Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Über die Ausbildungssituation und die beruflichen Perspektiven junger Menschen haben wir in dieser Woche schon gesprochen. Es ist wichtig, dies in einen Gesamtzusammenhang zu stellen, um das Problem analysieren zu können.
Auf der einen Seite hat eine hohe Zahl von Jugendlichen keine Beschäftigung. Die Zahl der Jugendlichen, die über einen längeren Zeitraum – teilweise über ein halbes Jahr oder sogar noch wesentlich länger – keine Beschäftigung haben, nimmt ständig zu.
Auf der anderen Seite stehen wir vor der bereits angesprochenen demografischen Entwicklung, dass sich in zirka fünf Jahren die Schere zwischen der Nachfrage nach und dem Angebot an Ausbildungsplätzen mehr als schlie
Wer jedoch glaubt, dadurch löse sich das Problem, geht fehl. Ich habe – unter der Kritik des Staatsministers Flath – von nicht ausbildungsfähigen Jugendlichen gesprochen. Ich möchte das heute wiederholen. Es ist tatsächlich so, dass vielen Jugendlichen die Ausbildungsfähigkeit fehlt. Damit erhebe ich keinen Vorwurf an die jungen Leute per se, sondern ich beschreibe eine Situation. Wer als junger Mensch über einen bestimmten Zeitraum arbeitslos ist, der verliert den Rhythmus eines Arbeitstages. So sind für viele junge Menschen das morgendliche Aufstehen und ein geregelter Tagesablauf ein Problem.
Deswegen kann ich nicht nachvollziehen, wenn hier gesagt wird, Ein-Euro-Jobs seien für diese jungen Menschen per se schädlich, sorgen diese Jobs doch dafür, dass sie wieder in ein Arbeitsumfeld integriert werden. Das ist sinnvoll, damit sie Dinge wieder lernen, die sie durch die Arbeitslosigkeit unter Umständen verlernt haben. Wenn hierzu durch Anpassung der entsprechenden Transferleistungen nach unten ein gewisser Zwang ausgeübt wird, halten wir das in einem gewissen Maße für gerechtfertigt.
Eines muss deutlich sein: Ausbildungsplätze schafft nicht der Staat, sondern die Wirtschaft. Deswegen muss es unser Ziel sein, die wirtschaftliche Entwicklung im Freistaat zu befördern. Wir haben darüber schon heute Morgen beim Thema „Investitionszulage“ debattiert. Wir müssen die Unternehmen im Freistaat Sachsen wettbewerbsfähig machen, damit sie Arbeitsplätze schaffen können. Wenn sie auf wachsenden Märkten tätig werden, werden sie in ihrem ureigenen Interesse auch Arbeits- und Ausbildungsplätze schaffen – von denjenigen, die es noch nicht kapiert haben und von denen ich schon gesprochen habe, einmal abgesehen.
Wir unterstützen daher den Antrag der Linksfraktion.PDS – über dem Antrag steht noch „PDS-Fraktion“, nicht „Linksfraktion.PDS“ –, weil er letztlich ein Berichtsantrag ist und die anderen Dinge bereits geregelt sind. Den Punkt, der wirklich etwas sachlich Neues enthält, nämlich dass die Betreuung der arbeitslosen Jugendlichen in optierenden Gemeinden von der Arbeitsagentur übernommen werden soll, halten wir für gerechtfertigt. Ansonsten bietet der Antrag inhaltlich nicht viel Neues. Da uns aber dieser eine Punkt wichtig ist, werden wir den PDS-Antrag unterstützen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem die Hartz-IV-Gesetze ein Dreivierteljahr in Kraft sind, halten wir es für gerechtfertigt nachzufragen, wie die Regelungen, die sich mit der Hilfe für Jugendliche beschäftigen, wirken.
