Protocol of the Session on May 11, 2006

Leider hat die vielleicht nicht zufällige Verengung der Vergangenheitsbewältigung auf das Thema Staatssicherheit die Beurteilung der Nomenklaturkader ungünstig beeinflusst, da das Belastungskriterium Stasi für sie möglicherweise nicht zutreffend war. Aber sie gaben entweder der Stasi die Befehle oder arbeiteten mit ihnen offiziell zusammen, was die inoffizielle Anwerbung durch das MfS völlig erübrigte. Diese nicht erfolgte Vergangenheitsbewältigung, meine Damen und Herren, ist der zweite Punkt meiner Begründung.

Der dritte Grund ist die Personalpolitik der Staatsregierung und die Praxis der damaligen Mehrheit dieses Hohen Hauses. „Der Staatsminister legte fest, dass alle POS und alle im Bereich USRV des beim LKA Beschäftigten, die ehemals dem MfS angehörten, verbeamtet werden können, wenn sie nicht IM waren.“ – Vermerk Spang, SMI, vom 13.05.92. Ein Vermerk vom 17.06.92 verfügt die Versetzung sämtlicher hauptamtlicher Politoffiziere der früheren K1 in andere Bereiche und ergänzt: „Der Minister hat seine ursprüngliche Weisung so geändert, dass sämtliche oben genannte Polizeibedienstete weiterhin für die Polizei verwendet werden. Sie müssen allerdings versteckt werden in nichtöffentlichkeitswirksamen Bereichen.“

Dies führte zu der grotesken Situation, dass eher einfache K1-Mitarbeiter mit IM-Tätigkeit entlassen wurden als hochrangige, offensichtlich ehrenwerte K1-Offiziere oder Führungsoffiziere. Diese wurden verbeamtet. Die kleinen Zuträger, ob Krankenschwester oder Professor, dagegen

waren reif. Meine Damen und Herren, hier stimmt etwas nicht, und es ist keine Erfindung, die ich Ihnen eben zitiert habe. Auch deshalb werde ich mich in diesem Fall enthalten.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Linksfraktion.PDS)

Ich erteile das Wort dem Abg. Dr. Gerstenberg.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Karl Nolle, über diese Worte sollten wir uns ausführlich in aller Ruhe unterhalten, aber nicht im Plenarsaal. Ich fand es völlig am Thema vorbei.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU, der SPD, der FDP und der Staatsregierung)

Ich will dem Ausschussvorsitzenden und dem Berichterstatter für ihre Ausführungen danken, denen ich mich inhaltlich vollständig anschließe. Ich bin jedoch überzeugt, dass die heutige Debatte um den Antrag auf Abgeordnetenanklage nicht zu verstehen ist, wenn sie nur unter Juristen und nicht aus historischer Sicht geführt wird.

Vor über 15 Jahren haben wir das Ende der DDR erlebt, das Ende eines Staates, der sich als Diktatur der Arbeiterklasse ausgab, der aber in der Realität eine Diktatur der führenden Partei und ihrer Parteispitze war, die sich von Schild und Schwert des MfS beschützen ließen. Es war dieses allgegenwärtige Spitzelsystem der Staatssicherheit, das der menschenverachtendste Teil des Repressionsapparates der DDR war, und es war mit Sicherheit der verhassteste. Deshalb wurde damals die Besetzung der Stasizentralen zu einem Symbol der friedlichen Revolution. Deshalb haben die Menschen ihre Verachtung dokumentiert wie zum Beispiel an der Mauer in der Bautzener Straße in Dresden.

Diese Lehren aus der Geschichte des Jahres 1989 haben nicht zuletzt in zwei Artikeln der Sächsischen Verfassung ihren Niederschlag gefunden: Im Artikel 83 wird das Trennungsgebot von Nachrichtendienst und Polizei festgeschrieben – ein Artikel, der unserer Partei damals in der Verfassungsgebung besonders wichtig war. Der andere ist der Verfassungsartikel 118, der die Bedingungen und den Weg für die Aberkennung eines Mandats beschreibt, falls ein Abgeordneter des Sächsischen Landtags für das MfS gearbeitet hat. Unsere Fraktion fühlt sich diesem Verfassungsauftrag bis heute verpflichtet.

