Als Antragstellerin hat zunächst ein Mitglied der Fraktion der PDS das Wort. Die weitere Reihenfolge in der ersten Runde: CDU, SPD, NPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Ich darf noch einen Hinweis an die Parlamentarischen Geschäftsführer einiger Fraktionen geben: dass sie ihre Rednerlisten hier vorn abgeben müssen. Ich bitte darum, dass das beachtet wird. – Herr Zais, Sie haben jetzt das Wort.
hat im Frühjahr unter Leitung von SPD-Generalsekretär Benneter die Arbeitsgruppe „Einkommensgestaltung im untersten Bereich“ eingesetzt. Der Rat tagt am 29. November erneut und es ist Absicht, noch dieses Jahr ein Konzept vorzulegen; zumal sich SPD-Bundestagsabgeordnete wie auch meine Partei jüngst für eine rasche Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes in allen Branchen ausgesprochen haben. Dass es notwendig ist, zeigt die aktuelle Auseinandersetzung um die Agenda 2010 und die damit verbundene Arbeitsmarktregelung. In wenigen Wochen werden
durch Hartz IV 330 000 Sachsen gezwungen, jede legale Tätigkeit auszuüben. Es wird dann nicht nur keinen Qualifizierungsschutz, sondern auch keinen Einkommensschutz mehr geben. Bis an die Wuchergrenze muss jede Entlohnung akzeptiert werden, die am Markt geboten wird. Über kurz oder lang wird das Auswirkungen auf das gesamte bestehende Einkommensgefüge haben. Im Osten führt dieses neoliberale Regelwerk zu einer tiefen sozialen Spaltung. Über 35 % erhielten im Osten 1997 einen Lohn, der 50 % unter dem Durchschnitt lag und als Armutslohn in diesem Land definiert wird. Dieser Lohn wird überwiegend in Vollzeitjobs gezahlt und das, obwohl unsere Vollzeitbeschäftigung in Sachsen seit den neunziger Jahren der von Nordrhein-Westfalen vom Umfang her vergleichbar ist. 12 % der Beschäftigten in Sachsen, also geschätzte 250 000, erhalten derzeit Tariflöhne auf oder sogar unterhalb des Sozialhilfeniveaus und beziehen teilweise ergänzende Sozialhilfe. Der niedrigste Tariflohn, den ich kenne, beträgt 2,75 Euro. Es ist zur Normalität geworden, dass Vollbeschäftigte unter der Armutsgrenze leben. Nur ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn kann sichern, dass Arbeiter und Angestellte losgelöst von staatlichen Transferleistungen für ihren Lebensunterhalt aufkommen. Es muss wieder zur Normalität werden, dass Menschen von einer Vollzeittätigkeit leben können. Herr Ministerpräsident! Leider ist er jetzt nicht hier.
Ja, er ist im Saal. – Herr Ministerpräsident, das ist an Sie gerichtet. Sie haben es am Morgen nach der Wahl auf den Punkt gebracht. Dieses Zitat verschwand aber auch ganz schnell wieder. Sie äußerten zum Wahlergebnis: „Es ist nicht das Arbeitslosengeld II allein, das zum Wahlergebnis führte. Den Menschen fehlt einfach die Perspektive.“ Dem kann ich nur zustimmen. Seit Anfang des Jahres ist für Erwerbslose ein Job auch dann zumutbar, wenn er bis zu 30 % unter dem jeweiligen Tariflohn oder der ortsüblichen Vergütung liegen kann. Jeder betriebswirtschaftlich denkende Mensch kann sich ausrechnen, was diese Regelung für Auswirkungen auf das Lohnniveau haben wird. Der Druck auf alle Einkommen steigt. Wir erleben das jetzt schon, noch bevor Hartz IV in Kraft getreten ist. Diese sozial gefährliche Entwicklung kann durch einen gesetzlichen Mindestlohn in ihrer Auswirkung aufgefangen werden. Der gesetzliche Mindestlohn, den ich gerade für Sachsen bei dem bestehenden Lohnniveau für dringend notwendig halte, würde die Beschäftigten im Moment vor dem freien Fall ihrer Löhne nach unten schützen. Denn Arbeit darf nicht arm machen.
Gesetzlicher Mindestlohn heißt: Darunter geht nichts mehr, aber darüber. So wird es auch in Zukunft Sache der Tarifvertragsparteien, der Gewerkschaften und der
Arbeitgeber bleiben, über Lohn- und Gehaltshöhe zu verhandeln und diese festzulegen. Es muss eine Mindestsicherung nach unten geben, um Lohndumping und Armut zu verhindern.
Ich weiß, nach Hartz IV wäre die Einführung des Mindestlohnes eine Abkehr der Politik vom Sozialabbau der vergangenen Jahre. Viele sehen – wie ich auch – sicherlich eine politische Absicht in Vorbereitung der Bundestagswahl im Jahr 2006. Es ist aber zugleich eine Chance, sich als Land Sachsen in die Diskussion mit einzubringen, weil das für den Osten besonders wichtig wäre.
