Protocol of the Session on July 19, 2006

Auch mit Punkt 2 Ihres Antrages können wir nicht konform gehen. Grundsätzlich könnten wir mit einem einkommensunabhängigen Betrag für jedes Kind mitgehen, also Sie unterstützen, entspricht es doch unserem liberalen Bürgergeld. Doch mit der geforderten Aufhebung der Anrechnung des Kindergeldes auf das Arbeitslosengeld II wird eben nicht mehr nur der Lebensunterhalt abgedeckt.

Ein Ergebnis der Anhörung zum FDP-Antrag zur Einführung eines Familiensplittings war, dass durch Kindergeld und weitere direkte Zuschüsse die einkommensschwachen Familien in Deutschland zwar finanziell wesentlich besser gestellt sind als ihre Nachbarn im familienfreundlichen Frankreich; es ist jedoch fraglich, inwieweit in diesem Bereich ein weiterer Ausbau der finanziellen Leistungen für die betroffenen Kinder oder die Familien tatsächlich etwas bringt.

Viel besser – da kann ich dem Antrag der Linksfraktion im letzten Punkt zustimmen – ist die Priorität von Maßnahmen im Bereich der Kindertageseinrichtungen. Statt direkte Geldleistungen oder Steuervergünstigungen für die Betreuung der Kinder soll sich der Bund verstärkt für eine bessere Kinderbetreuung und letztlich für eine kostenlose Kindertageseinrichtung stark machen.

Der Änderungsantrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – darauf ist vorhin schon einmal kurz eingegangen worden – zur Abschaffung des Ehegattensplittings und zur Einführung einer Individualbesteuerung mit übertragbarem Höchstbetrag für Unterhaltsverpflichtete – sieht Eltern und Kinder als Unterhaltsgemeinschaft und nicht mehr als Erwerbs- und Wirtschaftsgemeinschaft an. Dies entspricht einem Familienrealsplitting, wobei der genannte jährliche Höchstbetrag offenbar als frei gewählte Größe der GRÜNEN beziffert wurde und auch nur für Ehe- und Lebenspartner, nicht aber für die Kinder benannt wurde. Dies geht ja nun gänzlich an einer Kinder- und Familienpolitik vorbei. Wir werden den Antrag daher ablehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Frau Herrmann, Sie sprechen wieder zum Abschluss für die Fraktion der GRÜNEN.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen. Der uns vorliegende Antrag der Linksfraktion.PDS greift in die Wunschkiste. Davon haben wir auch noch eine stehen. Ich würde auch gern hineingreifen. Er gleicht eher den Punkten aus einem Wahlprogramm als Ansätzen der zeitrealen Politik. Es wird in dem Antrag versucht, in unterschiedliche Gesetzeswerke und ins Steuerrecht einzugreifen. Verfassungsrechtliche Belange bleiben dabei unberücksichtigt.

Unsere Fraktion will Änderungen mit Augenmaß angehen und dabei nicht unbekümmert, gleichsam im Handstreich, in allen möglichen Gesetzen Veränderungen vornehmen, ohne die Auswirkungen zu diskutieren. Deshalb hätten wir uns gewünscht, diesen Antrag im Ausschuss zu diskutieren. Leider ist das nicht geschehen.

Zu Ihrem Punkt 3 – damit fange ich an: Dem steht das föderale System der Bundesrepublik entgegen, gerade im Zusammenhang mit der derzeit diskutierten Föderalismusreform.

Frau Herrmann, es gibt Fragebedarf?

Verehrte Frau Kollegin Herrmann! Können Sie sich vorstellen, dass ich mir gewünscht hätte, dass die GRÜNEN-Partei in ihrer doch siebenjährigen Regierungsbeteiligung an der Bundesregierung einen Schritt in die Richtung gegangen wäre, endlich den notwendigen Paradigmenwechsel in der Familien- und Gleichstellungspolitik einzuleiten? Vielleicht können Sie mir auch erklären, warum das nicht geschehen ist.

Liebe Kollegin! Wir sind einige Schritte in diese Richtung gegangen. Wenn Sie mir weiter zuhören, wird das auch deutlich werden.

Ich war beim föderalen System, das dem Punkt 3 Ihres Antrages entgegensteht. Es erschließt sich uns nicht ganz, warum wir einen neuen Zentralismus im Zusammenhang mit der Kinderbetreuung einführen sollen. Es gibt, wie Sie wissen, die GRÜNEN-Idee der Kinderbetreuungskarte für den Ausbau der Betreuung von unter Dreijährigen. Diese Kinderbetreuungskarte wollen auch wir – –

(Unruhe bei den Fraktionen)

Meine Damen und Herren! Bitte!