Die heutige Debatte ist für mich persönlich Abschluss einer nahezu einjährigen parlamentarischen Beschäftigung mit dem Fall von Herrn Prof. Porsch. Diese Arbeit begann mit dem Eintreffen der von der Bundesbeauftragten übersandten Stasiunterlagen beim Bewertungsausschuss. Sie ging über die Entscheidung, gemeinsam mit meinen Fraktionskolleginnen und -kollegen einen Antrag auf Abgeordnetenanklage zu unterzeichnen, bis zur

Bearbeitung dieses Antrags im Immunitätsausschuss. Ich bin offen und ohne Vorurteil in diesen Prozess hineingegangen und ich wiederhole hier noch einmal, was ich bereits im September 2005 erklärt habe: Ich hätte mir persönlich sogar ein anderes Ergebnis gewünscht.

Aber die Auswertung der Unterlagen zeigt eine beeindruckende und eindeutige Faktenlage. Der Vorgang der Informationslieferung an die Staatssicherheit ist sehr dicht, detailliert und widerspruchsfrei dokumentiert. Das betrifft die dokumentierten Treffen, den Umfang, den Detailreichtum und das Themenspektrum der Berichte zur Person, die Form der Kontaktaufnahme und nicht zuletzt die Tatsache, dass keinerlei Hinweise auf eine Legende existieren.

Diese Fakten und die dazugehörigen Erläuterungen der Bundesbeauftragten und des Landesbeauftragten für die Stasiunterlagen, die sie mündlich in den Befragungen des Ausschusses gegeben haben und die Ihnen schriftlich in den Stellungnahmen vorliegen, lassen aus meiner Sicht nur eine Schlussfolgerung zu: Für mich bestehen nach dieser seit Juni 2005 anhaltenden umfassenden Auseinandersetzung keine Zweifel daran, dass Herr Prof. Porsch für das Ministerium für Staatssicherheit tätig gewesen ist. Ich bin davon überzeugt, dass er das wissentlich und willentlich getan und dabei zuverlässig gearbeitet hat, nämlich: Informationen an die Staatssicherheit zu liefern.

Die Abschöpfungstheorie hat sich nach meiner Überzeugung als reine Schutzbehauptung zur Verteidigung erwiesen. Das ist bekanntlich nicht nur meine persönliche Schlussfolgerung, sondern sie wird von der Mehrheit der Abgeordneten im Sächsischen Landtag geteilt. Bereits in der Begründung zur Abgeordnetenanklage ist formuliert: „Im vorliegenden Fall hat eine Überprüfung hinsichtlich Prof. Peter Porsch MdL nicht nur einen Verdacht der Zusammenarbeit mit dem MfS, sondern zur Überzeugung des Landtages die entsprechende Gewissheit erbracht.“ Ich glaube, selbst diejenigen, die im September vielleicht noch Zweifel hatten, zwischenzeitlich aber die Unterlagen, Befragungen und Stellungnahmen zur Kenntnis genommen haben, werden zu diesem Schluss kommen – unabhängig davon, welcher Fraktion sie angehören. Möglicherweise liegt hierin der Grund, dass sich die Abgeordneten der Linksfraktion.PDS in der gesamten Ausschussarbeit auf die Diskussion von Verfahrensfragen und vorgeblichen Formfehlern beschränkt haben, aber der Auseinandersetzung zu dieser Sache vollständig ausgewichen sind.

Sehr geehrte Damen und Herren! Viel schwieriger als die Feststellung einer wissentlichen und willentlichen Tätigkeit für das MfS ist im vorliegenden Fall die Frage zu beantworten, ob deshalb eine Fortsetzung des Mandats untragbar erscheint. In dieser schwierigen Abwägung sind wir der Frage nachgegangen, ob es Gründe gibt, die für die Weiterführung des Mandats sprechen. Diese Gründe könnten in der Vergangenheit vor 1990 liegen.

Aber die Informationstätigkeit gründete sich offensichtlich nicht auf Zwang, sie geschah nicht im jugendlichen

Ich selbst habe in der DDR unter fehlenden Freiheitsrechten gelitten, aber ich war kein Stasi-Opfer, wie etliche andere hier im Landtag. Aber seit der demokratischen Stunde null im Jahre 1990 war für mich klar: Ich stehe auf der Seite derer, die gelitten haben, die benachteiligt wurden, die zu mir kamen, um für ihre Rehabilitierung zu kämpfen. Ebenfalls seit dem Jahre 1990 habe ich aber die PDS meist auf der anderen Seite erlebt, als Interessenvertreterin der Täter. Bis heute scheint sich daran wenig geändert zu haben, wie der aktuelle Bogen vom ISORLink auf der Website des Leipziger Kreisverbandes bis zur fehlenden öffentlichen Auseinandersetzung mit den Vorwürfen zur Stasi-Vergangenheit Ihres Fraktionsvorsitzenden zeigt.

