Protocol of the Session on June 22, 2006

Herr Tillich, in diesem Satz werden Sie mir zustimmen müssen, da es keine geringere als Ihre amtierende Bundeskanzlerin war, die gesagt hat, wir brauchen ein KyotoPlus.

Die Einhaltung des sächsischen Klimaschutzprogramms gibt nicht einmal annähernd die Richtung vor, in die wir uns bewegen müssen. Auf gut Deutsch muss man formulieren: Wir müssen uns beim Klimaschutz anstrengen, und zwar richtig und wesentlich mehr. In dem Augenblick, in dem wir uns der Aufgabe stellen, das notwendige 80-%Ziel der Minderung bis 2050 in Angriff zu nehmen, geht es nur noch ohne Braunkohle. Wir müssen die Pro-KopfEmissionen in Sachsen von heute 13 Kilogramm auf 2,5 Kilogramm senken. Dies ist mit der Braunkohle nicht zu schaffen. Allein der neue Block in Boxberg sorgt für eine Pro-Kopf-Emission von 1,2 Kilogramm für jeden Sachsen und jede Sächsin.

Ihre Politik, Herr Staatsminister Tillich, zielt in eine andere Richtung. Obwohl das Wissen um den Klimawandel in Ihrem Hause vorhanden ist, wollen Sie die Braunkohle im Wettbewerb besser stellen. Dies zeigt Ihre Stellungnahme zum Nationalen Allokationsplan. Geht es nach Ihnen, darf die Braunkohle pro Kilowattstunde 830 Gramm Kohlendioxid emittieren, und zwar kostenlos, es ist eine kostenlose Zuteilung.

Rechnen wir einmal alles zusammen, was Sie, Herr Staatsminister, für Vattenfall Gutes tun wollen, kommen wir zu folgendem Ergebnis: 14 Jahre Freistellung – so der Allokationsplanentwurf der Bundesregierung – für fünf Millionen Tonnen zusätzliche CO2-Emissionen, das macht bei einem angenommenen Zertifikatspreis von 25 Euro pro Tonne die schöne Summe von 1,75 Milliarden Euro an geldwerten Zuteilungsrechten, die Sie für den neuen Block in Boxberg ausgeben wollen.

Wir haben dies einmal auf einen alternativen Kraftwerkspark und die leicht mögliche Energieeinsparung von 30 % umgerechnet. Ich glaube, Sie haben vor zwei Wochen in Ihrer Pressekonferenz noch einmal bestätigt, dass wir dieses Einsparpotenzial haben. Wenn wir 500 Megawatt in einem Mix auf der Basis von Gas, Biogas und Geothermie in der Grundlast erzeugen, kommen wir mit weniger als einem Drittel aus. Ihre Umsetzung des CO2Zertifikates ist nämlich nichts anderes als ein massiver Eingriff in den Wettbewerb. Im Grunde genommen bekommt Vattenfall das Kraftwerk von Ihnen über die Zertifikate geschenkt; und dies ist ein Punkt, der mir sehr wichtig ist. Wir argumentieren hier nicht nur klimaschutzpolitisch, wir argumentieren auch wettbewerbspolitisch, und spätestens bei diesen Zahlen sollte eigentlich jedem klar werden, dass Ihre Mär von der subventionsfreien Braunkohle, die Sie immer verbreiten, nichts anderes als Lug und Trug ist.

