Rassismus. Wenn der Antrag auf mehr Durchlässigkeit zwischen Mittelschule und Gymnasium zielt, dann greift er viel zu kurz, wenn man lediglich ein Fach herausgreift, und deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab.
Der hier zuerst zur Diskussion stehende PDS-Antrag zur „Unverzüglichen Überarbeitung des Lehrplanes Geschichte für die Mittelschule“ ist von einer verblüffenden ideologischen Durchsichtigkeit. Die Antragstellerin argumentiert zwar mit einer Lehrplanüberarbeitung für einen erleichterten Schulwechsel, zielt aber auf die Übertragung des exzessiven Vergangenheitsbewältigungsunterrichts der Gymnasien auf die Mittelschulen. Der PDS geht es hier also – das hat Frau Bonk ja auch eingeräumt – um antifaschistische Geschichtslektionen und nicht um Erleichterungen für Schulwechsler.
Zu dieser Einschätzung muss man beim vergleichenden Blick auf die aktuellen Geschichtslehrpläne für Gymnasien und Mittelschulen im Freistaat Sachsen kommen.
Im vorliegenden Antrag geht es vorgeblich um mehr Durchlässigkeit beim Übergang von der Mittelschule aufs Gymnasium. Dieses Argument ist aber schon deswegen fragwürdig, weil die geforderte Durchlässigkeit durch den neuen Notendurchschnitt von 2,5 als Voraussetzung für den Wechsel aufs Gymnasium bereits weitgehend gegeben ist.
In der Antwort auf eine diesbezügliche Frage des Fräulein Bonk erklärte die Staatsregierung in der Drucksache 4/0975, dass zum Halbjahr des Schuljahres 2004/2005 1 578 Grundschüler eine Bildungsempfehlung für das Gymnasium erhalten haben, die vor der Änderung der Schulordnung eine Empfehlung für die Mittelschule erhalten hätten. Damit liegen die Anmeldungen für das Gymnasium rund 7 % über dem Vorjahreswert.
Nein, die Formulierung „Fräulein“ gibt es einfach nicht mehr. Ich würde Sie bitten, das zu beachten.
Oh, dann entschuldige ich mich für diese außerordentlich reaktionäre Bezeichnung. – Das war jetzt Ironie, Frau Bonk. Weiter fragte Frau Bonk, ob diese Entwicklung zu unterfüllten Mittelschulen und zu überfüllten Gymnasien
führe, was wohl zu bejahen ist, da bekanntlich schon jetzt 300 der 456 Mittelschulen im Freistaat nicht die vorgeschriebene Mindestschülerzahl aufweisen und deshalb von der Schließung bedroht sind.
Durch die geänderte Bildungsempfehlung werden die Mittelschulen sowieso einen weiteren Aderlass erleiden und so in Zukunft erst recht ins Visier des Kultusministeriums geraten.
Um mehr Durchlässigkeit und Chancengleichheit im Bildungswesen geht es Ihnen von der PDS also ganz und gar nicht. Worum geht es Ihnen dann? Warum soll den Mittelschulen ausgerechnet der gymnasiale Geschichtslehrplan übergestülpt werden? Warum wollen Sie nicht die Lehrpläne der sprachlichen und naturwissenschaftlichen Fächer überarbeitet wissen, die doch ein viel größeres Hindernis für den Wechsel von der Mittelschule aufs Gymnasium darstellen als der Geschichtsunterricht?
Mit antifaschistischen Exorzismusübungen wollen die Postkommunisten der deutschen Geschichte zu Leibe rücken und diese auf die zwölf Jahre des Nationalsozialismus reduzieren, um den irrwitzigen Schuldkult auch noch der vierten deutschen Nachkriegsgeneration, die mittlerweile die Schule besucht, einhämmern zu können.
Deshalb sollen die Lehrpläne der Gymnasien, die so tun, als wenn die zwölf Jahre der Dreh- und Angelpunkt der deutschen Geschichte wären, auch noch auf die Mittelschulen übertragen werden. Der Lehrplan 2004 für den gymnasialen Geschichtsunterricht – beispielsweise in der Klassenstufe 9 – besteht praktisch nur aus der Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus. In 22 Unterrichtsstunden soll „Deutschlands Weg von der Demokratie zur Diktatur“ abgehandelt werden. In zwölf Stunden wird „Die nationalsozialistische Diktatur – ein System von Terror und Gewalt“ bewältigt, acht Stunden sind schwerpunktmäßig der nationalsozialistischen Außenpolitik gewidmet und als Nachschlag für Liebhaber gibt es wahlweise noch einmal vier Stunden zum Thema Justiz im Dritten Reich, Frauen im Dritten Reich, Kunst und Kultur im Dritten Reich.