Alter und war auch nicht kurzfristig. Aus den Dokumenten ist auch keine Absage an die Tätigkeit im MfS zu erkennen, nicht einmal der Versuch des Loslösens von diesem Unterdrückungsinstrument. Ausschlaggebend in der Abwägung war schließlich für mich und meine Fraktion die Frage, ob eine offene und aufrichtige Auseinandersetzung des Betroffenen mit diesem Teil seiner eigenen Biografie stattgefunden hat.

Herr Prof. Porsch hat bis heute in allen Ausschüssen die Stellungnahme zu diesen Vorwürfen verweigert. Herr Prof. Porsch, wenn Sie gesagt hätten: Ja, ich war überzeugter Marxist, ja, ich habe meine Arbeit für das MfS auch als einen Beitrag zur Stärkung des Sozialismus empfunden! Wenn Sie das vielleicht sogar mit einer kritischen Reflexion verbunden hätten, dann hätte ich dieses Verhalten nach wie vor für politisch völlig falsch gehalten, aber Sie hätten meinen Respekt für Ihre offene Haltung gehabt. Wahrscheinlich wäre mein Abwägungsergebnis wie auch eventuell bei weiteren Mitgliedern meiner Fraktion dann ein anderes gewesen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der CDU und vereinzelt bei der SPD und der FDP)

Ich wünsche den Erneuerern in der Linkspartei allen Erfolg. Ich wünsche auch denjenigen Erfolg, die mit ihren Vorstellungen von einem demokratischen und freiheitlichen Sozialismus die Diskussion beleben. Aber zur Erneuerung einer Partei gehört auch Abschied von alten Milieus, gehört eine offensive und öffentliche Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte, gehören Kontakte und Gespräche nicht nur mit Stasi-Tätern, sondern auch mit -Opfern.

(Beifall bei den GRÜNEN und der FDP)

Aber so hat sich in mir Ihr Verhalten als ein Bild des Verdrängens und der selektiven Erinnerung dargestellt, als eine Strategie des Leugnens und des Vertuschens im Umgang mit den erhobenen Vorwürfen. Insbesondere den Opfern des SED-Regimes ist Herr Prof. Porsch als Volksvertreter aus meiner Sicht und der Sicht unserer Fraktion unzumutbar.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Voraussetzung dafür scheint mir zuerst Klarheit im Denken und in der Sprache zu sein. Voraussetzung ist, um mit den Worten von Marianne Birthler zu sprechen, dass Politikerinnen und Politiker die Diktatur Diktatur nennen, die Täter Täter und die Opfer Opfer.

(Beifall bei den GRÜNEN und der CDU und vereinzelt bei der FDP)

Nach intensiver Beratung sind alle Abgeordneten unserer Fraktion deshalb zu dem Schluss gekommen, dass uns eine Weiterführung des Mandats und damit die Ausübung einer wichtigen demokratischen Funktion in einem Rechtsstaat durch Prof. Porsch aufgrund dieses gravierenden Vorgangs untragbar erscheint.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Aber die Töne an der Spitze der Linkspartei klingen zurzeit anders. Da meint Gregor Gysi, einmal etwas Löbliches über die Stasi sagen zu müssen, und der Ehrenvorsitzende Modrow versteigt sich sogar zu der Behauptung, die Aktenberge seien eigentlich Harmlosigkeiten. Ich halte diesen Spruch aus dem Munde eines ehemaligen SED-Bezirkssekretärs für ebenso unverschämt wie niederträchtig. Das ist eine Verhöhnung der Opfer, der Menschen, die bespitzelt und verfolgt wurden, deren Lebensläufe und persönliche Beziehungen zielgerichtet zerstört, die verhaftet und gequält wurden.

