Herr Prof. Schneider, wenn man als Wortführer einer solchen Gruppe gleichzeitig Ambitionen hegt, Minister zu werden, fällt die Disziplinierung durch die Fraktionsführung leicht. Wir als FDP-Fraktion sind den Bürgerinteressen verpflichtet; Sie, Herr Prof. Schneider, Ihrer Parteikarriere.
Sachsen-Anhalt, Thüringen und Brandenburg – überall 6 mal 24. In Polen und in Tschechien kennt man so etwas wie ein Ladenschlussgesetz überhaupt nicht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Polen ist mir bisher nicht als ein besonders atheistisches Land bekannt geworden. Sachsen, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist eine Insel des Stillstandes und der Bürokratie. Es ist das Ergebnis von zwei Jahren SchwarzRot.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin davon ausgegangen, dass der Kollege der FDP seinen Gesetzentwurf begründet. Wahrscheinlich macht er es im zweiten Teil seiner Rede. Jetzt haben Sie sozusagen die Blümchen an alle verteilt, und Sie stehen im Mittelpunkt. Das ist auch gut so, das können Sie durchaus machen.
Man muss natürlich sagen, dass die in Kraft getretene Föderalismusreform viele Blüten treibt. In der letzten Zeit hat man immer den Eindruck, dass das Ladenschlussgesetz das Nonplusultra dieser Föderalismusreform sei. Das Interesse der Medien ist groß. Das wurde angesprochen. Es ist scheinbar der Antrieb für viele Politiker in den Bundesländern, hierbei relativ schnell Kurzschlussreaktionen zu erzeugen, ohne nachzudenken. Ein gutes Beispiel haben wir heute mit diesem Tagesordnungspunkt.
Ich möchte gleich vorab sagen, weil es mein Kollege angesprochen hat, dass ich mit der Entscheidung meiner Partei in Berlin nicht zufrieden bin und sie nicht für zielführend für Sachsen halte. Zu dem, was Föderalismus und Länderhoheit bedeutet, gehört eben auch, dass man diese Widerstände aushält. Die Übertragung auf die Länder – das wurde schon von meinem Kollegen Brangs angesprochen – bringt auch freudigere Ereignisse wie die in Berlin mit sich, zum Beispiel in Bayern.
Kollege Brangs hat es schon angesprochen, mit welchem Ergebnis die allein regierende CSU ihre Tagung beendet hat. Ich kann kurz aus diesem Dringlichen Antrag, der jetzt dem Bayerischen Landtag vorliegt, zitieren: „Die Staatsregierung wird aufgefordert, dem Landtag nach Vorliegen erster Erfahrungen mit den geänderten Ladenschlusszeiten in den anderen Ländern einen Erfahrungsbericht vorzulegen. Auf der Grundlage dieses Berichtes sollen weitere Schlussfolgerungen für den Ladenschluss in Bayern gezogen werden.“
Meine Damen und Herren! Solch eine Regelung könnte ich mir durchaus für Sachsen vorstellen. Das wäre sehr angebracht. Vielleicht können wir uns im Zuge der weiteren Debatte darauf noch einigen. Wenn es nach mir und meiner Fraktion gehen würde, dann wäre die Ladenschlussdiskussion nach der Beschlussfassung mit dem Vorschaltgesetz beendet. Minister Jurk hat gestern schon darauf hingewiesen, dass es ein einstimmiger Beschluss des Sächsischen Landtages war, dies umzusetzen. Da war die FDP-Fraktion wieder einmal – mein Vorredner hat es deutlich gemacht – an einer Art Windhundrennen beteiligt, um in Sachsen aus dieser Ladenschlussdebatte politischen Gewinn zu ziehen. Nun steht der vorliegende Gesetzentwurf der FDP zur Abstimmung.
Um aber – das sage ich nicht nur in Richtung FDP – den Liberalisierungsfanatikern im Hohen Haus aus der Froschperspektive herauszuhelfen, möchte ich das Thema Ladenschluss, wie es sich eigentlich gehört, in den volkswirtschaftlichen Gesamtzusammenhang stellen.
