Protocol of the Session on May 11, 2006

Darüber können wir uns gern unterhalten, Herr Patt. Gehen Sie ans Mikrofon, wenn Sie eine Frage haben!

Der Zynismus in der Antwort der Staatsregierung auf den vorliegenden Antrag lässt jedenfalls Schlimmes befürchten. Da konsumieren doch Geringverdiener, Rentner, allein Erziehende und Familien ohnehin vorwiegend nur Güter, die mit einem Umsatzsteuersatz von null Prozent – Mieten – und 7 % – Nahrungsmittel – belegt sind, sodass sich für sie nichts ändert,

(Zustimmung des Abg. Holger Zastrow, FDP)

und gerade Geringverdiener profitieren sogar von der Erhöhung der Mehrwertsteuer durch die Entlastung der Arbeitsentgelte. Die Rentner profitieren durch eine mögliche Umkehrung des Rückgangs sozialversicherungspflichtiger Jobs und selbst die Kinder sind Nutznießer wegen der Abwendung einer später drohenden noch deutlicheren Erhöhung der Besteuerung infolge heutiger übermäßiger Staatsdefizite. Warum dann nur so schüchtern? Warum dann nicht 5 oder 6 % mehr?

(Lachen und Beifall des Abg. Holger Zastrow, FDP – Beifall des Abg. Horst Wehner, Linksfraktion.PDS)

Von den großen DAX-Unternehmen ist ja sowieso nichts zu holen. Sie wurden im Rahmen der rot-grünen Unternehmensteuerreform 2001 um 60 Milliarden Euro entlastet, erhöhten ihre Gewinne um 35 Milliarden Euro und mussten trotzdem 35 000 Arbeitsplätze abbauen – natürlich nur erzwungen durch das Kapital, das scheue Reh. Und die Verteidigung deutscher Interessen am Hindukusch und anderen Gegenden weltweit kostet eben auch viel Geld.

Die einzig positive Seite, die ich der kommenden Mehrwertsteuererhöhung abgewinnen kann, ist, dass sie zur Ent-Täuschung der Menschen beitragen wird, die CDU und SPD zur Bundestagswahl ihre Stimme gaben. Das Verblassen von Illusionen ist der erste Schritt auf der Suche nach Alternativen. Dazu kann gerade die Linksfraktion.PDS mit ihrem Vorschlag zur Vermögensteuer eine wirkliche Reichensteuer mit 25 Milliarden Euro Aufkommen als Alternative bieten.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Wie gesagt, selbst wenn nur die amerikanischen Steuersätze an die deutschen Vermögen angelegt würden, kämen satte 30 Milliarden Euro in die Staatskasse. Dies wäre deutlich mehr als mit der Mehrwertsteuererhöhung und würde dennoch – im Gegensatz zu dieser – keinem Betroffenen wirklich wehtun.

Unter diesem Aspekt werden wir dem vorliegenden Antrag trotz der anfangs genannten Probleme zustimmen, auch bestärkt durch die heute Früh bekannt gegebenen Ergebnisse der Steuerschätzung. Sie prognostizieren Gesamteinnahmen von 463,9 Milliarden Euro, also eine Erhöhung um 6,5 Milliarden ohne diese Mehrwertsteuererhöhung, sodass die Erhöhung der Mehrwertsteuer in der Tat ad absurdum geführt werden kann.

Danke schön.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und des Abg. Holger Zastrow, FDP)

Die SPD-Fraktion. Herr Abg. Pecher.

Ich bin zwar nicht gläubig, Frau Präsidentin, aber ich sage aus ehrlichem Herzen: O Gott, schütze dieses Land vor einer Wirtschaftspolitik à la Zastrow!

