Protocol of the Session on January 25, 2006

Es besteht also Einigkeit unter den Experten – politisch wie wirtschaftlich –, dass innerhalb des geltenden Steuergesetzes eine Reduzierung der Umsatzsteuerausfälle kaum möglich ist, wenn nicht weitere effektive Maßnahmen, unter anderem zur Betrugsbekämpfung, zur Verfügung stehen. Hierzu das Stichwort „Telefonüberwachung“. Hier gibt es auch bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im AK Finanzen der Bundestagsfraktion die Erkenntnis, dass man dort wahrscheinlich in einen Zielkonflikt zwischen Datenschutz und den Kontrollmechanismen käme. Denn wenn man dieses System von der Anfälligkeit her auf null fahren wollte, dann müsste man wahrscheinlich die „gläserne Firma“ einführen, und dagegen würde mit Sicherheit auch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN etwas haben.

Richtig ist, dass alles darangesetzt werden muss, die Umsatzsteuerkriminalität künftig einzudämmen – nicht nur wegen des den Haushalten verloren gehenden Geldes, sondern auch, um seriöse Firmen im Wettbewerb zu schützen.

Richtig ist auch, dass der Freistaat – die Beantwortung der Großen Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, aber auch die Beantwortung der Kleinen Anfrage der Fraktion der FDP zeigen das – das Notwendige und Machbare versucht, was nicht ausschließt – das will ich hier ausdrücklich erklären –, dass in diesem Bereich noch Möglichkeiten und Ressourcen stecken.

Wir sind auch gern bereit, konkret im Haushalts- und Finanzausschuss, zum Beispiel bei der Aufstellung des Stellenplanes für den Haushalt 2007/2008, darüber zu diskutieren, und zwar, wie ich in der letzten Debatte schon sagte, darüber, ob in diesem Bereich Personalrotationen vorgenommen werden sollten – in welchem Umfang und wie behutsam, darüber kann man sehr wohl diskutieren –, um dort mehr Sachkompetenz länger an einem Platz zu lassen und Reibungsverluste durch Einarbeitungszeiten zu verhindern.

Dies kann man im Haushalts- und Finanzausschuss sehr gern tun.

Ich gebe der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auch gern Recht, dass dem Ausnutzen der gegenwärtig zur Verfügung stehenden Instrumente theoretisch der Vorzug gegenüber der Mehrwertsteuererhöhung zu geben ist.

Ich komme jetzt zur Mehrwertsteuererhöhung – doch leider nur theoretisch, Frau Hermenau. Die Zahlen, die das Ifo-Institut vorgelegt hat, sind zwar in der Tat erschreckend. Ich möchte nachdrücklich darauf hinweisen: Es handelt sich um Berechnungen, basierend auf einer groben volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Das heißt, wir reden nicht über 400 Millionen Euro. Unstrittig ist auch, dass jedes System, Frau Simon, eine Fehlerquote in sich trägt. Das heißt einerseits nichts anderes, als dass man auch mit einer Verdoppelung des Personals nicht automatisch eine Halbierung der Betrugsvolumina erreicht. Es heißt andererseits, dass selbst im Idealfall nicht jeder Cent Umsatzsteuer eingenommen werden kann;

denn wir sind alle Menschen und wir machen alle Fehler. Deshalb sind wir Menschen.

Auch mit einer Verfeinerung der gegenwärtigen Instrumente, was die Erhebung der Umsatzsteuer angeht, kann man kaum die notwendige Haushaltskonsolidierung in Bund und Ländern zuzüglich Impulsen für Wachstum bewältigen. Natürlich kann man immer das Argument bringen, erst einmal Einnahmenausfälle zu begrenzen. Das gilt im Übrigen sinngemäß für alle Lebensbereiche: Schwarzfahren bekämpfen, bevor Fahrscheinpreise erhöht werden, Energieverschwendung bekämpfen, statt die entsprechende Preiserhöhung zu bezahlen,

(Beifall des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Einkommensteuerschlupflöcher schließen, anstatt Einkommensteuer zu erhöhen, oder zu Fuß gehen, anstatt teuren Sprit zu tanken, Frau Hermenau.

(Zuruf der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE)

Eine Verknüpfung der Bekämpfung des Umsatzsteuerbetruges und der Erhöhung der Mehrwertsteuer, die jetzt ansteht, ist aus meiner Sicht unzulässig und fahrlässig. Im Übrigen, warum erhöhen Sie die Mehrwertsteuer? Warum sind Sie nicht für die Abschaffung der Ökosteuer? Die sechs, sieben Milliarden wären doch locker drin!

