Protocol of the Session on April 7, 2006

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Es ist sehr verdienstvoll, dass diese beiden Anträge eingebracht worden sind. Wir sind der Auffassung – Kollege Neubert hat es schon gesagt –, dass es, weiß der Himmel, kein Terrain ist, auf dem man sich parteipolitisch profilieren kann. Es gibt auch nach unserer Überzeugung nichts Verabscheuungswürdigeres als Gewalthandlungen gegenüber Kindern. Ich glaube, dass sich dieses Parlament in der Verantwortung, alles zu tun, um Kinder im Rahmen unserer verfassungsmäßigen Ordnung vor solchen Handlungen zu schützen, einig sein wird.

Ein Problem ist dennoch – ich denke, in diesem Sinne hat auch Frau Nicolaus zu einer offenen Debatte aufgerufen –, dass wir bei allem, was wir tun, die jeweilige Wirkung mit kalkulieren müssen. Insofern sollten wir uns tatsächlich – die Anträge sehen es ja vor – mit den gesetzten Fristen zunächst die Stellungnahme der Staatsregierung einholen. Ich gehe von der Möglichkeit aus, im Landtag, also in den Ausschüssen und im Plenum, nochmals darüber zu reden, dass wir uns wirklich gründlich mit allem, was eine konkrete Sache nach sich ziehen kann, für das Kind auch beschäftigen.

Ich denke an das Problem der weiteren Abmilderung der ärztlichen Schweigepflicht, wenn ich als Arzt bestimmte Misshandlungen feststelle. Es wird eine Reihe von Kollegen im Bereich der Strafrechtspflege geben, die sagen werden, wenn wir das tun, haben wir andererseits die Gefahr, dass der Teil von Eltern, der jetzt nach einer Misshandlung noch hingeht, weil er darauf vertraut, dass die Schweigepflicht den Arzt daran hindert, dies unter diesen Umständen verweigert. Ich denke nur, dass es noch zu viel Leerraum in der Ausgestaltung gibt. Wir haben eigentlich im Ärztegesetz in der Fassung von 2001 in § 54 Abs. 5 eine Regelung, die es dem Arzt nach meiner Auffassung bei verantwortungsbewusster Abwägung des Spielraumes zwischen ärztlicher Schweigepflicht und der entsprechenden Handlungspflicht im Interesse des Kindes ermöglicht, zuständige Behörden zu informieren. Bei der Schweigepflicht ist der Grundrechtsträger das Kind. Eigentlich hat ja das Kind den Anspruch auf Schweigepflicht, nicht der Elternteil. Das Problem ist nur, dass das

Kind von sich aus in seltenen Fällen – ein Zwölfjähriger eher – erklären kann, ich entbinde den Arzt von der Schweigepflicht. Es besteht das Problem, dass der Sorgerechtsträger – das sind die Eltern, die mitunter die Täter sind – das Kind kaum von der Schweigepflicht entbinden. Nun ist der Arzt in der komplizierten Situation abzuwägen, ob er davon ausgehen kann, dass er die Einwilligung des Kindes hier als überwiegend voraussetzen kann und muss. Es wird sicher in der Regel zu realisieren sein, wenn weitere schwere Misshandlungen drohen, also wenn die akute, auf Tatsachen gestützte Wiederholungsgefahr vorhanden ist. In diesem Falle ist nach unserer Auffassung der Arzt nach der Rechtslage schon in der Lage zu sagen, hier muss ich den dominanten Willen des eigentlichen Trägers der Schweigerechtspflicht, also das Kind, sehen und Strafanzeigen erstatten. Das gibt eigentlich auch der § 54 Abs. 5 her, der sagt: „Ergibt sich für den Arzt in Ausübung seines Berufes der Verdacht, dass ein Minderjähriger misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell missbraucht worden ist, so hat der Arzt Anzeige an die Sicherheitsbehörden zu erstatten.“

Nun ist nur die Frage, wie versteht es sich nachher wieder in der Reichweite mit dem § 203, wo die Schweigepflichtkonstellation hineinspielt. Ich denke einfach, dass es hier noch bestimmte Ausgestaltungsspielräume für den Gesetzgeber gibt und dass die Debatte, die mit diesen Anträgen dazu ausgelöst werden kann, auf Landesebene und bundesweit zu thematisieren ist.