Diese Kinderbetreuungskarte, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen auch wir durch die Abschmelzung des Ehegattensplittings finanzieren. Aber durch diese Kinderbetreuungskarte werden die Bundesmittel über die Eltern an die Träger der Kitas weitergeleitet. Das ist ein Unterschied. Das hätten wir

diskutieren können. Vielleicht wären wir uns dabei nahe gekommen.

Zu Ihrem Punkt 2: Bei der einkommensunabhängigen bedarfsorientierten Kindergrundsicherung gibt es verschiedene Ansätze. Richtig ist: Im Steuerrecht erfolgt die Unterstützung für Kinder- und Kinderbetreuung nicht zielgenau. Entlastungen können nur Personen mit Erwerbseinkommen erlangen. Zudem erreicht die finanzielle Entlastung nicht direkt die betreuende Person, sondern den arbeitenden Partner. Das hat schließlich auch etwas mit Anerkennung zu tun.

Zum anderen müssen wir uns doch wirklich fragen, wie sinnvoll es ist, Familien über Steuern zu belasten und ihnen dann diese Belastung in Form von Geld auszugleichen. Darauf geht auch die Staatsregierung in ihrer Stellungnahme ein.

Ein Mix aus beidem kann nach unserer Meinung durchaus sinnvoll sein.

Sie sagen in Ihrem Antrag nichts über die Ausgestaltung der Kindergrundsicherung, und wir kaufen nicht die Katze im Sack. Außerdem sind wieder verfassungsrechtliche Fragen berührt.

Die GRÜNEN-Idee – das wissen Sie auch – ist der Kinderzuschlag und der soll so verändert werden, dass er viel mehr Familien zusteht und vor dem Abrutschen in den Hilfebezug schützt. Damit wird die Eigenständigkeit von Familien erleichtert und betont. Kinder dürfen kein Armutsrisiko sein. Darin sind wir uns sicher einig.

Nun zum Ehegattensplitting: Was es bedeutet, darauf mag ich jetzt hier nicht eingehen. Das kann jeder nachlesen, der es nicht weiß. Die Splittingvorteile aus dem Ehegattensplitting bevorzugen Kinder in der so genannten intakten Ehe gegenüber allen anderen Kindern. Wird dieses Modell in den heutigen Situationen den Familien und den damit verbundenen Anforderungen noch gerecht? Ein Blick in den Siebten Familienbericht der Bundesregierung: Dort wird sehr deutlich, wie wichtig es zunehmend für die Zukunft von Familie wird, dass wir uns in der Gesellschaft an einem neuen Familienbild orientieren. Es ist doch deutlich, was die Partner wollen: Beide wollen mit gleicher Notwendigkeit und gleicher Berechtigung beruflich engagiert sein. Beide wollen auch mit gleicher Notwendigkeit und Berechtigung in der Familie aktiv sein. Das heißt dann aber, dass Familienpolitik immer Gleichheitspolitik sein muss, denn etwas gibt es nicht mehr: das Familienmodell, nach dem der Mann die Rolle des Verdieners übernimmt und das der Frau die sozialen Aufgaben, überträgt;

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

bestenfalls in der Vergangenheit – mit dem Zusatz, dass Vater auch erziehen und Mutter auch hinzuverdienen darf.

Die Analysen im Siebten Familienbericht zeigen demgegenüber deutlich, dass es bisher durch die familiären Unterstützungsformen nicht gelungen ist, Familie neu im

geänderten Lebenslauf der Geschlechter zu ermöglichen. Es ist falsch, wenn Familienpolitik weiterhin auf asymmetrische Verhältnisse zwischen den Geschlechtern setzt. Wir brauchen gleiche Chancen für beide Partner und Wechselmöglichkeiten in Konstellationen innerhalb der Familien. Das ist auch die beste Prävention gegen Kinderarmut.

Nun wieder ein Blick zum Ehegattensplitting: Nur wer verheiratet ist, kann begünstigt werden. Der Splittingvorteil ist an die Ehe und nicht an die Kinder gebunden. 43 % der Ehen, die vom Splitting profitieren, sind heute kinderlos. Aber das Splitting führt demgegenüber zu Mindereinnahmen von schätzungsweise 20 Milliarden Euro im Jahr. Wollen wir das?

