Protocol of the Session on July 21, 2006

„Sie wollen also wieder einmal eine Kommission schaffen. Mein Vertrauen in die Kommission ist schon mächtig erschüttert worden, wenn ich die Erfahrungen auf Bundesebene sehe.“

Gilt Ihr Misstrauen gegen „Kommissionitis“ immer noch oder hat sich das jetzt geändert?

(Beifall bei der CDU und des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Wenn Sie mir noch ganz kurz sagen, Herr Krauß, welche Kommission ich gemeint hatte.

(Lachen bei der CDU)

Es war nicht die Kinderkommission. Um welche Kommission ging es? Herr Krauß, insofern müssen wir schon einmal schauen, worüber wir eigentlich reden.

Ich glaube, es dürfte hier in diesem Parlament Konsens sein, dass es Minderheiten gibt, dass es Leute mit leisen

Stimmen gibt – anders vielleicht als Ihre oder meine Stimme –, Leute, die keine Vertretung haben und die eine bestimmte Lobby brauchen. Wir kümmern uns darum übrigens sehr oft in diesem Land. Wir machen das zum Beispiel, indem wir in Sachsen eine Ausländerbeauftragte haben. Viele Kommunen – vielleicht wird das auch bei Ihnen im Erzgebirge so sein – richten Kinder- und Jugendkommissionen oder auch Seniorenbeiräte ein.

(Zuruf des Abg. Alexander Krauß, CDU)

Ich halte es für absolut legitim, in diesem Fall, in dem es um eine Minderheit geht, die eine Stimme braucht, hier im Parlament tatsächlich eine Kommission einzurichten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und der Abg. Julia Bonk, Linksfraktion.PDS)

Herr Zastrow, ich muss Sie darauf aufmerksam machen. Wir haben jetzt immer die Zeit gestoppt, aber Ihre Redezeit für das Schlusswort ist zu Ende.

Deswegen: Geben Sie sich einen Ruck! Das ist gar nicht schwer, Herr Krauß. Sie brauchen nur die Hand zu heben. Machen Sie das und stimmen Sie uns zu! Dann haben wir die Kinderkommission und dann sprechen wir darüber, wie wir sie genau ausgestalten.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der Linksfraktion.PDS)

Meine Damen und Herren! Ich stelle nun die Drucksache 4/5516 zur Abstimmung und bitte bei Zustimmung um Ihr Handzeichen. – Danke schön. Gegenstimmen? – Danke. Stimmenthaltungen? – Bei einer Reihe von Stimmenthaltungen und Dafür-Stimmen ist dieser Antrag dennoch mehrheitlich nicht beschlossen worden. Der Tagesordnungspunkt 5 ist beendet.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf.

(Unruhe)

Gestatten Sie mir bitte, dass ich weitermache.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Wir bitten darum! – Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie sich selbst ernst nehmen wollen, dann behandeln wir den nächsten Tagesordnungspunkt.

(Dr. Fritz Hähle, CDU: Selbstverständlich! – Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 6

Reform der gymnasialen Oberstufe

Drucksache 4/5865, Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Hierzu können die Fraktionen wie gewohnt Stellung nehmen. Als Erste spricht die Fraktion der GRÜNEN als Einreicherin. Frau Günther-Schmidt, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Wir wollen nicht zurück zum starren Klassenverband in der Sekundarstufe II. Das Kurssystem mit seiner Fächervielfalt hat sich bewährt. Aus unserer Sicht bietet das Kurssystem entscheidende Vorteile. Junge Menschen werden entsprechend ihren Neigungen gefördert und ausgebildet und sie erhalten die Möglichkeit, ihr Wissen zu vertiefen. Die notwendige Allgemeinbildung muss weit gehend mit Abschluss der 10. Klasse vermittelt werden. Wir betrachten die gymnasiale Oberstufe in erster Linie als Heranführung an ein Hochschulstudium. An den Hochschulen wird Eigenverantwortung von den Studenten bei der Gestaltung ihres Studiums gefordert. Darauf muss die Schule vorbereiten. Das kann sie im Kurssystem am besten.“

Meine Damen und Herren! Diese Erklärung verbreitete die Junge Union Sachsen und Niederschlesien drei Tage, nachdem Kultusminister Flath sein neues Konzept zur Reform der gymnasialen Oberstufe vorgestellt hat. Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass ich an dieser Stelle jemals die Junge Union als Kronzeugen zitieren muss und ihr vorbehaltlos zustimmen werde.