Sehr geehrte Damen und Herren! Immer wieder taucht die Frage auf, ob das nicht viel zu lange zurückliegt und ob mit dem Auslaufen der Auskünfte nach dem StasiUnterlagen-Gesetz Ende dieses Jahres das Thema Staatssicherheit nicht ohnehin erledigt sei. Sicherlich, nach heutiger Lage der Dinge wird es ab dem Jahre 2007 keine Auskünfte und damit keine Überprüfungen mehr geben. Aber ist es denn nicht heute notwendiger denn je, die Aufarbeitung zur Arbeit dieses Repressionsapparates und zur Rolle seiner Auftraggeber in der SED-Führung weiterzuführen, die Forschung weiterzuführen, die Erinnerung an die Strukturen der Unterdrückung und ihre Opfer wach zu halten? Ich denke, ja. Wir leben in einer Zeit, in der die Schrift an der Mauer der ehemaligen Bezirksverwaltung in der Bautzener Straße in Dresden verblasst und in der zugleich ehemalige hohe Stasioffiziere in Hohenschönhausen in einer Art letztem Gefecht ihre Opfer verhöhnen. Dem gilt es zu wehren.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich komme zum Schluss. Im Falle von Herrn Prof. Porsch haben die handelnden Personen der Linksfraktion.PDS kaum etwas zur Aufklärung beigetragen, sondern lieber Nebelkerzen geworfen. Dazu gehört der über viele Monate währende Dauerversuch, im Ausschuss Verfahrensfragen zu diskutieren und Sachfragen auszuweichen. Den bisherigen Ausführungen habe ich nichts hinzuzufügen.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU, der FDP und vereinzelt bei der SPD)

Ich denke aber auch an die Strategie von Herrn Prof. Porsch, die Unterrichtung der Öffentlichkeit über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe auf dem Rechtsweg zu verhindern. Nachdem bereits seit dem Jahre 2004 die Medien anhaltend mit Klagen überzogen werden, sah ich mich in der vergangenen Woche mit einer Unterlassungserklärung konfrontiert.

(Heinz Eggert, CDU: Hört, hört!)

Ich sehe darin ein besonders übles Beispiel für das Ausweichen vor der politischen Auseinandersetzung und einen Tiefpunkt im Umgang von Landtagsabgeordneten miteinander.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

An meiner Haltung zur Sache hat diese Aufforderung Ihrer Rechtsanwälte nichts geändert, ebenso wenig an der Haltung meiner Fraktionskolleginnen und -kollegen. Ich werde mich auch nicht der Drohung mit den NPDStimmen beugen, denen Herr Leichsenring heute mit seinen abscheulichen und volksverhetzenden Worten neue Nahrung gegeben hat.

Werte Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion.PDS! Ich habe mir ebenso wie die anderen Mitglieder unserer Fraktion in der geschilderten Weise meine Meinung gebildet und in gründlicher Abwägung eine Entscheidung getroffen, eine Entscheidung, die in den letzten Tagen oft als Gewissensentscheidung bezeichnet wurde. Wir machen uns in dieser wie in allen anderen politischen Fragen nicht von der Haltung der Neonazis im Parlament abhängig. Wir lassen uns aber auch nicht von der Linksfraktion.PDS politisch erpressen.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Ich erteile dem Abg. Herrn Dr. Hahn, Linksfraktion.PDS, das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst eine kurze Vorbemerkung. Ich finde, die Reaktion einiger auf die Rede von Karl Nolle zeigt, dass leider vielen, zu vielen Mitgliedern in diesem Haus Schwarz-Weiß-Malerei lieber ist als eine differenzierte Betrachtung, die dann auch manchmal unbequem sein kann. Ich meine, diese Rede gehörte genau in dieses Plenum, sie gehörte genau hierhin.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS – Zuruf von der CDU)

Als es im September vergangenen Jahres in dieser Wahlperiode erstmals um den Antrag auf Erhebung einer Abgeordnetenanklage ging, habe ich für meine Fraktion erklärt, dass es völlig unbestritten ist, dass es in der DDR, insbesondere gegen jene, die nicht systemkonform waren, viel Unrecht gegeben hat. Wir wissen auch, dass die Staatssicherheit dabei das wichtigste Repressionsinstrument war. Da nicht wenige in diesem Haus – das ist eben

auch von Kollegen Gerstenberg angesprochen worden – uns immer noch und häufig auch wider besseres Wissen vorwerfen, wir würden uns nicht kritisch mit der Geschichte der DDR und unserer eigenen Geschichte auseinander setzen, will ich eingangs meiner heutigen Rede noch einmal an den außerordentlichen Parteitag der SED/PDS vom 16. Dezember 1989 erinnern.

Dort erklärte Prof. Michael Schumann – ich zitiere –: „Wir brechen unwiderruflich mit dem Stalinismus als System.“

(Heinz Eggert, CDU: Hätten Sie es mal gemacht!)

Herr Kollege Eggert, diese Aussage gilt als Gründungskonsens der Partei des Demokratischen Sozialismus; er ist weder befristet noch taktisch und gilt selbstverständlich auch für die Linkspartei.PDS.