Ich möchte dies begründen. Wie in der Begründung des vorliegenden Antrags zu lesen ist, wird die Bildungsarmut bereits bei den Schuleingangsuntersuchungen sichtbar. Das bedeutet, es gibt Kinder, die den Bildungsweg an allgemein bildenden Schulen überhaupt nicht beginnen können, da ihre Kompetenzen dafür nicht ausreichen.
Diese Kinder werden an besondere Fördereinrichtungen verwiesen. Der Bildungsverlauf ist also möglicherweise bereits vor Schuleintritt festgelegt. Dazu kommen weitere Faktoren, die stärker als den Bildungsverlauf den Bildungserfolg bedingen. Voraussetzungen, die die Kinder mitbringen und die sie im Elternhaus vorfinden, sind nicht immer so, dass die Kinder die nötige Unterstützung für ihre schulische Laufbahn finden und später einen erfolgreichen Abschluss erreichen können.
Das bedeutet für uns: Wir müssen Unterstützung früher und an anderen Stellen organisieren. Früher, das bedeutet: in der Kindertagesstätte. Dafür gibt es jetzt auch Ansatzpunkte. An anderer Stelle, das bedeutet: direkt in den Familien.
Sozial benachteiligt sind Kinder doch dann, wenn Eltern zu wenig eigene Möglichkeiten – Erziehungskompetenz, Lebensstruktur; auch der finanzielle Haushalt der Familie ist hierbei zu beachten – oder zu wenig freie Zeit für ihre Kinder haben.
In der Anhörung „Soziale Lage und Bildungschancen“ sagte Prof. Evers dazu, es seien die Lebenslagen, das heißt die Ausgangsbedingungen, die Bildungsverläufe bestimmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Länder mit einer erfolgreichen Familien- und Bildungspolitik bieten frühzeitig und durchgängig Unterstützung für Kinder und ihre Familien an. Das beinhaltet frühe Förderung, Lebensberatung für Eltern, Elternbildung, aber auch Arbeit und flexible Betreuungsmöglichkeiten für Alleinerziehende. Kitas können die erste und ganz wichtige erzieherische Hilfe sein.
In Kitas können die Kinder die Erfahrung machen: Ich kann etwas und ich lerne hier was – und hinterher bin ich dann schlauer. – Ähnlich hat es Prof. Fthenakis benannt. Es gibt Projekte, die diesen Ansatz aufnehmen, zum Beispiel naturwissenschaftliche Entdeckungsreisen in Kindertagesstätten. Die Ergebnisse aus solchen Versuchen zeigen, dass Kinder aus sozialen Brennpunkten, also aus den so genannten unteren sozioökonomischen Schichten, weder weniger Neugier noch weniger Kreativität mitbringen, und sie haben auch nicht weniger Lernerfolge, Lernerfolge in dem Sinne: Das ist toll! So funktioniert das also!
Dies bedeutet für uns im Ergebnis: Wir können bei Kindern aus sozialen Brennpunkten Erfolge erreichen, wenn wir bei ihrer Neugier ansetzen und Aha-Erlebnisse befördern. Das bedeutet aber auch, dass die finanzielle Ausstattung der Familie allein nicht ausreichend ist. Dies steht auch in der Begründung zum Antrag der Linksfraktion.PDS, und daraus ziehen wir die Schlussfolgerung: Ziel der Politik können nicht in erster Linie weitergehende Steuervergünstigungen sein, da sich diese nur auf
Leute auswirken, die überhaupt Steuern bezahlen, sondern das Ziel muss es sein, mehr Geld in Unterstützungssysteme zu investieren.
Vor kurzem, liebe Kolleginnen und Kollegen, war ich mit Kollegen Johannes Gerlach auf dem regionalen Jugendhilfetag im Chemnitzer Land. Ich war in einer Arbeitsgruppe, die sich „Elternarbeit“ nannte. In dieser waren Frauen, die sowohl in der offenen Jugendhilfe als auch in der stationären Jugendhilfe tätig sind, sowie Erzieherinnen aus Kindertagesstätten. Sie berichteten, dass in den letzten Jahren große Veränderungen bei den Eltern zu beobachten waren.
So beobachteten sie zum einen, dass sich Eltern viel bewusster für Kinder entscheiden – und eben meist nur für ein Kind –, und zum anderen, dass Eltern aber auch immer weniger Kompetenzen für die Erziehung des Kindes mitbringen und sehr schnell überfordert sind. Eltern haben Schwierigkeiten, sich den Kindern konzentriert zuzuwenden. Sie haben auch Schwierigkeiten damit, ihnen Grenzen zu setzen und verbindliche Strukturen zu finden. Diese Eltern würden von „Elternbildung“ profitieren. Es ist allerdings so, dass manche den Weg zu den Hilfesystemen nicht finden. Wir brauchen also in diesem Zusammenhang auch aufsuchende Hilfeformen.
So können wir Voraussetzungen für die Eltern schaffen, den Bildungsweg ihrer Kinder zu begleiten und sich später eventuell auch selbst Hilfe zu organisieren.
