(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Hier sind wir doch immer objektiv! – Unruhe bei allen Fraktionen)
Ich bitte, dass die Sitzung fortgesetzt wird. Es ist ein Objektiv von der Besuchertribüne heruntergefallen – damit Sie alle informiert sind. Bitte, Herr Pecher, setzen Sie fort.
Wir haben bei den Altersversorgungssystemen 700 Millionen Euro Anspruch nach dem Anwartschaftsüberführungsgesetz. So heißt das Ungetüm.
Wir haben das Problem der Verschuldung in Höhe von rund 569 Millionen Euro, hier besonders die rasante Verschuldung in den neunziger Jahren bis 1998, als praktisch von unseren neun Milliarden Euro über sieben Milliarden Euro an Schulden aufgenommen wurden.
An diesem Punkt sage ich bereits jetzt – ich als Finanzpolitiker, und ich glaube, auch meine Kollegen der SPD haben angesichts dieser Zahl das klar definierte Ziel: Das Thema Neuverschuldung muss im Haushalt 2007/2008 angepackt werden. Das heißt, wir brauchen im Haushalt
2007/2008 eine Neuverschuldung null, also keine Neuverschuldung, um bereits 2009 mit Kredittilgung und Rückführung anfangen zu können. Das ist ein sehr ehrgeiziges Ziel.
Ich weiß auch, dass das nicht jedem gefällt. Wir sollten uns aber in Anbetracht dieser Zahlen dieses Ziel setzen.
Aus dem Bericht geht auch hervor: Der Aufholprozess ist zum Erliegen gekommen. Eine sehr ehrliche Aussage, finde ich. Das widerspiegelt sich in den Steuerausfällen und darin, dass immer mehr investive Ausgaben praktisch zulasten steigender laufender Ausgaben zurückgehen. Zum Beispiel haben wir 2000 2,8 Milliarden Euro eigenfinanzierter Investitionen und 2004 nur noch 1,8 Milliarden Euro.
Ganz kurz noch ein Wort zu den Kommunalhaushalten: Hier steigen die Steuereinnahmen. Das ist positiv. Hier werden auch Kredite getilgt. Das ist auch löblich, aber wir müssen feststellen: Die Investitionsquote in den Kommunen ist sehr gering. Hier müssen wir unbedingt bei der anstehenden FAG-Debatte etwas tun. Wir müssen uns auch darauf einstellen, dass die sozialen Herausforderungen der Kommunen aufgrund der Entwicklung bei Hartz IV und auch den Altersrentnern, die auf uns zukommen, härter werden.
Ich möchte im zweiten Berichtsteil dann darauf eingehen, welche Schwerpunkte vorhanden sind, wenn man sozusagen die Scheinwerfer auf Fernlicht stellt, wenn man sieht, welche Herausforderungen in den nächsten zehn Jahren in Angriff genommen werden müssen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema der heutigen Aktuellen Debatte ist der Aufbau Ost. Während ich bei meinen beiden Vorrednern gehört habe, wie sie an diesem Thema vorbeigeredet haben, möchte ich meine Aufgabe darin sehen, zu den Realitäten in diesem Land zu sprechen.
Seit Mitte der neunziger Jahre ist der Aufholprozess in den neuen Bundesländern ins Stocken geraten, und zwar in allen fünf neuen Bundesländern. Schaut man sich die Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes an – das ist ja der entscheidende Indikator für den Aufbau –, wird man nur noch minimale Unterschiede zwischen den ostdeutschen Ländern erkennen können. An den jährlichen Zuwachsraten seit 1995 sieht man im Vergleich zwischen Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern ein einziges Rauf und Runter; von Stabilität kann keine Rede sein. Es finden sich nur
noch minimale Unterschiede im Bereich von 1,2 Prozentpunkten, wobei Thüringen und Brandenburg vor Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern rangieren, nachzulesen im Jahresgutachten 2004/2005 der Wirtschaftsweisen und fein säuberlich ausgespart im hier vorliegenden Fortschrittsbericht.
Meine Damen und Herren, ich habe mir die Mühe gemacht, die Fortschrittsberichte der fünf neuen Bundesländer zu lesen. Ich finde, dass es allen gelungen ist, sich in Szene zu setzen, denn ein bisschen Gewinner wollen ja wohl alle sein. Selbst das absolute Schlusslicht SachsenAnhalt bringt es fertig, Statistiken hinzuzaubern, bei denen deutlich wird, dass sie in bestimmten Punkten den Freistaat Sachsen längst überholt haben. Es ist ein Irrsinn, was hier mit dem Berichtswesen getrieben wird.