(Beifall der Abg. Astrid Günther-Schmidt und Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE)

Herr Staatsminister Tillich, Sie wissen ganz genau, dass das Klimaschutzprogramm des Jahres 2001 völlig über

holt ist und in seinen Zielvorgaben den Erfordernissen noch nicht einmal im Ansatz gerecht wird. Nach diesem Programm wollen Sie bis 2010 die Menge von jährlich 2,5 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Boxberg neu wird allein fünf Millionen Tonnen jährlich emittieren. An diesen beiden Zahlen wird das ganze Elend der so genannten sächsischen Klimaschutzpolitik sichtbar. Durch die Vorgaben von CDU/CSU und SPD für den Zertifikatshandel wird ein sinnvolles marktwirtschaftliches Instrument im Kampf gegen den Klimawandel ad absurdum geführt. Sie sorgen dafür, dass die klimaschädlichste Möglichkeit, Strom zu erzeugen, den Vorzug vor anderen, umweltfreundlicheren Technologien bekommt. Das ist klimapolitischer Unsinn und auch ökonomisch fatal.

Herr Staatsminister Tillich, man hätte ja vielleicht erwarten dürfen, dass Herr Jurk als Wirtschaftsminister – er ist immer noch nicht anwesend, ich bedaure dies weiter – hier für die Kohle und die immerhin 100 neuen Arbeitsplätze kämpft. Zu Ihrer Pressekonferenz: Sie haben zu Recht ausgeführt, die Erneuerbaren Energien waren die wachstumsstärkste Branche in Sachsen seit dem Jahr 2002. Sie haben gesagt, wir sind schätzungsweise im Jahr 2005 bei ungefähr 4 700 Arbeitsplätzen, Perspektive Ende 2006: 5 200. Was Sie nicht gesagt haben, wovon ich jedoch ausgehe, ist, dass diese Perspektive natürlich weiter besteht. Das müssen wir uns einmal auf der Zunge zergehen lassen. 5 200 werden wir Ende dieses Jahres haben. Die Tendenz wird nicht ganz so steil, sie wird jedoch weitergehen. Dann haben wir 50 bis 100 Dauerarbeitsplätze bei einem neuen Block. – Super, das sind Verhältnisse, und das Arbeitsplatzargument für die Braunkohle sticht wirklich!

Wir hätten eigentlich gedacht, dass Herr Jurk für diese 100 Arbeitsplätze, die so toll sind, kämpft und dass Sie im Gegenzug die Verantwortung für die Klimapolitik wahrnehmen. So ganz nebenbei hätten Sie dann Herrn Jurk noch die Arbeitsplatzwirkung, wie gerade eben, erklären können. Stattdessen kommt gerade aus Ihrem Hause mit Ihrer Unterschrift die Stellungnahme zum Nationalen Allokationsplan II, den das Unternehmen Vattenfall, abgesehen von Ihrem Vorschlag der Teilauktionierung – danke, da haben Sie einmal richtig gehandelt – nicht besser hätte schreiben können.

Das Schreiben an das BMU ist ansonsten eins zu eins das, was wir von Vattenfall persönlich erwartet hätten. Auf Jahre wird die Klimapolitik in diesem Lande mit dem neuen NAP II blockiert. Ans Netz werden Kraftwerke gehen, die mehr als doppelt so viel CO2 ausstoßen, wie technisch oder finanziell machbar ist.

Der Klimawandel, das ist bekannt, ist menschlich verursacht. Nach der Lektüre der Stellungnahme der Staatsregierung ist bei mir der Gedanke aufgekommen, dass er in Sachsen auch politisch gewollt ist. Dadurch, dass wir unseren Antrag modular in mehreren Punkten aufgebaut haben, besteht für alle Abgeordneten die Möglichkeit, sich in den Punkten 1 und 2 zu den klimapolitischen

Notwendigkeiten zu bekennen und sich damit ihrer Verantwortung zu stellen.

Ich beantrage daher punktweise Abstimmung und hoffe bei den Punkten 1 und 2 auf eine breite Mehrheit der noch anwesenden Mitglieder dieses Hauses.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Fraktion der CDU, vertreten durch Herrn Lehmann, bitte.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Nur nicht rechnen!)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Lichdi, ich habe mir vorgenommen, mich nicht zu echauffieren, das bringt nichts. Deshalb werde ich versuchen, Ihnen noch einmal zu erklären, wie die Klimapolitik und die Energiepolitik richtig funktionieren.

