Protocol of the Session on May 11, 2006

Ich kann Ihnen gern sagen, was aus Ihrer Sicht das Neue an dieser Debatte sein sollte. Sie haben am Wochenende in Görlitz eine internationale Konferenz zu Perspektiven am Arbeitsmarkt abgehalten. Wahrscheinlich hat die nicht den nötigen Zuspruch erfahren, sodass Sie im Landtag diese Debatte beginnen müssen.

Wenn das nicht die Neuigkeit beim Thema sein sollte, kann ich Ihnen noch eine Hilfestellung geben. Es gibt nämlich wirklich eine Neuigkeit: Vorgestern hat es einen neuen Tarifabschluss im Bereich der Zeitarbeitsfirmen gegeben. Die Zeitarbeitsbranche in der Bundesrepublik

hat sich auf einen neuen Tarifvertrag zu Mindestlöhnen verständigt. Hopsa!, was passiert denn da? Das darf es ja alles gar nicht geben. Wir haben anscheinend auf Tarifpartnerebene eine vernünftige Diskussion zu diesem Thema. In der Tat ist es so, dass wir neben der Bauwirtschaft auch im Bereich der Zeitarbeitsfirmen tariflich vereinbarte Mindestlöhne haben. Für Ostdeutschland beträgt der Mindestlohn 6,10 Euro und für Westdeutschland sieben Euro. Wenn man sagt, das sind die Neuigkeiten, kann man fragen: Wo ist der Ursprung der Debatte zum Mindestlohn?

Ich habe schon vieles gesagt und wenn notwendig, komme ich gern noch einmal wieder, denn wir haben ja zwölf Minuten zur Verfügung. Ich warte ab, was die Kollegen der Linksfraktion.PDS noch zu sagen haben. Aber eine historische Betrachtung, dachte ich, macht Sinn, jetzt schon näher gebracht zu werden. Ich habe mir Protokolle von Landtagssitzungen des Sächsischen Landtages angesehen. Da bin ich auf ein Protokoll aus dem Jahre 1909 gestoßen, also von vor 97 Jahren. Damals war der Landtag noch einige Meter elbaufwärts. Die SPDFraktion hat 1909 die Einführung von Mindestlöhnen beantragt:

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Was haben sie erreicht?)

„... den Gemeinden aufzugeben, geeignete Arbeiten zur Beschäftigung Arbeitsloser im Winter zu tarifmäßigen, beziehungsheitlichen Berufen der ortsüblichen Löhne sicherzustellen.“ Genau in dieser Tradition befinden wir uns jetzt als sächsische Sozialdemokraten.

(Widerspruch des Abg. Heinz Eggert, CDU – Uwe Leichsenring, NPD: Seit hundert Jahren nichts erreicht!)

Dabei bleibt es auch. Das heißt, bevor wir über die Einführung – –

Ganz ruhig. Kollege Eggert, es sind genug Mikrofone im Raum.

Wir haben folgendes Problem: Wenn wir über Kombilöhne reden, müssen wir auch über Mindestlöhne reden. Das heißt, bevor eine Debatte über Kombilöhne weitergeht, sage ich Ihnen ganz klar, gibt es erst einen Mindestlohn. Wer da anderer Meinung ist, der soll sich nur noch einmal das Protokoll der Anhörung des Wirtschaftsausschusses zum Thema Kombilohn durchlesen. Wer dann noch die Auffassung hat, dass Kombilohn der richtige Weg ist, dem kann ich auch nicht mehr helfen.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Ich erteile der Fraktion der NPD das Wort. Herr Delle, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausbreitung von Armutslöhnen in einem Hochlohnland kennzeichnet eine soziale

Fehlentwicklung, deren Korrektur eine breite politische Debatte rechtfertigt.

Die damit im Zusammenhang stehende Diskussion um Mindestlöhne bewegt nicht nur die Gemüter, sondern spaltet Politik und Wirtschaft, wobei selbst die ökonomische Literatur über die makroökonomische Wirkung von Mindestlöhnen uneins ist.

Die Fragen, die wir in diesem Zusammenhang zu beantworten haben, sind so vielfältig, dass es in der gegebenen Zeit hier eigentlich nicht möglich ist, darauf einzugehen. Aber in jedem Fall haben wir uns darüber klar zu werden, was wir mit einem Mindestlohn erreichen wollen oder können. Hierin stellt sich wohl die wichtigste Frage und die kann keinesfalls ausgeklammert werden.

