Gestatten Sie an dieser Stelle noch einen Schwenk zur aktuellen Bundespolitik: Das im letzten Jahr vom Bundestag verabschiedete Antidiskriminierungsgesetz der rotgrünen Koalition fiel, wie Sie wissen, der Diskontinuität anheim. Es liegt nun ein allgemeines Gleichbehandlungsgesetz vor. Dieses folgt im Grundsatz dem rot-grünen Ansatz. Das heißt, niemand darf wegen seiner ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität benachteiligt werden. Es ist auch ein grüner Erfolg, dass sich nach der SPD nun auch CDU und CSU auf diese Position hinbewegt haben.
Antidiskriminierungsgesetze und Gleichstellungsgesetze funktionieren nicht dadurch, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass es viele Prozesse gibt, sondern sie funktionieren, weil sie ein Leitbild für einen respektvollen Umgang miteinander liefern.
Nun wieder zurück zum Sächsischen Gleichstellungsgesetz, das bekanntermaßen „Integrationsgesetz“ heißt. Warum eigentlich? Integration bedeutet doch, dass vorher ein Ausschluss stattgefunden hat. Schließen sich Menschen mit Behinderung selbst aus? Sind sie quasi aufgrund ihres Handicaps automatisch ausgeschlossen? Oder werden sie durch uns als Gesellschaft und durch jeden Einzelnen von uns ausgeschlossen – durch Blicke, dumme Sprüche, unüberlegtes Handeln? Und das trotz des Zitats, das immer so gut klingt: Es ist normal, verschieden zu sein!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will in diesem Zusammenhang an einen Antrag der GRÜNEN erinnern, und zwar an den zur Frühförderung. In der frühen Kindheit liegen die größten Chancen dafür, dass ein Handicap eben keine Behinderung fürs Leben wird. Im Eckpunktepapier zur Fortentwicklung des SGB IX der letzten Koalition im Bund vom Januar 2005 heißt es: „Die Erbringung von Teilhabeleistungen ist als Komplexleistung auszubauen.“
Die Erfahrungen der Finanzierung von Komplexleistungen, insbesondere im Bereich der Frühförderung, zeigen aber auch, dass eine kombinierte Finanzierung der trägerübergreifenden Leistung von den beteiligten Leistungsträgern noch nicht bewältigt worden ist. Auch die Rahmenvereinbarung, die es zwischen den Leistungsträgern in Sachsen seit dem letzten Jahr gibt, macht darin keine Ausnahme, zum Beispiel im Hinblick auf die so genannten Korridorleistungen.
An dieser Stelle muss ich Ihnen gestehen, dass auch eine Redezeit von zehn Minuten für dieses Thema bei Weitem nicht ausreicht. Deshalb möchte ich folgende Gesichts
punkte nur stichpunktartig anfügen, ohne vollständig zu sein – es sind Punkte, die für mich persönlich ebenfalls noch sehr wichtig sind –: Übergang von Schule zu Ausbildung und Beruf für junge Menschen mit Behinderung, Unterstützung des ehrenamtlichen Engagements.
Es wird, liebe Kolleginnen und Kollegen, in Zukunft immer mehr ältere Menschen mit Behinderung geben. Wie gehen wir damit um? Wie können Familie, Freunde und Angehörige, zum Beispiel auch Geschwisterkinder, besser einbezogen und unterstützt werden? Wie flexibel reagieren wir überhaupt auf Veränderungen in der Gesellschaft, auch bei der Einbeziehung der Probleme von Menschen mit Behinderung? Denken Sie an das persönliche Budget, denken Sie an die Diskussion um Assistenz!
Eigentlich wollte ich noch etwas zitieren, was Eltern über ihre Erfahrungen in Ämtern und Behörden erlebt haben. Ich verweise Sie aber auf eine Studie des Instituts für Arbeitsmedizin und Sozialmedizin der Universität Leipzig, die der Freistaat Sachsen herausgegeben hat. Sie heißt „Lebenswelten“. Sie werden darin vieles entdecken, was das Leben von Menschen mit Behinderung in unserer Gesellschaft ausmacht. Es geht dabei um Erfahrungen, die die Betroffenen und ihre Familienangehörigen machen. Ich glaube, daraus können wir viel für unser politisches Handeln ableiten.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ursprünglich wollte ich unseren Entschließungsantrag erst im Prozess der Abstimmung einbringen. Ich denke aber, es ist sinnvoller, wenn ich jetzt das Wort nehme, zumal unser Antrag, ohne dass wir ihn eingebracht haben, bereits Gegenstand der Debatte gewesen ist.