(Staatsminister Steffen Flath: Mal sehen, was daraus wird!)

Herr Flath, Sie fragen mich: Mal sehen, was daraus wird? Ich gebe diese Frage zurück. Wie ich hörte, rückt Herr Piwarz, CDU-Vorsitzender, demnächst in das Hohe Haus nach. Möglicherweise gibt es dann einen Innovationsschub in der CDU-Bildungspolitik im Lande.

(Beifall und Heiterkeit bei den GRÜNEN)

Es ist notwendig, eine öffentliche Teilhabe an der Debatte einer gymnasialen Oberstufenreform zu ermöglichen. Das verhindern Sie, Herr Flath. Sie praktizieren im Moment die bildungspolitische Rolle rückwärts. Sie führen durch die Hintertür das Einheitsschulsystem der DDR ein.

Aber vielleicht gelingt es uns auch so. Jedenfalls erhalte ich aus den Reihen der Betroffenen nur Rückmeldungen, die diesen Überfall auf das bewährte Kurssystem und die Eigenverantwortung der Schüler auf das heftigste kritisieren. Lediglich der Philologenverband, der sich für diese Orientierung am Entwurf der erweiterten Oberschule der DDR stark gemacht hat, jubelte nach dessen Vorstellung: „Wir haben es geschafft!“

Es fragt sich, was mit diesem Entwurf geschafft wurde. Was bezwecken Sie eigentlich, Herr Flath? Eigentlich sind Sie doch viel zu schlau, um Ihre eigene Begründung

zu glauben, dass man damit mehr Ingenieure gewinnen könnte. Ich fürchte eher, das Gegenteil wird der Fall sein,

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

nämlich wenn wir aufhören, die Schülerinnen und Schüler nach ihren Neigungen und Begabungen zu fördern, und ihnen die individuellen Entfaltungsmöglichkeiten verwehren, die das Kurssystem bietet. Mit diesem Konzept, das Sie hier vorgelegt haben, vernichten Sie nicht nur die Motivation und Leistungsbereitschaft der Lehrerinnen und Lehrer, sondern vor allem der betroffenen Schülerinnen und Schüler. Oder glauben Sie etwa im Ernst, dass ein Schüler, der bis zur 12. Klasse zum Beispiel mit dem standortrelevanten Fach Chemie zwangsbeglückt wurde, mit höherer Wahrscheinlichkeit ein ingenieurtechnisches Studium aufnehmen und erfolgreich abschließen wird als jener, der sich aus Neigung und Interesse vertieft mit den Fragestellungen beschäftigt hat?

Wie gehen Sie eigentlich mit jenen um, die sich tatsächlich verstärkt für Naturwissenschaften interessieren und aufgrund ihres Interesses dann zwei Wochenstunden Chemie beispielsweise mit denjenigen gemeinsam lernen müssen, die weder begabt noch interessiert sind. Ihre Antwort jedenfalls haben Sie auf der Pressekonferenz Ende Juni gegeben. Sie lautete lapidar: Die anderen können dann auf ein so genanntes Paragraf-4-Gymnasium gehen. Dabei haben Sie verschwiegen, dass die dortigen Aufnahmeprüfungen bereits vor der 5. Klasse erfolgen. Wer zu diesem Zeitpunkt den Anforderungen nicht gewachsen ist, für den ist es dann aus. Welch eine Vergeudung von Ressourcen!

(Beifall des Abg. Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE)

Wissenschaftliche Erkenntnisse über die speziellen Begabungen von Mädchen und Jungen und die daraus folgenden Erfordernisse – gerade im naturwissenschaftlichen Bereich – werden in Ihrem Konzept auch nicht ansatzweise berücksichtigt.

Herr Flath, es beunruhigt mich auch, wenn Sie oder der von Ihnen hinzugezogene Prof. Wiedemann vom Verband Deutscher Ingenieure in Ihren öffentlichen Verlautbarungen irgendwie mitklingen lassen, das Abwählen von bestimmten unbequemen Fächern sei eine Art Drückebergerei oder lediglich ein notenoptimierendes Verhalten von karrieregeilen Schülern. Ich frage mich, ob Sie Schülern in diesem Alter überhaupt eigene Kompetenzen zugestehen. Jugendliche sind bis zum Ende ihrer Kindheit in der Regel sozial gefestigt. Bis dahin benötigen sie einen Klassenverband, aber danach ist der Einstieg in die Selbstständigkeit wichtig, und zwar nicht nur im Hinblick auf die Nützlichkeits- oder ökonomischen Verwertungs

kriterien, sondern weil eine vertiefte Allgemeinbildung nicht nur Allgemeinwissen ist, sondern auch soziale und Entscheidungskompetenzen beinhaltet.

