Protocol of the Session on May 19, 2005

Ich würde jetzt auch noch eine Gegenfrage formulieren: Würden Sie denn im Zuge der jetzigen Diskussion für ein Gesetz stimmen, das jeden verpflichtet, die Waren für einen gewissen Mindestpreis einzukaufen?

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU)

Das mache ich nicht, das sehen Sie sicher auch so.

(Zuruf des Abg. Holger Zastrow, FDP)

Nein, das ist schon richtig, was Sie meinen, ich verstehe Sie schon. So geht es aber nicht, weil wir jetzt ein Problem haben. Warum verzichtet nicht der bayerische wie der sächsische Arbeitnehmer im Erzgebirge auf Lohn? Das machen wir schon 15 Jahre mit. Also brauchen wir eine Regelung. Wir brauchen sie auch für Europa, sollte nicht der Herr Apfel weiterhin solchen Unsinn erzählen können. Wir brauchen Standards. Und ich erlebe hier vonseiten der CDU nicht, dass Sie für Europa erst einmal für Mindeststandards eintreten. Anders wird es in Europa nicht möglich sein. Da gebe ich Herrn Gerstenberg Recht; deshalb brauchen wir diese Regelungen.

Aber Sie geben mir doch Recht, wäre ich Unternehmer: Welcher Unternehmer wird nicht die Chance sehen, seine Lohnnebenkosten zu senken, indem er zukünftig ALG-II-Bezieher einbezieht? Und – da habe ich größte Angst – wer bedient sich dann nicht vielleicht der EinEuro-Jobs? Wer tritt denn auf die Bremse? Auch das ist offen. Mit dieser Hinzuverdienstregelung obliegt den Unternehmen eine hohe soziale Verantwortung, auch Ihnen als Unternehmer. Die Frage ist: Werden mit dieser Regelung zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen – weil sie ja billiger sind – oder tarifgebundene abgebaut? Dreimal können Sie raten, wenn Sie davon ausgehen, dass durch mehr Nachfrage Arbeitsplätze geschaffen werden und nicht Billiglöhne.

Fest steht: Das Lohngefüge ist entfesselt, der Wettbewerb findet über den lang ersehnten Billiglohnbereich nun endlich statt. Das ist die Auswirkung der Hinzuverdienstgrenze. Nichts ist dringender, als eine Sperre einzubauen, soll Sachsen – der Osten – nicht zum Billiglohnland werden und somit weiterhin ein Abwanderungsland für die Jugend bleiben. Ein Mittel ist die Einführung des Mindestlohnes, und dafür treten wir ein.

Ihnen allen muss ich sagen: „Arbeit muss sich lohnen!“, war der Wahlslogan der Volksparteien. Wortreiche Wiederholungen reichen allein nicht; es geht darum, das so umzusetzen. Wir brauchen einen Mindestlohn von 1 200 bis 1 400 Euro. Alles andere wäre sittenwidrig und würde, Herr Morlok, auch in Sachsen durch weiteres

Sinken der Kaufkraft Insolvenzen von vielen kleinen und mittelständischen Firmen nach sich ziehen. Das ist dann Ihre Ökonomie.

Deshalb zu Ihrem Antrag. Die erste Begründung, dieses Gesetz abzulehnen, ist Abschottung! – Das ist generell falsch. Dieser Mindestlohn wird nicht abschotten; er wird verbinden.

Den letzten Punkt, den Sie nannten, die ablehnende Haltung des sächsischen Ministerpräsidenten zu gesetzlichen Mindestlöhnen. Dazu muss ich Ihnen antworten: Ich habe gestern dem Wirtschaftsminister zugehört und er hat gesagt, die EU hat Sachsen und Deutschland aufgefordert, einen Mindestlohn einzuführen; so habe ich ihn verstanden und ich denke, er wird es jetzt noch einmal wiederholen.

(Beifall bei der PDS und des Abg. Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE)

Gibt es von der FDPFraktion den Wunsch zu erwidern? – Bitte, Herr Morlok.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte Herrn Zais in einem Punkt zustimmen – nicht inhaltlich, sondern in seinem Wunsch, in seiner Forderung, dass es doch eigentlich das Mindeste ist, was wir als Parlament erwarten können –: dass die Staatsregierung – egal durch wen – heute und hier erklärt, wie sie im Bundesrat in dieser Frage abstimmen möchte. – Ich weiß nicht, wer von den momentan nicht anwesenden Ministern sich noch dazu äußern könnte, wie sie dazu abstimmen werden. Wir haben eine Mutmaßung von Herrn Lämmel gehört, wie er denkt, dass es denn sein könnte. Aber ich erwarte, dass die Staatsregierung hier in diesem Hause heute eine Aussage dazu trifft, wie sie sich im Bundesrat verhalten wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und ganz vereinzelt bei der PDS)

Gibt es von der CDU-Fraktion noch den Wunsch zu sprechen? – Nein. Von der SPD-Fraktion? – Herr Abg. Brangs, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie angedroht, der zweite Teil. – Gleichzeitig überbrücke ich damit vielleicht auch die Möglichkeit, wenn die Staatsregierung noch antworten möchte. Wenn ich die FDP in ihrem Antrag richtig verstanden habe, dann befürchten Sie mit der Ausweitung des Arbeitnehmerentsendegesetzes eine Abschottung des Arbeitsmarktes und eine Behinderung des Wettbewerbs.

