Die Schule ist heute eines der letzten Refugien, in denen Kollegialität, Kameradschaft und menschliche Solidarität eingeübt werden können, auch und gerade im Rahmen eines längeren gemeinsamen Unterrichts. Auch hier ist ein Hinweis auf die Waldorfpädagogik am Platz, die diesen Ansatz seit mittlerweile achtzig Jahren mit großem Erfolg praktiziert und auch innerhalb der Pisa-Studien zum Teil hervorragende Plätze belegt.
Es gibt zu guter Letzt noch ein ganz pragmatisches Argument. Auch da geht es im buchstäblichen Sinne des Wortes darum, die Kirche im Dorf zu lassen. Auf dem flachen Land und in ohnehin strukturschwachen Gebieten kann das starre Beharren auf frühzeitiger Differenzierung nur dazu führen, dass den kleinen Gemeinden die Schulen abhanden kommen, weil die Schüler in Nachbargemeinden oder zum Teil noch weiter fahren müssen, um eine adäquate Schule besuchen zu können. Das ist nicht nur für die betroffene Gemeinde, sondern erst recht für die betroffenen Schüler fatal. Die Kinder fahren zum Teil 20 oder 30 Kilometer, kommen ermüdet in der Schule an und sind gegenüber ihren Klassenkameraden eindeutig im Nachteil.
Das alles muss nicht sein. Wir Nationaldemokraten setzen uns ein für eine vernünftige, unideologische und vor allem kindgerechte Modifizierung des Schulgesetzes. Wir halten acht Jahre gemeinsamen Unterricht für unzweckmäßig im Hinblick auf eine nötige Ausdifferenzierung, halten aber sechs Jahre für vertretbar und angebracht und fordern die Damen und Herren von der PDS deshalb auf, ihren Antrag dahin gehend zu ändern.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag der PDS-Fraktion ist, glaube ich, in seiner Grundstoßrichtung gut gemeint. Aber er ist leider nicht ganz zu Ende gedacht. Längeres gemeinsames Lernen – da gebe ich Ihnen zunächst einmal Recht – kann ein Instrument sein, das zu höherer Bildungsqualität führt. Hier liegt die Betonung auf „kann“. Es ist es nicht zwangsläufig, nämlich dann, wenn flankierende Maßnahmen, die dafür notwendig sind, fehlen.
Sie haben zu Recht erkannt, dass wir ein Problem haben, beispielsweise Spätstarter in unserem Bildungssystem, wie wir es jetzt in Sachsen haben, besser zu fördern, als es derzeit der Fall ist.
Wir haben eine frühzeitige Auslese. Das ist richtig. Viele Spätstarter – vielleicht sind auch einige Kollegen darun
ter, die zum Ende der 4. Klasse eben noch nicht ihre Begabung erkannt hatten oder deren Lehrer sie noch nicht erkannten – haben dann eben später keine Chance mehr, entsprechend aufzusteigen.
Die Durchlässigkeit steht zwar im Gesetz, Herr Hähle, da haben Sie Recht. Aber wie sieht es denn praktisch aus? Es sind viele Bildungsempfehlungen am Ende der 4. Klasse falsch. Wenn wir uns die Fallzahlen der Schüler anschauen, die nach der Orientierungsstufe am Ende der 6. Klasse in die Gymnasien wechseln, dann sehen wir, dass das zwar im Gesetz steht, aber in der praktischen Umsetzung eben nicht funktioniert. Das haben wir gerade erst erfahren. Weil in der Orientierungsstufe die inhaltliche Differenzierung noch gar nicht so umfassend ist, können wir als FDP uns vorstellen, dass die Schüler gemeinsam bis zur 6. Klasse lernen. Dennoch meine ich, dass die Kollegen der PDS etwas zu kurz gesprungen sind. Denn wenn wir den Antrag so beschließen würden, wie er gestellt wurde, bedeutete das automatisch eine Verlängerung. Das heißt, innerhalb einer Klasse werden die Leistungsunterschiede zunehmen. Wenn dann nicht gleichzeitig etwas getan wird, nämlich mehr Lehrer mit mehr Zeit für die individuelle Betreuung der Schüler zur Verfügung zu stellen, dann werden wir genau das Gegenteil von dem erreichen, was Sie eigentlich wollen. Der Vergleich mit Finnland funktioniert ja nur, wenn man sich alle Elemente anschaut, nämlich dass dort, wie gesagt, ein anderes Unterrichts-, ein anderes Lernklima herrscht und dass es natürlich auch andere Unterrichtsmethoden gibt. Wer dort beispielsweise in Mathematik nicht mitkommt, der wird individuell gefördert, auch wenn es nur zwei oder drei Schüler sind.
