Die Anfrage zeigt, dass das Gesundheitsmodernisierungsgesetz zahlreiche Einschnitte für die Patienten gebracht hat. So sind jedem die zehn Euro Praxisgebühr und die erhöhten Zuzahlungen bekannt. Außerdem wurden Zahnersatz und Sehhilfen fast vollständig aus dem Bereich der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherungen verbannt. In diesem Zusammenhang – diese Zahl ist heute schon einmal genannt worden – sank der Umsatz der Optiker um 48 % im Jahr 2004. Ob das das normale Maß ist, wie Sie sagen, Frau Strempel, stelle ich dabei allerdings infrage.
Einschnitte gab es aber nicht nur für die Patienten und Ärzte, sondern auch für die nachgeordneten Dienstleistungsbranchen. Die PDS stellte ebenso die Frage nach den Arbeitslosenzahlen.
Zur Arbeitslosigkeit in den Berufen der Gesundheitsprävention und Nachsorge gab es folgende Angaben: Zunahme der Arbeitslosigkeit um 234 % bei Krankengymnasten, um 43 % bei Beschäftigungs- und Kunsttherapeuten, um 38 % bei Krankenschwestern und Pflegern allgemein. Warum sich die Arbeitslosigkeit bei Anästhesieschwestern und -pflegern um über 1 000 %, von 13 Arbeitslosen im Januar 2004 auf 151 Arbeitslose im Januar 2005, erhöht hat, ist allerdings erklärungsbedürftig.
Wer bei der Prävention und Nachsorge spart, wird dies in Zukunft nachhaltig spüren. Einsparungen bei der Prä
vention führen zu höheren Kosten bei den auftretenden Gesundheitsproblemen und deren Behandlung. Ich weiß, dies ist fiktiv und bisher nicht belegbar, wie das auch die Staatsregierung in der Beantwortung der Fragen 5 und 6 aus dem vierten Fragenkomplex gesagt hat.
Der Rückgang der Konsultationen bei niedergelassenen Ärzten in einzelnen Branchen, wie zum Beispiel um 14,9 % bei Frauenärzten, ist sicherlich nicht nur der Praxisgebühr geschuldet, sondern auch dem eingeschränkten Leistungsspektrum.
Ohne dabei in Spekulationen zu verfallen, wäre es doch wichtig, dass die Staatsregierung einigen Fakten und Zahlen aus ihren Antworten zu den gestellten Fragen nachgeht.
Die Kostensteigerung im Gesundheitssystem ist nicht durch dauernde Leistungskürzungen in den Griff zu bekommen. Mit der Gesundheitsreform bleibt das Problem der Belastung der Lohnnebenkosten durch die Krankenversicherung bestehen. Die an den Faktor Arbeit gekoppelte Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung führt zu einer starken konjunkturellen Abhängigkeit und angesichts eines sinkenden Anteils der Einkommen aus erwerbstätiger Beschäftigung zu rückläufigen Einnahmen. Die Lohnabhängigkeit belastet die Wettbewerbsfähigkeit regulärer Beschäftigungen in Deutschland und verschärft damit das Problem der strukturellen Arbeitslosigkeit. Eine wirkliche Reform muss dieses Problem beseitigen.
Die in der Großen Anfrage genannten Maßnahmen der Gesundheitsreform, aber auch die aktuellen Vorschläge von SPD und GRÜNEN auf Bundesebene zur Bürgerversicherung bewältigen dieses Problem mit Sicherheit nicht.
Zurück nach Sachsen und zu einem Problem, das die Große Anfrage zwar angeschnitten hat, das aber unserer Meinung nach nicht ausreichend nachgefragt und auch nicht beantwortet wurde: der Ärztemangel.
Im Gesundheitsmodernisierungsgesetz gibt es neue Möglichkeiten für Bereiche, in denen die Unterversorgung besteht oder droht. Hier sei die unmittelbar wirksame Maßnahme des Honorarzuschlages genannt. Aber – dies hat auch die Anhörung zum Ärztemangel ja gezeigt – monetäre Zuschläge für den ländlichen Bereich reichen nicht aus, um ein strukturelles Problem in diesem Bereich zu bewältigen.
Derzeit besteht, so glaube ich, für die Öffentlichkeit nur eine Vorahnung, was dann Ärztemangel und vor allem der Mangel an niedergelassenen Ärzten bedeuten wird. Schon jetzt gibt es bei vielen Fachärzten Wartezeiten von Monaten, bis man einen Termin, vor allem bei Augenärzten oder auch Psychotherapeuten, bekommt. Das Praxissterben wird schlimmere Auswirkungen haben als das derzeitige Schulsterben.
