Protocol of the Session on July 14, 2005

(Beifall bei den GRÜNEN)

Davon gehe ich aus.

Ich komme zum Ende. Über 50 % der sächsischen Betriebe im Handwerk haben ein bis fünf Beschäftigte. Die Lohnnebenkostendebatte bringt dort nicht so viel. Die haben ganz andere Probleme, sind aber diejenigen, die oft die meisten Ausbildungs- und Arbeitsplätze im Verhältnis zur eigenen Anzahl schaffen. Ich glaube, dass mit diesem Schritt der Mehrwertsteuererhöhung nur die Branchen profitieren, die relativ groß sind und auf Export setzen. Das ist aber für Sachsen nicht vernünftig. Deshalb war es uns die Debatte heute wert.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wird von den Fraktionen noch das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Die Staatsregierung, Herr Ministerpräsident, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrte Frau Hermenau, ich habe noch nie eine so krude und krause Diskussion mitbekommen wie heute.

(Lachen der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE)

Ihr Ruf als Wirtschafts- und Finanzexpertin ist durch Ihre Beiträge sicherlich nicht verbessert worden. Ich will es ganz einfach erklären.

(Beifall bei der CDU)

Fast alle Institutionen, die sich in der Wirtschaftspolitik äußern einschließlich der Parteien – wenn man von den

Extremen auf der rechten und linken Seite absieht –, sagen, eines der Hauptprobleme in Deutschland im Gegensatz zu allen anderen Ländern ist die hohe Belastung des Faktors Arbeit, weil wir eben im Gegensatz zu anderen Ländern alles über Beiträge aus dem Faktor Arbeit finanzieren, was im sozialen Bereich zur Sicherung dient. Deswegen haben alle Regierungen, sowohl früher die CDU-Regierung mit der FDP als auch die rot-grüne, das Mittel angewandt, in Deutschland eine Korrektur vorzunehmen, dass wir nicht mehr so stark auf die Sozialversicherungsbeiträge angewiesen sind und uns stärker über Steuern finanzieren. Es gibt auch keinen ernst zu nehmenden Wissenschaftler, der diesen Weg als falsch ansieht. Also machen wir es doch!

Wenn es also richtig ist, dass in Deutschland die Lohnnebenkosten zu hoch sind und das ein wesentlicher Grund dafür ist, dass nicht mehr Menschen in Arbeit kommen, weil aus der Sicht des Arbeitgebers die Wertschöpfung, die er von den Arbeitnehmern erwarten kann, nicht die Lohnkosten und die Lohnnebenkosten deckt, dann ändern wir es doch. Dazu gibt es ja auch Vorschläge, und auch Ihre Partei hat sich daran beteiligt.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein! Ich möchte das zu Ende führen.

Wir haben also ein prioritäres Ziel: die Lohnnebenkosten zu reduzieren. Nun gibt es zwei Wege, die Lohnnebenkosten zu reduzieren. Der eine ist, auf der Ausgabenseite Sozialleistungen zu senken. Dann können Sie natürlich auch die Beiträge senken. Ich glaube, dass niemand in diesem Haus dies ernsthaft in Erwägung zieht, es sei denn, die FDP, die immer davon redet, man müsse den Bundeshaushalt konsolidieren. Da soll die Steuersenkung finanziert werden, da sollen die Maastricht-Kriterien eingehalten werden und es soll die Senkung der Lohnnebenkosten herauskommen.

Dazu eine Zahl: Zwei Drittel des Bundeshaushaltes verbrauchen im Augenblick die Personalkosten, die kaum noch eine Rolle spielen, die Kosten für Zinsen, die nicht mehr zu verändern sind, und die Zuschüsse zur Rentenversicherung. Wenn man meint, man könne die Einsparung durch Kürzung der Zuschüsse für die Rentenversicherung finanzieren – viel Erfolg bei dieser Operation! Meine Zustimmung findet das nicht.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Es bleibt also nur, entweder vor der Aufgabe zu kapitulieren und die Lohnnebenkosten nicht zu senken, oder umzufinanzieren. Da bietet sich die Umsatzsteuer an. Es sei denn, es sind riesige Ersparnisse im Bundeshaushalt, die man verwenden könnte, ohne dass man hier kürzen müsste. Die sehe ich aber im Augenblick nicht. Deswegen habe ich gesagt: Wenn man über die Senkung der Lohnnebenkosten diskutiert und keine andere Finanzierung hat und die Alternative ist: keine Änderung der Lohnnebenkosten, dann halte ich es für gerechtfertigt, auf die Umsatzsteuer zurückzugreifen,

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

– Nein! weil sie unter den Alternativen die am wenigsten einschneidende ist. Alle anderen Alternativen führen, bezogen auf die wirtschaftlichen Effekte, zu wesentlich schlechteren Ergebnissen.

(Antje Hermenau, GRÜNE: Die Ökosteuer gehört auch dazu!)

Die Ökosteuer hat dazu geführt, dass sie energieintensive Unternehmen aus diesem Land herausgetrieben hat.