Zunächst einmal bedauere ich es, verehrte Damen und Herren der Koalition – und das wirft schon einen gewissen Schatten auf unsere ansonsten sehr konstruktive Debatte –, dass wir es erneut mit zwei Entschließungsanträgen zu tun haben, sodass wir uns dann verständigen müssen, wie wir damit umgehen. Ich will nicht hoffen, dass Sie von vornherein Ihre Zustimmung lediglich an Ihren Antrag binden, zumal – das wiederum halte ich für sehr sinnvoll – die Positionen, die in beiden Anträgen vertreten werden, zum großen Teil übereinstimmen, was nicht schlecht sein muss.
Einige Anmerkungen zu unserem Entschließungsantrag: Ja, die Situation behinderter Menschen in Sachsen ist differenziert einzuschätzen. Das hat auch Prof. Schneider getan und das halte ich für richtig. Weil wir in der Vergangenheit gelegentlich kontroverse Debatten über unser Geschichtsverständnis geführt haben, haben wir ausdrück
lich, bewusst und in voller Überzeugung gewürdigt, was sich zum Positiven verändert hat. Das haben wir ganz bewusst an die Spitze gestellt. Aber – und das füge ich an eine Bemerkung von Prof. Schneider an – wir sollten nach 16 Jahren deutscher Einheit inzwischen auch in der Lage sein, das, was zu DDR-Zeiten an Behindertenpolitik geschehen ist, differenzierter zu beurteilen, als es gelegentlich in diesem Hause geschieht.
Ich will es dabei belassen, ohne ins Detail zu gehen, was ich auch am Beispiel der eigenen Person sehr gut könnte, wie Sie wissen.
Das Zweite, was ich deutlich machen möchte: Ja, wir sind bei der integrativen Betreuung und Bildung erheblich vorangekommen. Das muss man erst einmal nüchtern feststellen. Aber gegenwärtig scheint es eine gewisse Stagnation zu geben. Das hat Horst Wehner deutlich gemacht. Hier, meinen wir, sind weitere Anstrengungen nötig, auch Anstrengungen, die eine Gefahr der Kommunalisierung, wie wir sie demnächst in weiteren Schritten erleben werden, bannen, sodass dort keine Schwierigkeiten bestehen, wenn die finanziellen Mittel, die zum Teil, um integrative Bildung zu ermöglichen, erheblich sind, nicht ausreichend fließen.
Auch das haben wir deutlich gemacht: Ja, es hat eine Erhöhung der Beschäftigungsquote Schwerbehinderter gegeben. Das erkennen wir an.
Von Anfang an, ja. Sie haben Ihren Vorvorgänger noch um 3 % übertroffen. Das können Sie sich wirklich positiv ins Stammbuch schreiben.
Aber wir sagen auch: Die Zahl der arbeitslosen Schwerbehinderten hat sich innerhalb von zehn Jahren verdoppelt, also sind weitere Anstrengungen nötig. Ich denke, darin stimmen wir überein.
Ein Punkt, in dem wir unterschiedlicher Meinung sind – und das konnten Sie auch nicht anders erwarten, ist folgender: Wir hatten vor reichlich zwei Jahren hier eine Debatte um ein Gleichstellungsgesetz. Diese war nicht so euphorisch, sie war durchaus kontrovers. Wir meinen, dass das, was dann von der damaligen Mehrheit als Integrationsgesetz beschlossen wurde, nur ein allererster Schritt sein kann.
Wir sind der Meinung, dass ein dringender Novellierungsbedarf besteht. Da schließe ich mich dem an, was Frau Herrmann hier angemahnt hat. Daher ist dieses Gesetz eben keine bedeutende Errungenschaft, wahrlich nicht, und da unterscheiden wir uns in unserer Auffas
sung. Möglicherweise war das auch der Anlass, um seitens der CDU und der SPD einen eigenen Entschließungsentwurf vorzulegen.