(Antje Hermenau, GRÜNE: Weil Sie die für die Renten brauchen!)

Man könnte natürlich auch die Einkommensteuer senken. Diese Steuerart ist willkürlich von Ihnen herausgegriffen, weil sie in diese Zeit passt. Deshalb werde ich an dieser Stelle auch kein Plädoyer für eine Mehrwertsteuererhöhung halten. Wir haben im Bundeswahlkampf gegen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer gekämpft. Das haben wir nicht vergessen. Wir hätten uns eine Konsolidierung der öffentlichen Haushalte über die Stärkung des Wachstums und den Abbau von Steuersubventionen gewünscht. Der Blick auf die Zahlen unterstreicht den riesigen Konsolidierungsbedarf dieser Republik, Frau Hermenau: 1,5 Billionen Euro Schulden in Deutschland, elf Milliarden Euro davon in Sachsen. Die versteckte Verschuldung durch Renten- und Pensionsansprüche im Bund verfünffacht dies teilweise. Dazu kommen – das wollen wir nicht vergessen – die Aufbauhilfen für die neuen Länder: 105 Milliarden Euro in den nächsten Jahren, 51 Milliarden Euro im Korb II. Zusammengenommen mit Renten, Krankenversicherungen und Mitteln für den Arbeitsmarkt pro Jahr sind es 110 Milliarden Euro, die in die neuen Bundesländer fließen.

Wir hätten den hier genannten Bedarf gern anderweitig gedeckt. Sie wissen auch, dass man in einer Koalition Kompromisse schließen muss. Die Mehrwertsteuererhöhung war ein diesbezüglicher Kompromiss. Herausgekommen sind auch Dinge wie das Konjunkturprogramm mit 25 Milliarden Euro und dass der ermäßigte Mehrwertsteuersatz bleibt, auch wenn dies teilweise im Kleingedruckten etwas ins Lächerliche gezogen wird. Ich denke aber, dass es vernünftig ist. Herausgekommen ist,

dass 1 % dieser Erhöhung für die Senkung der Lohnnebenkosten – konkret der Arbeitslosenversicherung – eingestellt wird.

(Zuruf)

Es bringt doch nichts, etwas im Vorfeld zu sagen. Es erinnert mich immer an das Thema Glaskugel. Vorher sitzen immer alle da und sagen, es funktioniert nicht. Das ist bekannt.

Persönlich noch etwas zum Abschluss. Die „MoPo“ hat vorgestern – glaube ich – geschrieben: „So knapp, wie die Politiker immer tun, scheint es zumindest in Sachsen nicht zu sein. Erst vor ein paar Tagen durften wir erstaunt zur Kenntnis nehmen, dass die Staatsregierung auf gehorteten 300 EU-Milliönchen sitzt und sich nicht einigen kann, wie der Mammon verpulvert werden kann. Nun hören wir, dass sich der Freistaat jedes Jahr zirka 400 Millionen Euro durch die Lappen gehen lässt, da er lieber 3,50 Euro an der Steuerfahndung spart.“ – Das ist das Ergebnis der Diskussion, die Sie angeschoben haben.

(Beifall der Abg. Margit Weihnert, SPD)

Wenn wir weiter den Eindruck erwecken, dass dieser Staat Geld ohne Ende hat und es sich nur holen muss, um es „zu verpulvern“, und das bei diesem riesigen Konsolidierungsbedarf dieser Republik – dies gilt für die Mehrwertsteuerdiskussion und auch für die ESF-Diskussion –, suggerieren wir unseren Bürgern, dass es finanziell immer so weitergeht und sich eigentlich nichts ändern muss. Wir werden dann von unseren Bürgern kaum Verständnis für die drastischen finanziellen Einschränkungen erwarten können, die künftig auf uns zukommen werden. Sie werden zwingend auf uns zukommen. Wir haben im Fortschrittsbericht gehört: 5 000 Millionen Euro weniger in den nächsten 10 bis 15 Jahren allein in Sachsen. Um es noch deutlicher zu machen: In den öffentlichen Haushalten sind die Gläser, Frau Hermenau, nicht mehr halb voll oder halb leer, sodass man das eine oder andere noch diskutieren könnte. Mittlerweile sind die Gläser nicht nur leer, sondern es sind auch alle Flaschen in Reichweite dieses Glases leer, Frau Hermenau.