Auch wir sind der Meinung, dass die neu geschaffene gesetzliche Grundlage eine positive Veränderung für Jugendliche und junge Erwachsene bedeutet. Die Neuregelung soll jungen Menschen – trotz der insgesamt schwierigen Situation – bevorzugt Chancen auf dem Arbeitsmarkt eröffnen.
Wir haben in den vergangenen beiden Tagen über zwei Anträge gesprochen, die sich mit Ausbildung und Bildungsarmut auseinander setzen. Auch in der Stellungnahme der Staatsregierung werden die von uns schon genannten Probleme deutlich. Als Erstes ist darauf hinzuweisen, dass die allermeisten Jugendlichen, die ohne Ausbildung bzw. ohne Arbeit sind, entweder nur einen Hauptschulabschluss haben oder ganz ohne Abschluss sind. Deshalb gilt nach wie vor das, was unsere Fraktion zu den in den vergangenen Tagen behandelten Anträgen deutlich gemacht hat: Die Ausbildungssituation der Jugendlichen muss verbessert werden.
Eine weitere Schwierigkeit ist die Arbeitsplatzlücke, auf die die Jugendlichen stoßen, weil im Moment immer noch viel weniger ältere Arbeitnehmer in den Ruhestand gehen, als jedes Jahr junge Menschen neu auf den Arbeitsmarkt drängen. Wir sind aber nicht der Meinung von Herrn Krauß, die Lockerung des Kündigungsschutzes werde dieses Problem beheben. Die Lockerung des Kündigungsschutzes hätte weitaus mehr Effekte. Herr Krauß schlägt mit seinem Vorschlag auch in die Kerbe des Generationenkonfliktes.
Wir stellen fest, dass Jugendliche heute vor zwei Hürden stehen. Die erste Hürde steht beim Übergang von der Schul- in die Berufsausbildung, die zweite Hürde dann, wenn die Jugendlichen nach der Ausbildung einen Arbeitsplatz erlangen wollen. Unsere Aufgabe besteht darin, ihnen an den Hürden Hilfestellung zu leisten.
Das Problem ist, dass in den ARGE unterschiedliche Philosophien aufeinander treffen. Dort gibt es zugegebenermaßen im Moment Schwierigkeiten. Diese drücken sich zum Beispiel darin aus, dass auf 75 hilfebedürftige Jugendliche ein ARGE-Mitarbeiter kommt. Auch aus vielen anderen Gründen sind die Jugendlichen frustriert; denn sie fühlen sich mit ihrer Situation nicht ernst genommen.
Es stellt sich die Frage, welches Ziel ARGEs oder Arbeitsagenturen in erster Linie haben: Sollen Jugendliche nur so vermittelt werden, dass sie untergebracht sind und nicht mehr in der Statistik auftauchen? Oder soll die Zeit genutzt werden, für jeden Jugendlichen einen individuellen Weg zu suchen, der ihre Stärken nutzt, der ihnen neue Kompetenzen und Einsichten verschafft und letztlich auch noch nicht bedachte Möglichkeiten ins Spiel bringt?
Wir sind der Meinung, dass es notwendig ist, die bei den Jugendlichen vorhandenen Ressourcen zu erhalten und zu stärken. Das kann auch durch ein Praktikum passieren.
Wir sind der Überzeugung, dass unter den schwierigen äußeren Bedingungen Jugendliche vor allem die Chance
bekommen müssen, Selbstvertrauen zu entwickeln. Die in sozialpädagogischen Projekten gesammelten Erfahrungen belegen, dass das auch für Jugendliche mit schlechten Ausgangsbedingungen möglich ist und dass sie dann auch vermittelbar sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dazu gehört, dass die Jugendlichen die Möglichkeit bekommen, ihren eigenen Lebensanspruch zu verwirklichen, und zwar unabhängig von ihrer Herkunftsfamilie. Darauf zielt ein Punkt des Antrags. Die Berufsberatung soll nämlich für alle Jugendlichen in der Bundesagentur stattfinden; eine Ausgrenzung aufgrund der Situation der Eltern darf nicht vorgenommen werden. Das betrifft die Situation in den optierenden Kommunen.
