Protocol of the Session on October 11, 2006

Einen ähnlichen Einsatz für die Geltungskraft des Artikels 83 der Sächsischen Verfassung habe ich bei Ihnen, Herr Schiemann, bisher leider noch nicht bemerken dürfen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS – Marko Schiemann, CDU: Da müssen Sie einmal richtig nachlesen, Herr Kollege!)

Sie haben gleich die Gelegenheit, das von hier vorn richtigzustellen.

Was steht nun im neuen Gesetzentwurf der Bundesregierung? Herr Kollege Bartl ist darauf zum Teil schon eingegangen.

Erstens. Der Gesetzentwurf schafft eine Speicherpflicht, also die Pflicht der beteiligten Landesbehörden, ihre Erkenntnisse mit – Zitat – „Bezug zum internationalen Terrorismus“ in die gemeinsame Antiterrordatei beim BKA einzuspeisen.

Zweitens und wichtig: Begrenzungen der Speicherpflicht zum Schutz der Daten gibt es im Entwurf nicht. Gewisse Einschränkungen sind allein durch die Interessen der Apparate auf alleinigen Besitz ihrer Datenschätze motiviert, insbesondere durch die Interessen der Geheimdienste, die ihre oft zweifelhaften Quellen nicht offenbaren wollen.

Drittens. Der erfasste Personenkreis ist mit der Umschreibung – Zitat – „Bezug zum internationalen Terrorismus“ äußerst vage umschrieben. Er erfasst zudem in weitem Umfang auch sogenannte Kontaktpersonen, gegen die als solche also kein Verdacht oder nur ein Hinweis vorliegt.

Viertens. Der einzustellende Datenbestand, gegliedert in sogenannte Grunddaten und erweiterte Grunddaten, geht über reine Findmittel einer Indexdatei weit hinaus und enthält zahlreiche Daten zu allen den Behörden irgendwie, möglicherweise nützlich erscheinenden Daten.

Fünftens. Das Anti-Terror-Gesetz ebnet bewusst die verschiedenen Aufgaben und Befugnisse der Polizei und der Geheimdienste ein. So wird das Verfassungsgebot des Artikels 83 Abs. 3 der Sächsischen Verfassung einer Trennung zwischen Polizei und Geheimdiensten bewusst geschleift.

Dies zeigt sich schon in der Sprache. Herr Kollege Bartl ist dankenswerterweise auf diesen furchtbaren Begriff der „Sicherheitsbehörden“ eingegangen. Der Gesetzentwurf spricht durchgängig von Aufklärung und Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Mit „Aufklärung“ ist die Arbeit der Geheimdienste gemeint, mit dem Begriff „Bekämpfung“ die Arbeit der Polizei.

Das schreckliche Wort „Bekämpfung“ ist seit Jahren aus dem Militärjargon übernommen worden und mittlerweile unkritisch in fast alle Lebensbereiche diffundiert. „Bekämpfung“ meint hier die polizeiliche Aufgabenerfüllung erstens weit im Vorfeld einer Gefahr, zweitens die Gefahrenabwehr und drittens die Strafverfolgung. Nun ist es aber so, dass für alle Bereiche unterschiedliche Aufgabenzuweisungen und Eingriffsbefugnisse bestehen, und dies aus gutem rechtsstaatlichem Grund.

Die Zusammenfassung im Begriff „Bekämpfung“ nivelliert diese Unterschiede schon in der Sprache. Warum soll es dann eigentlich noch Regelungsunterschiede geben, wenn es doch einheitlich um Bekämpfung geht? Diese Unterschiede können dann demnächst im Wege der sogenannten Deregulierung geschliffen werden.

Wie ist nun der Umfang der Speicherpflicht geregelt? Es sind Erkenntnisse zu speichern – Zitat –, „aus denen sich tatsächliche Anhaltspunkte ergeben, dass sie sich beziehen auf“ Personen, die eine terroristische Vereinigung unterstützen. „Tatsächliche Anhaltspunkte“, das klingt einschränkend. Tatsächlich ist aber weniger als ein Verdacht erforderlich. Letztlich genügt dabei allein die nachrichtendienstliche und polizeiliche Erfahrung oder auch das schlichte nachrichtendienstliche und polizeiliche Untersuchungsinteresse.

