Protocol of the Session on June 21, 2006

Die FDP-Bundestagsfraktion hat – wie die Linksfraktion – das Gesetz im Bundestag abgelehnt. Die Gründe hierfür unterscheiden sich größtenteils jedoch von denen der Linksfraktion. Vor diesem Hintergrund wird sich die FDP-Fraktion im Sächsischen Landtag bei der Abstimmung zum vorliegenden Antrag enthalten.

Die FDP-Fraktion ist selbstverständlich empört über die aktuelle Missbrauchsdebatte, die insbesondere von der SPD, konkret vom Bundesvorsitzenden der SPD,

Herrn Beck, losgetreten worden ist. Es war übrigens auch ein anderer SPD-Funktionär, Herr Clement, der im August 2005 eine Broschüre seines Ministeriums verbreiten ließ, die da hieß: „Vorrang für die Anständigen – Gegen Missbrauch, Abzocke und Selbstbedienung“. – So viel, meine Damen und Herren, zur Politik der SPD.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Oh! – Vereinzelt Beifall bei der FDP)

Bei einer Missbrauchsquote von 5 % geht die Zielsetzung des Gesetzes von CDU und SPD komplett am eigentlichen Thema vorbei. Das Thema ist, dass Hartz IV gescheitert ist. Wir brauchen jetzt eine Generalrevision des ganzen Komplexes. Das ist im Übrigen eine alte Forderung der FDP, die immer mehr Anhänger findet.

Ich darf an dieser Stelle Herrn Ministerpräsidenten Prof. Georg Milbradt in den „DNN“ vom 30. Mai 2006 zitieren: „Wir werden also ohne eine Generalüberholung des Systems nicht auskommen. Hier und da nur ein bisschen nachfeilen, das wird nicht reichen.“ Recht hat er, der Ministerpräsident.

(Beifall bei der FDP – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Aber er macht einfach nichts!)

Herr Porsch, Sie können mir gern eine Frage stellen, aber nicht immer reinquatschen.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Zwischenrufen ist gestattet!)

Das Scheitern von Hartz IV im ganzen Land ist jedermann offenkundig. Die Belastungen der öffentlichen Haushalte durch Hartz IV steigen von Monat zu Monat.

(Dr. Dietmar Pellmann, Linksfraktion.PDS, tritt ans Saalmikrofon.)

Herr Schmalfuß, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Jetzt nicht mehr.

(Heiterkeit bei allen Fraktionen – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Er gestattet nur mir Zwischenfragen!)

Kollege Porsch, Sie hatten die Möglichkeit.

Ich glaube, dass die Heiterkeit angesichts der vielen Hartz-IV-Empfänger nicht angebracht ist.

Im Jahr 2005 kostete allein das Arbeitslosengeld II statt der geplanten 15 Milliarden Euro fast 26 Milliarden Euro. Das ist eine Steigerung um 73 %. In diesem Jahr hat die Bundesregierung rund 24 Milliarden Euro eingeplant. Die letzten Prognosen lassen eine Erhöhung um drei Milliarden Euro erwarten.

Eine weitere Zahl zeigt die gesetzestechnische Unkalkulierbarkeit von Hartz IV auf: Von Januar 2005 bis Mai 2006, also innerhalb von nur 16 Monaten, ist die Zahl der Bedarfsgemeinschaften um mehr als ein Drittel

gestiegen, auf fast vier Millionen. Im selben Zeitraum ist die Arbeitslosigkeit im Gegensatz dazu um 9 % gesunken.

(Dr. Dietmar Pellmann, Linksfraktion.PDS: Durch Ein-Euro-Jobs!)

Hartz IV hat sich damit von der Entwicklung des Arbeitsmarktes und vom übrigen wirtschaftlichen Geschehen in Deutschland abgekoppelt. Es ist eine tickende Zeitbombe für alle öffentlichen Haushalte geworden.

Sehr geehrte Damen und Herren! Um es klarzustellen: Die Idee der Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe war richtig. Was aber CDU, SPD und die GRÜNEN – die waren damals an der Bundesregierung beteiligt – daraus gemacht haben, ist ein einziges Gemurkse.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der Linksfraktion.PDS)

Wenn zum Beispiel der Begriff der Bedarfsgemeinschaften so gestrickt ist, wie er im Gesetzestext definiert wurde, dann muss sich die Politik nicht wundern, dass die Anzahl der Bedarfsgemeinschaften explodiert ist.

Wenn Bundesagenturen und Kommunen per Dekret in ARGEn zusammengezwängt werden, dann verwundert es nicht, dass die ARGEn zum größten Teil mit sich selbst beschäftigt sind und zumindest im letzten Jahr nicht in der Lage waren, zur Verfügung stehende Finanzmittel zur Arbeitsförderung zu binden.

Hartz IV, meine sehr verehrten Damen und Herren, war von Anfang an zum Scheitern verurteilt,

(Beifall bei der FDP und der Linksfraktion.PDS)

weil es isoliert und am grünen Tisch konzipiert worden ist. Hartz IV kann die Arbeitslosigkeit nicht bekämpfen, da es selbst nicht einen einzigen Job schaffen kann, außer in den Arbeitsagenturen und in den ARGEn.

(Karl Nolle, SPD: Sehr richtig!)

Bleibt die Frage, wie es aus Sicht der FDP-Fraktion weitergehen soll. Ich möchte Ihnen drei wichtige Punkte nennen.