Sie, meine Damen und Herren, trauen sich natürlich nicht, diese Frage so zu stellen, und erst recht nicht, diese wahrheitsgemäß zu beantworten. Die Frage lautet nämlich: Warum befinden wir uns überhaupt in der Situation, die es notwendig macht, über einen Mindestlohn zu diskutieren?

(Uwe Leichsenring, NPD: Sehr richtig!)

Diese Diskussion ist hauptsächlich deshalb notwendig, weil zum einen als Folge der so genannten EUOsterweiterung osteuropäische Arbeitnehmer zunehmend ihre Arbeitskraft zu Niedriglöhnen in Deutschland anbieten und somit die deutschen Arbeitnehmer im eigenen Land nicht mehr konkurrenzfähig sind; zumindest was den Lohn betrifft. Dieser ist einer der wichtigsten Faktoren für den Arbeitgeber.

(Beifall bei der NPD)

Aber Sie, meine Damen und Herren, verschweigen dies nicht nur. Nein, Sie preisen nach wie vor die angeblichen Segnungen dieser unsäglichen EU-Osterweiterung an.

Als weitere Erscheinung einer globalisierungsbedingten Auflösung der gewerkschaftlichen Gestaltungsmacht ist selbst eine ganze Reihe von Tariflöhnen nunmehr im Keller gelandet. So sieht es doch in Wahrheit aus.

Das Wegbrechen der sozioökonomischen Basis in unserem Land und der Verlust marktregulierender und ordnungspolitischer Rahmenbedingungen – Entwicklungen, die Sie, meine Damen und Herren, willentlich herbeigeführt haben – zwingen uns jetzt den Handlungsbedarf auf. Jobless growth und Working poor sind die neoanglizistischen Vokabeln, welche die heutige Ökonomie beschreiben. Von daher dürfte die Beseitigung sozialpolitischer Defizite außer Frage stehen und ein Mindestlohn soll natürlich als soziale Auffanglinie betrachtet werden. Dem könnte man sich ebenso anschließen wie der Überlegung, dem Mindestlohn eine Funktion als Schutzzoll gegen billige Fremdarbeiter zuzusprechen.

Meine Damen und Herren! Gerade die NPD-Fraktion, gerade wir sehen die soziale Schieflage in Deutschland und wissen um die besonders in Mitteldeutschland geringe Tarifbindung sowie das Bestehen von Tariflöhnen und anderen Löhnen weit unter dem Existenzminimum. Deshalb fordert auch die NPD einen Mindestlohn, der

sich an der Armutsgrenze orientiert. Das heißt, acht Euro für die Arbeitsstunde – in Deutschland wohlgemerkt – sind das Mindeste, was ein Arbeitnehmer zu verdienen hat. Damit würde er gerade einmal an der Armutsgrenze leben.

Einen kleineren Nenner wird es mit der NPD deshalb nicht geben. Schlimm genug, dass Sie, meine Damen und Herren der etablierten Parteien, mit Ihrer Politik dafür gesorgt haben, dass wir uns über Löhne an der Armutsgrenze unterhalten müssen. Dafür sollten, dafür müssten Sie sich eigentlich schämen.

(Beifall bei der NPD)

Das, was Sie vorhin propagiert haben, Herr Hähnel, war nichts anderes als moderne Sklaverei.

Meine Damen und Herren! Der so genannte Kombilohn birgt eine zusätzliche Gefahr aufgrund des Lohngefälles in den EU-Beitrittsländern und der ebenso zu beobachtenden Öffnung der Lohnstruktur nach unten, wobei nicht vergessen werden darf, dass mit den Lohnkostenzuschüssen die Kosten teilweise sozialisiert werden, während die Gewinne privatisiert werden.

Mit anderen Worten: Mindestlöhne müssen für den heimischen Mittelstand natürlich bezahlbar sein. Der heimische Mittelstand muss von Mitbewerbern geschützt werden, die das Lohngefälle innerhalb des EU-Raumes zu ihren Gunsten ausnutzen, wobei unseres Erachtens Ersteres schwer zu verwirklichen sein wird, solange Letzteres nicht Wirklichkeit ist.