Maßnahmen wurden eingeleitet, Sie sagen es, aber sie haben sich bisher sicherlich noch nicht so durchgesetzt und bestätigt, wie man es machen muss.
Insgesamt wird in Sachsen in den nächsten 15 Jahren ein Drittel der 14 220 Ärzte die fiktive Altersgrenze von 65 Jahren erreicht haben. In der Zeit von 2002 bis 2004 standen in Sachsen 159 Praxisschließungen bei Allgemeinmedizinern nur 55 Neugründungen gegenüber, bei den Fachärzten waren es 158 zu 99.
Ein weiteres Indiz dafür ist, dass immer weniger Medizinstudenten Arzt werden wollen, noch weniger wollen niedergelassener Arzt werden. Die dann doch das Arztstudium abgeschlossen haben, gehen nach Skandinavien, weil bessere Arbeitsbedingungen locken und auch ein besserer Ruf des Arztes lockt. Dies wird langfristig zu einer Verschlechterung der Versorgungslage vor allem hier in Sachsen führen. Hoffen wir, dass ab Herbst die nötige und echte Gesundheitsreform auf Bundesebene in Angriff genommen wird!
Zum Schluss sei noch auf die Ausweitung der Entscheidungsfreiheit für Versicherte, einhergehend mit der versteckten Patienten- und Versicherteninformation, verwiesen. Hier ist die Staatsregierung ihrer Aufsichtspflicht unserer Meinung nach nicht umfassend nachgekommen, denn gerade die Möglichkeit der Patienten, nach § 13 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches V anstelle von Sach- und Dienstleistungen auch die Kostenerstattung wahrzunehmen, ist nicht ausreichend publik gemacht worden, ebenso bei den Krankenkassen auf deren Öffentlichkeitsarbeit Einfluss zu nehmen. Hier nenne ich nur, beim Thema Organspende aufzuklären und darauf offensiv einzugehen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich könnte meine Rede vom Frühjahr dieses Jahres jetzt zu Protokoll geben und hätte wahrscheinlich heute viel zu diesem Thema damit gesagt. Aber ich habe gedacht, dass es nichts schadet, einzelne Punkte der Gesundheitspolitik noch einmal zu nennen und auch auf einige einzugehen, die ich damals unerwähnt ließ. Grüne Gesundheitspolitik setzt auf Prävention und auf eine integrierte Versorgungslandschaft, die den Patienten in den Mittelpunkt stellt. Man sollte meinen, dass das selbstverständlich wäre. Aber wenn wir uns einem internationalen Vergleich stellen, wird deutlich, dass Deutschlands Gesundheitssystem zu den teuersten gehört, aber bei weitem nicht das mit der größten Patientenzufriedenheit ist.
Wir brauchen also Reformen. Reformen auf diesem Feld der Gesundheitsversorgung sind ungeheuer schwierig.
Nicht wenige Gesundheitsminister sind daran gescheitert. Es gibt viele Interessengruppen, die zur Mitgestaltung eingeladen werden müssen, die aber natürlich auch bestrebt sind, ihren eigenen Einfluss nicht zu verlieren, und an manchen Stellen dann auch blockieren. Eines können wir allerdings nicht machen, wenn wir unser teures System beklagen und jetzt erste Ergebnisse des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes vorliegen, das ist, den Rückgang der Arztbesuche und den Rückgang bei den Medikamenten nur unter dem Gesichtspunkt zu sehen, dass die Leute sich einen Arztbesuch nicht mehr leisten.
Das ist ja gerade ein gewolltes Ziel. Es ist nicht das Ziel, dass die Patienten nicht mehr zum Arzt gehen, sondern es ist das Ziel, dass der Hausarzt als Lotse im System dafür sorgt, dass keine unnötigen Arztbesuche mehr anfallen.
Wo bestand und besteht denn noch weiterhin Handlungsbedarf? Doppelstrukturen von stationären und ambulanten Bereichen führten zur Verschwendung von Ressourcen und können im Einzelnen auch gesundheitsschädlich sein, denken Sie nur an die Röntgenuntersuchungen, wo es oft nicht möglich war, dass Untersuchungsergebnisse vom stationären Bereich in den ambulanten Bereich und umgekehrt übergeben worden sind.