Ein weiteres Problem liegt auf Bundesebene und müsste dort neu bedacht werden. Die Bedarfsgemeinschaften dürfen für Jugendliche nicht zum Entwicklungshemmnis werden. Der Übergang in das Erwachsenenalter und die damit einhergehende erhöhte Selbstverantwortung muss auch in Deutschland ökonomische Unabhängigkeit von den Eltern bedeuten. Junge Erwachsene müssen staatliche Unterstützung als Individuen und nicht als Mitglieder ihrer Herkunftsfamilie erhalten können.
Dies gilt übrigens nicht nur für Jugendliche aus Familien, die von Arbeitslosengeld II leben, sondern auch für Studenten.
Der Landtag hat in der Vergangenheit mit seinem einstimmigen Beschluss zu einem Antrag der FDP längst anerkannt, dass das Einkommen aus Ferienjobs nicht auf das Einkommen der Bedarfsgemeinschaft angerechnet werden sollte. Das ist auch aufrechtzuerhalten, weil die Freibeträge ja nur für die Jugendlichen in Betracht kommen, die einen eigenen Anspruch haben. Bei diesem einstimmigen Beschluss waren sich im Landtag alle einig bzw. es ging bei allen Rednern um die Motivation und die Erfahrung Jugendlicher, dass es sich lohnt, selbst etwas zu unternehmen, um Einkommen zu erzielen.
Wir unterstützen auch das Anliegen, dass Ausbildungen vor Arbeitsgelegenheiten angeboten werden sollten. Das fordert auch das SGB II.
Letztlich liegt in unseren Augen der Fortschrift des SGB II aber vor allem in der Eingliederungsvereinbarung. Diese sollte genau auf die individuelle Situation der Betroffenen abzielen. Dabei können auch Arbeitsgelegenheiten ein sinnvoller Schritt sein.
Wir sehen das Problem nicht so sehr in den Instrumenten, sondern in deren Auslegung. Mit der Ressourcenorientierung steht und fällt der Erfolg der Unterstützung der Jugendlichen. Das betrifft sowohl Jugendliche, die Probleme mit der Ausbildungsstelle haben, als auch diejenigen, die nach der Ausbildung den Schritt in die Arbeitswelt schaffen wollen. Deshalb brauchen wir auch in den Arbeitsagenturen und ARGEs Fallmanagerinnen und -manager, die in der Lage sind, eigenverantwortlich,
selbstständig und kreativ im Sinne des Gesetzes und der Jugendlichen zu beraten. Davon sind wir leider noch weit entfernt.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Problem der Jugendarbeitslosigkeit in Sachsen hat sich in den vergangenen neun Monaten dramatisch verschärft.
Ehe ich dazu weiter ausführe, möchte ich erst einmal Frau Raatz antworten. Frau Raatz, Sie haben gesagt, unsere Bundespartei würde andere Positionen vertreten als die Linksfraktion im Sächsischen Landtag. Grundsätzlich sind wir der Auffassung, dass Hartz IV natürlich weg muss, weil es den Sozialstaat, der im Grundgesetz Artikel 20 festgeschrieben ist, einfach untergräbt.
Da es uns leider noch nicht gelungen ist, Hartz IV abzuschaffen, machen wir Nachbesserungsvorschläge, um den Betroffenen zu helfen und die Auswirkungen von Hartz IV abzumildern.
Jetzt kehren wir noch einmal zur Jugendarbeitslosigkeit zurück. Allein im Agenturbezirk Chemnitz stieg die Arbeitslosigkeit von 1 100 im Jahr 2004 auf 1 700 im Jahr 2005 an. Frau Lay hat das vorhin schon ausgeführt. Das ist ein Anstieg um 64 % im Vergleich zum Vorjahr. Ich weiß nicht, welcher Beweise es noch bedarf, um zu erkennen, dass die so genannten Reformen am Arbeitsmarkt schon im Ansatz gescheitert sind. Darüber täuscht auch nicht der hohe Prozentsatz der abgeschlossenen Eingliederungsvereinbarungen hinweg. Diese Eingliederungsvereinbarungen sind ohnehin nichts anderes als ein zusätzlicher Verwaltungsakt. Die Eingliederungsvereinbarung ist ein Bestandteil des Leistungssystems nach dem SGB II.