Erstens. Was wir brauchen, ist Vorfahrt für Arbeit. Was wir brauchen, sind Jobs, Jobs und noch mal Jobs, allerdings nicht mit Beschäftigungsprogrammen, wie die Linksfraktion in der Begründung ihres Antrags fordert. Alles, was die Schaffung von Jobs behindert, muss weggeräumt werden. Dazu gehören Jobkiller, wie die Mehrwertsteuererhöhung oder auch das Gleichbehandlungsgesetz, über das wir am Freitag in diesem Plenum sprechen werden.

(Dr. Dietmar Pellmann, Linksfraktion.PDS: Vorsicht, mein Lieber!)

Zweitens. Was wir weiterhin brauchen, ist ein großer Wurf, der alle staatlichen Transferleistungen in einer Hand zusammenfasst und nur von einer Behörde auszahlen lässt.

Wir brauchen das Bürgergeld. Gerade Hartz IV zeigt, wie notwendig es ist, das Bürgergeld einzuführen. Das ALG II ist eine von fast 140 steuerfinanzierten Sozialleistungen, die in Deutschland von unzähligen Behörden ausgezahlt werden.

Wie bei der Forderung nach einer Generalrevision freut es die FDP-Fraktion, dass auch diese Forderung von einem Ministerpräsidenten unterstützt wird. Der Ministerpräsident von Thüringen, Herr Althaus, hat sich am 7. Juni 2006 in einem Zeitungsinterview dezidiert für eine Diskussion in der CDU über das Modell des Bürgergeldes ausgesprochen.

Drittens. Abschließend brauchen wir in der Arbeitsverwaltung klare Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten. Aus Sicht der FDP-Fraktion ist dabei eine kommunale Trägerschaft mit der damit verbundenen Dezentralisierung der effizientere Weg. Jede – und das betone ich ausdrücklich – Beteiligung der Bundesagentur sollte zukünftig vermieden werden.

(Beifall bei der FDP)

Nur ein Gesetz, das die von mir genannten Kernelemente enthält, kann als Fortentwicklung bezeichnet werden. Das, was am 1. Juni 2006 im Bundestag beschlossen worden ist, sollte schnell wieder in der Schublade verschwinden.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der Linksfraktion.PDS)

Die Fraktion der GRÜNEN erhält das Wort. Frau Herrmann, bitte.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem so genannten Hartz-IV-Optimierungsgesetz verabschiedet sich die große Koalition von dem Grundgedanken der Hartz-IVGesetze, nämlich dem Konzept einer aktiven Sozialpolitik, die bewusst auf dem Gleichklang von Fördern und Fordern gesetzt hatte. Dabei stand das Fördern am Anfang. Insofern verstehe ich Herrn Brangs hier nicht, wenn er sagt, dass das Fördern jetzt stärker im Vordergrund stehen sollte. Das tut es mit diesem Gesetz keinesfalls. Die Kürzung der aktiven Arbeitsmarktpolitik und die Erhöhung des Drucks vor allem auf jugendliche Langzeitarbeitslose sind eine sehr kurzfristige Sparmaßnahme.

Hartz IV, liebe Kolleginnen und Kollegen, war Teil eines langfristigen Strategiewechsels hin zu einer aktiven Sozialpolitik. Die OECD schreibt dazu: „Es geht um eine Schwerpunktverlagerung bei den Prioritäten der Sozialprogramme. Während diese bisher vor allem darauf gerichtet sind, die Einzelnen gegen eine Zahl genau definierter Risiken abzusichern, sollte das Hauptaugenmerk künftig darauf liegen, in die Fähigkeiten der Menschen zu investieren und diese Fähigkeiten möglichst optimal zu nutzen.“

Prüfen Sie selbst, welche der Maßnahmen zur Optimierung von Hartz IV zur Umsetzung dieses Ziels geeignet ist.

Ein entscheidender Punkt für die Entstehung der nicht vorhersehbaren Kosten ist die wachsende Zahl der Bedarfsgemeinschaften. Da hat Herr Brangs Recht. Angeblich waren diese Bedarfsgemeinschaften das Einfallstor für den massenhaften Missbrauch. Diese Missbrauchsdebatte wurde in der Öffentlichkeit geführt und darauf, Herr Prof. Dr. Schneider, bezieht sich die Linksfraktion.PDS.

Die Bundesregierung hat mit den Optimierungsgesetzen jetzt den Auszug von jungen Erwachsenen unter 25 Jahren deutlich erschwert. Bis zum 25. Lebensjahr sollen junge Erwachsene weiter Teil der Bedarfsgemeinschaft der Herkunftsfamilie bleiben. Der Umzug von unter 25jährigen Kindern wird von der Zustimmung der Behörde abhängig gemacht, andernfalls können die Leistungen bis auf null gekürzt werden.

Wenn wir uns das vor dem Hintergrund von Familienpolitik anschauen, ist das schon sehr bedenklich. Wie sollen junge Menschen selbstständig werden, wenn sie bis zum Alter von 25 Jahren zu Hause die Beine unter den Tisch stecken?

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der Linksfraktion.PDS)

Das fördert natürlich auch keine Familiengründungen.

Aber auch die Eltern sehen sich dem ausgesetzt, dass Kinder bis zum Alter von 25 Jahren bei ihnen wohnen bleiben. Es gibt durchaus Eltern, die sehr froh darüber sind, wenn Kinder selbstständig sind – nicht, weil sie sie aus dem Haus werfen wollen, sondern weil das in diesem Alter die richtige Entwicklung ist und nicht, zu Hause zu bleiben.