Das, was von der Staatsregierung vorgelegt wurde und noch zu diskutieren ist, muss sich auch an diesen volkswirtschaftlichen Gesamtzusammenhängen messen lassen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Will man einschätzen, welche Auswirkungen eine Ausweitung der Ladenöffnungszeiten hat, dann muss man sich zunächst
mit der gegenwärtigen Situation im Einzelhandel ernsthaft beschäftigen. Mit bundesweit 2,5 Millionen Beschäftigten ist der Einzelhandel einer der größten Wirtschaftsbereiche. 2,5 Millionen Beschäftigte! Die Situation der Branche – das wissen Sie alle, denke ich – ist angespannt. Während der Umsatz seit Jahren stagniert, werden die Einzelhandelsflächen immer weiter ausgebaut. Es ist eine enorme Überkapazität entstanden. Immer mehr Märkte werden eröffnet, vor allem auf der grünen Wiese.
Schätzungen der Branche selbst gehen davon aus, dass es heute bundesweit 10 bis 15 Millionen Quadratmeter Verkaufsfläche zu viel gibt. Die logische Folge dieser riesigen Überkapazität ist ein ruinöser Verdrängungswettbewerb. Die großen Handelskonzerne liefern wahre Preiskriege und Rabattschlachten und versuchen so, die Konkurrenz in die Knie zu zwingen. Beispielhaft dafür ist die Ihnen allen bekannte Kampagne „Geiz ist geil!“ Leidtragende sind zahlreiche kleinere Einzelhandelsunternehmen, die in diesem mörderischen Wettbewerb kaum eine Chance haben. Leidtragende sind vor allem aber auch die Beschäftigten, denn der Preiskrieg wird auf ihrem Rücken ausgetragen.
Es wird – das kann man ganz gut nachvollziehen – immer weiter an der Personalkostenschraube gedreht. Über 250 000 Vollzeitarbeitsplätze sind allein seit 2000 bundesweit im Handel vernichtet worden. Das können Sie im Statistischen Jahrbuch nachlesen. Ein Drittel aller Arbeitsplätze in dieser Branche sind heute bereits Minijobs. Auch für Sachsen gibt es Zahlen. So hat der Handel nach Aussage der Arbeitgeberverbände in den Tarifverhandlungen im vorigen Jahr gesagt, dass seit 2002 bei uns in Sachsen 20 000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verloren gegangen sind. Verloren stimmt vielleicht nicht ganz – die meisten von ihnen sind ebenfalls in Minijobs umgewandelt worden.
Dass sich für die betroffenen Beschäftigten die Einkommenssituation rapide verschlechtert, können Sie sich wohl selbst ausrechnen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Umfang der geleisteten Arbeit oftmals der gleiche geblieben ist, das heißt, dass für weniger Geld die gleiche Arbeit verrichtet wird.
Für die FDP, die das in ihrem zweiten Redebeitrag vielleicht nutzen kann, möchte ich noch einige Zahlen nennen. Zwischen 2000 und 2005 hat sich der Umsatz im Einzelhandel nominal um ganze 1,6 % erhöht. Darin sind die Teuerungsrate und die Inflation eingeschlossen. Trotz der Umsatzstagnation in diesem Bereich – anders kann man es nicht bezeichnen – wurde die zur Verfügung stehende Verkaufsfläche im gleichen Zeitraum um 9 Millionen Quadratmeter vergrößert. Das ist ein Plus von 8,3 %. Gleichzeitig wurden 252 000 Vollzeitarbeitsplätze vernichtet und das Arbeitsvolumen durch Stellenstreichungen – völlig logisch – um 13,2 % verringert. Aber Sie reden hier davon, dass es dringend notwendig wäre, die Ladenöffnungszeiten auszuweiten. Sie kommen einfach nicht aus Ihrer Froschperspektive heraus. Akzeptieren Sie einfach diese Zahlen!
Meine Damen und Herren! Wer ist denn der Gewinner dieser Entwicklung in den letzten Jahren? Das sind die Discounter, die ihre Umsätze gegen den allgemeinen Trend in den letzten beiden Jahren um 8 % steigern konnten, während selbst Warenhäuser und der mittelständische Einzelhandel weiter an Boden verloren haben.