Jetzt spare ich mir das, was ich Ihnen eigentlich nicht ersparen wollte, weil Herr Kollege Bartl es schon teilweise getan hat, Ihnen nämlich diese gesamte Litanei im § 3 vorzulesen, was dort alles gespeichert ist. Es fängt einigermaßen verständlich bei den Grunddaten an: Familienname, Vorname; okay. Dann aber: Alias-Personalien, abweichende Namensschreibweisen; na ja, kann man machen. Weiter: das Geschlecht, Geburtsdatum, der Geburtsort, Geburtsstaat, aktuelle und frühere Staatsangehörigkeit, gegenwärtige und frühere Anschriften, besondere körperliche Merkmale, Sprachen, Dialekte, Lichtbilder usw.

Bei den erweiterten Grunddaten stolpere ich über das Datum „Angaben zur Religionszugehörigkeit“. Die wird scheinbar eingeschränkt – Zitat –, „soweit diese im Einzelfall zur Aufklärung oder Bekämpfung des internationalen Terrorismus erforderlich sind“. Was heißt hier erforderlich im Einzelfall? Es klingt doch so und es bleibt dabei, wie der kodifizierte Generalverdacht gegenüber Muslimen.

Was beabsichtigt ist, kann im Zusammenhang mit dem Datum „Volkszugehörigkeit“ erschlossen werden. Was ist das eigentlich? Welche Volkszugehörigkeit haben eigentlich die Sorben? Hat ein Deutscher, dessen Eltern aus der Türkei stammen, eine türkische oder eine deutsche Volkszugehörigkeit? Hat der Deutsche, dessen Vater ein Afroamerikaner ist, eine amerikanische Volkszugehörigkeit oder gar eine teilafrikanische?

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

Oder soll eine Volkszugehörigkeit als türkisch des türkischstämmigen Deutschen nur etwa deshalb gespeichert werden, weil er zusätzlich Muslim ist? Und wie ist es mit dem Deutschen mit teilamerikanischem Hintergrund, wenn er einer christlichen Religionsgemeinschaft angehört? Wie ist es, wenn diese christliche Religionsgemeinschaft auch noch fundamentalistisch ausgerichtet ist?

Wie man sieht, die Datei reproduziert die Verdachtsstrukturen, die die Behörden berechtigt oder unberechtigt an die Bevölkerung angelegt haben und von ihnen schon erwarten.

Insbesondere möchte ich auf Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe B rr hinweisen. Danach werden gespeichert „auf tatsächlichen Anhaltspunkten beruhende, zusammenfassende, besondere Bemerkungen, ergänzende Hinweise und Bewertungen zu Grunddaten und erweiterten Grunddaten, die bereits in Dateien der beteiligten Behörden gespeichert sind, sofern dies im Einzelfall nach pflichtgemäßem Ermessen zur Aufklärung und Bekämpfung des internationalen Terrorismus unerlässlich ist“.

Die letzte Klausel klingt wieder rechtsstaatlich, ermächtigt de facto aber nur die einspeisenden Behörden, ihre Erkenntnisse zurückzuhalten. Tatsächlich wird damit eine Öffnung für alle Arten weiterer Daten bewirkt. Dies bedeutet im Kern, eine Beschränkung auf Daten gibt es nicht, obwohl die Klausel ganz anders klingt. Ich erinnere mich an Herrn Prof. Denninger, der einmal im Zusammenhang mit der Beurteilung des Sächsischen Polizeigesetzes im Verfahren 1996 von einer jämmerlichen „Scheintatbestandlichkeit“ gesprochen hat. Ich denke, diese Bewertung trifft hier ausdrücklich zu.

Ich sage Ihnen, um was es hier geht: Genau an dieser Stelle und auf dieser Grundlage sollen umfassende Persönlichkeitsprofile mit Bewegungsbildern und Kommunikationsprofilen auch der Kontaktpersonen, des Verdächtigten oder der irgendwie in den Interessensfokus der Geheimdienste geratenen Person gemacht werden. Wozu das führt – das ist mir in diesem Zusammenhang wichtig

, ist nicht nur grundrechtlich nicht haltbar, sondern führt zu erheblichen Mängeln in der Terrorismusbekämpfung selbst.