(Beifall bei der SPD und der Staatsregierung – Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Die NPD-Fraktion erhält das Wort. Herr Leichsenring, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aufgrund der Großen Anfrage der Fraktion der GRÜNEN führen wir heute diese Debatte – eine Debatte, wie wir sie ähnlich am 09.11. bereits geführt haben. Das ist natürlich erlaubt, aber ich denke, wir werden keine neuen Erkenntnisse daraus gewinnen können.

Die Frage, Herr Pecher, nach einem Systemwechsel, ob es Reverse Charge, Ist-Besteuerung oder Cross-Check- Verfahren ist oder was immer man diskutieren könnte, wird nicht zielführend sein.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Es ist erstens nicht Leitthema der Anfrage und wird zweitens sowieso nicht auf Landesebene entschieden. Es wird auf europäischer Ebene entschieden. Es ist hinreichend Sorge getragen worden, dass unser aller Meinung recht wenig interessiert.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Es sei noch kurz erwähnt, dass die NPD-Fraktion anlässlich der letzten Debatte ihren Schwerpunkt ohnehin weniger mit Blick auf die Betrugsanfälligkeit, sondern auf die Auswirkungen, die Liquiditätssituation insbesondere des mittelständischen Unternehmertums, legte – ein Aspekt, der für uns sehr wichtig ist.

Worum geht es uns in der heutigen Debatte? Es geht um die Anstrengungen des Landes, innerhalb der derzeit gültigen gesetzlichen Situation Fortschritte im Bereich der Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung zu erzielen. Konkret betrifft dies die Personalausstattung, deren Qualifikation, den Stand der angewandten technischen Anlagen, die organisatorische Ausgestaltung sowie die Kooperation mit notwendigen Stellen innerhalb und außerhalb des Freistaates. Spätestens seit der Veröffentlichung des Jahresberichtes 2005 des Rechnungshofes sind diesbezüglich bereits gewisse Defizite öffentlich bekannt geworden, die sowohl in der Plenarsitzung am 09.11. als auch im HFA ihren Widerhall fanden.

Ich hoffe also, dass Herr Finanzminister Metz mittlerweile angefangen hat, konkrete Dinge umzusetzen. Interessant finde ich bei der ganzen Sache die Antwort der Staatsregierung auf die Große Anfrage, indem man spricht: „Die Gesamtstellenausstattung soll im Wesentlichen erhalten bleiben.“ Das heißt also, es ist keine Personalaufstockung geplant. Ich meine damit die zuständigen Arbeitsgebiete in der Finanzverwaltung.

Ich möchte in diesem Zusammenhang zwei Zitate bringen, die am 09.11. hier gesagt wurden. Das eine ist von Frau Simon, das andere von Herrn Delle. Frau Simon führte aus: „In Sachsen gibt es allein schon auf der Grundlage des Rechnungshofberichtes genügend zu tun, zumal sich die darin festgestellte ungenügende personelle Situation der Finanzämter durch die Stellenabbaupläne der Staatsregierung in diesem Bereich sicher noch verschärfen wird.“ Mein Kollege Delle führte vergleichbar aus: „Im Antragstext wird gefordert, die Arbeitsweise nach Maßgabe des Rechnungshofes zu optimieren. Gemessen an den Empfehlungen bzw. Forderungen des Rechnungshofes ist dies meines Erachtens nicht ohne Ausweitung der personellen Kapazitäten zu machen.“

Ich denke, diese beiden Aussagen sind immer noch zutreffend, widersprechen aber offensichtlich den Planungen des Finanzministers. Er wird sich folglich dafür rechtfertigen müssen, sollten dieselben Vorwürfe im nächsten Rechnungshofbericht wieder auftauchen.

Im Rahmen der heutigen Debatte sollte es auch möglich sein, von Ihnen, Herr Minister, Näheres zur Einführung des Risikomanagementsystems zu erfahren. Sie führten im November aus, dass dies Anfang des Jahres passieren soll. Vielleicht können Sie, Herr Minister, ja dazu einen kurzen Sachstandsbericht geben.