Nach meiner Auffassung ist allerdings die Realität eine vollkommen andere. Die Öffnung des Marktes, vor allem in Europa, hat dazu geführt, dass gerade Unternehmen große Vorteile und Möglichkeiten dadurch bekommen haben. Vor allen Dingen haben wir seit Jahren einen Titel, nämlich den Titel des Exportweltmeisters, und ich glaube, dass auch dieser eindrucksvoll vor Augen führt, dass es hier eben nicht um Abschottung geht.

Es gibt aber in Europa eben nicht nur Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände, sondern auch Beschäftigte. Es gibt vor allen Dingen Beschäftigte, die bei der Öffnung dieser Märkte mit negativen Folgen zu rechnen haben. Ich denke, dass wir uns dieses Problems annehmen müssen.

Deshalb ist nach meiner Auffassung genau die Ausweitung des Arbeitnehmerentsendegesetzes oder aus unserer Sicht noch besser eine differenzierte Mindestlohnpolitik sinnvoll und dringend geboten. Ich hatte es bereits gesagt: 18 von 25 Staaten haben eine solche Mindestlohnregelung, und darunter sind auch Staaten, die von der FDP immer wieder wegen der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik gelobt werden.

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Hört, hört!)

Insofern kann ich überhaupt nicht feststellen, dass der Handel und der Wettbewerb in Europa jetzt angeblich an diesen Regelungen zusammenbrechen sollen. Ich verstehe wirklich nicht, welches Gespenst Sie hier durch die Gegend treiben wollen; die Entwicklung und die Erfahrungen sprechen eine vollkommen andere Sprache. Es ist aus unserer Sicht vollkommen logisch, dass es die SPDLandtagsfraktion begrüßt, dass die Bundesregierung das Arbeitnehmerentsendegesetz auf andere Wirtschaftsbereiche ausdehnen will, und wir unterstützen dieses Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich.

Alle diese 15 EU-Staaten haben bereits eine gesetzliche Regelung zur Entsenderichtlinie, und von der Ausdehnung des Geltungsbereiches der Entsenderichtlinie auf alle Sektoren und Branchen haben Länder wie Österreich, Belgien, Spanien, Finnland, Frankreich, Griechenland, Portugal und Luxemburg Gebrauch gemacht. Für Irland und für Großbritannien gibt es im Übrigen bereits gesetzliche Mindestlöhne.

Wenn man Ihrer Theorie folgen darf, müsste ja da überall der Markt zusammengebrochen sein, und der europäische Markt müsste darunter leiden – genau das Gegenteil ist der Fall.

In Deutschland, das wissen Sie, gibt es seit 1996 die entsprechende Arbeitnehmerentsendegesetz-Richtlinie, die allerdings nur für die Bauwirtschaft und für die baunahen Bereiche und für die Seeschifffahrt gilt, und genau diese Regelung sieht vor, dass ausländische Arbeitnehmer volle Gültigkeit auf die Anwendungsbereiche dieses Gesetzes und dieser Verwaltungsvorschrift erlangen. Das bedeutet im Konkreten, es geht um Arbeitszeiten und um Mindestruhezeiten. Es geht um bezahlten Mindestjahresurlaub, um Mindestlohnsätze, Schutz vor Leiharbeitern, es geht um Gesundheit und Hygiene, um Sicherheitsstandards, es geht vor allem auch um Vorschriften gegen Diskriminierung sowie um Schutzmaßnahmen für Schwangere, Frauen, Kinder und Jugendliche.

Ich frage mich, gerichtet an die FDP-Fraktion, ernsthaft, was daran auszusetzen ist, dass so ein sinnvolles Instrument mit sozialen Mindeststandards für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in allen wirtschaftlichen Bereichen Anwendung finden soll.

Meine Damen und Herren, das Arbeitnehmerentsendegesetz sieht vor, dass durch Rechts- und Verwaltungsvorschriften Mindestentgeltsätze geregelt werden. In

Deutschland ist es mit Ausnahme – ich sagte es bereits – des Bauhaupt- und -nebengewerbes bisher zu keiner weiteren Regelung gekommen. Insofern, und das ist das Problem an dem gesamten Verfahren, läuft bisher die gesamte Regelung ins Leere. Wir sind der Auffassung, dass man das schnellstens beheben sollte.

In diesem Zusammenhang, Herr Morlok, von mir eine Antwort: Ich glaube, dass nur Mindestlohnregelungen vor Lohndumping und Working poor schützen. Davon bin ich völlig überzeugt. Ich verstehe nicht, was daran auszusetzen ist. Um diesem Teil – Lohndumping und Working poor – zu begegnen, hat die Bundesregierung sich dazu entschlossen, den Artikel 1 des Arbeitnehmerentsendegesetzes zu ziehen. Dies führt zu branchenbezogenen Mindestlöhnen. Gleichzeitig würde der Tarifvertrag der jeweiligen Branche auf die entsandten Arbeitnehmer ausgedehnt. Der Vorteil dieser Variante liegt in einem branchen- und regionenbezogenen Ansatz. Ausgangspunkt und Bezugsgröße bleiben genau die abgeschlossenen Tarifverträge.