Soziale Benachteiligung und Bildungsarmut können auch dort neu entstehen, wo Eltern zu wenig Zeit haben. Ich hatte dies vorhin bereits erwähnt. Für diese Eltern brauchen wir andere Unterstützungsansätze. Das können zum Beispiel familienpolitische Arrangements vor Ort sein. Ich erwähne nur das Modell der so genannten Leih- oder Wunschoma.
Was wird deutlich? Deutlich wird aus der Debatte: Die Konzepte müssen übergreifend gedacht und auf die Probleme der Familien und der Kinder zugeschnitten sein. Da unter diesen Voraussetzungen, die ich jetzt nannte, natürlich auch die Unterstützung in der Schule eine große Bedeutung hat, können wir dem Antrag zustimmen.
Ich möchte Ihnen am Schluss noch ein Bild mitgeben – auch Herr Prof. Porsch sprach ja am Anfang von Bildern –, das ich selbst früher in der Mütterberatung beobachten konnte und das Sie vielleicht kennen, so Sie einmal dort waren: Wenn Mütter mit ihren ganz kleinen Kindern dort sind, bekommt man doch ein Gefühl dafür, welches Potenzial in diesen Kindern liegen könnte. Unsere Aufgabe muss es sein, dieses Potenzial der Kinder zu entwickeln und dabei die Eltern einzubeziehen.
Das war die erste Runde der Fraktionen. Gibt es seitens der Fraktionen weiteren Aussprachebedarf? – Jawohl, Frau Falken ist für die Linksfraktion.PDS bereits angekündigt.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte, bevor ich mit meinem Beitrag beginne, auf zwei Äußerungen eingehen. Herr Colditz, ich kann Ihren Beitrag nicht wirklich nachvollziehen, den Sie soeben gehalten haben. Wir haben gerade in der letzten Debatte – ich denke, einheitlich – festgestellt, dass es Defizite bei der Berufsorientierung und bei der Ausbildung junger Leute gibt. Diese Defizite müssen doch irgendwo herkommen! Wenn in der Schule alles so toll in Ordnung ist – Sie haben gerade erklärt, dass die Maßnahmen vollständig ausreichen –, kann ich nicht nachvollziehen, was eigentlich, bezogen auf den Antrag, den wir vorhin diskutiert haben, passiert ist. Die Ursachen liegen natürlich ganz klar in der Schule. Dort haben wir die entsprechenden Probleme.
Herr Dulig, Sie haben einen großen Anteil daran. Die von Ihnen geforderte optimale Entwicklung jedes einzelnen Schülers, die ich absolut befürworte, haben wir doch in Sachsen mit dem jetzigen Haushalt total vertan.
Wir hatten die Chance, diesen „Überhang“ – wir wissen ja jetzt aus den Zahlen, dass es nicht wirklich einen „Überhang“ an den Schulen gibt – zu nutzen, um wirklich diese Schülerinnen und Schüler, die von Bildungsarmut betroffen sind, zu unterstützen. Diese Chance für diese zwei Jahre haben wir vertan. Aber wir haben ja eine neue Chance, Herr Dulig.
Wir reden dann, denke ich, noch einmal darüber. Jetzt zu meinem Beitrag. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von der Armut im Freistaat Sachsen heißt es, dass sie „jung“ sei. Der Kinder- und Jugendbericht der Bundesrepublik sagt aus, dass jedes siebente Kind in Deutschland, dass jedes vierte Kind in Ostdeutschland – und jedes dritte Kind in Leipzig, wie ich weiß – in Armut lebt. Das sollten wir uns klar verdeutlichen. – Herr Staatsminister, ich freue mich sehr, dass Sie sich aufregen. Dies hilft uns. Ich freue mich sehr, dass Sie erkannt haben, dass es Bildungsarmut in Sachsen gibt.
Einer Presserklärung habe ich entnehmen können, dass Sie die Äußerung getroffen haben, „der Kampf gegen die Bildungsarmut“ sei „die beste Präventionsarbeit, die Schule leisten kann“.
Dieses Zitat von Ihnen möchte ich noch ergänzen: „Ein Abbau der Bildungsarmut kommt auch der Wirtschaft zugute.“ Ich denke schon, Herr Staatsminister Flath, Sie haben erkannt, dass wir, wenn wir in der Schule für die Bildung nicht mehr tun als das, was wir jetzt tun, in der Wirtschaft zunehmend extreme Probleme bekommen werden mangels gut ausgebildeter Schülerinnen und Schüler.
Die Erkenntnis allein reicht aber nicht aus. Ich habe es gerade von meiner Fraktion gehört. Ich stimme dem zu. Ich möchte aber auch klar und deutlich anerkennen, dass es Aktivitäten gibt, gegen die Bildungsarmut durch den Freistaat Sachsen, durch die Regierung und das Kultusministerium, anzugehen. Aber: Diese Aktivitäten, diese Anstrengungen reichen überhaupt nicht aus, um die Dimension, die realistisch da ist, auszugleichen.