Für die Christenmenschen unter uns gibt es einen Kanon der Grundüberzeugungen. Eine davon ist: Es ist dem Menschen nicht gegeben, das Paradies auf Erden zu errichten. Auf die Energiepolitik übertragen bedeutet dies: Jegliche Erzeugung von für den Menschen bequemer, nutzbarer Energie ist mit erheblichen Risiken und Nebenwirkungen verbunden. Daher kommt es für uns darauf an, Chancen und Risiken klug gegeneinander abzuwägen und nicht wild drauflos zu polemisieren. Die drei Hauptparameter Versorgungssicherheit, Umweltverträglichkeit und Wirtschaftlichkeit müssen immer wieder neu ausbalanciert werden. Das ist ein dynamischer Prozess, der von der Nachfrage nach Elektroenergie, von den aktuellen technologischen Möglichkeiten und von der Akzeptanz der Menschen mitbestimmt wird.

Selten war die Situation interessanter als heute. Hirnschmalz ist gefragt! Die Patentrezepte der Vergangenheit sind dabei, in diesem dynamischen Prozess ihre Gültigkeit zu verlieren. Darum ist es wichtig, dass sich die Spitzengremien der Europäischen Union und der Bundesrepublik Deutschland intensiv und nachhaltig mit diesem Thema befassen. Eigentlich wäre für dieses höchst komplexe Thema eine Weltregierung das geeignete Gremium. Das steht uns, wie wir wissen, nicht zur Verfügung. Deswegen müssen wir uns auf unser eigenes Augenmaß verlassen.

In einem Punkt sind wir uns sicherlich über alle Fraktionen hinweg einig – ich schließe dort die GRÜNEN mit ein –: Aus der Steckdose muss jederzeit Strom kommen! Flächenhafte Abschaltungen und Stromrationierungen sind inakzeptabel. Das heißt, Strom muss auch bei bewölktem Himmel, bei Windstille und bei extremem Frostwetter in ausreichender Menge vorhanden sein.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Da kann man Biogas nehmen!)

Das versuchen Sie einmal bei minus 30 Grad! – Die Produktion der dafür notwendigen so genannten Grund

last erfolgt in Deutschland zu je 50 % durch die Verstromung von Kernbrennstoff und durch die Verstromung fossiler Energieträger.

Herr Lehmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Wenn ich damit helfen kann!

Ja, Herr Lehmann, auf meinen Hinweis, dass man bei Dunkelheit Biogas nehmen könnte, haben Sie gesagt: Versuchen Sie das bei minus 30 Grad! – Ich darf Sie fragen: War das eine Voraussage bezüglich der Entwicklung des Klimas in Deutschland in den nächsten Jahren?

(Unruhe)

Ich weiß jetzt nicht genau, ob wir nach Herrn Lichdi über Klimaerwärmung oder nach der PDS über Klimaabkühlung sprechen. Ich denke, ich verzichte darauf, diese Frage hier zu beantworten. Sie bringt uns nicht weiter. Spekulationen machen die Sache nicht besser.

Die Produktion – ich steige wieder in meinen Vortrag ein – der dafür notwendigen so genannten Grundlast erfolgt in Deutschland zu je 50 % durch die Verstromung von Kernbrennstoff und durch die Verstromung fossiler Energieträger. Fossile Energieträger sind Braunkohle und Steinkohle. Tatsache ist, dass beim gegenwärtigen Stand der Technik und unter der Prämisse, Herr Lichdi, dass aus der Steckdose immer Strom kommen soll, die vermehrte Nutzung von Wind- und Solarkraft nicht linear zu einer Verringerung der installierten Stromerzeugungskapazitäten in der Grundlast führt.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Nein!)

Wir werden also auf absehbare Zeit nicht auf das Vorhandensein und den Betrieb von Kohle- und Atomkraftwerken verzichten können.

