Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Morlok, eine Debatte ist dazu da, dass man aufeinander eingeht. Das möchte ich tun. Ich habe mir im Vorfeld auch Ihr Parteiprogramm angeschaut. Das muss man ja tun. In diesem Zusammenhang habe ich mir folgende Frage gestellt: Woran leidet denn eigentlich Sachsen in seiner Wirtschaftspolitik?
Hinsichtlich der Überschrift der heutigen Debatte stimme ich Ihnen zu. Auch die PDS wird alles tun, um die Wirtschaftskraft in Sachsen zu stärken. Nur, die Antwort, wie das geschehen soll, bleiben Sie schuldig.
Woran leidet also die Wirtschaft? Sie sagen, an zu hohen Kosten, an zu hoher Regulierungsdichte, an einem inflexiblen Arbeitsmarkt,
an einer zu starken oder zu schwachen Gewerkschaft, an zu viel oder zu wenig Staat bzw. Bürokratie, an einer durch Zwangsmitgliedschaft erzwungenen IHK, wie das bei Ihnen zu lesen ist. Es sind also viele Dinge, die ich im Programm der FDP gefunden habe.
Herr Morlok, man kann viele unterschiedliche Positionen mit guten Gründen vertreten. Man kann sich für das eine oder für das andere stark machen. Man kann links, konservativ oder auch liberal sein. Man kann verschiedene Wertesysteme haben. Niemals aber, Herr Morlok, kann man mit Verstößen gegen Logik auf Dauer Erfolg haben.
Das Programm der FDP verwickelt sich fortwährend in wirtschaftspolitische Widersprüche. Sie sprachen soeben von einer Sonderregelung für den Aufbau Ost. Sie wollen auch eine Sonderregion.
Herr Morlok, ist Ihnen nicht aufgefallen, dass wir seit 15 Jahren auch in Sachsen nur Sonderregelungen haben? Wir haben Lehrer in Teilzeit. Das ist eine Sonderregelung. Wir haben einen Flugplatz, der 24 Stunden lang Flüge aufnehmen kann. Das ist eine Sonderregelung, das ist nicht überall so. Und wir haben einen neuen Tarifabschluss beim Bau und der Osten ist wieder mit einer Sonderregelung abgespeist worden.
Herr Morlok, es ist mit Händen greifbar: Was Sie erzählen, sind alte Rezepte, die in den letzten 15 Jahren keinen Erfolg gebracht haben.
Abweichen vom Tariflohn ist einer der wichtigsten Vorschläge, die Sie unterbreiten. Deshalb sind Sie wirklich Speerspitze des Neoliberalismus.
Deshalb behaupten Sie, dass wir in steuerlicher Hinsicht in Europa ein unattraktiver Standort seien. Wahr ist, dass die Steuersätze auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau gesenkt werden müssen, aber das ist der Fall. Für alle Sachsen wollen Sie eine Sonderwirtschaftsregion. Ihrer Meinung nach würden so Freiräume für die Wirtschaft geschaffen. Weg mit Gesetzen, stattdessen Verordnungen auf Landesebene! Herr Morlok, diese Politik, die die Kleinstaaterei des 18. Jahrhunderts ausruft, verkaufen Sie auch noch als Politik für mehr Arbeitsplätze. Das ist völliger Unfug. Das, meine Herren, kann nicht wahr sein, weil es auch nichts gebracht hat, wie ich ausgeführt habe.
Realität ist: Die Unternehmenssteuern sind bei uns nicht höher als allgemein in Europa. Hohe nominale Steuersätze für Kapitalgesellschaften werden durch so genannte Steuerschlupflöcher als Verrechnungs- und Gestaltungsspielräume mehr als ausgeglichen.
Weil meine Redezeit abläuft, nur noch eines: Kennen Sie eigentlich die Entwicklung der Reallöhne im europäischen Vergleich, Herr Morlok? Ich will nur zwei Länder vergleichen, nämlich Deutschland und Großbritannien. Seit 1995 sind die Reallöhne in Großbritannien um 25 % gestiegen. Der Reallohn in Deutschland ist um 1 % zurückgegangen.
Noch einen Satz, dann sofort. Die Produktionskosten, die Stückkosten sind in Deutschland in diesen Jahren nur um 1,3 % gestiegen. Sagen Sie mir bitte, wohin die mit diesen Produktivitätseffekten, die nachweisbar vorhanden sind, verbundenen Gewinne gegangen sind. Sind wir, rein aus dieser wirtschaftspolitischen Sicht, nun ärmer geworden oder sind wir reicher geworden? Ich sage, wir sind reicher geworden. Wenn Großbritannien so eine Stellung hat, verstehen Sie vielleicht, warum Blair anlässlich des EU-Gipfels eine solche Haltung eingenommen hat.
Diesen Satz noch: Großbritannien hat eine hohe Hightech, aber sie geht in die Rüstungsindustrie. Das lehnen Sie wie ich grundsätzlich ab. Wir wollen kein Europa des Marktes – das wollen Sie
Vielen Dank. – Ich habe eine Weile in England gelebt und kenne die Verhältnisse dort sehr gut. Ich würde Sie bitten, kurz zusammenzufassen, wie der wirtschaftliche Freiheitsgrad und auch der Einfluss der Gewerkschaften in Großbritannien im Vergleich zu Deutschland sind und ob Sie da vielleicht einen Zusammenhang zwischen höherer wirtschaftlicher Freiheit und erfolgreicher wirtschaftlicher Betätigung und höherem Realeinkommen sehen.
Ich bin nicht so gut in England bewandert wie Sie, aber ich weiß, dass die Gewerkschaften in Großbritannien ebenso erlaubt sind wie in Deutschland.
Ob Gewerkschaften stark oder schwach sind, das ist die Sache der Gewerkschaften. Ich stehe für eine starke Gewerkschaft. Es gibt bei Ihnen nämlich ein Problem: All Ihre Regelungen sind betriebswirtschaftliche Regelungen, ich aber spreche von volkswirtschaftlichen Regelungen.
Wenn man die Reallöhne nicht steigert, hat man keine Kaufkraft und dann wird Herr Zastrow mit seiner Werbefirma keine Aufträge haben. Deshalb brauchen wir eine starke Gewerkschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Morlok, werte Kollegen von der FDP, nach der Wende hatten wir grenzenlose Freiheit für den Abbau von Millionen Arbeitsplätzen der DDR. Welche Freiheit wollen Sie eigentlich noch haben? Reicht Ihnen das nicht?
Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen, wir brauchen eine Kultur der Freiheit und der Verantwortung, die für unsere soziale Demokratie unerlässlich ist. Was hier aber unter dem Zeichen von Freiräumen und Experimentierklauseln aufgetischt wird, das ist nicht modern, sondern es ist der Moder des Früh
kapitalismus. Ich habe in 30 Jahren Praxis als Unternehmer noch nie jemanden eingestellt – und es waren einige Hundert – und dabei gleich überlegt, wie ich ihn am schnellsten wieder loswerden kann.
Es ist doch lebensfremd und üble Demagogie, wenn man etwas anderes sagt. Die Behauptung, das Schleifen von Arbeitnehmerrechten sei der letzte Kick, den unsere Wirtschaft noch benötige, um wettbewerbsfähig zu werden, ist ein Hohn auf die Idee der Demokratie und – das sage ich Ihnen als Unternehmer – ein kleinkarierter Verzicht auf die Optimierung betrieblicher und wirtschaftlicher Effizienz, deren Kern vor allem motivierte und zufriedene Mitarbeiter sind.