Protocol of the Session on March 15, 2006

(Kerstin Nicolaus, CDU: Da sehen Sie mal!)

als Sie meinten, dass wir uns sozusagen auf dem Rücken der Versicherten profilieren wollten.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Unerhört!)

Ihre Äußerung – wenn ich Ihrer Fraktion angehören würde, würde ich mich Ihres Schlagwortes in dieser Angelegenheit bedienen – weise ich zurück.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Ich möchte also deutlich zu verstehen geben und sage es ausdrücklich: Wir haben es mit einer außerordentlich komplizierten Materie zu tun. Die Institution, die in Rede gekommen ist, existiert seit dem 1. Oktober nicht mehr, und ich meine, es sind auch jene weitgehend bereits im Ruhestand oder auf Weltreisen – wie auch immer –, die eventuell dafür – ich zeige nicht auf Sie; dazu sage ich später noch etwas – eine Verantwortung tragen, was seit Wochen tagein, tagaus an Vorhaltungen in der Presse steht.

Wir haben es mit einem weiteren komplizierten Problem zu tun: Wir müssen uns an eine Staatsministerin wenden, die für die Dinge, die Jahre zurückliegen, nun wirklich nicht verantwortlich ist. Dies will ich der Redlichkeit halber deutlich sagen.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Sehr richtig! – Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: So sind wir nämlich!)

Dennoch haben wir eigentlich unsere Aufmerksamkeit dem neuen Rentenversicherungsträger zuzuwenden; denn will man der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ – sie steht Ihnen ja näher als mir – glauben, hätten wir dort bereits über erhebliche Anfangsprobleme zu diskutieren und unter Umständen kontrollierend einzugreifen.

(Zuruf von der CDU)

Das hoffe ich. – Was mich bei alledem etwas irritiert hat: Es scheint offenbar Mode zu werden, dass bei Anträgen zuerst die Staatsregierung spricht. Das, liebe Frau Orosz, was Sie dargestellt haben und worin ich in vielen Punkten zustimmen kann, hätte ich gern in Schriftform gehabt; denn so eng dürften doch die Kooperationsbeziehungen zwischen Ihnen und der CDU- und der SPDFraktion sein, dass Sie zu einem Antrag Ihrer Koalitionsfraktionen eine etwas vorfristige Stellungnahme abgeben. Dies macht es uns jetzt natürlich schwer.

Aber unser Anliegen war, als wir unseren Antrag am 9. Februar eingereicht haben, für Aufklärung zu sorgen und zu hinterfragen, welche Rolle das Sozialministerium bei all dem gespielt hat. Frau Nicolaus, darin unterscheiden wir uns eben. Wenn Sie unseren Antrag lesen, dann werden darin Fragen gestellt – Fragen, deren Aufklärung wir erbitten. Wir stimmen selbstverständlich darin überein: Wir wollen weiterhin lückenlose Aufklärung; und wenn wir lückenlose Aufklärung wollen, dann in erster Linie deshalb, weil das Vertrauen in den Rentenversicherungsträger bei der Versicherten erschüttert ist. Wir müssen hier wieder Vertrauen schaffen, und dies müssen wir gemeinsam tun.

Außerdem müssen wir selbstverständlich auch die Frage stellen: Wer trägt die Verantwortung und wer ist schuld? Natürlich werden wir hier keine Vorverurteilung vornehmen, und wir werden zunächst auch keine anderen, schärferen Dinge in Anwendung bringen. Denn zunächst hat die Justiz ihre Aufgabe zu erfüllen. Wenn INES, wie man liest, seit Mitte 2004 ermittelt, dann muss es doch etwas zu ermitteln geben, Frau Staatsministerin, und dann kann es ja wohl nicht so sein, dass das alles mit einigermaßen rechten Dingen zugegangen sein könnte.

Wir möchten auch deshalb Aufklärung, weil wir Schlussfolgerungen für den neuen Träger ziehen müssen. Es stimmt, dass so etwas wie das, was vorgekommen ist, nie wieder vorkommen darf, zumal Sie ja auch für den neuen Träger die Rechtsaufsicht haben.