Ich zitiere den von mir hoch geschätzten Leiter des Unabhängigen Datenschutzzentrums Schleswig-Holstein, Dr. Weichert. Er hat ausgeführt: „Das Problem dieser Antiterrordatei ist, dass nicht gesicherte Fakten, sondern Verdachtsangaben gespeichert werden. Diese Vorfelderkenntnisse betreffen oft Personen, die sich bislang nichts haben zuschulden kommen lassen. Mit dem Direktabruf – automatisiert auf Abruf – bekommen die angeschlossenen Behörden einen Informationswust, den zu bewerten sie ohne Rückfragen bei den Datenlieferanten nicht in der Lage sind. Die zur Lagebeurteilung dringend benötigten Hintergrundinformationen müssten bei einer reinen Indexdatei zwangsläufig eingeholt werden. Bei der nunmehr beschlossenen Datei ist dagegen zwangsläufig, dass Daten unabhängig von ihrem Kontext genutzt werden. Dies wird voraussichtlich große Sicherheitsrisiken provozieren, wesentliche Gefahren werden nicht erkannt und unbeteiligte Kontaktpersonen drohen zu Terrorismusverdächtigten aufgeblasen zu werden.“

Herr Kollege Bartl hat Artikel 83 schon auseinandergenommen und filetiert. Dazu ist eigentlich nicht mehr viel zu sagen. Die Kolleginnen und Kollegen haben es letzte Woche vom Datenschutzbeauftragten ausführlich dargestellt bekommen. Artikel 83 der Verfassung setzt das Trennungsgebot zwischen Geheimdienst und Polizei stringent durch, und zwar wesentlich stringenter als in den anderen Ländern. Das Sächsische Verfassungsgericht hat nochmals betont: „Der Verfassungsschutz ist auf die traditionellen Aufgaben beschränkt. Die Trennung zwischen Polizei und Verfassungsschutz ist nicht nur organisatorisch zu verstehen, sondern auch bezüglich der Aufgaben. Danach darf diese Aufgabentrennung nicht über die Hintertür einer Datenzusammenführung über eine Bundesdatei aufgehoben werden.“

(Beifall der Abg. Dr. Cornelia Ernst, Linksfraktion.PDS)

Genau dies ist aber beabsichtigt, Herr Justizminister Mackenroth. Sowohl das Landeskriminalamt als auch das Landesamt für Verfassungsschutz sind zwingend an der Antiterrordatei beteiligte Behörden. Beide Landesbehörden sind verpflichtet, ihre Erkenntnisse einzuspeisen. Das Landeskriminalamt sowie andere, Polizeien der Länder und des Bundes, haben Zugriffsberechtigung zumindest auf die Grunddaten der Antiterrordatei. Dies bewirkt genau die Verbreitung von Verfassungsschutzinformationen, die das sächsische Trennungsgebot gerade ausschließen will.

Wir lehnen daher diese Form der Antiterrordatei ab und fordern Sie als Staatsregierung auf, sich verfassungstreu zu verhalten und nicht nur die Verfassung in Sonntagsreden vor sich herzutragen.

Meine Damen und Herren! Ich möchte mit einem Zitat von Giorgio Agamben enden: „Am Ende kann es so weit

kommen, dass Sicherheit und Terror ein einziges tödliches System bilden, in dem sie ihre Handlungen wechselseitig rechtfertigen und legitimieren.“ Lassen Sie uns gemeinsam helfen, dass es nicht so weit kommt!

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion.PDS und des Abg. Dr. Jürgen Martens, FDP)

Die CDUFraktion. Herr Abg. Bandmann, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag der Linksfraktion „Keine gemeinsame Antiterrordatei von Polizei und Verfassungsschutz“ gibt Herrn Bartl die Möglichkeit, vor diesem Hohen Haus im Sächsischen Landtag das Thema anzusprechen: Wo ist der Unterschied zur DDR?

