1. Die Aus- und Fortbildung der Lehrer braucht dringend eine Neuorientierung hinsichtlich ihrer Kenntnis der Arbeitswelt.
Ein Wort zur Erziehungspartnerschaft. Dabei gilt es, die Verantwortung der Eltern für die Entwicklung grundlegender persönlicher und sozialer Kompetenzen ihrer Kinder wieder deutlich zu betonen. Eltern sind primär für die Erziehung ihrer Kinder verantwortlich. Selbstständigkeit und Offenheit, Lern- und Leistungsbereitschaft, Zuverlässigkeit und Gemeinsinn, Verantwortungsbewusstsein und Rücksichtnahme sind unverzichtbare Tugenden, die zuallererst in der Familie ausgebildet und eingeübt werden müssen. Die Familie ist und bleibt der erste, zentrale Ort, an dem Kinder Orientierungspunkte und Vorbilder finden. Eltern müssen ihren Kindern den Wert von Bildung verdeutlichen und sie zur Anstrengung und Leistungsbereitschaft wie zur Entfaltung ihrer individuellen Fähigkeiten ermutigen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit den neuen Lehrplänen sind wir auf dem richtigen Weg. Wie Sie der Antwort der Staatsregierung entnehmen können, geht es jetzt darum, die vielfältigen Initiativen zu begleiten und etwaige Hemmnisse aus dem Weg zu räumen. Theorie und Praxis bei der Berufsorientierung und die eigene Einschätzung des Leistungswillens und der Leistungsbereit
schaft müssen mehr Bezug zur regionalen Wirtschaft erhalten. Dazu trägt die Initiative „Woche der offenen Unternehmen“ bei.
Besonders wichtig scheinen mir aber die Möglichkeiten des praktischen Erlebens, Erfahrens und Erprobens zu sein. Diese Möglichkeiten müssen erweitert werden. Das fängt damit an, dass man den Kindern frühzeitig die Gelegenheit anbietet, sich in so genannten Branchenkabinetten, wo regionale Produkte und Leistungen plastisch gezeigt werden, zu informieren. Das hat den Vorteil, dass schon frühzeitig eine Branchen- und Berufsorientierung erfolgen kann. Oder kann mir jemand jedes Produkt und jede Leistung, die in seiner Region angeboten werden, nennen? Ein besonders geeignetes Hilfsmittel ist dabei der nun zur Anwendung kommende Berufsorientierungskompass – da man hier nichts hochhalten darf, kann gerne einmal auf meinen Platz geschaut werden, da habe ich einen liegen. Zur Information: Das ist eine ganz tolle Geschichte, die wir über Jahre erarbeitet haben.
Die von mir seit Jahren mitinitiierte Berufsorientierungsmesse in Zwickau ist mit 70 ausstellenden Unternehmen und Einrichtungen sowie zirka 3 500 Schülerinnen und Schülern ein gutes Beispiel für das Engagement von IHK, Kreishandwerkerschaft, Regionalschulamt und Bildungsträgern. Nur mit der Unterstützung von Betrieben und Unternehmen kann der notwendige Realitäts- und Aktualitätsbezug gesichert werden. Um dies aber auch praktisch zu probieren, ist es unbedingt erforderlich, dass die obligatorischen Betriebspraktika eine neue Qualität erhalten. Gründe, warum etwas nicht geht, sind schnell bei der Hand. In den Unternehmen, in denen es objektiv nicht geht, sollte dennoch nach Möglichkeiten der Kooperation mit Ausbildungszentren gesucht werden. Gerade in den von uns besonders geförderten Zentren liegen ungenutzte Möglichkeiten für Praktika.
Bisher habe ich vor Ort eigentlich nur positive Signale vernommen, was die Auslastung dieser Zentren mit der Durchführung von Schülerpraktika betrifft. Die Vorteile liegen auf der Hand. Zum einen kann jeder Schüler seine theoretisch mit Hilfe des Berufsorientierungspasses ermittelte Eignung praktisch austesten, und zum anderen erfolgt dies hauptsächlich mit ganz engem Bezug zum regionalen Bedarf.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Verbesserung der Ausbildungsreife durch frühzeitige Angebote zur Information und zum praktischen Erproben ist nicht nur Motivation zu besserem Lernen, sondern für die Jugendlichen auch ein Schlüssel dazu, ein größeres Angebot an Berufsfeldern auswählen zu können. Es geht auch darum, den Jugendlichen die Angst zu nehmen, den Anforderungen, die der Beruf an sie stellt, nicht gerecht werden zu können.