(Beifall bei der SPD)

Die CDU regiert im Bund, die SPD regiert im Bund, die FDP hat regiert, Bündnis 90 hat regiert, die PDS regiert in einigen Ländern. Es macht keinen Sinn, meine Damen und Herren, wenn wir alle im Teich liegen, gegenseitig mit dem Finger auf uns zu zeigen und zu sagen: Du hast den Schwimmring vergessen, du hast ihn vergessen, nein, du hast ihn vergessen! – Dieses Land ist fiskalisch am

Absaufen, meine Herren, und alle Parteien, auch der Gott sei Dank nicht im Raum befindliche rechte Rand, haben dafür Verantwortung zu tragen. Das muss man einmal deutlich sagen.

„Nach Anhörung von Sachverständigen hält die Berliner Koalition an der Mehrwertsteuererhöhung fest.“ Das steht in der „F.A.Z.“ vom 5. Mai. Der Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Bernd Rürup, sagt, man stecke in einer Dilemma-Situation: Unbestreitbaren Risiken einer Konjunkturdämpfung durch eine Mehrwertsteuererhöhung steht die weitere vertrauensschädigende Schwächung der Verschuldungshorizonte des Grundgesetzes gegenüber.

Kommen wir einmal zu den realen Zahlen. Wir haben einen Haushaltsentwurf von 262 Milliarden Euro. Dort sind 38 Milliarden Euro Neuverschuldung und rund 35 Milliarden Euro Einnahmen durch Vermögensveräußerung, Maut etc. Das Steueraufkommen beträgt 192 Milliarden Euro. Wenn wir die 6 % noch hinzurechnen, Frau Simon, kommen wir auf rund 200 Milliarden Euro. Wir haben 150 Milliarden Euro Kosten durch Zinsen und Renten. Wir haben 25 Milliarden Euro Kosten durch Hartz IV. Wir haben 20 bis 25 Milliarden Euro Kosten der Bundesverwaltung an sich. Das sind 75 % festgelegte, gebundene Ausgaben, über 200 Milliarden Euro. Das heißt, dieser Staat kann aus seinem Steueraufkommen schon heute nicht einmal die Kosten bestreiten, zu denen er fest verpflichtet ist.

(Zuruf des Abg. Klaus Tischendorf, Linksfraktion.PDS)

Das heißt, es kratzen sehr, sehr viele Kellen in einem Topf, in dem nichts mehr drin ist.

Es ist schon in einem anderen Beitrag angesprochen worden: Vollkommen außer Acht gelassen sind die Pensionslasten des Bundes, die in den nächsten 40 Jahren kontinuierlich ansteigen werden, und zwar von jetzt rund vier Milliarden Euro auf am Ende rund 40 Milliarden Euro pro Jahr, wenn dort nicht gegengesteuert wird.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bitte.

Herr Pecher, die heutige Steuerschätzung geht von 463,9 Milliarden Euro aus!

Das ist die Zahl für Gesamtdeutschland! Ich spreche vom Bundeshaushalt.

Der Bund der Steuerzahler sagt, dass in Deutschland die Schulden der öffentlichen Haushalte um 2 500 Euro pro Sekunde steigen. Wir sind also

mit 1,5 Billionen Euro deutschlandweit und mit knapp 900 Milliarden Euro seitens des Bundes verschuldet.

Man muss einfach wissen, dass dieser Schuldenberg in Jahrzehnten in der Bundesrepublik Deutschland aufgebaut wurde. Weil immer so auf die Schröder-Regierung, auf die SPD und auf Rot-Grün eingeschlagen wird, möchte ich sagen, dass wir nicht vergessen dürfen, dass die Bundesrepublik Deutschland 16 Jahre lang eine CDU/CSU-FDP-Regierung hatte, Herr Zastrow. Man muss auch sagen, dass eine riesige finanzielle Aufgabe, die deutsche Einheit, mit Schulden gestemmt wurde und noch gestemmt wird.

