(Beifall des Abg. Gunther Hatzsch, SPD) „Erstens. Der öffentliche Umgang mit Biografien muss der Menschenwürde verpflichtet sein. Eine nur selektive Kenntnisnahme von Lebensläufen und Lebensleistungen und ihre Bewertung unter dem Gesichtspunkt heutiger politischer Opportunitäten sind ungerecht, verhindern einen aufrichtigen Umgang mit der Geschichte und schaden dem inneren Frieden. Aus diesem Grund werde ich heute für diesen Antrag stimmen. Herr Hahn, was Sie hier gemacht haben, ist, dass Sie – fangen wir halbrechts an – versucht haben, alle in eine finstere Schmuddelecke zu stecken, und zwar aus Ihrer Ideologie heraus. Zweitens. Eine der Achtung der Menschenwürde verpflichtete Auseinandersetzung mit politischen Biografien ist unvereinbar mit Vorverurteilungen und Verletzungen von Grundrechten. Das Bekennen zu eigener Verantwortung und gegebenenfalls zu Schuld wird dadurch erschwert. (Beifall bei der SPD, der CDU, der FDP, den GRÜNEN und der Staatsregierung)
Hätten Sie auch nur ein Wort zum Inhalt des Ganzen gesagt – das hat nämlich bisher noch kein PDSAbgeordneter, seit wir diese Debatte führen, getan; noch nicht einer hat sich zum Inhalt geäußert. Drittens. Die Erfahrungen aus der Debatte um die Kontakte Manfred Stolpes zu staatlichen Stellen der ehemaligen DDR, auch zum Ministerium für Staatssicherheit, zeigen, dass eine oberflächliche Beurteilung, die allein am Maßstab formaler Kriterien vorgenommen wird, zu groben Ungerechtigkeiten führt.“ – Ende des Zitats.
Sie haben sich zum Verfahren geäußert, Sie haben sich zu politischen Konstellationen geäußert, Sie haben sich zu der Art und Weise geäußert, wie wir uns heute wahrscheinlich dreckig machen werden, und so weiter. Das ist alles gekommen. Eine Winzigkeit fehlt: Wie beurteilen Sie – einzelne Abgeordnete, einzelne Kollegen der PDSFraktion – das, was in dieser Beschlussvorlage steht? – Und zwar nicht: Wie beurteilen Sie irgendwelches Verfahren oder irgendwelche juristischen Dinge? – Das ist alles ganz wichtig, ich weiß. Das fehlt und das hat es bisher nicht gegeben.
Eingebracht wurde dieser Antrag von den Fraktionsvorsitzenden der CDU, der SPD, der FDP, von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS. Dieser Beschluss ist im Brandenburger Landtag einstimmig verabschiedet worden und man hat aus diesem Grund auch dort auf jegliche Formen von Abgeordnetenanklagen verzichtet.
Ich meine: Wer diesen drei Punkten, die ich zuletzt aus der Brandenburger Erklärung vorgetragen habe, zustimmt, der dürfte eigentlich dem vorliegenden Antrag auf Erhebung einer Abgeordnetenanklage seine Stimme nicht geben können.
Was ist heute anders als Anfang der neunziger Jahre? Anfang der neunziger Jahre war die Wut auf die Stasi groß und wurde von nicht wenigen für das Ablenken von eigener Schuld genutzt – ein idealer Blitzableiter im Sinne eines neuen Kollektivfeindes. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, das geht nicht so einfach, wie wir es vorhin
Die Arbeit für das MfS, so sagt man heute, sei nicht sittenwidrig gewesen. Viele behaupten inzwischen frei und offen, das sei eine Arbeit wie jede andere gewesen.
in einem Redebeitrag gehört haben; das war mir zu einfach. In dieser einfachen DDR habe ich nicht gewohnt.
Wo sind denn die Kriterien, die wir heute ansetzen wollen, für eine reine und saubere Sache? War jemand, der zum 1. Mai mitgegangen ist und seine 20 Mark abgeholt hat, schon am System dran? War jemand, der eine Protesterklärung unterschrieben hat, dran?
Das alles kommt mir bekannt vor. Das sind die Argumente, die uns Ende 1989 von den damals bestellten Aufarbeitern der Stasi-Zentrale – einige waren OiBE oder Ähnliches – genannt wurden: Es wäre Aufgabe der Stasi, Sabotage in Betrieben zu verhindern, Schlampereien in der Produktion aufzudecken usw. Diese Argumente werden heute gern wiederholt, um von anderen, wesentlichen Dingen abzulenken.
Wir waren in unserer Art und Weise, wie wir in der DDR gelebt haben, sehr unterschiedlich. Aber es gab eine Grenze, meine Damen und Herren – es gab für die Meisten eine Grenze –: Wir beteiligen uns nicht an der Bespitzelung anderer Menschen.
Ex-Stasi-Offiziere schwärmen von guten alten Zeiten und demonstrieren vor der Stasi-Gedenkstätte; mein Vorredner ist darauf eingegangen. Mit dieser Verharmlosung und Verdrängung der schlimmen Tatbestände der DDR werden die Opfer zunehmend verhöhnt. Es geht nicht darum, dass sich ehemalige Unterdrücker jeden Tag persönlich bei ihren Opfern entschuldigen. Das ist ganz klar. Aber ein klärendes und sühnendes Wort, das mit dem Handeln allerdings übereinstimmen muss, würde reichen.