In einem weiteren Punkt hätte ich ebenfalls gerne noch eine Klarstellung vom Minister, und zwar hinsichtlich des Gedankens des Abg. Dr. Gerstenberg beim letzten Mal zu diesem Thema, nämlich eines „…Ansatzes für einen größeren Anreiz für die Länder bei der Betrugsbekämpfung durch Einbehaltung betrugsbekämpfungsinduzierter Mehreinnahmen“. Dem haben Sie, Herr Minister, sich am 9. November dankend angeschlossen und bekräftigt, dass „wer handelt, auch einen Nutzen davon haben solle.“ In der von Ihnen unterzeichneten Antwort der Staatsregierung auf die darauf abzielende Frage unter Punkt 3e der Großen Anfrage wird sich hierzu aber anderweitig geäußert. Vielleicht können Sie auch dazu nachher in Ihrem Statement noch ein paar Worte sagen.

In diesem Sinne danke ich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der NPD)

Die FDP-Fraktion bitte. Herr Zastrow.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich meine, inzwischen füllt es sich ja hier etwas. Aber ich denke, ich habe eine Begründung gefunden, warum gerade zum Anfang der Diskussion hier so wenig Lust auf Teilnahme bestanden hat.

(Antje Hermenau, GRÜNE: Sie waren ja selber nicht da, Herr Zastrow!)

Doch! Wenn Sie rufen, Frau Hermenau, komme ich immer.

Kennen Sie den Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“? Kennen Sie den? Mir geht es in diesem Parlament inzwischen häufiger so wie Bill Murray oder wie auch Frau Hermenau, wie sie im Übrigen zu Beginn der Debatte heute früh gesagt hat: Ein bisschen überspitzt gesagt, verspüre ich, dass wir in nahezu jedem Plenum in immer kürzeren Abständen die immer gleichen Debatten führen.

(Beifall bei der FDP, heitere Beifallsbekundungen bei der CDU – Karl Nolle, SPD: Jetzt hat er es gemerkt!)

Danke. Ich bin ja hier noch sehr jung, Herr Nolle. Geben Sie mir die Zeit zu lernen. Ich habe aber wirklich langsam ein Déjà-vu, denn Sie haben ja vorhin selbst gesagt, das vierte Mal in einer sehr kurzen Zeit reden wir über Strom und Gas. Zum zweiten Mal tragen Sie jetzt selbst dazu bei, dass ich mich an diesen Film erinnert fühle, geht es um Umsatzsteuerbetrug.

Mir ist zwar völlig klar, dass es immer noch eine Facette von irgendeinem Thema gibt, das noch nie beleuchtet

worden ist. Mir ist auch klar, dass man immer noch etwas Neues in die Debatte einbringen kann. Aber ich frage Sie alle – das meine ich sehr ernst: Ist es wirklich sinnvoll, solche relativ fachspezifischen Debatten wie beim Umsatzsteuerbetrug nach nur zwei Monaten schon wieder auf der Tagesordnung des Plenums zu haben? Ich bin der Meinung, dass das nicht sinnvoll ist, meine Damen und Herren.

(Vereinzelt Beifall bei der FDP)

Das Thema stand zuletzt am 9. November auf Initiative der FDP auf der Tagesordnung. Sie wissen, es war damals die Drucksache 4/3242. Der Antrag hieß: Kampf gegen den Umsatzsteuerbetrug, Umstellung von der Soll- auf die Ist-Besteuerung. Ich glaube, dass damals in aller Breite über Umsatzsteuerbetrug, über Umsatzsteuerkarusselle, über das Reverse-Charge-Modell, über die aus unserer Sicht sehr sinnvolle Umstellung der Soll-Besteuerung auf die Ist-Besteuerung, auch über die Kritik des Landesrechnungshofes an den Finanzbehörden usw. usf. gesprochen worden ist.

Aus meiner Sicht lagen damals alle Argumente auf dem Tisch, und über alles, was man zu diesem Thema sagen konnte, ist damals schon sehr ausgiebig diskutiert worden, meine Damen und Herren, übrigens sehr, sehr ausgiebig.

Wie Sie wissen, lag der damaligen Debatte eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion zugrunde, eine Kleine Anfrage, die im Endeffekt fast eine Große Anfrage war. Denn das Sächsische Staatsministerium für Finanzen hat diese Kleine Anfrage, die 4/2674 – für die Hardcore-Politiker als Drucksachennummer –, auf immerhin zehn Seiten sehr ausführlich, sehr umfassend beantwortet. Es waren auch nur acht Seiten weniger, als wir jetzt bei der Großen Anfrage haben.