Meine Fraktion wird deshalb demnächst Vorschläge unterbreiten, wie der Mittelstand bei Einführung eines Mindestlohnes von acht Euro an anderer Stelle dementsprechend entlastet werden kann. In jedem Fall müssen nach nationaldemokratischer Ansicht gewisse Komponenten bei der Festsetzung und der Fortentwicklung eines Mindestlohnes Berücksichtigung finden. So muss zum Beispiel ein Zusammenhang mit der Nachfrageentwicklung hergestellt werden. Allerdings – und das sei noch einmal zum Schluss erwähnt, meine Damen und Herren –: Acht Euro sind das Mindeste, was wir als NPD fordern.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der NPD)

Ich erteile der Fraktion der FDP das Wort.

(Zuruf des Abg. Klaus Tischendorf, Linksfraktion.PDS)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Natürlich kann die FDP unter bestimmten Voraussetzungen auch für einen Mindestlohn sein. Wenn er unter dem markträumenden Gleichgewichtslohn ist, dann ist er nämlich volkswirtschaftlich unproblematisch. Aber ich denke, das ist nicht Ihre Vorstellung mit der Aktuellen Debatte gewesen.

Wenn man eine Mindestlohndebatte anfängt und in dieser anführt, dass in 18 von 25 EU-Mitgliedsstaaten ein solcher eingeführt ist, dann gehört auch dazu, darüber zu sprechen, in welchen Größenordnungen dieser Mindestlohn besteht. Man kann nicht einfach sagen „18“ und schwenkt dann zur Armutsgrenze und nennt acht Euro. Das verkennt nämlich die Wirklichkeit in der EU.

Man kann es sich auch nicht so einfach machen wie Herr Hähnel und sagen: Okay, ich nehme jetzt die Mindestlöhne in Euro und vergleiche sie.

Das ist auch nicht gerecht. Man muss letztendlich mit Kaufkraftparitäten argumentieren. Man muss sich anschauen, in welchem Verhältnis der Mindestlohn in diesen Ländern zum Durchschnittsverdienst steht. Wenn man das tut, dann kommt man zu ganz einleuchtenden Ergebnissen.

In der Regel liegen die Mindestlöhne bei der Mehrzahl der Staaten um die 35 %. Frau Lay, Sie haben das Beispiel Tschechien angesprochen. Dort liegt er auch bei 35 %.

Wenn wir hier in Sachsen über einen Mindestlohn von 35 % des Durchschnittsverdienstes reden, dann sind wir bei einem Stundenlohn von 5,30 Euro oder einem Monatsverdienst von 890 Euro. Das heißt, das, was Sie gerade beklagt haben, dass die Menschen in Sachsen nicht einmal 900 Euro verdienen würden, könnten Sie, wenn Sie fair argumentieren und die Zahlen der europäischen Staaten im Vergleich anführen würden, überhaupt nicht erreichen, weil nämlich das, was Sie mit einem Mindestlohn von acht Euro bezwecken, in den anderen Ländern überhaupt nicht in der Höhe praktiziert wird. Es gehört eben auch zur politischen Wahrheit, sich bei Vergleichszahlen nicht nur das herauszupicken, was einem gerade in den Kram passt, sondern es komplett und vollständig darzustellen.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Heinz Eggert, CDU)

Der durchschnittliche Stundenlohn in Sachsen beträgt 10,93 Euro und Sie wollen acht Euro Mindestlohn haben? Einen Mindestlohn, der 73 % des Durchschnittslohnes beträgt? Acht Euro Mindestlohn bedeuten einen Monatsbruttoverdienst von 1 340 Euro.

Stellen wir uns einmal vor, alle Beschäftigungsverhältnisse in Sachsen würden ab 01.06. mit 1 340 Euro entlohnt: Die Konsequenz ist Massenarbeitslosigkeit.

(Zurufe von der Linksfraktion.PDS)

Es muss einfach einmal gesagt werden, dass das die Konsequenz ist.

(Beifall bei der FDP)

Wenn Sie auf Ihrem Bundesparteitag acht Euro fordern und hier acht Euro in die Debatte einbringen, dann muss das auch einmal in aller Deutlichkeit so gesagt werden.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Selbstverständlich.