(Beifall bei der CDU)

Sie haben sicherlich mitbekommen, dass die Aluminiumindustrie unser Land wegen der Ökosteuer verlässt.

Der Unterschied der Ökosteuer zur Mehrwertsteuer ist, dass die deutschen Exporte davon nicht belastet sind, aber die Importe, bei denen die Arbeit im Ausland stattfindet, belastet werden; das führt also zu einem besseren Ergebnis als Ihre Ökosteuer, bezogen auf die Beschäftigung. Darum geht es mir nur. Ich möchte den Menschen in diesem Land eine Chance geben.

(Beifall bei der CDU)

Ich bin im Übrigen gar nicht so weit weg von Positionen, die andere Parteien zu diesem Thema bezogen haben. Ich habe meine Meinung nicht geäußert, um Frau Merkel oder irgendjemandem zu gefallen, sondern habe immer gesagt, dass ich eine Mehrwertsteuererhöhung zur Deckung von Haushaltslücken für falsch halte. Darin stimme ich mit Ihnen überein. Da bleibt es bei den Strukturen beim Alten. Dann ist die nächste Mehrwertsteuererhöhung bereits programmiert.

Ich habe weiter gesagt, wenn man die erhöhte Mehrwertsteuer als Finanzierungsinstrument für die Senkung von Lohnnebenkosten nimmt, dann muss auch sichergestellt sein, dass sie dafür verwendet wird. Das können Sie nur sicherstellen, indem die Länder keinen Anteil erhalten, weil sie ja nicht an der Finanzierung der Sozialsysteme beteiligt sind, es sei denn, man überträgt Aufgaben, die die Sozialversicherungssysteme wahrnehmen, auf die Länder. Das wäre auch eine Möglichkeit. Das würde die Sozialversicherungssysteme von Aufgaben und Ausgaben entlasten. Dann hätten die Länder in der Tat auch ein gewisses Anrecht auf einen Anteil der Mehrwertsteuer.

Das habe ich gesagt und finde ich immer noch richtig. Das ist kein Verzicht Sachsens auf den Anteil an der Mehrwertsteuer. Das könnte ich und würde ich gar nicht tun. Ich beziehe mich auf das Grundgesetz. Die Aufteilung der Mehrwertsteuer wird durch Gesetz festgelegt wie auch die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Da gibt es ein Gesetzgebungsverfahren, bei dem Bundestag und Bundesrat zustimmen müssen. Meine Position ist in einer solchen Situation, um der Glaubwürdigkeit willen, dass nicht nur wir, sondern alle Länder auf einen Anteil verzichten sollen, damit alles Geld aus der Mehrwertsteuererhöhung in die Sozialversicherungssysteme fließt

und eben nicht zur Finanzierung von Haushaltslöchern dient.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Ich finde es einfach logisch. Ich weiß nicht, was Sie dagegen einzuwenden haben. Ich weiß natürlich, dass einige Länder, die Schwierigkeiten mit dem Haushalt haben – unabhängig von parteipolitischer Couleur, in einem föderalen Staat ja durchaus bekannt –, bei der Gelegenheit meinen, sie müssten noch einen Schnitt machen. Das kann ich verstehen. Das haben wir zu anderen Zeiten auch gemacht. Ich meine nur, in der gegenwärtigen Situation, wenn es uns um Arbeit und Entlastung von Arbeitskosten geht, sollte man das nicht tun.

Das war meine Position schon weit vor dem Parteiprogramm der CDU. Dass sich Frau Merkel dieser Position angeschlossen hat, freut mich. Dass das der Kollege Althaus jetzt tut, freut mich auch sehr. Ich hoffe, dass sich auch in den anderen politischen Parteien diese Zustimmung verbreitern könnte, wenn wir in der Zeit nach den Wahlen im Gesetzgebungsverfahren sind.

Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu der Frage der Gerechtigkeit machen – an die Adresse der PDS gerichtet. Natürlich können Sie immer wieder versuchen, das Gerechtigkeitsthema zu spielen, aber Sie werden nicht das Gerechtigkeitsproblem lösen können, wenn Sie nur über die Verteilung von Knappheiten diskutieren. Wir müssen in Deutschland – das ist weit über meine Partei hinaus akzeptiert – zu einer Erhöhung des Wachstums kommen, zu einer Erhöhung dessen, was verteilt werden kann, weil wir dann die Verteilungsprobleme etwas einfacher lösen können, als wenn wir nur Nullsummenspiele betreiben.

Deswegen ist es auch zumutbar, in der gegenwärtigen Situation den Schwerpunkt der Politik darauf zu legen, was Arbeit schafft. Man mag über die Wirksamkeit der Instrumente unterschiedlicher Meinung sein, aber das Ziel, mehr Leute in Beschäftigung zu bringen und damit soziale Probleme zu lösen, ist doch einer reinen Umverteilungsdebatte vorzuziehen, wie Sie sie führen.

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Wir reden doch von mehr Arbeit!)