Erstens wird von den Leistungsbeziehern gefordert, dass sie die Eingliederungsvereinbarung unterzeichnen, also ein Knebelvertrag.
Zweitens wird bei Verweigerung des Vertragsabschlusses oder bei Nichteinhaltung der Vertragsbestimmungen eine Bestrafung getätigt. Das kann sich zum Beispiel in Leistungskürzungen niederschlagen.
Drittens. Die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbestimmungen unterliegt der Willkür des Fallmanagers.
Herr Krauß, diese Eingliederungsvereinbarungen sind eben nicht passgenau und individuell. – Herr Krauß scheint nicht mehr anwesend zu sein. Es interessiert ihn wohl nicht mehr. Ach, da kommt er.
Sie sind eben nicht passgenau und individuell, sondern sie sind vorgefertigt und versuchen den Menschen auch nur
in ein Formular hineinzuzwängen. – Schön, dass Sie wieder anwesend sind, Herr Krauß! – Was ich damit zum Ausdruck bringen will, ist: Hier ist nicht mehr die soziale Notlage das Kriterium für die Leistungserbringung des Sozialstaates, sondern Sozialhilfe, wozu nach inhaltlichen Bestimmungen das ALG II zählt, gibt es nur noch gegen Arbeit.
Auch der Landesjugendhilfeausschuss beschäftigt sich mit dem Thema „Hartz IV und Jugendliche“. So führte er vor kurzem eine Anhörung dazu durch. Eine der dort am heftigsten diskutierten Fragen war die der Sanktionen. In dieser Anhörung hörten die Teilnehmer einen Bericht eines Sozialarbeiters, der die Erfahrungen eines jugendlichen Arbeitslosengeld-II-Empfängers wiedergab. Es wurde geschildert, wie dieser Jugendliche in eine so genannte Weiterbildungsmaßnahme vermittelt wurde. Er sollte dort lernen, wie man ordentliche Bewerbungen schreibt.
Mit einer solchen Bewerbung kehrte er dann zur Arbeitsagentur zurück und dort kürzte man ihm seine Leistungen um 10 %. Was war geschehen? Die Bewerbung, die er unter Anleitung in dieser Maßnahme angefertigt hatte, war so schlecht, dass sie die Arbeitsagentur ablehnte und dem jungen Mann unterstellte, mutwillig eine solch schlechte Bewerbung angefertigt zu haben, um ja nicht in Arbeit vermittelt zu werden. – Das ist die Realität da draußen.
Es kommt noch besser. Einem jungen Menschen können sämtliche Leistungen gekürzt werden, und das für drei Monate. Lediglich die Kosten der Unterkunft werden dann noch gezahlt. Dies geschieht dann allerdings direkt an den Vermieter. Der junge Mensch bekommt also kein Geld mehr in die Hand. Wo da der pädagogische Ansatz ist, erschließt sich mir in keiner Weise.
Im Gegenteil, anstatt dass die ARGEs in einem solchen Fall eine Meldung an die Zuständigen der Jugendhilfe macht, um den Jugendlichen eventuell auffangen zu können – daran wird kein Gedanke verschwendet –, werden Jugendhilfeeinrichtungen in einem solchen Fall auf andere Art und Weise mit dem Delinquenten konfrontiert, nämlich in Form der Jugendgerichtshilfe; denn wer kein Geld hat, besorgt sich das, was er braucht, eben auf andere Weise. Das nenne ich wahrhaft eine erzieherische Maßnahme.