Ich möchte noch den Gedanken aufgreifen, den auch mein Vorredner Kollege Weichert hatte. Bei allem, was wir gewissermaßen auf dem Gebiet der Straftatvorbeugung und entsprechenden Sanktionierung tun – das Entscheidende ist, dass wir uns als Parlament, als Politiker darüber Gedanken machen, wie wir die erste Tat verhindern. Das Entscheidende ist, die erste Tat zu verhindern. Es gibt einen erheblichen Teil von Bürgerinnen und Bürgern, die als Eltern in Wahrnahme ihres Elternrechts schlicht überfordert sind. Das kann gesundheitliche Gründe haben. Das kann Gründe haben, die mehr oder weniger in den sozialen Verhältnissen und dergleichen mehr liegen. Das kann Gründe haben, die mehr oder weniger durch Einflüsse Dritter, Abhängigkeiten und Ähnliches eine Rolle spielen. Hier muss sicherlich, ohne dass wir hinnehmen, dadurch in andere Grundrechtsbereiche einzudringen, eine Festlegung erfolgen.

Ich halte es nicht für kompliziert, eine Landesliste schon einmal aufgefallener Bürger zu machen, die in irgendeiner Form schon einmal eine Misshandlung begangen haben. Ich halte es für kompliziert, nun gewissermaßen zu sagen, man muss jetzt ein relativ durchgreifendes Besuchswesen haben, mit dem man permanent im Auge hat, wo es bestimmte Wohnviertel oder Konzentrationen gibt. „Bildungsferne“, wie es heute formuliert wird. Das geht, glaube ich, alles nicht. Damit wären wir in anderen Grundrechtsbereichen und würden andere Rechtsgüter abmindern. Aber die Frage, sich darüber zu verständigen, wie wir in den Wohlfahrtseinrichtungen die ganzen Probleme der Jugendhilfe noch zupackender gestalten und

Geld dort hineinstecken könnten, das wir dann beim Anstaltsplatz wieder einsparen – das sind Dinge, die mit diesen Anträgen ausgelöst werden können. Wir werden also der Intention der Anträge zustimmen, wie sie in dem Tenor der Anträge zum Ausdruck kommen; das versteht sich von selbst.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Gibt es aus den Fraktionen jetzt noch Redewünsche? – Da das nicht der Fall ist, gebe ich das Wort der Staatsregierung. Herr Dr. Buttolo, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich spreche im Namen von Frau Orosz.

Kinder sind das Wertvollste unserer Gesellschaft. Wir als Erwachsene dürfen sie begleiten und wir müssen sie beschützen.

Die Staatsregierung unterstützt daher die beiden Anträge der Koalitionsfraktionen, die darauf gerichtet sind, Kindeswohl zu schützen, indem Gefährdungen frühzeitig erkannt werden.

Meine Damen und Herren! In der 44. Sitzung am 17. März 2006 hatte Frau Orosz bereits darauf hingewiesen, dass die Teilnahmequote an den freiwilligen Früherkennungsuntersuchungen der gesetzlichen Krankenversicherung in Sachsen erfreulich hoch ist. Neun von zehn Eltern nehmen diese Untersuchungen im ersten Lebensjahr ihres Kindes in Anspruch und acht von zehn in den folgenden Jahren. Das ist im bundesweiten Vergleich sehr gut.

Aber es gibt immer noch Lücken, die wir zum Schutz unserer Kinder schließen sollten. Das ist mit Pflichtuntersuchungen nicht getan, weil Vorsorgeuntersuchungen zum Beispiel auch mit Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit der Kinder verbunden sein können, in die die Eltern einwilligen müssen. Mit Pflichtuntersuchungen allein werden wir daher das Problem Gewalt gegen Kinder nicht lösen. Wir müssen vielmehr auf den bestehenden Regelungen aufbauen und einen breiten, übergreifenden Ansatz suchen.

Zunächst ist einmal festzustellen, dass der Gesetzgeber durch die Konkretisierung des neuen § 8a des SGB VIII den Schutzauftrag des Jugendamtes bereits gestärkt und einen entsprechenden Rahmen geschaffen hat. Die Staatsregierung war daran beteiligt und hat dies unterstützt. Nun gilt es, diesen Schutzauftrag des Jugendamtes auch in der Praxis durchzusetzen.

Zu den bereits laufenden Aktivitäten gehört ferner der vom Innenministerium berufene ressortübergreifende Lenkungssausschuss zur Bekämpfung häuslicher Gewalt. Das Ziel dieses Gremiums ist die Senkung häuslicher Gewalt auch gegen Kinder und Jugendliche.