Das ist der Punkt.

(Bettina Simon, PDS, meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Nun ein letzter Punkt von mir. Natürlich müssen wir im Landeshaushalt und im Bundeshaushalt sparen. Das wird schwierig genug werden.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein. Die Einsparbeiträge aber brauchen wir zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes, um die Maastricht-Kriterien zu erfüllen.

(Beifall des Abg. Volker Bandmann, CDU)

Man kann nicht, wie einige das wollen, diese schwierigen Einsparbeiträge dreimal ausgeben, einmal für die Konsolidierung, um Maastricht-Kriterien einzuhalten, einmal zur Senkung der Lohnnebenkosten und einmal zur Finanzierung einer Steuerreform. Das geht nicht, denn auch im Bund gilt die Regel, dass der Euro nur einmal ausgegeben werden kann und nicht dreimal. Das geht an die Adresse derjenigen, die meinen, sie hätten durch Einsparung die Patentlösung für alle Probleme in Deutschland.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich meine, dass ich mich sehr verantwortungsvoll verhalten habe. Ich habe darauf aufmerksam gemacht, dass, wenn man, was ich für richtig halte, die Arbeit in den Vordergrund stellt, mit der Mehrwertsteuererhöhung nicht Nebenzwecke verfolgt werden können, und wäre bereit, mit meiner Stimmabgabe, die aber in der Regierung und mit dem Koalitionspartner abzustimmen wäre, darauf hinzuwirken, dass das tatsächlich geschieht. Ich würde mich über eine breite Zustimmung von Ihnen für eine solche Politik freuen.

Danke sehr.

(Beifall bei der CDU und der Staatsregierung)

Gibt es aus den Fraktionen noch weiteren Redebedarf zur Debatte? – Frau Abg. Hermenau, bitte.

All das, was Sie jetzt vorgetragen haben, Herr Ministerpräsident, wird in großen Zügen von mir unterstützt. Das wissen Sie. Der Drehund Angelpunkt ist wirklich, was im Herbst geschieht. Ich habe nicht umsonst auf die Europäische Union verwiesen. Wenn man zuerst die Mehrwertsteuer erhöht, ist das der zweite Schritt vor dem ersten – Sie wissen das –, ohne dass man beschlossen hat, was man wirklich im Bereich der Senkung der Lohnnebenkosten alles anpacken will. Diese Sorge treibt mich um. Am Ende kann es passieren, dass die Reformen zu Lohnnebenkosten nicht kommen, weil das Geld für anderes gebraucht wird. Durch die bereits erfolgte Erhöhung der Mehrwertsteuer wäre es auch schon da, sodass die Begehrlichkeiten groß wären. Sie haben es selbst geschildert. Die Sachsen würden dann für nichts draufzahlen, weil der Reformstau nicht bewältigt wird. Ich nenne noch einmal die Sorgen, die mich umtreiben. Es muss auch um die Haushaltskonsolidierung des Bundes gehen und nicht nur die der Länder, weil es zum Beispiel von der EU so verfügt wird oder aber, weil vielleicht die, die dann an die Regierung kommen, der Meinung sind, dass es so gemacht werden muss. Das lasse ich dahingestellt sein. Am Ende ist es so ausgegangen. Ich teile die Auffassung von Herrn Austermann, CDUAbgeordneter und jetzt Wirtschaftsminister in SchleswigHolstein. Das ist der zweite Schritt vor dem ersten. Das ist eine Gefahr, die wir heute diskutiert haben.

(Beifall bei den GRÜNEN und des Abg. Holger Zastrow, FDP)

Es gibt weitere Redewünsche. Ich bitte Frau Simon von der PDS-Fraktion.

Herr Ministerpräsident, es ist sehr bedauerlich, dass Sie keine Anfragen in der Debatte zugelassen haben, wobei der Tagesordnungspunkt durchaus den Charakter einer Debatte trägt, sodass ich mich jetzt noch einmal zu Wort melden muss. Ich frage Sie einfach, ob es eine Falschmeldung der Presse ist, wenn Sie noch am 10. Mai im Gespräch mit Frau Merkel und Herrn Althaus zitiert würden, dass die Mehrwertsteuer angehoben werden müsse, was Herr Böhmer verlangt hatte: „Dagegen sprechen sich seine Kollegen aus Thüringen und Sachsen, Dieter Althaus und Georg Milbradt, heute gegen die Erhöhung der Mehrwertsteuer aus“ mit der Begründung, „ich lehne eine Mehrwertsteuererhöhung strikt ab, weil dadurch zusätzlich zu der Wachstumsschwäche eine Konsumschwäche organisiert werden würde.“ Persönlich werden Sie später noch einmal zitiert: „Eine Mehrwertsteuererhöhung kommt nicht infrage.“ Wir haben jetzt Juli desselben Jahres. Das ist eine derart kurze Spanne, sodass ich wirklich die Frage habe, wie beliebig Äußerungen von Politikern sich noch entwickeln werden.