Es hat auch der Kampf der Ärzte um leistungsorientierte Bewertung und Berechnung zu solchen Ergebnissen geführt, dass zum Beispiel der Einsatz von Technik stärker honoriert wird als das ärztliche Gespräch. Auch die Versorgung chronisch Kranker ist nach wie vor nicht ausreichend.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Gesundheit ist uns wichtig. Viele Menschen sagen ja auch: Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts. Dass sie uns wichtig ist, spiegelt sich in den Kosten wider. Fast 240 Milliarden Euro geben wir in Deutschland jährlich für die Gesundheitsleistungen aus, davon allein 140 Milliarden Euro über die gesetzliche Krankenversicherung. Doch liegen nach wie vor Über-, Unter- und Fehlversorgungen in unserem Gesundheitswesen dicht nebeneinander. Deshalb brauchen wir mehr Qualität, mehr Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, und oftmals hat das eine auch etwas mit dem anderen zu tun. Dabei steht für uns als GRÜNE nicht infrage, dass wir an einer solidarischen Finanzierung festhalten wollen. Solidarisch heißt: Alle zahlen; die, die mehr haben, zahlen mehr, die, die weniger haben, eben weniger. Deshalb haben wir als BÜNDNIS-GRÜNE die Bürgerversicherung schon seit mehreren Jahren auf die politische Agenda gesetzt.
Gesundheit, Krankheit und eine menschenwürdige medizinische Versorgung dürfen nicht vom Geldbeutel des Betreffenden abhängen. Das entbindet uns aber nicht
von der Verantwortung, durch Strukturreformen systemimmanente Kostentreiber und Qualitätsprobleme zu korrigieren. Die Kostenstruktur im Gesundheitswesen muss auf den Prüfstand. Krankenkassen, Pharmaindustrie, Ärzte- und Krankenhäuser müssen gleichermaßen einen Beitrag zur Kostenreduzierung bringen.
Das war das erklärte Ziel der Gesundheits- und Modernisierungsreform: Kostenreduzierung durch moderne und patientengerechte Versorgungsstrukturen, durch mehr Wettbewerb um Qualität und Wirtschaftlichkeit und natürlich auch mehr Eigenverantwortung der Patienten. Dabei ist bisher noch nicht alles Wichtige gelungen, aber das wäre auch verwunderlich angesichts der kurzen Zeit und angesichts der Interessenkonflikte.
Aber wir haben ja Zusammenarbeit im Gesundheitswesen ermöglicht. Kooperationsmöglichkeiten zwischen niedergelassenen Ärzten, Krankenhäusern und Rehabilitationseinrichtungen sind ermöglicht worden und werden auch finanziell unterstützt. 2004 standen dafür 680 Millionen Euro bereit. Eine sektorenübergreifende integrierte Versorgung ist unter vielen Aspekten der richtige Weg. Die Zusammenarbeit ermöglicht die gemeinsame Nutzung von Verwaltungsressourcen und Medizintechnik. Beim Hausarzt können alle wichtigen medizinischen Daten zusammenlaufen und eine persönliche Beziehung im Arzt-Patienten-Verhältnis kann entstehen. Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann das Vertrauen wachsen, dass dieser Arzt der optimale persönliche Lotse durch das Versorgungssystem wird.
Endlich sind auch Gesundheitszentren, in denen Ärzte, Apotheker, Physiotherapeuten und andere Gesundheitsberufe unter einem Dach zusammenarbeiten, zur Regelversorgung zugelassen. Auch in Sachsen wurde die Chance genutzt. Von den 126 bisher zugelassenen Gesundheitszentren liegen elf – vorhin hat jemand 13 gesagt – in Sachsen. Das ist noch nicht viel, aber es ist ein Anfang. Interessanterweise liegt Bayern an der Spitze mit 32 medizinischen Versorgungszentren.
Die integrierte Versorgung und die Öffnung der Krankenhäuser für ambulante Behandlung ist gerade für die neuen Bundesländer eine Riesenchance; eine Riesenchance nämlich, dem Ärztemangel auch in der Fläche eine gute gesundheitliche Versorgung entgegenzustellen. Gerade die Auseinandersetzung um die Schließung der Kinderabteilung im Krankenhaus Pirna zeigt, dass bei sinkenden Fallzahlen nur die Zusammenarbeit eine wirtschaftliche Perspektive bieten kann. Die Rhön-Klinik ist dazu bereit; hoffen wir, dass sich dafür auch Kinderärzte finden. Ein besonders interessantes und gelungenes Beispiel ist auch das DRK-Krankenhaus Chemnitz-Rabenstein.