Das Vorgehen, wie Sie diese so genannte Reform durchziehen wollen, lässt mich allerdings vermuten, dass Sie gerade auf diese Entscheidungskompetenzen relativ wenig Wert legen. Kurz vor Beginn der Prüfungen an den Gymnasien verschickten Sie einen Brief an die Schulen, informierten als Nächstes die Presse von Ihren Ergebnissen und räumen gnädigerweise einen Diskussionszeitraum bis Ende Juli ein. Ich frage mich, woher diese Eile kommt.

Ich erinnere mich ganz fatal an die Abschaffung des Unterrichtsfaches Astronomie. Genau wie damals soll eher im Hinterstübchen eine weit reichende Veränderung per Verordnung durchgepeitscht werden, die zwar nicht gleich umgesetzt wird, aber zum Zeitpunkt der Umsetzung berufen Sie sich auf das abgeschlossene Scheinbeteiligungsverfahren und verweigern jegliche weitere Diskussion. Damit kommen Sie diesmal nicht durch. Es reicht auch nicht, wenn Ihr Koalitionspartner jetzt in der Presse verbreitet, dass die Bildungsexperten von CDU und SPD demnächst die Köpfe zusammenstecken wollen. Entscheidend ist doch, was das Ergebnis dieser Zusammenkunft sein soll!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie haben allerdings die Chance, dieser erneuten Blamage zu entgehen, indem Sie unserem Antrag, den wir hiermit einbringen, zustimmen. Unser Antrag wird sowohl den Anfang Juni verabschiedeten Rahmenbedingungen der Kultusministerkonferenz gerecht, schöpft sie allerdings in einer anderen Richtung aus, als Sie es tun. Andererseits trägt er auch den natürlichen und unbestrittenen demografischen Herausforderungen Rechnung.

Auch uns ist klar, dass man bei den insgesamt sinkenden Schülerzahlen nicht jeden Grund- und Leistungskurs an jedem Gymnasium erhalten kann. Wir sagen allerdings – das unterscheidet uns von der CDU –, dass wir eine viel höhere Abiturquote als bislang brauchen. Wir schlagen deshalb ein ganzheitlich orientiertes System vor, das die gymnasiale Oberstufe nicht isoliert von der einen oder anderen Schulform betrachtet. Im Mittelpunkt unseres grünen Bildungsbegriffs stehen die Schüler und nicht die Anforderungen, die die Wirtschaft in wechselnden Zyklen stellt.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Abg. Julia Bonk, Linksfraktion.PDS)

Die Grundlage für die erforderlichen Kompetenzen – das, was Sie als Allgemeinwissen bezeichnen – muss in den ersten Jahren der Schule gelegt werden. In unserem Modell schließt daran eine flexible Oberstufe an, die den unterschiedlichen Begabungen der Schülerinnen und Schüler gerecht wird. Entsprechend der individuellen Leistungsfähigkeit und den jeweiligen Vorkenntnissen können die Schüler selbst entscheiden, in welchem Tempo sie die Oberstufe durchlaufen wollen. Wir legen im

Einklang mit allen Praktikern allergrößten Wert auf größtmögliche Wahlmöglichkeit und Vielfalt. Wo dies an einzelnen Schulen nicht möglich ist, muss geprüft werden, ob Oberstufenverbünde oder Oberstufenzentren ein geeignetes Mittel für die Erhaltung des Kurssystems sind.

Dass das auch im ländlichen Raum funktioniert, zeigt sich in Ansätzen beim Gymnasium Schkeuditz. Aus der Schulfusion zwischen den beiden Gymnasien Schkeuditz, Landkreis Delitzsch, und Markranstädt, Landkreis Leipziger Land, ging das Gymnasium Schkeuditz mit der Außenstelle Markranstädt hervor. Die Klassenstufe 11 beider Gymnasien hat seit 2003 gemeinsame Kurse in den Fächern Chemie und Physik. Diese Kurse finden in Schkeuditz statt und betreffen zirka zehn Schüler. Der Bustransfer wird vom Schulträger getragen.