Aufgrund der Wirtschaftsstruktur im Osten, der Arbeitskräfteabschottung Sachsens gegenüber Tschechien und Polen, die auf lange Sicht keine Zukunft hat, fordere ich die vertretenen Parteien auf, sich in die Diskussion einzubringen.
Herr Ministerpräsident und Herr Wirtschaftsminister, erinnern Sie sich bitte an unsere Aktuelle Debatte im April dieses Jahres hier im Hohen Hause. Herr Milbradt, Sie haben damals Lohnsubventionen für die unteren Lohnbereiche vorgeschlagen. Sie haben die Arbeitslosen verteidigt, sie hätten ein Recht auf Subventionen. Ist die Einführung des Mindestlohnes nicht eine Chance dafür?
Persönlich lehne ich Kombilohn-Modelle auf Dauer ab. Aber für gering Qualifizierte, für die der Mindestlohn anfänglich ein Hemmnis für eine Einstellung sein wird, kann eine gezielte zeitlich begrenzte Lohnsubvention die erhöhte Beschäftigungsschwelle abfangen.
Herr Jurk, Sie waren selbstkritisch zu den Minijobs und erwiderten – ich zitiere –: „So wie in anderen europäischen Ländern sollten wir Mindestlöhne einführen. Schauen Sie sich die Höhe dieser Löhne an. Sie liegen über 1 000 Euro, ob in Irland, in Großbritannien oder Frankreich, und man hat gute Erfahrungen damit gesammelt.“
Herr Jurk, die Wähler oder besser das Wahlergebnis der hier vertretenen Parteien hat Ihnen zur Umsetzung Ihrer Meinung auch die Macht dafür gegeben. Handeln Sie!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst, Herr Jurk, als neuem Wirtschaftsminister möchte ich Ihnen im Namen der Wirtschaftspolitiker der CDU ganz herzlich gratulieren und wir hoffen auf eine gedeihliche Zusammenarbeit im Sinne des weiteren Fortkommens unseres Landes Sachsen.
Meine Damen und Herren! „Legislative Wohlstandsschaffung ist ein alter Traum der Politik.“ Das meinte ein Wirtschaftswissenschaftler aus Österreich. Dieser Satz trifft eigentlich den Nagel genau auf den Kopf.
Legislative Wohlstandsschaffung in den sechziger, in den siebziger, in den achtziger und selbst noch zu Beginn der neunziger Jahre hat uns die Probleme beschert, die wir heute haben. Wir stehen vor der gewaltigen Auf
gabe, die sozialen Sicherungssysteme in Deutschland reformieren zu müssen. Werden die sozialen Sicherungssysteme nicht reformiert, dann wird es diese in den nächsten Jahren nicht mehr geben.
Diese gut organisierten und auch gut gemeinten sozialen Sicherungssysteme haben – und das erkennen wir heute eigentlich ganz klar – nicht zu einer Mehrung des Wohlstands in Deutschland geführt, sondern sie haben zu einer Verlangsamung der Gesellschaft, der Wirtschaft und damit auch zu einer Verlangsamung des gesamtwirtschaftlichen Wachstums geführt. Genau mit diesen Problemen, die sich in den letzten Jahren angesammelt haben, schlagen wir uns heute herum.
Keine Angst! – Nun gibt es erneut eine legislative Wohlstandsschaffung, ein gesetzlich verordneter Mindestlohn muss her. Damit sollen alle sozialen Probleme und die Probleme des Arbeitsmarktes in Deutschland gelöst werden.
Meine Damen und Herren! Ein gesetzlich festgelegter Mindestlohn führt doch nicht zu plötzlichem neuem Wohlstand, der ganz einfach über höhere Löhne weitergegeben werden kann.
Ein gesetzlich festgelegter Mindestlohn macht schlicht und einfach jeden Arbeitsplatz, dessen Entlohnung unter diesem gesetzlichen Limit liegt, illegal. Nun kann man sich fragen: Was geschieht mit illegalen Arbeitsplätzen? Meine Damen und Herren, sie verschwinden, denn sie müssen verschwinden. Damit wir uns richtig verstehen: Die CDU setzt sich im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft schon immer für zwei klar formulierte Grundsätze ein:
Nun höre ich immer wieder von der linken Seite den Ruf: Das ist nur mit Mindestlöhnen realisierbar. Das klingt auch wirklich gut, man kann das in der Öffentlichkeit sehr gut verkaufen – nur, meine Damen und Herren, der Schein trügt. Was den Menschen hier mit der Einführung eines Mindestlohnes suggeriert wird, ist eine Rechnung, die ohne den Wirt gemacht wird. Ich möchte das an zwei Beispielen kurz erläutern.
Erstens: das viel zitierte Beispiel der Frisöre in Deutschland und in Großbritannien. In Großbritannien wurde 1999 ein Mindestlohn eingeführt: Stundenlohn 6,51 Euro. Dieser Mindestlohn sicherte zwar den Beschäftigten ein solides Einkommen, führte aber zu einer schlagartigen Erhöhung der Preise, vor allem bei Dienstleistungen. – Jetzt der Schwenk nach Sachsen, nach Deutschland: Wenn wir hier einen Mindestlohn einführen, wird genau diese Preiserhöhung folgen und, meine Damen und Herren, Sie sind doch nicht davon überzeugt, dass im Moment Preiserhöhungen am Markt wirklich durchsetzbar sind? Wenn diese Preiserhöhungen nicht durchsetzbar
sind, wird mittelfristig der Betrieb insolvent werden, das heißt sozialversicherungspflichtig Beschäftigte werden ihren Arbeitsplatz verlieren.