(Beifall bei der SPD, der CDU, der FDP, den GRÜNEN, vereinzelt bei der NPD und Beifall bei der Staatsregierung)
Ich maße mir nicht an, heute jemanden zu beurteilen, der als Gruppenleiter, meinetwegen auch als Abteilungsleiter, für den sieghaften Einsatz der Produktionsmittel usw. – was auch immer damals für ein Unsinn erzählt wurde – gearbeitet hat. Das lasse ich aber nicht gleichsetzen mit dem, worüber wir heute sprechen.
Die Aktion Sühnezeichen hat in einer ganz anderen, nicht vergleichbaren Situation – auch ich will sie nicht vergleichen; mir geht es um die Aktion – argumentiert: Wir sprechen die Entschuldigung aus. Dann lassen wir Taten folgen. – Mit den Taten habe ich Probleme, weil ich sie in vielen Dingen nicht erkennen kann.
Das entspricht dann auch nicht der DDR-Vergangenheit. Natürlich war die DDR grau – sie war weder weiß noch schwarz; sie war grau in allen möglichen Schattierungen –, aber sie war nicht so einfach, wie wir es heute gehört haben. (Beifall bei der CDU)
Wie ist es mit der Vergangenheitsaufarbeitung? Vergangenheitsaufarbeitung ist aus meiner Sicht so etwas wie Trauerarbeit. Diese habe ich auf meiner Arbeit in einer Krebsstation erlebt. Dort gibt es das Verhaltensmuster I: Erstens will man an sich selbst Dinge nicht wahrnehmen, die aber da sind. Zweitens ignoriert man die Symptome. Drittens verdrängt man das gesamte Geschehen. Viertens ergibt man sich irgendwie dem Schicksal.
Es gehört aber dazu, dass man, wenn man die Zeit damals betrachtet, bitte auch betrachten muss: Es wurde kein MfS-Mitarbeiter gelyncht, auch kein IM.
Es gibt aber auch das Verhaltensmuster II: Es umfasst eine intensive Auseinandersetzung mit dem, was passiert oder passiert ist. Das haben nur die wenigsten geschafft.
Diese Verhaltensmuster sind unabhängig von Intelligenz, Scharfsinn oder ähnlichen Fähigkeiten; sie liegen in der Persönlichkeit, und das ist weit mehr als die geistige Fähigkeit einer Person. Ein wichtiges Kriterium ist die Konfliktbewältigung. Die entscheidenden Fragen lauten: Stelle ich mich der Kritik? Wie reagiere ich auf die Kritik? Überziehe ich alle, die mich kritisieren, gleich mit juristischen Androhungen? Oder gehe ich – auch das ist eine Möglichkeit – in mich und fange bei mir an?
DDR-Geschichte war für viele natürlich eher StasiGeschichte denn SED-Geschichte. Aber es gab diesen großen Unterschied.
Wie ist es heute? Heute – daran haben Sie von der PDS wesentlichen Anteil – verklären und verharmlosen viele die DDR-Vergangenheit. Man träumt von der ach so ruhigen Zeit in der DDR, als alles im Wesentlichen geregelt war, und vergisst, dass „Ruhe“ und „Regelung“ erzwungen waren, erzwungen von einem verfilzten und verwobenen System von Repressalien, Begünstigungen und eben leider auch Bespitzelungen.
Ja, Prof. Porsch handelt nach dem Verhaltensmuster I. Erstens versucht er, das Geschehene zu verschweigen, mit dem Wissen – das unterstelle ich gern –, dass die HVA (Zuruf von der CDU: … und Mord!)
besenrein übergeben wurde und demzufolge keine Unterlagen mehr da sein können. Zweitens ignoriert er die Fakten. Drittens ist eine Verdrängung festzustellen, hier konkret der Versuch, die Fakten mit juristischen Mitteln zu verdrängen. Viertens. Ich bin der Meinung, Herr Prof. Porsch, dass Sie jetzt schon in Phase vier sind. Es geht darum, sich ja nichts eingestehen zu müssen, weil Sie sonst Ihr bisheriges Leben komplett infrage stellen müssten. Das ist wahnsinnig schwer. Ich weiß das. Aber das wäre der Weg, der gangbar wäre. Herr Prof. Porsch, ich kann nur sagen: Schuldbekenntnis steht vor Vergebung.
Vom Wahlrecht ist geblieben, über die personelle Zusammensetzung der Parlamente zu entscheiden. Das ist der Kern dessen, was der Bürger als Souverän behalten hat.
