigstens noch nicht. Die Zahl der versicherungspflichtigen Jobs – der Ministerpräsident sagte es – nahm gegenüber dem Vorjahr um über 20 000 zu. Wir registrieren dies als gute Entwicklung. Die Umsätze und Gewinne der Unternehmen steigen allerdings ins Exorbitante.

Aber bei allem Jubel, ob über das eine oder andere oder über beides, vergessen Sie meistens diejenigen, die aus der Statistik herausgerechnet werden. Was ist denn mit denjenigen, die einen Ein-Euro-Job haben? In Sachsen gab es im Jahr 2005 über 63 000, die einen solchen Job hatten. Das ist nicht das Einzige, was Sie vergessen. Noch immer verlassen circa 10 % der Schüler eines Jahrgangs die Schule ohne Abschluss. Das sind über 5 000 Schülerinnen und Schüler im Jahr. Wenn man annimmt, dass sie fast alle später Hartz-IV-Empfänger sind, so kostet dies die Gesellschaft damit nach 15 Jahren CDU-Politik, volkswirtschaftlich gerechnet, fast eine Milliarde Euro jährlich. Wenn Sie so weitermachen, werden Sie die Schulden nie abbauen können!

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Herr Milbradt, Sie rühmen unser Schulsystem als demografiefest. Das mag es ja wahrlich sein. Es sollte aber bildungsfest, zukunftsfest und fest in der Chancengleichheit sein. – Darauf komme ich noch zurück.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Jetzt will man das arbeitsmarktpolitische Hauptinstrument – ich bleibe noch bei der Arbeitsmarktpolitik –, den ESF, dem Minister für Wirtschaft und Arbeit aus der Hand nehmen. Da traut man Ihnen kein wirkungsvolles Programm für Arbeit und Beschäftigung zu, Herr Staatsminister Jurk – er ist nicht da. Aber selbst wenn dem so ist, kann doch noch lange nicht die Aufteilung und Zerstückelung der Gelder aus dem ESF legitimiert sein. Die CDU selbst war doch immer die, die die Aufteilung des ESF auf den Bund, die Bundesagentur für Arbeit und die Länder bemängelt hat. Die CDU hat immer wieder argumentiert, dass es dadurch zum Verlust von Synergieeffekten kommen würde. Die CDU monierte doch die Doppel- und Dreifachförderung an ein und derselben Sache. Jetzt machen Sie es plötzlich selbst, und Sie machen es schlecht, und Sie machen es dilettantisch, weil so manches Ministerium, wie zum Beispiel das Sozialministerium, offensichtlich gar nicht weiß, wie man die ESF-Gelder zur Arbeitsförderung einsetzt. Deshalb werden die Mittel – –

(Zuruf der Staatsministerin Helma Orosz)

Ja, was machen Sie denn? Sie reichen die Mittel an die SAB weiter. Das habe ich im Haushalt gelesen, und das verursacht neue Kosten und damit neue Kürzungen, zum Beispiel in Krankenhäusern und bei den Zuweisungen an die Verbände der Behindertenarbeit.

Die Struktur der Arbeitslosigkeit in Sachsen, meine Damen und Herren, ist immer noch Besorgnis erregend, auch wenn sie sich verringert hat. Sie ist nach wie vor geprägt von einer hohen Zahl Dauerarbeitsloser, von einer hohen Zahl jugendlicher Arbeitsloser und von einer hohen Zahl Arbeitsloser im Alter über 55. Wir müssen darüber quittieren, dass

erstens auch positive Entwicklungen auf dem ersten Arbeitsmarkt bei Weitem nicht alle Arbeitslosen mit einer Arbeitsstelle erreichen, dass

zweitens die neuen Arbeitsplätze durch geringe Dauerhaftigkeit, Niedriglohn und Teilzeit geprägt sind und dass

drittens das Instrument der Ein-Euro-Jobs versagt hat und immenses Geld kostet. Das Geld könnte besser ausgegeben werden.

(Beifall der Abg. Dr. Cornelia Ernst, Linksfraktion.PDS)

Noch in Ihrem Manuskript wollten Sie, Herr Ministerpräsident, die Schaffung von Arbeitsplätzen gegen Lohnerhöhungen ausspielen. Nun gut, es gilt das gesprochene Wort. Ich habe es zur Kenntnis genommen. Sie haben sich hier das zu sagen doch nicht mehr getraut.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Meine Fraktion will Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren und schlägt unter anderem vor, 3 000 Stellen in einem öffentlich geförderten Beschäftigungssektor in Sachsen einzurichten. In Berlin zum Beispiel, ein Land der Bundesrepublik Deutschland, werden laut Koalitionsvertrag 2 500 neue Arbeitsplätze geschaffen, die aus bisher für Hartz IV ausgegebenen Mitteln finanziert werden. Wir halten dieses Modell für vorbildlich, ganz deutlich gesagt.