Sie bringen immer das FDP-Argument, dass das alles im Sinne der Bürgerinnen und Bürger sei. Für den Verbraucher bietet sich zwar auf den ersten Blick eine verlockende Perspektive, die Sie mit Ihrem Gesetzentwurf bedienen. Mehr Verkaufsfläche und massive Preiskämpfe lassen – wie man vermuten kann – das Kundenherz höher schlagen. Diesem Irrglauben ist die FDP bedauerlicherweise ebenso erlegen wie die Staatsregierung, was sie mit ihrem Entwurf zeigt.
Je mehr kleinere Läden verschwinden, desto weitmaschiger wird das Versorgungsnetz. Immer weniger Bedienung und verminderte qualitative Beratung sind die Folge. Das können Sie in Großmärkten bereits heute gut nachvollziehen. Je weniger qualifiziertes Verkaufspersonal, desto weniger Service. – Das ist bis jetzt das Ergebnis der Entwicklung. Je mehr sich die großen Handelskonzerne durchsetzen und den Markt beherrschen, desto größer ist die Gefahr, dass der gleichberechtigte Wettbewerb auf längere Sicht eingeschränkt wird. Diese Tendenz wird sich mit der Liberalisierung zeigen. Man kann es auch anders sagen: „Billig, billig“ kommt die Verbraucher mittelfristig gesehen teuer zu stehen, und zwar in der Qualität und im Preis.
Ich empfehle daher den Liberalisierungsfanatikern im Hohen Haus, dass sie, wenn sie schon nicht das volkswirtschaftliche Einmaleins verstehen, dann doch wenigstens die Realität im Handel zur Kenntnis nehmen sollten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Auseinandersetzungen um das Ladenschlussgesetz sind nicht neu, die Argumente der Ladenschlussgegner schon gar nicht. So wird unverdrossen behauptet, längere Öffnungszeiten würden zu mehr Umsatz und zu mehr Beschäftigung führen. Aber ich habe den Eindruck, dass es vielen nur noch ums Prinzip geht. Man muss es ja nicht begründen. Ich warte auch noch auf Ihre Begründung, aber die kommt sicher im zweiten Teil.
Eine so einfach gestrickte Argumentation kann ich noch aushalten, wenn sie von der FDP kommt. Viel unangenehmer finde ich es, wenn sie vom SPD-geführten Wirtschaftsministerium kommt. Das muss ich deutlich sagen, auch wenn für Sie die Grenze bei 22 Uhr liegt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie sehen die Fakten der letzten Jahre aus? Die sollte man bei der ganzen Debatte nicht vergessen. Die Ladenschlusszeiten wurden in den letzten Jahren peu à peu verlängert. 1996 wurde in einer Untersuchung des Ifo-Instituts durch Prof. Sinn – manche sagen auch Unsinn – dreist behauptet, die Verlängerung der Öffnungszeiten brächte 50 000 zusätzliche Arbeitsplätze. Dieses Argument hat damals die Bundesregierung aufgegriffen. Es hat in der öffentlichen Auseinandersetzung immer eine Rolle gespielt. 50 000 Arbeitsplätze – wer dem nicht zustimmt, verhindert Arbeitsplätze.
Eingetroffen ist aber, was die Gewerkschaften von Anfang an gesagt haben: Es werden Stellen vernichtet. Ich hatte Ihnen die Zahlen genannt. Die Zahl der Beschäftigten ist nicht gestiegen, sondern gesunken. Das stellen wir heute fest und das können Sie nicht wegdiskutieren. Trotz der erheblich verlängerten Öffnungszeiten ist die Stagnation des Umsatzes seit 1996 nicht verhindert worden. Auch dieses Argument zieht nicht. Letztlich führte das alles zu einer zeitlichen und räumlichen Verlagerung des Umsatzes. Umsatz, der in den Abendstunden gemacht wird, fehlt nun tagsüber. Das ist Fakt. Umsätze, die die Toplagen in den Großstädten und im großflächigen Einzelhandel auf der grünen Wiese gewonnen haben, sind anderswo ersatzlos weggefallen. Das ist auch Fakt.
Ich will Sie noch einmal an die emotionale Debatte erinnern, die wir anlässlich der WM über die Verlängerung der Ladenöffnungszeiten geführt haben. Die Erfahrungen lassen sich, wenn man die Souvenirläden und einige spezielle Effekte nicht berücksichtigt, auf einen einfachen Nenner bringen. Für den normalen Einzelhandel in Sachsen war es ökonomisch unsinnig und für viele Unternehmen ein reines Zuschussgeschäft.