Glauben Sie mir: Wenn man praktisch miterlebt, wie Kinder unter tatkräftiger Mithilfe von Lehrern und erfahrenen Facharbeitern in einer Schülerfirma wirken, ist mir nicht bange um die zukünftigen Fachkräfte, vor allem, weil da im Team an Lösungen gearbeitet wird, wie Wis
sensdefizite am schnellsten aufgearbeitet werden können. Da besteht auch für den vermeintlich Schwächeren die Chance, seine Stärken mit einzubringen. Fordern und Fördern, verbunden mit einer funktionierenden Erziehungspartnerschaft, sind die Grundlagen, die erforderliche Ausbildungsreife zu erreichen. Es liegt an uns, den Betrieben, den Unternehmen, den Schulen und den Eltern, gemeinsam dafür zu sorgen, dass unsere Kinder fit für die Zukunft sind.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Mit Hilfe der dualen Ausbildung gelingt es der Wirtschaft, eklatante Pisa-Schwächen auszubügeln und den Standort Deutschland aufzuwerten.“ – So lautet der Titel eines Artikels in der „Wirtschaftswoche“ vom November 2005.
Dass es wesentlich dem dualen Ausbildungssystem zu verdanken ist, wenn aus schwachen Schülern qualifizierte Fachkräfte werden, ist für den Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelskammertages Tatsache. Derselbe meint, die berufliche Ausbildung in Schulen und Betrieben gehöre zu den großen Stärken des Standortes Deutschland. Ich glaube, dies ist auch unbestritten. Wir haben uns allerdings hier im Plenum schon öfter mit der unbefriedigenden Situation auf dem Ausbildungsmarkt beschäftigt. Wir sind uns einig, dass wir in den nächsten Jahren noch größere Anstrengungen zu unternehmen haben.
Klar ist: Unser Primat liegt nach wie vor bei der betrieblichen Ausbildung. Ergänzend wirkt die möglichst betriebsnahe überbetriebliche Ausbildung. Beispielhaft sei hier die Verbundausbildung, wie ich sie vor Ort vom VW-Bildungsinstitut Zwickau kenne, genannt. Alle haben jedoch ein Problem: die fachlichen und menschlichen Voraussetzungen der Schulabgänger, zusammengefasst unter dem Begriff Ausbildungsreife.
Für die Tarifvertragsparteien steht das Problem der teilweise mangelnden Ausbildungsreife schon seit Jahren auf der Tagesordnung. So forderte schon im Jahr 2000 der Zentralverband des Deutschen Handwerks in seiner Publikation „Aus- und Weiterbildung nach Maß – Das Konzept des Handwerks“ eine bessere schulische Vorbildung für die zukünftigen Auszubildenden. Die IG Metall möchte dem sich durch die demografische Entwicklung abzeichnenden Fachkräftemangel durch Qualifizierungsverträge gegensteuern.
Meine Damen und Herren! Dieser Antrag der Koalition wird nicht nur von den Fachpolitikern für Wirtschaft und Arbeit unterstützt. Er kommt nicht von ungefähr aus den
entsprechenden Arbeitskreisen. Nein, alle, die mit diesem Thema umgehen, sagen: Die Qualität unserer Schulabgänger, besonders im Mittelschulbereich, trägt immer weniger den Anforderungen einer hoch qualifizierten beruflichen Ausbildung Rechnung.
Alle sind sich einig, dass wir die Ausbildungsreife verbessern müssen, damit Sachsen eine Zukunft hat. Führende Industrieländer bauen ihren Erfolg auf einem enormen Anstieg des Wissens der Menschen auf, Stichwort: Humankapital. Hier möchte ich nochmals an unsere gestrige Debatte zu den EU-Strukturfonds anknüpfen. Ich wiederhole: Der erste Arbeitsmarkt stellt immer höhere Ansprüche an die Qualifikation, und Investition in Wissen und Bildung ist Investition in den ersten Arbeitsmarkt. Investition in Wissen und Bildung schafft Arbeitsplätze.
So stellte die Deutsche Bank unlängst fest, dass das Humankapital der wichtigste Wachstumsmotor sei. Ein durch bessere und längere Ausbildung erworbenes höheres Humankapital erlaube effizienteres Arbeiten. Gleichzeitig können durch die Beschäftigten höherwertige(re) Tätigkeiten ausgeführt werden. – Ein faszinierender Satz; denn das ist doch das Problem in Deutschland: Beschäftigung gibt es immer mehr nur in höherwertige(re)n Tätigkeiten, die immer qualifiziertere Menschen brauchen.
Die Frage, die sich hierbei zuerst stellt, ist: Was macht eigentlich die Ausbildungsreife aus? Was heißt Ausbildungsreife? Das Bundesinstitut für Berufsbildung in Bonn befragte Ende Januar 2004 knapp 500 Fachleute aus Betrieben, Verbänden, Schulen und Gewerkschaften. Die Ergebnisse – mein Kollege Pietzsch hat sie teilweise angerissen – sind bekannt. Die Experten legen besonderen Wert auf Sozial- und Leistungskompetenz. 98 % der Befragten setzen auf Zuverlässigkeit und Bereitschaft zum Lernen. 95 bzw. 94 % fordern Verantwortungsbewusstsein, und fast neun von zehn Ausbildern legen bei den Lehrlingen Wert auf Höflichkeit. Auffallend ist in diesem Zusammenhang, dass offensichtlich das reine Schulwissen nicht das alleinige Kriterium der Ausbildungsreife ist.