Das ist die Realität. Deshalb kann man nicht ein System einfach auf ein anderes übertragen, ohne alle Umfeldfaktoren zu berücksichtigen.
Herr Lehmann, mit Sicherheit! Herr Kollege Herbst, geben Sie mir Recht, dass diese flankierenden Maßnahmen, wie Sie sie nennen, die natürlich notwendig sind, eben nicht alle gesetzlich geregelt werden müssen, sondern dass dann natürlich auf dem Verordnungsweg über ministerielle Verfügungen usw. die anderen Dinge zu regeln sind, zum Beispiel wie viele Lehrer man einstellt? Die gesetzliche Regelung
der achtjährigen gemeinsamen Schulzeit ist das eine. Ich nehme aber an, Sie geben mir Recht, anderes muss man anders regeln, damit etwas anderes daraus wird, selbstverständlich.
Richtig, anderes muss man anders regeln. Aber die Zahl der Lehrerstellen beschließen wir im Haushalt. Das ist auch ein Gesetz. Insofern müssen die gesetzlichen Bedingungen schon erfüllt sein.
Ich sage auch ganz klar, dass wir uns in Sachsen keinen Gefallen damit tun, wenn wir gescheiterte Gesamtschulmodelle aus der Bundesrepublik West hier in Sachsen übernehmen.
Kalter Kaffe, meine Damen und Herren, schmeckt nicht besser, wenn man ihn noch einmal aufwärmt. Auch das ist eine Lehre aus „Pisa“.
Wir können mit der Bildungsqualität in Sachsen nicht zufrieden sein. Darüber sollte überall Grundkonsens herrschen.
Wir sehen, dass weder die Schulgesetznovelle, so wie sie von der CDU hier beschlossen wurde, noch das Beispiel der Modellschulen das Problem wirklich löst.
Meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion! Sie hätten einmal bei der Verkündung der Koalitionsvereinbarung bei der Pressekonferenz anwesend sein sollen. Ihr Fraktionsvorsitzender und jetziger Vizeministerpräsident hat die Frage gestellt bekommen, wie denn das Modellschulprojekt aussieht, welche Altersgruppen es umfassen soll und wie viele Schulen denn gefördert werden. Wissen Sie, was er geantwortet hat? Er wusste es nicht, meine Damen und Herren. Er wusste es nicht!
Wo ist denn der Fortschritt gegenüber der bisherigen CDU-Schulpolitik, wenn Sie nicht einmal wissen, wohin Sie mit Ihren Modellschulen wollen?