Darüber können wir uns gern unterhalten. Die Kunden kaufen nicht mehr, wenn die Läden länger öffnen. Es bleibt dabei: Den Menschen fehlt das Geld und nicht die Zeit zum Einkaufen. Deshalb würde der Umsatz im Einzelhandel durch eine längere Ladenöffnung auch nicht steigen. Das ist meine feste Überzeugung, aber Sie können mich gern eines Besseren belehren. Die Umsätze würden lediglich zeitlich und räumlich anders verteilt.
Wer angesichts der aggressiven Wettbewerbssituation im Einzelhandel die Öffnungszeiten, wie weit auch immer, ausweiten will, gießt Öl in das Feuer. Das gilt für jegliche Erweiterung, ob bis 22 Uhr oder gar bis 24 Uhr, wie es die FDP und die Mehrheit der CDU-Fraktion anstreben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Fakt ist: Noch längere Ladenöffnungszeiten haben die gleiche Wirkung wie zusätzliche Verkaufsflächen. Das kann man sich, denke ich, gut vorstellen. Der Wettbewerbsdruck im Handel wird noch größer. Viele Einzelhändler scheiden damit aus dem Markt aus. Denn die großen Handelsketten werden Öffnungszeiten als Mittel im Verdrängungswett
Sie können natürlich sagen, dass Sie diese Handelsstruktur wünschen. Längere Ladenöffnungszeiten wirken sich fatal auf die Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten aus. Das hat mein Kollege Brangs auch schon angesprochen. Sie wirken auf das gesellschaftliche Zusammenleben, auf das Leben der Familien und – darüber werden wir in den Ausschüssen auch noch diskutieren müssen – auf die Sicherheit der Beschäftigten in den Nacht- und späten Abendstunden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine völlige Freigabe der Öffnungszeiten, wie von der FDP gefordert, hätte drastische Auswirkungen auf die Strukturentwicklung im Handel. Das habe ich schon angedeutet. Bestimmte Firmen würden die Nachtöffnung aggressiv als Wettbewerbsmittel einsetzen. Noch mehr kleine und mittelständische Betriebe würden dadurch vernichtet, da diese zum Beispiel als Familienbetrieb dabei nicht mithalten können. Die Einkaufszonen mittlerer und kleiner Städte würden zugunsten der grünen Wiese oder der großen Zentren immer mehr ausbluten und damit auch an Attraktivität für die Touristen verlieren.
Insofern kann ich auch die Stellungnahme des Landestourismusverbandes in dieser Sache nicht verstehen, denn es hat Auswirkungen auf den Klein- und Mittelstand.
Ich weiß nicht, ob der Landestourismusverband keine Ahnung hat. Ich versuche jedenfalls, mit ihm zu diskutieren.
Ja, das ist sehr gut. Sie können dann vorgehen und meine Argumente widerlegen. Ich warte ja eigentlich darauf.
Insgesamt gäbe es bei dieser Entwicklung deutliche Einbußen in der Qualität und in der Vielfalt der Versorgung. Auch für die Verbraucher würde sich einiges ändern. Anscheinend diskutieren Sie das gar nicht, oder Sie wischen es einfach weg. In dem Maße, wie sich nämlich die preisaggressiven Vertriebsformen, zum Beispiel auf der grünen Wiese oder in der Nacht, bei denen die Familienbetriebe nicht mithalten können, durchsetzen werden, wird es aus mittlerer Sicht zu Preiserhöhungen kommen – bewusst dazu kommen, weil diese dann noch mehr die Preise diktieren. Der Service wird geringer und – das stellen wir jetzt schon mit der Länderregelung fest – der Ladenöffnungswirrwarr wird immer größer. Die Vielfalt im Einzelhandel geht somit für immer verloren, und die Nahversorgung für die Bevölkerung verschlechtert sich. Das kann ich Ihnen mit diesen Ladenöffnungszeiten schon voraussagen.
Davon wären insbesondere – darauf will ich auch einmal hinweisen – in ihrer Mobilität beeinträchtigte ältere