Uns allen ist doch klar, dass viele der geforderten Eigenschaften weder primär durch die Schule noch durch die Ausbildungsbetriebe geleistet werden können. Es kann jedoch auch nicht sein, dass wir uns angesichts der offensichtlichen Situation als Politiker zurücklehnen und die Verantwortung an das Elternhaus weitergeben. Wir müssen uns fragen: Wodurch können wir für das berufliche Fortkommen unserer Kinder und Jugendlichen wichtige Eigenschaften vermitteln?
Die Politik muss handeln, und um dafür die Voraussetzungen schaffen zu können, dient dieser Antrag. Klar ist dabei: Wir müssen uns besonders von den so genannten unverrückbaren Positionen der Parteien verabschieden, Herr Hahn! Wir müssen unseren teilweise masochistischen Hang zum Dogmatismus überwinden.
Das klingt nicht so! – Das muss heißen, dass wir uns möglichst den Problemen unvoreingenommen widmen sollten.
In diesen Zusammenhang gehört, dass wir dem Änderungsantrag der FDP-Fraktion zustimmen werden, da er ein Baustein dafür ist, dieses Problem zu lösen. Dazu gehört, dass der angebliche Gegensatz zwischen Schule und Unternehmen früher gesprengt werden muss. Die Berufsorientierung darf nicht erst am Ende der Schulzeit beginnen. Glauben Sie mir: Als jemand, der einen 13-jährigen Sohn in der 7. Klasse hat, weiß ich, wovon ich hier spreche. Da kommt relativ wenig in den Schulen herüber.
Profunde Ausbilder aus dem VW-Bildungsinstitut sagten mir: Wenn Sie in die 10. Klassen gehen, wissen dort etwa drei Viertel der Jugendlichen noch nicht, welchen Weg sie einschlagen wollen. Dies zu ändern ist ebenfalls Ziel dieses Antrages.
Dazu können finanzielle Budgets zur eigenständigen Planung von berufsorientierten und berufsvorbereitenden Projekttagen an unseren Schulen dienen. Hier kann man auch die Wirtschaft sehr gut einbeziehen. Dazu kann aber auch der altbekannte Unterrichtstag – ich nenne es einmal Projekttag – in der Produktion dienen. Dies wird mittlerweile von vielen Lehrern und Ausbildern gutgeheißen. Man kann auch hier eine Art Vertragsbetriebspraktikum initiieren, das heißt, dass man Betriebe vertraglich verpflichtet, Betriebspraktika durchzuführen, was den Schülern den teilweise mühseligen Suchweg erleichtern könnte.
Eltern, Schulen und Unternehmen müssen vorher frühzeitig in Kontakt kommen. Wir müssen mehr konkrete Projekte zwischen Schülern, Schulen und Unternehmen fordern. Glauben Sie mir: Alle Seiten haben davon einen Nutzen. Stimmen Sie diesem Antrag zu!
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die beiden Anträge, über die wir jetzt sprechen, beinhalten nicht genau denselben Gegenstand, aber sie passen zueinander. Bei CDU und SPD geht es um die grundlegenden Fähigkeiten, die die Absolventen unserer Schulen haben müssen, um einen Beruf zu ergreifen. Uns geht es darum, ihnen Orientierung
und Hilfe zu geben, damit sie einen Beruf finden, der ihren Neigungen und Bedürfnissen entspricht, der ihnen aber auch eine Chance auf dem Arbeitsmarkt einräumt.
Ich möchte mit zwei Fakten beginnen. Es gab in Südwestsachsen eine Befragung, in der Schüler nach ihren Wunschberufen befragt wurden. Nun raten Sie einmal, was an der Spitze der Wünsche stand! Wo wollten die Schüler am liebsten einen Beruf erlernen?
Sie wollten in den öffentlichen Dienst. 30 % nannten den öffentlichen Dienst als ihr Traumberufsziel. Im Vergleich dazu nannten 18 % Industrie oder Handwerk. Wenn wir uns anschauen, was mit Lehrverhältnissen, die einmal abgeschlossen sind, geschieht: Jedes fünfte – etwa 20 % – der Lehrverhältnisse wird abgebrochen – offenbar ein Zeichen dafür, dass das, was sich jemand vorstellte, nicht mit dem übereinstimmte, was er in der Praxis antraf. Deshalb sollte uns dies schwer zu denken geben.
Gerade im produzierenden Gewerbe in Sachsen wächst der Bedarf an Fachkräften. Doch die Berufswünsche auf der einen Seite und die Berufschancen auf der anderen Seite klaffen weit auseinander. Das können wir uns wirtschaftlich, aber auch gesellschaftlich auf Dauer nicht leisten. Berufsorientierung gibt es natürlich im Elternhaus, aber neben dem Elternhaus ist die Schule der wichtigste Schlüssel für die berufliche Orientierung der Jugendlichen.