Die Barmer-Ersatzkasse, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat in Sachsen erste Verträge zur integrierten Versorgung für Herz-/Kreislaufpatienten und Versicherte, die ein neues Knie- oder Hüftgelenk benötigen, abgeschlossen. Auch die AOK ist dabei und hat für kardiologische Behandlungen Modellverträge abgeschlossen, um nur einige Beispiele zu nennen.
Wir haben mit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz die Qualität in der Gesundheitsversorgung stärker gemacht. Nicht nur das im Aufbau befindliche Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit dient diesem Ziel. Auch
verschiedene Programme, die zum Beispiel bei der letzten Wahl unter starker Kritik standen, haben sich mittlerweile durchgesetzt, wie das Desease-Managementprogramm. In der Zwischenzeit gibt es damit praktische Erfahrungen und einen Sinneswandel.
Ich zitiere einen Praktiker, einen Hausarzt, einen Diabetologen – einen ehemaligen Kritiker dieses Programms –, Herrn Dr. med. Franke. Er sagt: „Desease-Managementprogramm ist keine Modeerscheinung, sondern eine Richtungsänderung. Ich habe bisher zu wenig über die Qualität hausärztlicher Tätigkeit allgemein gewusst, jeder Arzt kennt ja schließlich nur sich selber. Und jeder Arzt glaubt selbstverständlich, er leiste gute Arbeit. Das habe ich von mir und anderen auch geglaubt. Heute stellt sich mir das differenzierter dar. Vielen Ärzten fehlt das Bewusstsein für qualitative Verbesserungsmöglichkeiten ihres Tuns. Vor diesem Hintergrund halte ich die Grundidee des DMP für sehr berechtigt. Qualitätskorrekturen vonseiten der Patienten oder Kollegen sind zu oft leider angstbesetzt und funktionieren daher selten. DMP hilft den Ärzten zunächst einmal, die Qualität ihrer Arbeit zu dokumentieren.“
Dem ist nicht viel hinzuzufügen. Wir haben die Prävention schon mit der Gesundheitsreform 2000 wieder in die gesetzliche Krankenversicherung einbezogen. Gesundheitsförderung und Prävention sind auf die Dauer eben sowohl für die Patienten als auch für Kostenträger nicht nur besser, sondern auch billiger. Leider ist das Präventionsgesetz im Bundesrat blockiert worden.
Wir haben auch erreicht, dass die Arzneimittelforschung und -zulassung endlich auf ein Problem reagieren muss. Sie darf sich nicht mehr allein an einem fiktiven erwachsenen Mann orientieren, denn viele Medikamente wirken bei Frauen anders.
Ein Punkt, der mir besonders am Herzen liegt, sind die Beteiligungsrechte der Patientinnen und Patienten, und diese wurden deutlich gestärkt. Patienten haben ein Mitspracherecht, sie sind im neuen Gemeinsamen Bundesausschuss vertreten. Dieser Gemeinsame Bundesausschuss löst die Hinterzimmerverhandlungen zwischen Kassen, Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten ab; er schafft Transparenz.
Patienten haben Anspruch auf unabhängige Patientenberatung. Dazu liefen bundesweit in einer ersten Förderphase 30 Modellvorhaben zur Verbraucher- und Patientenberatung. Eines davon war der AB-Server in Leipzig, ein Beratungs- und Informationsserver für Menschen mit Essstörungen. Darüber hinaus gab es keine Beteiligung aus Sachsen. In einer zweiten Förderphase sollen Projektverbünde entwickelt und Strukturen vernetzt werden. Diese Förderung – es handelt sich um fünf Millionen Euro pro Jahr – ist noch nicht angelaufen.
Unabhängige Patientenberatung, liebe Kolleginnen und Kollegen, bedeutet neutrale Beratung, die nicht durch Krankenkassen oder Leistungserbringer erfolgt, also nicht interessengeleitet ist.
Das alles sind Haben-Seiten für die Patienten. Ich möchte noch einmal betonen: Die Eigenverantwortung der Patienten ist wichtig und sie muss gestärkt werden. Deshalb halten wir Beratungsangebote, die die Patienten in ihre Behandlung einbeziehen und ihnen einen Weg zeigen, wie sie mit bestimmten Krankheiten umgehen
können, für wichtig und fühlen uns mit unserer Politik dieser Beratung verbunden. Wir sind eben nicht der Meinung, wie die PDS heute hier deutlich gemacht hat, dass das Gesundheitsmodernisierungsgesetz in erster Linie dazu geführt hat, dass an den Patienten gespart wird. Dem ist nicht so.