Protocol of the Session on November 15, 2006

Er mag hilfreich sein, indem er einen Situationsbericht über Kindesmisshandlung und -vernachlässigung von Kindern im Freistaat Sachsen einfordert. Wir fragen uns allerdings, ob eine Große Anfrage nicht zweckdienlicher gewesen wäre, als diesen Berichtsantrag ins Plenum zu ziehen. Trotzdem ist die NPD-Fraktion gespannt darauf, ob sich die Staatsregierung in der Lage sieht, bis Ende 2006 den in diesem Antrag geforderten Bericht vorzulegen. Wir lassen uns überraschen.

Die Vorschläge für eine Schwachpunktanalyse im Bereich der Jugendhilfe und die Forderung einer Bestandsaufnahme über mögliche Versäumnisse des Jugendamtes Zwickau können für eine aktuelle Situationsbeschreibung

in der Kinder- und Jugendhilfe zielführend sein. Ein Frühwarnsystem, in das Hebammen, Kinderkrankenschwestern und Kinderärzte einbezogen werden, ist vom Grundsatz her ebenso zu bejahen. Dazu haben wir bereits heute Vormittag die Ausführungen von Frau Orosz gehört, sodass sich Punkt 4 des Antrages für uns erledigt hat.

Wir sind allerdings der Meinung, dass die administrative Seite nur ein Teilaspekt ist. Glauben Sie denn wirklich, dass damit Kindesmisshandlungen und -vernachlässigungen nachhaltig bekämpft werden können? Uns erscheint es genauso wichtig, die Jugendlichen beispielsweise in der Schule auf familiäre Verantwortung vorzubereiten, zum Beispiel in einem Fach „Familie und Gesundheit“. Die Betreuung erst in der Schwangerschaft anzusetzen, wie es in der Debatte heute Vormittag dargestellt wurde, ist zwar lobenswert, aber vielleicht ein wenig zu spät. Wenn Jugendliche bereits in der Schule – und zwar beide Geschlechter – auf ihre spätere Verantwortung in der Familie vorbereitet werden, scheint uns dies der bessere Ansatz zu sein und hat auch etwas mit Wertevermittlung zu tun. Das nur nebenbei; es ist nicht Bestandteil des Antrages.

Ein Problem zu erkennen ist Teil der Lösung, aber noch nicht die eigentliche Lösung. Wir müssen die Gründe für die zunehmende Verwahrlosung umfassender hinterfragen, um die wirklichen Ursachen zu erkennen. Zunehmende Verarmung und mangelnde Zukunftsperspektiven, – –

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Gewaltdarstellung in den Medien, fehlende Leit- und Vorbilder, Zerstörung familiärer Bindungen – all diese Erscheinungen sind Ursachen dieser Fehlentwicklungen.

Meine Damen und Herren! Wir sind keine Bürokraten. Daher glauben wir nicht, dass sich das Problem der zunehmenden Verwahrlosung der Eltern im Umgang mit ihren Kindern allein durch die Jugendämter lösen lässt. Bürokratische Maßnahmen wie mehr Jugendämter, mehr Kontrollen durch die Jugendämter, ein verstärktes Hilfsangebot oder eine verstärkte Personalausstattung der Jugendämter können an den Ursachen nichts ändern. Diese Fehlentwicklungen werden nur verwaltet, aber nicht gelöst.

Das gilt leider auch für das Frühwarnsystem. Wir halten eine Vernetzung der verschiedenen Institutionen zwar durchaus für sinnvoll; dennoch wird dies an den eigentlichen Ursachen nichts ändern. Der Antrag der FDPFraktion ermöglicht zumindest eine Lagebeurteilung. Deshalb werden wir ihm zustimmen.

Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der NPD)

Die Runde wird beendet von der Fraktion der GRÜNEN. Frau Herrmann, bitte.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mir ist, ehrlich gesagt, unklar, warum wir heute diesen Antrag im Plenum behandeln, wenn doch schon seit Sommer klar ist, dass wir eine Anhörung zum Thema Soziales Frühwarnsystem – Frau Schwarz hat es schon gesagt, ein Antrag unserer Fraktion – haben werden. Wir haben uns gemeinsam entschieden, einen Antrag der CDU und der SPD zur Aufsuchenden Familienhilfe für Familien in Sachsen in die Anhörung hineinzunehmen. Sie hatten die Gelegenheit, das auch zu nutzen und Ihren Antrag in der Anhörung mit behandeln zu lassen bzw. den Zeitrahmen für Ihren Berichtsantrag so zu stecken, dass er ungefähr mit der Anhörung zusammenfällt oder dahinter liegt.