Ich stimme mit Ihnen darin überein, dass wir uns auch die Frage stellen müssen, ob die gegenwärtigen gesetzlichen Mittel ausreichen oder ob wir – das ist in der Tat Bundesrecht – die Auffassung vertreten müssen, dass es hier Änderungen geben muss.

Dennoch kann ich Ihnen nicht ohne weiteres zustimmen, wenn Sie sagen, es gebe hinsichtlich der Rechtsaufsicht keinerlei Versäumnisse. Ich will das zumindest differenziert beurteilen und einige Fragen stellen, die nach unserer Auffassung künftig geklärt werden sollten. Das heißt für mich auch, wie wir miteinander umgehen.

Die erste Frage, die ich stellen muss, lautet: Seit wann wusste das Sozialministerium, dass ermittelt wird? War das 2004, war das 2005, haben Sie es erst aus der Presse erfahren? Ich habe aber auch gelesen, dass Akten aus dem Sozialministerium angefordert worden sind.

Ich frage zweitens – und das meine ich mit einigermaßen kooperativem Umgang zwischen Exekutive und Legislative –: Weshalb müssen wir ständig solche Dinge aus der Presse erfahren? Weshalb wird nicht wenigstens im Sozialausschuss, der nicht öffentlich tagt, darüber informiert, dass es entsprechende Ermittlungen oder Überprüfungen gegeben hat? Ich bin schon einige Jahre in diesem Ausschuss. Diese Probleme haben bei uns keine Rolle gespielt, von der letzten Sitzung einmal abgesehen, aber da war das Kind bereits in den Brunnen gefallen.

Drittens frage ich: Weshalb wurde der Ausschuss nicht über die gravierenden Vorhaltungen im Bericht des Bundesrechnungshofes vom April 2003 informiert? Das muss ja lange vorliegen. Es ist ein zig Seiten langer Bericht. Offenbar Geheimakte! Ich weiß das nicht. Wenn Sie uns unterstellen, dass wir unter Umständen zu Nachfragen neigen, dann tun wir das doch auch deshalb, weil hier offenbar etwas unter Verschluss gehalten wird, was an die Öffentlichkeit gehört.

Das Vierte: Hat es Beschwerden von Kliniken gegeben, die sich bei der Belegung nicht ausreichend berücksichtigt fühlten? Wir wissen doch, dass das, was beispielsweise in Österreich, in Bad Gastein möglich war, auch in Bad Brambach möglich gewesen wäre. Das wissen wir doch. Wir wissen auch – wir waren gelegentlich mit dem Aus

schuss unterwegs –, dass es immer wieder Beschwerden darüber gegeben hat, dass gerade sächsische Kureinrichtungen eben nicht so ausreichend bedacht worden sind – manche mehr, manche weniger.

Das Fünfte – es hängt damit zusammen –: Weshalb hat Ihr Vorgänger denn nicht geklagt, nachdem er angewiesen hatte, dass keine Patienten mehr nach Bad Gastein geschickt werden sollen? Dazu finden wir in der Presse – ein anderes Aktenstück steht uns nicht zur Verfügung – die Mitteilung, dass die Aussicht auf Erfolg gering gewesen wäre. Ich weiß nicht, ob das zutrifft, aber man muss doch dann als Opposition den Verdacht haben, dass es hier irgendwelche Ungereimtheiten gibt. Anderenfalls hätte man doch geklagt, ganz gleich, wie es ausgeht, denn es war damals gesetzeswidrig.

Das Sechste: Warum scheiterte denn der Verkauf des Kinderkurheims in Glossen im Kreis Löbau, obwohl der Ministerpräsident – das haben wir per Kopie des Schreibens sogar vor Augen – den damaligen Sozialminister dringend aufgefordert hat, dort einmal nach dem Rechten zu schauen, was mit der LVA los ist? Und dann zahlt der Freistaat zur Entschuldung der Kommune, die nach Löbau eingemeindet wurde, sieben Millionen Euro! Ist das nicht etwas, von dem man sagen könnte, dass dem Freistaat dadurch Schaden entstanden ist?