Es geht darum, dass wir das, was bisher eingeschlagen ist, nicht nur schlechthin benennen, sondern dass wir es gut machen. Die Schulvorbereitung haben wir seit diesem Jahr in Sachsen – ganz prima, haben wir immer unterstützt. Ich muss aber feststellen, dass in den Stunden, die für die Schulvorbereitung der Kinder im Kindergarten vorgesehen sind, gar nicht mit dem Kind gearbeitet werden soll. Diese Stunden werden auch für andere Dinge verwendet. Neuerdings werden diese sogar – ich weiß nicht, ob Sie es wissen, Herr Staatsminister – für Vertretungsstunden im Grundschulbereich verwendet. Dann muss ich sagen: Wir machen etwas falsch!
Die Verbesserung der Schuleingangsphase – ein ganz wichtiger Punkt, hervorragend – haben wir auch in unserem neuen Schulgesetz, was wir für sinnvoll und richtig halten. Die Zurückstellungen, die wir bisher in Sachsen hatten, sollen damit minimiert werden – absolut richtig. Meine Kollegin von den GRÜNEN hat es soeben benannt. Die Zahl der Kinder, die an Förderschulen gehen, hat sich erhöht und wird sich zunehmend erhöhen, denn die Bedingungen, unter denen die Schuleingangsphase in Sachsen gemacht wird, reichen überhaupt nicht aus. Schuleingangsphase ist 1. und 2. Klasse. Wir haben zwei zusätzliche Förderstunden für die 1. Klasse – nur noch für die 1. Klasse –, um überhaupt noch eine besondere Förderung für Schülerinnen und Schüler durchzuführen. Dabei habe ich noch gar nicht an Bildungsarmut gedacht, denn so weit kommen wir da gar nicht.
Ein zentraler Befund der internationalen Schulleistungsstudie lautet, dass die deutsche Schule so wenig wie keine andere dazu beiträgt, Schülerinnen und Schüler mit schlechten Startchancen zu guten Leistungen zu verhelfen. In keinem der entwickelten Industrieländer, deren
Bildungssysteme die OECD regelmäßig vergleicht, ist der Schulerfolg der Kinder und Jugendlichen in einem solch starken Maße abhängig von ihrer sozialen Herkunft wie in der reichen Bundesrepublik Deutschland. Dieser Befund ist nicht neu. Verknüpfung von sozialer Herkunft und Schulerfolg ist bereits seit mindestens 50 Jahren dokumentiert. Schade ist, dass wir dies alles noch einmal nachmachen. In einer Hinsicht ist das deutsche Schulwesen international Spitzenreiter: Es gelingt ihm nahezu perfekt, gesellschaftliche Ungleichheiten in Bildungsungleichheit zu übersetzen und diese auch noch zu vererben. Dies ist das eigentliche Problem!
Ich komme konkret zu Sachsen. Diese Zahlen kann ich Ihnen nicht ersparen. Es betrifft insbesondere die Jugendlichen, die in Armut leben.
Wie seit vielen Jahren, haben wir in Sachsen auch dieses Mal wieder fast 10 % der Schulabgänger, die die Schule ohne Schulabschluss verlassen. Das sind zirka 5 000 chancenlose Jugendliche in unserem Freistaat Sachsen. Auch 2004/2005 – das ist eigentlich der Skandal schlechthin – besuchten mehr als 6 % der Schüler eines Jahrganges, insgesamt 21 628 Kinder, eine Förderschule, davon – jetzt hören Sie bitte hin – fast drei Viertel die Förderschulen für Lernbehinderung und Erziehungshilfe, Kinder, die nach unserer Auffassung in das ganz normale Schulsystem gehören. Sachsen hat damit im bundesdeutschen Vergleich den höchsten Anteil von Schülern an der Förderschule. 2,4 % der Schülerinnen und Schüler haben auch im vergangenen Schuljahr eine Klasse wiederholen müssen. Das sind fast 9 000 Schüler. Herr Staatsminister, im bundesdeutschen Vergleich ist diese Zahl auch nicht schlecht. Aber 9 000 Schülerinnen und Schüler, die ein Jahr wiederholen – das ist immer ein Misserfolg in der persönlichen Entwicklung eines Kindes.
Da geht es mir auch um den Einzelnen. Auch wenn wir von den Hochschulen gesprochen haben, Herr Colditz, und Sie der Auffassung sind, dass dies nicht wirklich der Maßstab ist, würde ich Ihnen gern Recht geben. Aber trotzdem: Ein Viertel in Sachsen ist einfach zu wenig. Zirka 55 000 junge Menschen unter 25 Jahren haben in Sachsen keinen Job, davon 18 000 keine Ausbildung und – ich habe es soeben gesagt – 9 000 keinen Schulabschluss. Diese Zahlen zeigen ganz deutlich, dass das sächsische Bildungssystem nicht der Erfolgskurs ist.