Des Weiteren laufen bereits verschiedene Maßnahmen, die über die Strafverfolgung hinaus der Prävention, der

Intervention und der Arbeit von und mit Opfern und Tätern dienen. Aufbauend auf diesen Regelungen und Möglichkeiten verfolgt die Staatsregierung ein umfassendes Konzept, um Kindeswohlgefährdungen frühzeitiger erkennen und wirksam intervenieren zu können. Zielstellung ist die Entwicklung eines Frühwarnsystems. Dazu gehören:

Erstens: die Kooperation aller Beteiligten. Es geht dabei nicht um die Schaffung neuer Einrichtungen, sondern um die Kooperation der bestehenden. Der Gesetzgeber hat deswegen die Jugendämter zur Zusammenarbeit mit Trägern und Einrichtungen verpflichtet, die Leistungen der Jugendhilfe erbringen. Mehrere Fachkräfte können das Gefährdungsrisiko aus unterschiedlichen Perspektiven einschätzen. Ein verlässlicheres Urteil soll das Eingreifen dann beschleunigen. Dazu kommt: Bürger, Erzieher, Lehrer, Ärzte, das Personal in Kindertageseinrichtungen, Schulen, Beratungseinrichtungen und Krankenhäusern müssen ebenfalls eingebunden werden. Besonders unsere Kitas können ein wertvoller Seismograf für die Früherkennung von Gewalt sein. Ich betone noch einmal: Nur durch Kooperation aller Akteure und durch die notwendige Aufmerksamkeit und Sensibilität können wir Gefährdungen des Kindeswohls rechtzeitig begegnen.

Der zweite Aspekt: Aus- und Fortbildung, Beratung und Aufklärung. Die Aus- und Fortbildung der Berufsgruppen, die mit Kindern und Eltern arbeiten, muss an die Aufgaben der Früherkennung angepasst werden. Das Fachwissen und die praktischen Erfahrungen der unterschiedlichen Professionen wie Ärzte, Hebammen, Lehrer und Sozialarbeiter müssen gebündelt werden.

Der dritte Aspekt: Früherkennungsuntersuchungen. Sie stellen zweifelsohne ein wichtiges Instrument zu Kontrollzwecken dar. Die Staatsregierung wird sich deshalb im Bundesrat dafür einsetzen, die Teilnahme an den Vorsorgeuntersuchungen im Rahmen der verfassungsrechtlichen Möglichkeiten verbindlicher zu gestalten. Dabei darf es uns nicht nur um eine Erhöhung der Teilnehmerquote gehen. Geprüft werden muss auch, ob die Untersuchungsinhalte aussagekräftig und die Untersuchungsintervalle ausreichend genug sind, um Erkenntnisse aus den gewonnenen Informationen ziehen zu können.

Der vierte Aspekt: die Sensibilisierung der Öffentlichkeit. Wir dürfen es nicht nur dem Staat und den staatlichen Behörden wie Polizei, Justiz und Jugend- und Gesundheitsamt überlassen, Kindeswohlgefährdungen frühzeitig zu erkennen und dagegen einzuschreiten. Auch solche Gruppen, die beruflich in öffentlichen Einrichtungen tätig sind und mit jungen Menschen umgehen, müssen aufmerksam sein. Ich denke zum Beispiel an Erzieher, Lehrer, Ärzte. Jede und jeder sollte, wenn es notwendig und angezeigt ist, couragiert und überlegt handeln, ohne andere zu denunzieren. Daher wollen wir Aufmerksamkeit und Sensibilität in diesem Bereich fördern.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Berichte über vernachlässigte, misshandelte und missbrauchte Kinder erschrecken jeden von uns. Sie gehen uns unter die Haut.

Wir wissen: Diese Kinder tragen eine kaum zu verarbeitende Last, besonders dann, wenn nahe Bezugspersonen das Vertrauen der Kinder missbrauchen und sie selbst missbraucht werden.

Gewalt, Misshandlungen, Vernachlässigungen oder Missbrauch hinterlassen oft lebenslange Spuren. Albert Einstein hat einmal gesagt: Es gibt keine großen Entdeckungen und Fortschritte, solange es noch ein unglückliches Kind auf Erden gibt.