Wir sollten in der Bildungspolitik in diesem Land ein Stück weit mehr Mut zeigen, weil das ein Politikfeld ist, das wir in Sachsen beeinflussen können. Das ist originäre Landespolitik. Wir haben in Sachsen eine Superchance, meine Damen und Herren: Wir haben die Chance, aus zwei Systemen zu lernen. Einmal ist das das DDR-Schulsystem. Viele von Ihnen kennen das noch aus eigener Anschauung. Da war nicht alles schlecht. Auch von dort kann man verschiedene Sachen, Elitenförderung usw.,
übernehmen. Wir können aber auch davon lernen, welche anderen Wege die europäischen Pisa-Siegerländer in der Schulpolitik gehen. Deshalb sagen wir: Gemeinsames Lernen bis Klasse sechs ist kein Allheilmittel, aber ein wichtiger Baustein, um die Bildungsqualität zu fördern und um sicherzustellen, dass auf der einen Seite soziale Kompetenz in der Schule vermittelt wird, auf der anderen Seite aber auch eine individuelle Förderung der Schüler erfolgt. Wer aus der bildungspolitischen Kreisklasse heraus will, meine Damen und Herren, der muss – das ist wie im Sport – länger und härter trainieren, aber er braucht auch Trainer, die für ihn Zeit haben. Er braucht Trainingsgeräte, die auf dem neuesten Stand sind. Das ist auch nicht der Fall an sächsischen Schulen. Und er braucht ein neues Trainingsklima, meine Damen und Herren. In Sachsen brauchen wir kein bildungspolitisches Stückwerk, wir brauchen einen schulpolitischen Neuanfang. Meine Damen und Herren, dafür sollten wir in den nächsten Jahren kämpfen, und zwar gemeinsam.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Acht Jahre gemeinsame Schulzeit als Forderung, Herr Dulig! Bis zum 19. September glaubte ich uns einig in der Forderung nach einer Revolution im sächsischen Bildungswesen.
Ich kann Ihre missliche Lage verstehen. Sie machen jetzt in der Bildungspolitik gemeinsame Sache mit der CDU. Dass Sie sich aber so deutlich und so schnell zurückziehen, enttäuscht uns doch sehr. Wir hatten große Hoffnungen in die SPD gesetzt.
Zum Thema: Das mehrgliedrige sächsische Schulsystem mit der viel zu frühen Trennung nach nur vier gemeinsamen Schuljahren kann im internationalen Vergleich getrost als gescheitert angesehen werden. Der vermeintlich auf die Herausbildung von Eliten ausgerichtete Ansatz hat zu keinem nennenswerten Erfolg geführt. Rund 10 % der Schüler eines Jahrgangs verlassen die Schule ohne Abschluss, nur ein Drittel kommt zum Abitur. Schlimmer noch: Seit „Pisa“ wissen wir, dass das sächsische Schulwesen weder besondere Höchstleistungen hervorbringt noch in ausgewiesenem Maße weniger Schulversager produziert. Reformen sind also dringend nötig. Acht gemeinsame Schuljahre, eine Schule für alle, das ist das Gebot der Stunde. Für uns zeichnet sich diese Schule für alle insbesondere durch folgende Merkmale aus: Sie ist wohnortnah und bei Bedarf als Ganztagsschule etabliert. Sie verfolgt einen integrativen Ansatz, das heißt, langfristig brauchen wir keine Förderschulen mehr. Sie garantiert
die individuelle Förderung aller Schüler, nicht nur der leistungsschwachen, sondern auch der leistungsstarken. Sie führt jahrgangsübergreifenden Unterricht durch. Es gibt kein Sitzenbleiben mehr und die Abiturquote wird deutlich erhöht.
Aber auch die Rahmenbedingungen müssen verändert werden. Die neue Lernkultur, die Sie vorhin angesprochen haben, muss mehr sein als nur ein Lippenbekenntnis. Wir brauchen eine neue Schulaufsicht, die Aufgabenfelder müssen neu definiert werden, weg vom Kontrollieren und Anweisen – hin zum Fördern und Beraten.
Die neue Schule, die Schule für alle, muss eine freie Schule sein, die weitgehend selbständig vor Ort agieren kann. Schließlich bedarf es einer Reform der Lehrerbildung als flankierender Maßnahme. Wir brauchen ein praxisorientiertes Lehramtsstudium.
An den neuen Kultusminister richten wir die Erwartung, ein dichteres Schulnetz auf dem Lande zu garantieren. Die unsägliche Praxis, dass Schulschließungen an der Tagesordnung sind, dass Kinder stundenlang morgens unterwegs sind, um zur Schule zu kommen, muss ein Ende finden.