Ich möchte nicht versäumen, mich für die bisherige Debatte zu bedanken, auch für die vielen übereinstimmenden Elemente unserer Debatte. Ich möchte mich – auch das will ich sagen – zuallererst und vornehmlich bei denen bedanken, die die heutige Debatte mit vorbereitet haben. Denn wir haben sehr wohl die Antworten der Staatsregierung zu unserer Großen Anfrage in einer Expertenberatung innerhalb unserer Fraktion mit vielen Verbänden diskutiert und dort entstand ein sehr differenziertes Bild. Aber – auch das will ich zum Abschluss sagen – es war ein Bild, von dem man sagen kann: „Das Glas ist halb voll“ und nicht, wie Sie vielleicht von mir gelegentlich auch gehört haben, dass es halb leer ist.
Es ist also durchaus Anlass zu einem positiven Einhalten, aber es besteht in den nächsten Jahren noch erheblicher Handlungsbedarf. Deswegen haben wir, ohne dass ich das jetzt noch begründen will, im zweiten Teil unserer Entschließung auf eine Reihe von Positionen abgestellt, die wir der Staatsregierung als Empfehlungen mit auf den Weg geben wollen.
Möchten noch andere Fraktionen in die Debatte einsteigen? – Das ist nicht der Fall. Frau Staatsministerin Orosz, Sie erhalten das Wort. Bitte.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Ich darf mich im Voraus herzlich für die sehr objektive Debatte bedanken und darf auch meinen Ausführungen vorwegnehmen, dass es in der Tat noch viel zu tun gibt. Aber das spricht nicht dagegen, Herr Dr. Pellmann, zu sagen, dass wir in der Vergangenheit, in den von Ihnen zitierten 16 Jahren, schon viel geleistet haben und dass es auch gemeinsame Erfolge sind.
Ich nehme auch die Argumentation von Frau Herrmann gern auf, die der Meinung ist, dass das Motto des Europäischen Jahres der Menschen mit Behinderungen „Nichts über uns ohne uns!“ für die Politik der GRÜNEN steht. Ich maße mir an zu sagen, dass es auch für die Politik der Sächsischen Staatsregierung und damit der CDU und der SPD steht.
Wir haben – es sei mir gestattet, das voranzustellen – in den letzten 16 Jahren in der Tat eine eklatante Veränderung, und zwar eine erheblich positive Veränderung, im Behindertenbereich gemeinsam gestalten können. Es sei mir erlaubt, das nur an einer Zahl deutlich zu machen: Wir haben in den letzten 16 Jahren 800 Millionen Euro allein investiv für Neubauten und Sanierung von Wohnheimen für Behinderte, aber auch anteilig für die Finanzierung von Werkstätten ausgegeben. Ich glaube, das ist ein beredter Beweis dafür, dass es tatsächlich vorangeht.
Ich darf hier auch bewusst darauf hinweisen, dass das nicht der Erfolg einer Einzelleistung ist, sondern dass sich alle Beteiligten im System zusammengetan und diesen Prozess konstruktiv gestaltet haben. So gab es seit 1991 eine interministerielle „Arbeitsgruppe Menschen mit Behinderungen“, die sich von Anfang an sehr engagiert für Veränderungen im Freistaat eingesetzt hat. Ich möchte – auch aufgrund des Zeitvolumens, das mir zur Verfügung steht – nur einige Schwerpunkte nennen: die Errichtung der „Stiftung Sächsische Behindertenhilfe – Otto Perl“, nach wie vor ein Novum in Deutschland; die öffentliche Förderung der offenen Hilfen für Menschen mit Behinderungen sowie der Landesverbände der Behindertenselbsthilfe und chronisch kranker Menschen; den Aufbau der Beratungsstellen, Beratungsstellen nicht nur bezüglich Beratung für Behinderte zu den Fragen „Wo gibt es Hilfsmöglichkeiten? Wo kann man bei Antragsverfahren helfen? Wo gibt es finanzielle Förderung?“, sondern auch Beratungsstellen für barrierefreies Planen und Bauen.
Frau Schütz, es sei mir an dieser Stelle nur für Sie noch einmal folgender Hinweis gestattet. In Ihrer Argumentation hatten Sie deutlich darauf hingewiesen, dass es nicht ausreichend Beratungsstellen gibt, und Sie bezogen sich mit Recht auf unser Papier. In der Stellungnahme werden nur die Beratungsstellen kenntlich gemacht und aufgezählt, die finanzielle Förderung durch den Freistaat erhalten. Aber ich denke, ich kann Ihnen glaubhaft vermitteln, dass es darüber hinaus noch viele andere gibt, die in anerkennenswerter Weise von freien Trägern finanziert werden, mehr als die, die Sie hier genannt haben. Auch die Bereiche, die Landkreise, die Sie als defizitär dargestellt haben, haben eigene Beratungsstellen. Ich kann des Weiteren auf die Einrichtung einer Landesdolmetscherzentrale für Gehörlose und die gesetzliche Einführung eines Nachteilsausgleichs für blinde, gehörlose und schwerstbehinderte Kinder verweisen.