Und das Letzte, was ich fragen will – Sie haben dazu einiges genannt, aber ich hätte es gern etwas ausführlicher, wenn Sie hoffentlich zu dem CDU-/SPD-Antrag Bericht erstatten –: Welche Initiativen haben Sie denn wirklich ergriffen, um die Gesetzeslage zu ändern? Ich stimme durchaus mit Ihnen überein und ich hatte sogar vor, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Vielleicht tue ich das auch noch, weil wir bekanntermaßen Anträge gelegentlich schneller stellen als Sie, wie wir auch hier gemerkt haben, sodass Sie nicht in die Gefahr kommen, diesen Dingen etwa nicht zuzustimmen.

Erstens. Ich bin nämlich wie Sie der Auffassung, dass die Selbstverwaltung ein hohes demokratisches Gut ist. Das wollen wir in keiner Weise antasten. Aber wenn Selbstverwaltung im Einzelfall dazu führen kann – und hier häufen sich offensichtlich die Einzelfälle –, dass bestimmte Geschäftsführer nach Gutsherrenart schalten und walten, wie man in der Presse lesen konnte, dann müssen wir Bremsen einbauen. Darin stimmen wir überein.

Das heißt, Sie brauchen neben der Rechtsaufsicht auch die gesetzlich verbriefte Fachaufsicht. Beides muss zusammenkommen. Anders wird es nicht gehen.

Zweitens brauchen wir selbstverständlich – auch darin stimmen wir überein – unabhängige Wirtschaftsprüfer. Diese unabhängigen Wirtschaftsprüfer haben bekanntlich einen Namen zu verlieren, wenn sie nicht richtig prüfen. Darauf kann man sich in aller Regel verlassen.

Drittens will ich ganz deutlich etwas auch an die Adresse der FDP sagen, die ganz rasch mit Rücktrittsforderungen und Ähnlichem in der Presse präsent war. Man hatte allerdings den Eindruck, dass derjenige, der die Erklärung

abgegeben hat, noch gar nicht gemerkt hatte, dass die LVA Sachsen gar nicht mehr existiert. Hanjo Lucassen kann vom Vorstandsvorsitz der LVA nicht zurücktreten, denn die LVA gibt es nicht mehr. Das nur in Ihr Stammbuch. Aber ich sage: Wenn wir schon Verantwortlichkeiten heranziehen, dann müssen wir das wenigstens in Parität tun; denn der Vorstandsvorsitzende hat gewechselt zwischen dem Vertreter der Gewerkschaften, also der Arbeitnehmer, und dem Vertreter der Arbeitgeber. Man darf also nicht alles nur bei den Gewerkschaften abladen, weil man das vielleicht gerade gut findet.

(Zuruf des Abg. Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS – Gegenruf des Abg. Torsten Herbst, FDP)

Das kann ich mir vorstellen! Das haben Sie gerade nötig!

Und ich sage noch etwas: Man muss diesem ehrenamtlichen Vorstand auch ein unabhängiges Beratergremium an die Seite geben; denn jeder, der einmal ehrenamtlich in einem Aufsichtsrat gesessen hat, wird mir bestätigen, dass man die Dinge überhaupt nicht ausreichend kontrollieren kann, dann aber die Verantwortung hat. Das muss irgendwo zusammengehen. Wir haben es jetzt mit reichlich 17 Milliarden Euro im Jahr zu tun, die der neue Rententräger zu verwalten und auszugeben hat. Wie will das ein ehrenamtlicher Vorstand in die Reihe bekommen? Hier sind andere gesetzliche Regelungen sowie die Unterstützung des Vorstandes notwendig.