(Beifall des Abg. Dr. Martin Gillo, CDU)

Die alternative Verwendung von Erdgas zur Stromerzeugung hieße, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben, und kann daher unter den Gesichtspunkten der CO2-Emission wie auch der Ressourcenschonung keine ernsthafte Alternative sein.

Die Frage ist nicht: Wollen wir uns in Zukunft Kohlekraftwerke leisten? Die Frage ist: Welche Kohlekraftwerke wollen wir uns in der Zukunft leisten? Die CDUFraktion in diesem Hohen Hause – ich denke, dort bin ich mit unserem Koalitionspartner deckungsgleich – hat hier eine klare Position: Aus Sachsen muss der sauberste Kohlestrom der Welt kommen!

(Beifall bei der CDU)

Indem wir im deutschen Maßstab alte, ineffektive und damit umweltbelastende Kohlekraftwerke durch neue, hocheffektive Anlagen ersetzen, leisten wir einen realen

Beitrag zur CO2-Reduktion. Das ist kein Glaubenssatz, das kann man ausrechnen.

Die Umweltfreundlichkeit moderner Kohlekraftwerke zeigt sich bei den Zahlen des existierenden Großkraftwerkes der VEAG Schwarze Pumpe: rund 91 % weniger Schwefeldioxid, 61 % weniger Stickoxid, 98 % weniger Staub und 31 % weniger Kohlendioxid im Vergleich zum stillgelegten Altkraftwerk.

4,5 Milliarden DM hat die VEAG in ihren ersten Kraftwerksneubau investiert. Der Neubau in Boxberg folgt diesem Vorbild und wird zum Erhalt des Energiemix in Sachsen einen wesentlichen Beitrag leisten. Im Vergleich zum alten Kraftwerk verringern sich die Werte bei Kohlendioxid in Boxberg um ein Drittel, bei Stickoxid um die Hälfte, bei Kohlenmonoxid um 30 % und bei Staub um 12 %. Bei Schwefeldioxid werden nur noch 3 % emittiert. Damit wird eine fast vollständige Entschwefelung erreicht.

Der Ersatz der Altanlagen durch neue Technik bringt also bereits einen nennenswerten Beitrag zum Klimaschutz. Ganz nebenbei leisten wir durch die Verwendung einheimischer Rohstoffe einen Beitrag zur nationalen Versorgungssicherheit mit Strom, bringen Wertschöpfung in die Region Weißwasser und zusätzliche Arbeitsplätze, auf die wir unter keinen Umständen verzichten wollen.

(Beifall bei der CDU)

Herr Lehmann, es gibt einen weiteren Wunsch, eine Zwischenfrage zu stellen. – Sie nicken.

Wenn ich helfen kann, bin ich immer bereit.

Frau Altmann.

Ich bezweifle zwar, dass Sie mir helfen können, ich stelle die Frage aber trotzdem:

Herr Lehmann, glauben Sie wirklich, dass es ausreicht, sich vor eine schwarze Wand zu stellen – genau das haben Sie bei dem Vergleich von alten und neuen Kohlekraftwerken getan –, um die dringend notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um den Klimawandel aufzuhalten? Sind Sie wirklich der Überzeugung, dass es keine Alternativen gibt als lediglich weniger schädliche Kohlekraftwerke?

Frau Kollegin, ich bin von meiner Ausbildung her Naturwissenschaftler und ich weiß, dass man sich jede Innovation teuer erkaufen muss und dass lange Versuche erforderlich sind, um am Ende erfolgreich zu sein. Wenn wir uns ganz kritisch das anschauen, was gegenwärtig technologisch möglich ist, können wir uns nur auf kleine Schritte festlegen. Die Riesenschritte, die Sie wünschen, sind gegenwärtig technisch überhaupt noch nicht zu sehen.

(Beifall bei der CDU)

Herr Lehmann, es bildet sich eine Minischlange.