Irgendwie, meine Damen und Herren, scheint die Lage in Ostdeutschland aus dem Wahrnehmungsbereich der amtlichen Politik verschwunden zu sein. Deshalb möchte ich Sie bitten: Lassen Sie uns hier über die nahezu 400 000 Arbeitslosen in Sachsen reden, lassen Sie uns über den dramatischen Rückstand bei der Arbeitsproduktivität reden, lassen Sie uns über die erlahmende Investitionstätigkeit reden, lassen Sie uns über die massiven Lohnunterschiede in Ost und West reden, lassen Sie uns über den Rückgang an sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen, die Stagnation beim Konsum und den dramatischen Bevölkerungsrückgang reden.
Darüber zu reden würde uns die Chance eröffnen zu erkennen, was in Ostdeutschland falsch läuft. Das grundlegende Nachdenken darüber vermisse ich. Ein geschlossenes Konzept für die Wirtschaftspolitik in den neuen Ländern gibt es weder auf Bundes- noch auf Landesebene. Stattdessen reden wir uns eine Infrastrukturlücke ein, um deren Schließung willen wir den Solidarpakt II verteidigen müssen. Aber wer von Ihnen redet denn Klartext über die Beschäftigungslücke, über die Bevölkerungslücke, über die Produktivitätslücke, über die Fachkräftelücke, über die Innovationslücke, über die Lücke bei den selbstständigen Unternehmen, über die Haushaltslücke und alle anderen nachweisbaren Lücken? Diese Lücken zusammengenommen stellen doch eine viel größere Herausforderung dar, als das Fehlen der einen oder anderen Umgehungsstraße und als der verniedlichende Begriff von der Lücke auszudrücken vermag.
Meine Damen und Herren, das einmalige Ziel des Aufbaus Ost, die Lebensverhältnisse in allen Bundesländern anzugleichen, ist unter den gegenwärtigen Bedingungen und mit den bisherigen Mitteln nicht mehr zu erreichen.
Die aktuellen Herausforderungen der deutschen Einheit sind größer als je zuvor. Ein Fortschritt beim Aufbau Ost ist nicht mehr feststellbar und deshalb handelt es sich eher um einen „Zustandsbericht Stillstand Ost“, der heute zur Diskussion steht.
Sie sind Lichtblicke, ja, die aber das wirtschaftliche Gefälle zwischen West und Ost nicht verdecken können. Sie sind Ausdruck für eine nach wie vor wirtschaftlich, regional und sozial völlig unausgewogene Mischung gegensätzlicher Entwicklungstendenzen.
Lassen Sie mich am Schluss den Chef des Münchner IfoInstitutes, Hans-Werner Sinn, zitieren, der sagt: „Die ökonomische Wirklichkeit ist weit von dem entfernt, was die verantwortlichen Politiker dem Volk in Aussicht gestellt haben, dass man die wirtschaftliche Vereinigung der beiden Landesteile als gescheitert ansehen kann.“
Wenn diese Einschätzung zutrifft, dann bedarf es doch, Herr Kollege Hähle, einer ganz anderen Kraftanstrengung als der, – –
– die von der Staatsregierung in den Schlussfolgerungen des Fortschrittsberichtes angedeutet worden ist.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gehört gemeinhin zum Wesen der etablierten Politik, der Öffentlichkeit Sand in die Augen zu streuen. Dies versuchte der Sächsische Staatsminister der Finanzen, Herr Dr. Horst Metz, als er im Zuge der Veröffentlichung des Fortschrittsberichtes 2004 zum Aufbau Ost der Presse mitteilen ließ, der Freistaat habe im Förderzeitraum 1995 bis 2004 die vom Bund erhaltenen Solidarpaktmittel in Höhe von 27,5 Milliarden Euro vollständig für den Aufbau Ost sowie für den Ausgleich der unterproportionalen Finanzkraft der Kommunen eingesetzt. Eine Selbstverständlichkeit, meine Damen und Herren, nämlich die, dass man Fördermittel vollständig und zweckbestimmt einsetzt, ist Ihnen also schon eine große Erfolgsmeldung wert. Als einzigen Hinweis darauf, dass der so genannte Aufbau Ost auch in Sachsen deutlich ins Stocken geraten ist, erwähnte Herr Metz lediglich, dass der Freistaat seit 2001 mit sinkenden Steuereinnahmen kämpft.
Viel gewichtiger aber als beliebig interpretierbare Miniwachstumsraten, die in aller Regel kaum noch hierzulande Arbeitsplätze schaffen, ist der Umstand, dass ab 2009 die stark rückläufigen Finanztransfers und vor allem der dramatische Bevölkerungsverlust die reale Schulden- und Zinslast weiter erhöhen und unweigerlich bald schon zu einer Haushaltsnotlage führen werden. Nur wenig ver
steckt weist dementsprechend der Fortschrittsbericht 2004 darauf hin, „dass eine Eins-zu-eins-Angleichung an westdeutsche Verhältnisse der Problemlage in den ostdeutschen Ländern nicht gerecht würde und eine Angleichung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Lebensverhältnisse nur über den Auf- bzw. Ausbau eigener Stärken erfolgreich bewältigt werden könnte“. Mehr als Phrasencharakter hat diese Aussage jedoch nicht, denn wenig später beschreibt der Fortschrittsbericht, was auch unter Fortschritt verstanden werden kann.