Was das noch mit einem ausgewogenen Geschichtsunterricht zur Heranbildung geistig unabhängiger junger Menschen zu tun hat, diese Frage stellt sich mir und sicherlich auch vielen anderen Kritischen. Wo bleibt hier das eigentliche Erziehungsziel, Schüler zu einem ganzheitlichen Blick auf die deutsche Geschichte zu befähigen, um auch die zwölf Jahre Hitler-Staat in die tausendjährige deutsche Nationalgeschichte einordnen zu können? Mit anderen Worten: Wo bleibt die unerlässliche Historisierung des Nationalsozialismus? Der eben zitierte Lehrplan der Klassenstufe 9 lässt keinen Raum für das, was auch der jetzt nach Görlitz abgeschobene frühere sächsische Regierungssprecher Christian Striefler mit seinem Geschichtsbuch „Kampf um die Macht“ bezweckte: nämlich – ich darf den Klappentext zitieren – „einen entscheidenden Beitrag zur notwendigen Historisierung des Nationalsozialismus zu leisten“.
Es ist klar, dass die Postkommunisten die umerziehungslastigen Gymnasiallehrpläne auch noch auf die Mittelschulen ausdehnen wollen, damit dauerbewältigt wird, was 60 Jahre her ist, und damit nicht thematisiert ist, was mit der SED-Diktatur gerade einmal 15 Jahre her ist. Das rote Mauermörder-Regime spielt nämlich im Gym
nasiallehrplan Geschichte 2004 nur eine beschämende Randrolle. Wenn also Geschichtslehrpläne zu überarbeiten sind, dann sind das die Geschichtslehrpläne der Gymnasien mit ihrer thematischen Verkürzung und Einseitigkeit und nicht die der Mittelschulen. Ich habe eine ganz fromme Bitte an die Herrschaften von der PDS-Fraktion. Wenn es Ihnen um den deutschen Schuldkult als bundesrepublikanische Zivilreligion geht, dann sagen Sie das bitte offen, aber missbrauchen Sie dafür nicht die sächsischen Schüler, in deren Interesse zu sprechen Sie vorgeben. Wenn es Ihnen wirklich um die Schüler ginge, um einen erleichterten Schulwechsel von der Mittelschule aufs Gymnasium, dann müssten Sie sich für die Überarbeitung der Lehrpläne gerade im sprachlichen und mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich einsetzen. Das tun Sie aber nicht. Ein letztes Wort noch zur FDP. Dass die hiesige FDP die Vergangenheitsbewältigungsschraube noch anziehen will, kann man als Schande für eine Partei bezeichnen, die mit Erich Mende einmal einen untadeligen Patrioten und Ritterkreuzträger als Bundesvorsitzenden hatte. Schließen möchte ich zu dieser durchsichtigen Absicht, die gymnasialen Lehrpläne den Mittelschulen überzustülpen, mit einem Zitat des konservativen Publizisten Johannes Gross, der vor einigen Jahren im damals noch erscheinenden „FAZ-Magazin“ ausführte: „Die Verwaltung der deutschen Schuld und die Pflege des deutschen Schuldbewusstseins sind ein Herrschaftsinstrument. Es liegt in der Hand aller, die Herrschaft über die Deutschen ausüben wollen, drinnen wie draußen.“ Dieser Instrumentalisierung der zwölf Jahre Nationalsozialismus stehen wir kritisch gegenüber und lehnen deswegen auch die beiden zur Debatte stehenden Anträge ab.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu meinem Vorredner fällt mir nicht allzu viel ein, vielleicht so viel: Ich glaube, Sie waren im Geschichtsunterricht häufiger Kreide holen, als die wesentlichen Themen behandelt wurden.
Sie sind wahrscheinlich das lebende Beispiel dafür, dass es notwendig ist, umfassend geschichtlichen Stoff zu vermitteln, auch aus der Zeit des Nationalsozialismus.