Ich sage auch deutlich: Wenn man über das Thema Mehrwertsteuererhebung spricht, muss man aus ostdeutscher Sicht auch einmal Folgendes sagen: Wenn man weiß, dass schon die jetzigen Ausgaben durch die Steuereinnahmen nicht gedeckt sind, dann sollte man, wenn man im Glashaus sitzt, nicht mit Steinen werfen, wenn 100 Milliarden Euro Transferleistungen jedes Jahr in den Osten gehen.

(Zuruf des Abg. Klaus Tischendorf, Linksfraktion.PDS)

Das spielt doch keine Rolle, Herr Tischendorf! Wir haben 100 Milliarden Euro Transferleistungen.

(Zurufe von der Linksfraktion.PDS)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Morlok?

Herr Morlok, ich würde jetzt mit Nolle antworten: Ja, jetzt kommt der Durchbruch!

Bitte.

Herr Pecher, ist Ihnen bekannt, dass im Zeitraum 1999 bis 2005, also in den letzten sechs Jahren der rot-grünen Regierung, die Bundesschulden von 708 Milliarden Euro auf 873 Milliarden Euro, also um 165 Milliarden Euro gestiegen sind? Ist Ihnen auch bekannt, dass allein der Zinseffekt aus diesem Mehr von 165 Milliarden Euro sieben Milliarden Euro, also einen Prozentpunkt, Mehrwertsteuererhöhung, ausmacht?

Herr Morlok, mir ist das nicht bekannt, denn ich bin noch am Rechnen, was in den 16 Jahren der Regierung von CDU/CSU und FDP an Schulden aufgelaufen ist. Ich weiß nicht, ob Sie das wissen. Können Sie mir das sagen?

(Sven Morlok, FDP: Deutlich weniger!)

Das ist schon einmal nicht wahr.

(Zurufe von der FDP: Doch!)

Ich möchte noch etwas zu einem Thema sagen, das auch immer wieder von der FDP-Fraktion aufgeworfen wird, nämlich zum Thema Sparen. Es macht keinen Sinn, darüber zu diskutieren, ob man dort noch einen Tropfen einspart und dort noch einen Tropfen einspart, wobei ich

deutlich sagen muss, dass es immer gut und richtig ist, Sparen mit System anzugehen. Aber wenn es uns nicht gelingt, die Steuerbemessungsgrenze, die Einnahmen dieses Staates zu verbreitern, um die schon feststehenden ureigensten Aufgaben zu finanzieren, die jetzt schon nicht gedeckt sind, dann finanzieren wir die nächsten Kredite und Zinsen wieder mit Krediten. Das, was an Geld vom Bund in den Ländern ankommt, ist bereits mit Krediten finanziert und viele Länder finanzieren diese kreditfinanzierten Mittel wieder mit Krediten. Das ist ein Zustand, der überwunden werden muss.

Nun kann man trefflich darüber philosophieren, wen die Mehrwertsteuer trifft. Fakt ist jedoch, dass es in dem FDP-Antrag keinen einzigen Lösungsansatz gibt, was man alternativ tun kann. Aus diesem Grund sehen wir überhaupt keine Notwendigkeit, der Staatsregierung zu empfehlen, gegen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zu stimmen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Heinz Lehmann, CDU)

Die NPD-Fraktion ist nicht anwesend. Ich rufe nun die Fraktion der GRÜNEN auf. Frau Abg. Hermenau.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist ja amüsant, Herr Zastrow, dass Sie es noch im Januar für nötig gehalten haben, hier Witze zu reißen, und meinten, man müsse den Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ bemühen, um deutlich zu machen, dass man nicht über die Mehrwertsteuererhöhung sprechen müsse, denn alles sei beschlossen. Sie haben damals vergessen, darauf hinzuweisen, dass der traurige Held des Filmes vom Schicksal gezwungen wurde, den Tag immer wieder zu erleben, bis er aus Charakterschwäche lernte und wusste, worauf es im Leben wirklich ankommt. Ihr Antrag beweist, dass die Lektion geklappt hat.

(Beifall bei den GRÜNEN und des Abg. Peter Wilhelm Patt, CDU)