Wir sind alle in der Pflicht, unsere Kinder zu schützen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der FDP)

Vielen Dank, Herr Staatsminister. Das Schlusswort haben nun die Fraktionen von CDU und SPD. Frau Nicolaus, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, die sehr angeregte Diskussion hat gezeigt, dass es uns allen hier im Hohen Hause, auch fraktionsübergreifend, darum geht, nicht Eltern zu stigmatisieren und unter Generalverdacht zu stellen, sondern den Eltern, die der Hilfe bedürfen, Hilfestellung zu geben; natürlich vordergründig für ihre Kinder.

Um im Speziellen noch einmal auf die Anträge zu reflektieren, was die Vorsorgeuntersuchung betrifft, ist es für uns wichtig, dass das in den Bundesrat eingebracht wird. Wir werden aber auch sehr kritisch die anderen Bundesratsinitiativen begleiten und sehen, was im Bundesrat bei den jeweiligen Initiativen herauskommt. Gerade die Hamburger Bundesratsinitiative ist noch weitergehend als die, die wir hier im Hohen Haus zur Abstimmung bringen wollen.

Es geht uns dann in dem zweiten Antrag darum, eine Bestandsanalyse durchzuführen und anhand dieser Analyse ein Gesamtkonzept auf die Beine zu stellen, das natürlich auch den Eltern hilft. Es geht darum – das ist von allen Fraktionen betont worden –, gemeinschaftlich ein Hilfekonzept anzubieten, in das alle eingebunden sind.

Ich möchte abschließend sagen, dass es ein allumfassendes Thema ist – da gebe ich dem Minister Recht –, das allen unter die Haut geht. Denn Kindstötungen, meine sehr verehrten Damen und Herren, und Kindsvernachlässigungen gab es immer, schon vor Jahrhunderten. Sie sind nur nicht offen diskutiert worden. Aber in einer sehr zivilisierten und gebildeten Gesellschaft sollte man diesen Dingen entgegentreten, präventiv wirken und den Eltern Maßnahmen in die Hand geben, damit sie mit ihren speziellen Situationen zum Wohle unserer Kinder hier im

Freistaat Sachsen, aber natürlich auch in ganz Deutschland, fertig werden.

Ich bitte Sie ganz herzlich, dass Sie unseren Anträgen zustimmen.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der FDP)

Meine Damen und Herren! Wir kommen nun zur Abstimmung dieser beiden Anträge. Zunächst rufe ich die Drucksache 4/4574 auf, Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD. Ich bitte Sie bei Zustimmung um Ihr Handzeichen.

(Zuruf des Abg. Michael Weichert, GRÜNE)

Pardon.

(Antje Hermenau, GRÜNE: Wir hatten darum gebeten, getrennt abzustimmen!)

Ja, Sie haben Recht, Frau Hermenau, ich hatte mir das auch notiert und habe es doch übersehen. Seien Sie bitte so freundlich, wir stimmen noch einmal ab.

Und zwar geht es darum, über den Punkt 1 gesondert abzustimmen. Die Punkte 2, 3 und 4 können wir gemeinsam machen. Oder gibt es noch andere Wünsche? – Gut, dann verfahren wir so.

Ich rufe noch einmal die Drucksache 4/4574 auf, den Punkt 1. Wer diesem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich, das anzuzeigen. – Danke schön. – Gibt es Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Bei einigen Stimmenthaltungen und keinen Gegenstimmen ist der Punkt 1 mehrheitlich beschlossen.

Ich rufe auf die Punkte 2, 3 und 4 dieses Antrages. Wer diesen zustimmen kann, den bitte ich, dies anzuzeigen. – Danke. Ich frage nach den Gegenstimmen. – Stimmenthaltungen? – Keine Gegenstimmen und keine Stimmenthaltungen; damit sind die Punkte 2, 3 und 4 einstimmig angenommen.

Somit sind alle vier Punkte angenommen, und der Antrag ist beschlossen.

Wir kommen zum zweiten Antrag in der Drucksache 4/4657, Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD zum Thema Vorsorgeuntersuchungen. Wer ist dafür? – Danke schön. Gibt es Gegenstimmen? – Keine Gegenstimme. Stimmenthaltungen? – Bei 2 Stimmenthaltungen und keinen Gegenstimmen ist der Antrag mehrheitlich beschlossen worden.

Damit, meine Damen und Herren, können wir den Tagesordnungspunkt beenden.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 5

Regionale Wirtschaftsförderungsfonds schaffen – Regionalbudgets einrichten