Das Ehegattensplitting geht nicht nur an der Wirklichkeit vorbei. Es ist definitiv auch kein geeignetes Instrument der Familienförderung mehr. Wir müssen uns passendere Unterstützungsformen überlegen. Dazu gehört nach unserer Meinung, Kinder unabhängig vom Familienstand zu fördern und ihnen ausreichende Bildungsangebote in hoher Qualität zur Verfügung zu stellen. Wir als GRÜNE wollen hier insbesondere bei der Betreuung der unter Dreijährigen mehr Geld ausgeben. Durch eine Abschaffung des Ehegattensplittings würden dem Staat also Mehreinnahmen von zirka 20 Milliarden Euro für diesen Zweck zur Verfügung stehen.

Gleichzeitig – das ist der Gegensatz zu Ihren Vorstellungen – müssen aber verfassungsrechtliche Vorgaben beachtet werden. So sind insbesondere die gesetzlich auferlegten Unterhaltspflichten zu berücksichtigen. Deshalb legt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Individualbesteuerung mit übertragbarem Höchstbetrag vor. Dazu ist unser Änderungsantrag eingereicht. Mit dieser Individualbesteuerung mit übertragbarem Höchstbetrag schlügen Mehreinnahmen beim Staat mit vier bis fünf Milliarden Euro im Jahr zu Buche. Diese eingesparten Mittel sind dann den Familien vorzubehalten.

Danke schön.

(Beifall bei der GRÜNEN)

Die einreichende Fraktion hat angekündigt, zwei Redner ins Rennen zu schicken. Frau Werner, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwei Vorbemerkungen möchte ich machen. Als Erstes zu Frau Schwarz. Ich war ein bisschen enttäuscht, weil ich von Ihnen als gleichstellungspolitische Sprecherin ein paar andere Bemerkungen erwartet hätte. Sie wissen genau: Die Abschaffung des Ehegattensplittings ist nicht nur Familienpolitik, sondern vor allem auch Gleichstellungspolitik von Männern und Frauen, aber auch von Lebensweisen und Lebensformen.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS – Dr. Gisela Schwarz, SPD, steht am Mikrofon.)

Frau Werner, gestatten Sie eine Zwischenfrage von der angesprochenen Frau Dr. Schwarz?

Frau Kollegin Werner, können Sie nachvollziehen, dass ich hier nicht für mich persönlich, sondern für die Fraktion gesprochen habe? Ich denke, es ist auch bei Ihnen so, dass man die Meinung der Mehrheit in der Fraktion darstellt.

Das nehme ich zumindest zur Kenntnis.

Zu Herrn Petzold möchte ich Folgendes sagen: Wenn Sie unseren Antrag ablehnen, ist mir ehrlich gesagt nicht bange. Wir müssen feststellen, dass in Ihrer Fraktion sowohl die Kinderzahl als auch die Ehequote besonders gering ist. Ich denke, es gibt dafür gute Gründe, weil sich die Frauen auf diesen Quatsch der ewig Gestrigen nicht einlassen wollen.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS, den GRÜNEN und des Abg. Martin Dulig, SPD – Widerspruch bei der CDU)

Deswegen lade ich Sie auf meinen Osterspaziergang ein. Von dem würde ich Ihnen gern erzählen. Da können wir einen Blick auf diese aus Ihrer Sicht, Herr Petzold, so krankhaften Familien- oder Lebensformen werfen,

(Unruhe bei der CDU)

die aber aus meiner Sicht sehr, sehr lebenswert und mit sehr viel Freude verbunden sind.

Also: Wir haben uns mit Freunden zum Osterspaziergang verabredet. Das waren vier Familien mit Kindern. Da war zum einen ich mit meinem Freund und meinen beiden Kindern, die die einzigen Vollgeschwister waren und die auch Glück haben, weil der Vater sich sehr in der Betreuung engagiert und meine Kinder drei Tage in der Woche bei ihrem Vater leben. Da waren weiterhin meine Freundinnen, deren Namen ich geändert habe. Da war also die Helene mit ihren zwei Kindern von zwei Vätern, die jetzt mit einem neuen Mann zusammenlebt. Sie erwarten ein gemeinsames Kind.

(Unruhe bei der CDU – Glocke des Präsidenten)

Da war meine Freundin Jenny, allein erziehend, auch zwei Kinder, von zwei Vätern, die sich beide nicht um die Kinder kümmern.

(Gelächter bei der CDU und der NPD)

Da waren meine Freundinnen Klara und Rosa, die zusammenleben und einen gemeinsamen Sohn haben. Wir wollten am Steinbruch Picknick machen. Wer mit Kindern lebt, weiß, dass das nicht so einfach losgeht. Wir hatten erst einmal Streit. Es gab Stress, aber es war ganz gut möglich, diesen zu lösen, weil wir alle irgendwie auch beziehungserfahren sind und gelernt haben, Konflikte zu lösen.