Meine Damen und Herren! In Polen gibt es auch einen Mindestlohn: 180 Euro – nicht in der Woche, sondern im Monat! Das heißt also, polnische und tschechische Frisöre werden sich sehr über deutsche Kundschaft freuen.
Zweites Beispiel, der Bau. Hier ist es am drastischsten, denn hier existiert schon seit einigen Jahren ein Mindestlohn in Deutschland, genau wie allgemein verbindliche Tarifverträge. Wie sieht das in der Praxis wirklich aus, meine Damen und Herren? Die Mindestlöhne haben dazu geführt, dass immer weniger deutsche Bauleute in Deutschlands Unternehmen beschäftigt sind. Die Werksverträge mit ausländischen Arbeitnehmern haben immer mehr um sich gegriffen. Auch im Bau hat sich gezeigt: Ein Mindestlohn regelt nicht die Probleme, die die Beschäftigten hier in Deutschland haben. Wir brauchen keinen Mindestlohn, wir brauchen einen Niedriglohnsektor, der geringe Einkommen mit staatlichen Mitteln auffüllt – die so genannten Kombilöhne. Dann wird es uns gelingen, den Menschen auch hier in Sachsen wieder eine Perspektive zu geben und vor allem zu dem Leitsatz zurückzukommen: Arbeit muss sich lohnen, und wer arbeitet, muss seine Familie ernähren können.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal herzlichen Dank an die PDSFraktion dafür, dass sie die Aktuelle Stunde beantragt hat. Das gibt uns als SPD-Fraktion die Möglichkeit, noch einmal unsere Position zum Mindestlohn darzulegen. Wir müssen natürlich, denke ich, auch zur Kenntnis nehmen, dass sich an der Position der SPD in der Frage Mindestlohn nichts verändert hat. Ich möchte natürlich auch darauf hinweisen, dass wir eine Debatte über den Mindestlohn nur führen können, wenn sie realitätsnah ist, und sie kann vor allen Dingen nicht als strategisches Manöver dienen, um den Versuch zu unternehmen, eine erste Belastungsprobe für die neue Koalition voranzutreiben, dann macht sie natürlich keinen Sinn.
Ich denke, es sollte darum gehen, die Interessen der Menschen in den Vordergrund zu stellen, und da glaube ich, dass die Forderung der PDS nach einem Mindestlohn von 1 400 Euro dem nicht gerecht wird. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass rund 50 % der Beschäftigten in Sachsen im Moment bei einem Nettoeinkommen von rund 1 150 Euro oder noch weniger angelangt sind, wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass das Durchschnittseinkommen in Sachsen rund 1 800 Euro beträgt.
Wir haben in unserem Wahlprogramm eine klare Aussage zum Mindestlohn, und wir dürfen jetzt nicht annehmen, dass die Tatsache, dass wir im Koalitionsvertrag keine Aussage dazu getroffen haben, letztendlich die Schlussfolgerung zulassen dürfe, dass sich die Meinung
der SPD geändert haben sollte. Wir wissen, was wir im Wahlkampf plakatiert haben. Bei einigen anderen Parteien in diesem Hause, denke ich mal, ist mir nicht ganz klar, ob sie noch wissen, was sie im Wahlkampf plakatiert haben.
Wenn wir das Ganze im europäischen Kontext betrachten, ist es so, dass 18 von 25 Staaten bereits einen europäischen Mindestlohn haben. Diese Mindestlohnhöhe divergiert von 35 bis 50 % des jeweiligen durchschnittlichen Nettoeinkommens. Wir haben diese Fälle in Frankreich mit einem Stundenlohn von rund 7,61 Euro, in Großbritannien – das ist bereits erwähnt worden –, in Irland, in Belgien, auch in den Niederlanden – dort gibt es eine Ausgestaltung des Mindestlohns, die die Wochenarbeitszeit, die Tagesarbeitszeit und die Monatsarbeitszeit noch einmal unterschiedlich bewertet.
Vor allem – und das ist ein entscheidendes Argument für den Mindestlohn –: Alle diese Länder stehen beschäftigungspolitisch wesentlich besser da als die Bundesrepublik und auch besser als die neuen Bundesländer. Wir dürfen dabei aber nicht vergessen, dass die Arbeitsmarktsituation der neuen Bundesländer natürlich auch durch das nicht bewältigte Erbe der DDR wesentlich verschuldet ist. Insofern sind die Vergleiche an dieser Stelle natürlich schwierig, aber – und das will ich hier noch einmal eindeutig sagen – Sachsen war wirtschaftliches Kernland in Deutschland und wir wollen in der Koalition alles daran setzen, dass genau dort angeknüpft wird und wir genau dort weiterentwickeln können.