Wenn Sie unter Punkt 2 über Fehler bei der Beurteilung der Problemlage in Familien und deren Auswirkungen auf Hilfsmaßnahmen bis Ende des Jahres berichtet haben wollen und dieser Bericht auch noch solide sein soll, dann muss ich Ihnen einfach sagen, dass das überhaupt nicht möglich ist. Ähnliches trifft auch auf andere Punkte unter 2. zu.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Hört, hört!)

Im Punkt 3 erwarten Sie ein Konzept. Dass solch ein Konzept vorgelegt wird, ist schon gesagt worden. Das haben wir bereits im April dieses Jahres beschlossen. Die Staatsregierung ist dabei. Es ist eine Missachtung des Ausschusses, dies bis Ende des Jahres zu verlangen, wenn die Anhörung erst am 10. Januar stattfinden wird.

Insofern werden wir Ihren Antrag ablehnen. Zu erkennen ist – das ist das einzig Positive –, dass Sie sich Gedanken darüber gemacht haben, worin Probleme liegen könnten und dass Berichte sinnvoll sein können. Der Zeitrahmen ist jedenfalls viel zu kurz.

Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Danke schön. – Gibt es weiteren Aussprachebedarf seitens der Fraktionen? – Frau Staatsministerin, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Antrag wird die Staatsregierung ersucht, bis Ende 2006 einen Situationsbericht mit Schwachpunktanalyse vorzulegen und über eventuelle Versäumnisse im Fall des kleinen Mehmet zu berichten.

Meine Damen und Herren! Auch ich möchte noch einmal darauf verweisen, dass wir eine Vielzahl von Informationen in der Debatte heute Morgen gehört haben. Ich bitte auch den Antragsteller, diese Informationen zur Kenntnis zu nehmen. Ich wiederhole an der Stelle noch einmal: Wir

werden die vorhandenen Hilfesysteme nicht neu konzipieren, sondern wir werden sie aufgrund der Notwendigkeit und der Erkenntnisse erweitern. Dies noch einmal in Richtung der Antragstellerin: Ich habe heute früh sehr deutlich gesagt, dass es nicht nur um das Bundesmodellprojekt für vier Gebietskörperschaften geht, sondern dass alle anderen sächsischen Gebietskörperschaften ebenfalls in ihren bereits vorhandenen Systemen arbeiten, dass wir diese weiterentwickeln und dass die Staatsregierung sehr wohl allesamt in den nächsten Wochen und Monaten unterstützen wird.

Meine Damen und Herren! Kindesmisshandlung und Kindesvernachlässigung finden, wie wir wissen, häufig im engen, familiären Bereich statt. Deshalb gibt es hierbei bekannterweise eine große Grauzone. In dem Maße, wie sich der gesellschaftliche Konsens zu gewaltfreier Erziehung verbreitert hat, ist auch die Sensibilität der Öffentlichkeit gewachsen. Dadurch kommen mehr Fälle ans Tageslicht, und das ist, meine Damen und Herren, bei aller Tragik gut so; denn jeder erfasste Fall bedeutet Hilfe für andere betroffene Kinder und vor allem richtige Konsequenzen in den Hilfesystemen.

Ob uns allerdings Statistiken weiterbringen, möchte ich hier infrage stellen. Die Mitarbeiter der Jugendämter sind per Gesetz verpflichtet, jedem Hinweis auf eine Kindeswohlgefährdung durch Prüfung vor Ort nachzugehen und in Abhängigkeit vom Prüfungsergebnis gegebenenfalls unmittelbare, weitere Maßnahmen einzuleiten, auch unter Hinzuziehung der bekannten und heute mehrfach genannten Kooperationspartner. Eine Zusammenfassung und Auswertung der Statistiken der Jugendämter und der Polizei gibt es nicht.

Aus der Statistik des Landeskriminalamtes ergeben sich Zahlen zu den polizeilich bearbeiteten Fällen gemäß § 225 Strafgesetzbuch „Misshandlung von Schutzbefohlenen“ und gemäß § 171 Strafgesetzbuch „Verletzung der Fürsorge und Erziehungspflicht gegenüber einer Person unter 16 Jahren“. In der Jugendhilfestatistik werden zwar die vorläufigen Schutzmaßnahmen für Kinder und Jugendliche, aber nicht immer der konkrete Anlass der Hilfe erfasst. Wenn wir also die Zahl der Fälle angeben sollen, in denen die Jugendämter wegen Kindesmisshandlung oder -vernachlässigung tätig geworden sind, dann ginge das nur mit aufwendigen Nacherhebungen unter Auswertung aller Einzelvorgänge durch die Jugendämter selbst. Diesen Aufwand, meine Damen und Herren, sollten wir besser in die Weiterbildung der Mitarbeiter und in die Entwicklung der genannten Systeme investieren; denn entscheidend ist und bleibt das frühzeitige Erkennen und die richtige Hilfe.