Meine Damen und Herren! Im Jahr 1998 wurde der heute schon zitierte Landesbeirat für Behindertenfragen als Nachfolger der eben genannten interministeriellen Arbeitsgruppe eingesetzt. Im Jahr 2004 – auch darauf möchte ich noch einmal kurz eingehen – wurde in diesem Hohen Hause das Sächsische Integrationsgesetz verabschiedet und in der Tat erst ein Jahr später der Beauftragte der Sächsischen Staatsregierung eingesetzt. Ich darf auch hier noch einmal auf die vorgebrachte Kritik reagieren, dass das Zeiträume sind, die aus Ihrer Sicht nicht gerechtfertigt sind. Aber, meine Damen, Frau Herrmann und Frau Schütz, wenn Sie im Vorfeld der Meinung sind, nach dem Motto zu agieren „Nichts über uns ohne uns!“, dann müssen Sie einfach auch das nachvollziehen und Verständnis dafür aufbringen: Wenn wir uns mit den Behindertenverbänden und -vereinen auch in diesen Dingen kommunikativ auseinander setzen, dann ist eine solche Festlegung, dann ist eine solche Personalentscheidung zum Beispiel nicht in drei Monaten zu gestalten. Auch darauf möchte ich an dieser Stelle noch einmal hinweisen.
Ich darf hier auch auf die Fragen aus den unterschiedlichen Redebeiträgen eine Antwort geben. Die von Ihnen
mit Recht angesprochenen noch fehlenden Rechtsverordnungen werden noch in diesem Jahr kommen, sodass ich hoffe, dass dann eine gewisse Zufriedenheit bei Ihnen vorhanden sein wird – es geht aber tatsächlich um den Anspruch der Damen und Herren, mit diesen Rechtsverordnungen auch ihre Rechtsverbindlichkeiten anzumelden –, sodass wir dann wiederum einen Meilenstein hinter uns gebracht haben werden.
Die Große Anfrage der Linksfraktion.PDS hat uns darüber hinaus – da hatte ich das Gefühl, dass in den Redebeiträgen Einigkeit bestand – die Möglichkeit gegeben, ein Resümee der Arbeit der vergangenen 15 Jahre zu ziehen. Ich glaube auch, erkennen zu können, dass wir uns darüber grundsätzlich einig sind. Aber es ist in der Tat so, dass wir mit der Verabschiedung des Integrationsgesetzes 2004 noch lange nicht am Ende sind, Herr Wehner und Herr Dr. Pellmann. Wir sind gleichauf im Verständnis und ich kann an dieser Stelle sagen, dass wir uns bemühen, auch in den nächsten Jahren noch den einen oder anderen notwendigen Schritt dynamisch zu gehen.
An einer anderen Stelle wird von Ihnen kritisiert, dass das Gesetz ähnlich dem Bundesgesetz, das von Frau Herrmann als Erfolg der Politik der GRÜNEN angesprochen worden ist, nur auf den Bereich der Verwaltungsbehörden des Freistaates beschränkt ist. Frau Herrmann, das Bundesgesetz ist es auch, nur eben auf den Bereich der Bundesbehörden. Wenn Sie das für gut halten, dann würde ich gern auch das Verständnis von Ihnen haben wollen, dass das Landesgesetz, das Gleiches tut, auch gut ist.
Meine Damen und Herren! Die Landkreise und die Gemeinden müssen – das darf ich an dieser Stelle deutlich sagen – in ihrer Verantwortung Regelungen treffen. Es kann nicht sein, dass die Vertreter im Hohen Haus immer wieder berechtigt auf die Selbstverwaltung der Kommunen hinweisen, aber in einzelnen gesellschaftlichen Bereichen, in denen es Verantwortung zu übernehmen gilt, darauf zurückkommen, die Verantwortung eher in Richtung des Freistaates zu schieben.
Wir müssen schon alle gemeinsam ein ausgewogenes Verhältnis von Verantwortung tragen. Das gilt natürlich auch für die Kommunen.