(Unruhe bei der Linksfraktion.PDS)

Herr Bartl, ich will Ihnen die Frage ganz deutlich beantworten. Der Unterschied zur DDR im Kerngehalt dessen, was Sie hier als Gleichstellung hinzustellen versuchten, ist,

(Zuruf des Abg. Klaus Bartl, Linksfraktion.PDS)

dass die DDR eine lückenlose Organisation aufgebaut hat zum Terror gegen die eigene Bevölkerung und das eigene Volk noch eingesperrt hat. Die Zielstellung dieser Antiterrordatei ist, dem Schutz der Freiheitsrechte in der Bundesrepublik und dem Schutz der Bevölkerung zu dienen. Sie ist nicht gegen die eigene Bevölkerung gerichtet. Wie Sie wissen, waren die Sperranlagen und die Minen nicht gegen das Ausland gerichtet, sondern zur Vernichtung derer, die dieses Land verlassen wollten. – So weit zu dem Thema, was Sie hier angesprochen haben.

(Widerspruch bei der Linksfraktion.PDS)

Da Sie ansprachen, wie die Schlapphüte aussehen, stelle ich mir übrigens in diesem Zusammenhang vor, wie Herr Bartl mit Schlapphut ausgesehen haben mag. So viel zu Ihren Einlassungen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Rückblickend auf die Terrorereignisse in den Vereinigten Staaten vom 11. September 2001, die Angriffe auf die Freiheit der zivilisierten Welt, die heimtückischen Anschläge von Madrid und London und die in Deutschland versuchten Anschläge auf die Vorortzüge denke ich, wir sind es unseren Bürgerinnen und Bürgern schuldig und bekennen uns als Koalition dazu, dass mit unseren Bündnispartnern in der freien Welt der internationale Terrorismus wirksam bekämpft wird.

(Beifall bei der CDU)

Um es mit aller Deutlichkeit zu sagen: Wir halten die Antiterrordatei für einen richtigen Baustein, um eine notwendige Antwort auf diese neue Geisel des Jahrhunderts zu geben. Wir sind uns dabei als Koalition des Trennungsgebotes zwischen der Arbeit der Polizei und

des Verfassungsschutzes durchaus bewusst. Das Trennungsgebot, in Artikel 83 Abs. 3 Satz 1 unserer Landesverfassung verankert, ist uns wichtig. So weit wir auf Landesebene zuständig sind, haben wir dafür Sorge zu tragen, dass dem Trennungsgebot in den entsprechenden gesetzlichen Regelungen Rechnung getragen wird. Wir gehen davon aus, dass das Trennungsgebot – so ist es höchstrichterlich entschieden – auch dann auf Bundesebene zu beachten ist, wenn es nicht ausdrücklich im Grundgesetz festgeschrieben ist. Die entsprechende rechtliche Prüfung und Ausgestaltung liegt bei dem Gesetzentwurf des Bundes ausschließlich beim Bund und damit zuerst in der Verantwortung des Bundesjustizministeriums. Unabhängig davon – –

(Zuruf des Abg. Klaus Bartl, Linksfraktion.PDS)

Herr Kollege Bartl, Polizei ist insoweit Ländersache, indem es den Bereich der Prävention gibt. In dem Moment, wenn es die Strafverfolgung betrifft, handelt die Polizei als Hilfsorgan der Staatsanwaltschaft. An der Stelle ist sie dem Bundesrecht unterworfen. So weit zu Ihrem Zwischenruf.

(Klaus Bartl, Linksfraktion.PDS: Aufklären!)

Wenn Sie eine Frage haben, gehen Sie bitte zum Mikrofon.

Das heißt, die Prüfung obliegt dem Bundesjustizministerium. Unabhängig davon möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich betonen, dass wir kein verfassungswidriges Antiterrorgesetz im Freistaat Sachsen haben wollen.

(Klaus Bartl, Linksfraktion.PDS, steht am Mikrofon.)

Richtig ist aber auch, der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist nicht deshalb von vornherein verfassungswidrig, weil er Ihnen aus politischen Gründen nicht ins Kalkül passt, meine Damen und Herren. Das ist doch der Grund. Mit dem berechtigten Sicherheitsbedürfnis der Menschen zu spielen halte ich für schändlich. In der Tat hat unter diesen Gütern eine Güterabwägung auch beim Bundesverfassungsgericht stattgefunden. Ich denke, genau diese Güterabwägung wird auch auf Bundesebene bei der Bundesgesetzgebung stattfinden.