Von der Polizei werden Kindesmisshandlungen und -vernachlässigungen als Offizialdelikte erfasst. Das bedeutet, dass die Polizei ermitteln muss, selbst wenn eine Anzeige später zurückgenommen wird. Außerdem wird bei Körperverletzungen an Kindern, die im Kontext mit einer Kindesmisshandlung stehen, grundsätzlich das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung

bejaht und der Sachverhalt polizeilich ermittelt. Daraus resultiert stets eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft.

Meine Damen und Herren! So weit zu den Zuständigkeiten und den möglichen statistischen Erhebungen.

Zur Frage: Welches Ziel sollte eine allgemeine Schwachstellenanalyse haben, wenn letztlich bekannterweise jeder Einzelfall ein Sonderfall ist? Für Sonderfälle gibt es nun einmal keine hundertprozentigen Erfolgsrezepte, sichere Prognosen und eindeutige Verhaltensmaximen. Das wissen wir alle. Wir wissen aber auch: Jeder tragische Fall ist ein Fall zu viel. Genau deshalb wollen wir die vorhandenen Systeme qualitativ erweitern und verbessern, um Gefahren und problematische Erziehungssituationen so früh wie möglich wahrzunehmen, zu verhindern oder zu minimieren.

Abschließend eine Bemerkung zu Ziffer 3 des Antrages. Ich kann Sie über ein Schreiben informieren, das meinem Haus vorliegt. Uns ist nicht bekannt, auch nach Rücksprache und mit dem vorhandenen Schriftstück der Stadt Zwickau, dass es Verfehlungen der Behörden im Fall Mehmet gegeben hat. Ich bin von der zuständigen Bürgermeisterin Frau Findeis autorisiert, ein Schriftstück zu Protokoll zu geben, mit dem sie ihren Stadtrat zum aktuellen Stand informiert hat.1

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Danke schön. – Gibt es daraufhin noch einmal den Wunsch nach einer allgemeinen Aussprache? – Das ist nicht der Fall. Herr Herbst, Sie haben das Schlusswort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mir fällt bei den Koalitionsfraktionen auf, dass sie sich ziemlich in Widersprüche verstricken. Zum einen sagt Herr Krauß, die Staatsregie

rung könne in einem so kurzen Zeitraum keinen Bericht liefern, und zum anderen, eigentlich wüsste die CDUFraktion alles. Das widerspricht sich doch. Herr Neubert hat das auch angesprochen. Frau Schwarz sagt, warten wir einmal die Expertenanhörung im Januar ab. Das Modellprojekt von Frau Orosz wartet, soweit ich weiß, auch nicht ab. Es beginnt doch im Januar.

Meine Damen und Herren, das Thema ist auch nicht neu. Im April 2006 haben Sie das im Haus angekündigt, Frau Orosz. Das kommt doch nicht überraschend. Sie haben heute Morgen gesagt, Sie arbeiten daran. Ich verstehe nicht, warum Sie nicht mehr Details vorlegen können.

(Kopfschütteln der Staatsministerin Helma Orosz)

Es wäre ganz gut, wenn wir die von uns im Berichtsantrag eingeforderten Informationen für die Expertenanhörung zur Verfügung hätten. Dann kann man die notwendigen Schlussfolgerungen treffen, um die Schutzsysteme weiterzuentwickeln.

Aus diesem Grund bitte ich Sie, unserem Antrag zuzustimmen.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, damit kommen wir zur Abstimmung. Ich stelle hiermit die Drucksache 4/6870 zur Abstimmung. Wer ihr zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um sein Handzeichen. – Danke schön. Wir machen die Gegenprobe. – Danke. Wer enthält sich der Stimme? – Bei einer großen Anzahl Dafür-Stimmen und ohne Enthaltungen ist der Antrag mit größerer Mehrheit abgelehnt worden und damit der Tagesordnungspunkt 18 abgearbeitet.

Meine Damen und Herren, ich rufe auf den

Tagesordnungspunkt 19

Verbesserung der Prävention vor Schwangerschaftsabbrüchen; Übernahme von Kosten der Empfängnisverhütungsmittel

Drucksache 4/6890, Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die GRÜNEN beginnen als einreichende Fraktion und dann die gewohnte Reihenfolge. Frau Herrmann, bitte.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Jahr 2004 gab es 6 642 Schwangerschaftsabbrüche in Sachsen, und im Jahr 2005 waren es 6 624. Dafür gibt es vielfältige Gründe. Ich betone ausdrücklich, es gibt vielfältige Gründe dafür, dass Frauen sich entschließen, eine Schwangerschaft nicht auszutragen. Deshalb übernimmt der Staat aus gutem Grund die Kosten für einen Schwangerschaftsabbruch, wenn die Frau diesen nicht aus eigenem Einkommen finanzieren kann.