So würde der Freistaat gemäß Prognose des Statistischen Landesamtes bis 2020 gegenüber 2004 noch einmal rund 510 000 oder 11,8 % Einwohner verlieren. Gegenüber 1990 reduziert sich nach dieser Prognose die Bevölkerung des Freistaates Sachsen bis 2020 um fast eine Million Einwohner bzw. um mehr als 20 %. Bewahrheitet sich diese Prognose, so wird sich der demografische Einnahmenverlust in Sachsen auf etwa 1,2 Milliarden Euro jährlich belaufen. Rechnet man dann noch den Ausfall der SoBEZ-Mittel, wird der Freistaat im Jahr 2020 gegenüber 2003 allein aufgrund der Bevölkerungsentwicklung und der SoBEZ-Mittelreduzierung mit jährlich rund vier Milliarden Euro weniger auskommen müssen. Dies entspricht bei einem Haushaltsvolumen 2004 von 14,8 Milliarden Euro rund 27 %. Sachsen ist dann pleite und Herr Milbradt & Co. in Pension. Nach uns die Sintflut!, scheint ihre Losung zu sein.
Gründe, warum Sachsen nach wie vor scharenweise ihre angestammte Heimat verlassen müssen, nennt der Fortschrittsbericht übrigens auch. Mit 40 % ist der Hauptabwanderungsgrund die Suche nach einem Arbeitsplatz, weitere 9 % verließen den Freistaat wegen eines Ausbildungs- und Studienplatzes.
Die etablierten Parteien haben nicht nur diese Entwicklung verschuldet, sie haben darüber hinaus schon längst vor der Eigendynamik der Kosten, der Massenarbeitslosigkeit und des Bevölkerungszusammenbruchs kapituliert. Deshalb frage ich mich schon heute, welche so genannten Fortschritte sie uns wohl nächstes Jahr verkaufen wollen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Knapp daneben ist nun mal auch vorbei. Um im Tenor der Rede meiner geschätzten Kollegin Frau Simon zu bleiben: Auch wenn der Freistaat Sachsen das Allergrößte unter der Sonne ist, auch wenn wir im Freistaat Sachsen alles am allerbesten machen, muss man doch eines sagen, Herr Metz: Wir haben gepatzt. Ich weiß, dass Sie gewiss in Ihrer Rede trotzdem zum Torjubel ansetzen werden, auch wenn Sie und Ihre Fankurve wahrscheinlich die Einzigen im Rund sind, die jubeln, wenn der Schütze neben das Tor trifft
Meine Damen und Herren, der Freistaat Sachsen hat gepatzt. Erstmalig wurden im Jahr 2004 152 Millionen Euro so genannte SoBEZ-Mittel nicht zweckgerecht eingesetzt. Wie es leider in anderen ostdeutschen Ländern seit Jahren üblich ist, wurden in Sachsen zum ersten Mal Transfermittel nicht für investive Maßnahmen ausgegeben, sondern im Endeffekt von der Verwaltung aufgefressen.
Dabei ist klar – Herr Metz, so ist es –, dass sich der Freistaat Sachsen im Vergleich zu anderen Ländern immer noch auf einem relativ hohen Niveau bewegt. 152 Millionen Euro sind nichts im Vergleich zu anderen ostdeutschen Ländern und 152 Millionen Euro sind auch nichts, wenn wir uns den sehr lobenswerten korrekten Mittelverbrauch des Freistaats Sachsen in den letzten Jahren anschauen. Klar ist aber eines: Alle Krisen haben einmal so, nämlich klein, angefangen.
Ich habe in diesem einen Jahr, dem ich dem Hohen Haus angehöre, eigentlich den Eindruck gewonnen, dass sich der Freistaat Sachsen vor allem in finanzpolitischen Dingen an besonders strenge Regeln hält. Ich weiß, dass es Ausnahmen gibt. Stichwort Sachsen LB, da ist es etwas anders. Ansonsten hatte ich aber das Gefühl, dass es durch unsere Staatsregierung finanzpolitische Tabus gibt. Genauso ein Tabu – das ist immer mein Eindruck gewesen – ist, dass die Mittel, die wir von anderen, vor allem von westdeutschen Ländern, im Endeffekt geschenkt bekommen, niemals wesensfremd eingesetzt werden.
Dieses Tabu hat die Staatsregierung gebrochen und damit einen Weg eingeleitet, der aus meiner Sicht durchaus die Gefahr birgt, eine Abkehr von den Grundsätzen einer soliden Finanz- und Haushaltspolitik zu sein. Herr Metz, wir als FDP können diesen Weg nicht mitgehen.