Ich will es vorwegnehmen: Wir unterstützen den Antrag der PDS-Fraktion, weil wir es inhaltlich richtig finden, dass die Stoffvermittlung des Geschichtsunterrichts überarbeitet wird. Mit der Lehrplanreform hat das Kultusministerium zwar ein Problem beseitigt, nämlich dass auch den Absolventen der 9. Klassen umfassende Geschichtskenntnisse aus der Zeit des Dritten Reiches vermittelt
werden. Angesichts der Wahlergebnisse für manche rechtsextremistische Partei ist das auch bitter nötig.
Dennoch greift die Reform etwas zu kurz, denn damit, dass man Geschichtsunterricht in Klasse 10 zum Wahlfach macht, wird auch das Fach abgewertet. Das muss aus unserer Sicht korrigiert werden. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund eines erleichterten Übergangs zum Gymnasium. Im Geschichtsunterricht der Klasse 10 als obligatorisches Fach können Unterschiede im Vergleich zum Gymnasium ausgeglichen werden.
Unser Änderungsantrag zum PDS-Antrag dient daher auch der Konkretisierung, um zum einen festzuhalten, dass Geschichte auch in Klasse 10 als obligatorisches Fach angeboten wird, und zum anderen, um die Stoffvermittlung zu präzisieren.
Zu der Bemerkung des Kollegen Dulig. Natürlich sagt das Wort „vermitteln“ nichts über die Art und Weise der Vermittlung aus. Ich glaube nicht – und das wissen alle, die zu DDR-Zeiten die Schule besucht haben –, dass die Art und Weise, wie dort Geschichte vermittelt worden ist, das Richtige war, um am Ende das Richtige in den Köpfen auszulösen. Man muss sich Gedanken machen, wie man den Stoff anschaulich und lebendig vermittelt, so dass man die Schüler mitnimmt und nicht nur aus dem Lehrbuch vorgetragen wird. Aber es steht nicht in unserem Antrag, dass wir das nicht wollen. Ich denke, deshalb kann man dem Antrag der FDP-Fraktion wie auch dem der PDS-Fraktion zustimmen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eigentlich ist der Tagesordnungspunkt ja recht unverfänglich begrüßenswert. Ich nehme es vorweg: Wir werden sowohl dem Antrag der PDS-Fraktion als auch dem Änderungsantrag der FDPFraktion zustimmen. Aber irgendetwas muss ja wohl dran sein, wenn es einen Nazi dermaßen abhebt, zum Thema so ausfällig zu sprechen. Wer sich unwidersprochen als Nationaldemokrat in der Tradition der NSDAP sieht, kann als Nazi tituliert werden.
(Beifall bei den GRÜNEN, der PDS, der SPD und der FDP – Heinz Eggert, CDU: Sagen Sie das ruhig noch mal!)
Martin Dulig, der Beitrag war wirklich Realsatire. Er hat mich ein wenig irritiert. Ich denke, wir sind uns im Anliegen einig. Es geht darum, dass die Durchlässigkeit des mehrgliedrigen Schulsystems erleichtert werden soll. Das hat die SPD-Fraktion damals im Koalitionsvertrag versprochen und der Antrag der PDS-Fraktion schadet diesem Anliegen durchaus nicht.
Zur Frage der Wahlmöglichkeit: ja oder nein? Wir kritisieren es von Anbeginn, dass es Menschen gibt, die ernsthaft in Betracht ziehen, Geografie und Geschichte gegeneinander austauschen zu lassen. Wir haben in
Sachsen den unrühmlichen Umstand, eine zwölfköpfige Fraktion von Neonationalsozialisten im Parlament sitzen zu haben. Wir hatten 15 Jahre Geschichtsunterricht, der so etwas nicht verhindern konnte. Wir müssen tatsächlich am Geschichtsbewusstsein arbeiten. Die Frage, ob es Schüler interessiert, ob es sie glücklich macht oder begeistert, wird ja auch nicht gestellt, wenn sie sich im Deutschunterricht mit Literatur, Interpretationen und dergleichen auseinander setzen müssen. Diese Argumentation halte ich für recht fadenscheinig.
Ich halte es für wichtiger denn je, Geschichte einen besonderen Wert zukommen zu lassen, wenn es um Bildungspolitik geht. Deshalb stimmen wir den genannten Anträgen zu.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Dulig, ich kann es Ihnen jetzt nicht ersparen, noch einmal aus dem Koalitionsvertrag zu zitieren.