Die vom Immunitätsausschuss vorgeschlagene Entscheidung, gegen Prof. Peter Porsch, Mitglied des Landtags und langjähriger Vorsitzender der Fraktion der PDS, jetzt der Linksfraktion.PDS, nach Artikel 118 Anklage zum Verfassungsgerichtshof zu erheben, mit dem Ziel, das Mandat, das ihm Wähler verliehen haben, abzuerkennen, deformiert den mit der Wahl zum Ausdruck gebrachten Willen der Wähler des Freistaates, die mit der Abgabe ihrer Stimme darauf vertrauten, wenigstens über die personelle Zusammensetzung des Parlaments und damit die maßgebliche Richtung der Politikansätze, die die regierungstragenden Parteien und die Opposition vertreten, mitzuentscheiden.
Ich erteile dem Abg. Bartl, Linksfraktion.PDS, das Wort. Zu tun, was der Geschäftsordnungs- und Immunitätsausschuss anempfiehlt, verstößt damit objektiv – ich rede wieder nicht von Geschäftsordnungsfragen – gegen das in Artikel 3 Abs. 1 der Sächsischen Verfassung verankerte Prinzip der Volkssouveränität, gegen das Demokratieprinzip in Artikel 3 Abs. 1 in Verbindung mit Artikel 4 der Sächsischen Verfassung und gegen den Grundsatz des freien Mandats gemäß Artikel 39 Abs. 3 der Verfassung sowie gegen das Verbot der Behinderung eines Abgeordneten in der Ausübung seines Mandats gemäß Artikel 42 Abs. 2 der Sächsischen Verfassung. Dass ich von einem Bürgerrechtler erwarten darf, Geschäftsordnungs- und Verfassungsfragen zu unterscheiden, Herr Gerstenberg, das setze ich voraus.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Sinnhaftigkeit dessen, was ich jetzt versuche, mag man bezweifeln; der Umstand jedoch, dass nach Presseberichten des gestrigen Tages zumindest die Fraktionen der CDU, der SPD und der FDP die Fraktionsdisziplin betreffs der Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Immunitätsausschusses aufgehoben bzw. gelockert haben und das Votum der Gewissensentscheidung eines jeden einzelnen Abgeordneten überlassen wollen, ermutigt mich dazu.
Unsere Einrede war immer: Bevor wir uns über Verfahrensfragen unterhalten können, müssen wir uns über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit unterhalten. Dass wir nicht über den Sachverhalt im Detail gesprochen haben, haben wir damit begründet, dass das Verfahren verfassungsrechtlich nicht zulässig ist. Wir legitimieren es nicht, indem wir mit Ihnen Detailfragen des Vorwurfs aus Akten erörtern. Es ist unsere Überzeugung, dass dieses Verfahren verfassungswidrig ist. Zu entscheiden, ob unsere Überzeugung richtig ist, war der Sächsische Verfassungsgerichtshof in den bisherigen vier Abgeordnetenanklageverfahren nie gezwungen, da er die Anklagen jeweils schon wegen handgreiflicher Verletzung der Verfahrensvorschriften zurückweisen konnte bzw. weil sich die Sache durch Ablauf der Wahlperiode erledigt hatte.
Ich bitte Sie – das sage ich ausdrücklich –, der Ihnen vorliegenden Beschlussempfehlung des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunitätsangelegenheiten, gegen Prof. Peter Porsch eine Abgeordnetenanklage mit nicht mehr und nicht weniger als dem Ziel der Aberkennung des Mandats – nicht irgendeiner Tadelung, nicht irgendeiner Ehren-Enquete – zu erheben, nicht zuzustimmen, und zwar aus Respekt vor dem Souverän und vor Verfassungsgütern – Kollege Gerstenberg, nicht vor Verfahrensfragen – dieses Freistaates, die jedenfalls heute deutlich höher wiegen als das mit Artikel 118 ursprünglich verfolgte Anliegen.
Es ist so lange nicht her, da legendäre Verfassungsrechtler der Bundesrepublik wie Isensee, Kirchhof und Grimm im Handbuch des Staatsrechts zu Recht behaupten durften – ich zitiere –: „Die freien und gleichen Staatsbürger selbst treffen die fundamentalen Entscheidungen im Staat, bestimmen mindestens periodisch über die personelle Besetzung seines zentralen Organs oder, bei Gleichordnung mehrerer, der zentralen Organe. Alle weiteren Entscheidungen, personell wie sachlich, leiten sich hieraus ab, lassen sich hierauf zurückführen und erfolgen im Namen des Volkes.“
Aber weit mehr als ein Indiz dafür, dass unsere Rechtsauffassung, dass Artikel 118 verfassungswidriges Verfassungsrecht ist, zutrifft, ist die Tatsache, dass kein einziges Land der Bundesrepublik Deutschland und, soweit uns bekannt ist, auch keine andere Demokratie in Europa in ähnlicher Weise zuließe, dass sich Abgeordnete eines Parlaments legitimiert sähen, sich gerichtsgleich über einen Parlamentskollegen, der für die Mehrheit politischer Kontrahent ist, in einer Art Beweisaufnahme eine Meinung zu bilden, ob dieser durch sein Verhalten, das 20 und
mehr Jahre zurückliegt, im Maßstab des Willens des Volkes – denn er wird gleich einmal unterstellt – unwürdig ist, das ihm verliehene Mandat über die gesamte Legislatur, für die er gewählt wurde, zu bekleiden.