Alles in allem: Sie haben gemerkt, liebe Frau Nicolaus, dass ich hier keine Anschuldigungen vorgetragen habe. Davor werde ich mich hüten. Ich greife nicht in das Geschäft der Justiz ein. Aber ich kündige Ihnen eines an: Wir erwarten weitere Aufklärung

(Kerstin Nicolaus, CDU: Wir auch!)

und wir erwarten auch weitere Stellungnahmen des Ministeriums. Das wird ja geprüft. Danach werden wir uns entscheiden, wie wir mit diesem Thema im Landtag weiter umgehen.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Die FDP-Fraktion. Herr Abg. Herbst.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn die in den Medien erhobenen Vorwürfe zu den Missständen der alten Rentenversicherung Sachsen nur zu einem Bruchteil stimmen, dann sprechen wir hier über einen der größten Rentenversicherungsskandale der vergangenen Jahre in Deutschland. Das ist keine Lappalie, die man mal einfach so vom Tisch wischt, die man unter dem Stichwort „Betriebsunfall“ verbuchen kann,

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

sondern hier besteht Handlungsbedarf.

Ich will eines ganz klar feststellen: Uns als FDP geht es nicht darum, wer etwa auf wessen Kosten Porzellangeschirr geschenkt bekommen hat oder wer auf wessen Kosten irgendwo zur Kur war.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Wir sprechen über die systematische Verschiebung von Millionen Euro der Rentenversicherten, wir sprechen von einem Sumpf der Korruption, der sich offenbar jahrelang unbehelligt ausgebreitet hat.

Damit sind wir bei dem Hauptproblem: Wie konnte eigentlich der alte Vorstand der LVA Sachsen jahrelang nichts bemerken, wie konnte das Sozialministerium als Rechtsaufsicht entweder nichts bemerken oder den Missständen nicht energisch genug nachgehen? Nach den Informationen, die uns vorliegen, kann ich behaupten, sie hätten es bemerken können,

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Richtig!)

wenn sie gewollt hätten.

Aber sowohl der alte Vorstand als interne Aufsicht als auch das Sozialministerium als externe Aufsicht haben in ihrer Funktion jeweils versagt. Es drängt sich – sorry – der Eindruck auf, dass der Vorstand jedes privaten Vereins weitgehend professioneller arbeitet und genauer auf seine Vereinskasse schaut, als das die Aufsichtsgremien der Anstalt hier getan haben. Jeder Staatsanwalt im ersten Berufsjahr weiß: Je mehr Geld irgendwo bewegt wird, desto höher ist die Korruptionsgefahr, und bei der LVA werden jedes Jahr Milliarden Euro bewegt. Die meisten davon sind gesetzlich gebunden. Das ist auch gut so. Aber es geht eben um die verfügbaren Mittel, und deren Höhe ist nicht gering.

Warum wurde bei Summen in dieser Größenordnung nicht hingeschaut? Eine Antwort erhalten wir vom Staatssekretär im Sozialministerium Hauser in der „Sächsischen Zeitung“ vom 7. Februar. Er teilt mit, das Sozialministerium sei nur für die Prüfung der Punkte Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit verantwortlich. Warum der Verdacht von Bestechung, von Bestechlichkeit und von Untreue nicht darunter fällt, erschließt sich mir nicht.

Sie selbst, Frau Orosz, haben ausgeführt, dass die Beachtung von Gesetzen in Ihre Aufsicht fällt. Offenbar wurde hier gegen Gesetze verstoßen, und nur zu bemängeln und nicht nachzustoßen, das reicht uns jedenfalls nicht aus. Wenn es seit Jahren handfeste Indizien für korruptes Verhalten gegeben hat, hätte die Rechtsaufsicht dem nachgehen müssen. Da kann sich das Ministerium auch nicht mit dem formalen Argument herausreden, die LVA sei selbstverwaltet und man habe keine Chance, dort einzugreifen.

Herr Pellmann, jetzt komme ich zu Ihnen. Ich finde es höchst interessant, wenn der langjährige Vorstandsvorsitzende der LVA Sachsen, Herr Lucassen, der im Prinzip heute noch im Vorstand sitzt, erklärt, er habe von den Missständen nichts bemerkt, denn das Tagesgeschäft habe