Allerdings – und das räume ich ein – ist damit das Problem verbunden, dass dieser richtige Ansatz leider in der Praxis nicht umzusetzen ist. Der Grund liegt darin, dass diese Branchen nur in ganz wenigen Fällen bundesweit geltende Flächentarifverträge haben. Es gibt Ausnahmen. Das sind das Malerhandwerk, die Versicherungen und das Bankgewerbe. Hinzu kommt auch – und das ist ein Problem, welches wir ansprechen müssen –, dass im Osten die Tarifbindung besonders gering ist und es in einzelnen Bereichen überhaupt keine Tarifverträge gibt. Insofern gibt es faktisch eine große Lücke in der Tariflandschaft. Das ist für uns ein weiterer Grund, das habe ich schon beim Antrag der PDS-Fraktion gesagt, diese Lücke über differenzierte Mindestlohnregelungen schließen zu wollen.

Im Gegensatz zur FDP-Fraktion sind wir der Auffassung, dass die Ausweitung des Arbeitnehmerentsendegesetzes bis zur Einführung eines gesetzlich differenzierten Mindestlohnes ein durchaus sinnvolles Instrument ist und Lohndumping und Wettbewerbsverzerrung effektiv entgegenwirken kann. Warum es aber dazu kommt, dass wir die Anträge von PDS- und FDP-Fraktion ablehnen werden, hat Kollege Lämmel erläutert. Ich habe bei der Darstellung unserer Position klar gemacht, warum das so ist.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD – Andreas Lämmel, CDU: Die Staatsregierung, bitte!)

Gibt es weiteren Redebedarf? – Möchte die Staatsregierung sprechen? – Kein Redebedarf.

(Unruhe bei der PDS und der FDP)

Dann bitte ich die Kolleginnen und Kollegen, das Schlusswort zu halten. Das Schlusswort haben die Fraktionen der PDS und der FDP, jeweils maximal fünf Minuten. Die PDS-Fraktion beginnt. Frau Lay, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es kann hier eigentlich kein Schlusswort geben,

denn ich vermisse die Äußerungen der Staatsregierung zu diesem wichtigen, zentralen Thema.

(Beifall bei der PDS, der FDP, den GRÜNEN und des Abg. Klaus-Jürgen Menzel, NPD)

Ich sehe, und das sehen wir alle seit der letzten Woche und seit der Debatte, die wir gestern zum Thema soziale Marktwirtschaft hatten, dass die Koalition in einer äußerst schwierigen Lage ist, dass die Positionen hier weit auseinander gehen. Aber dass Sie sich jetzt der Debatte entziehen, dass niemand von der Staatsregierung den Mut hat, hier eine klare Ansage zu machen, wie Sachsen sich in dieser Debatte verhalten wird, halte ich offen gestanden für skandalös. Das ist eine Missachtung des Parlaments und kann so nicht angehen.

(Beifall bei der PDS und der FDP)

Meine Damen und Herren, ich habe ansonsten der Debatte inhaltlich wenig hinzuzufügen. Die Argumente, die gegen unseren Antrag ins Feld geführt worden sind, waren wenig überzeugend und sind sehr wohl auch von den Rednern der SPD-Fraktion und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN widerlegt worden. Es gibt einen Dissenspunkt, den beide angesprochen haben, bei dem es um die Frage der Regelung über eine Rechtsverordnung geht. Hier sind wir anderer Auffassung. Wir haben vorhin im bilateralen Gespräch mit Ihnen, Herr Brangs, deutlich gemacht, dass die Regelung auf der Grundlage dieses Gesetzes über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen möglich wäre. Man sollte das novellieren. Aber das sind Detailfragen.

Eine kurze Anmerkung noch in Richtung NPD-Fraktion. Sie hängen Ihr Fähnchen in den Wind. Als die PDS-Fraktion die gleiche Debatte zum Thema Mindestlohn im Dezember geführt hat, sagten Sie noch, das sei alles Quatsch. Es ginge um die Reduzierung des Angebots an Arbeit. Das heißt, Sie haben damals erneut sehr deutlich klar gemacht, dass Sie im Grunde alle diejenigen aus dem Land schmeißen wollen, die ohnehin schon am wenigsten verdienen. Ich würde mir an Ihrer Stelle gut überlegen, ob Sie unserem Antrag zustimmen wollen; denn mit dem, was wir vorschlagen, wollen wir, dass auch Tschechen und Polen, die in Deutschland arbeiten, einen Mindestlohn erhalten, also auch die Leute, die Sie offensichtlich nicht leiden können.

(Beifall bei der PDS)

Da bin ich gespannt. Aber ich muss Ihnen sagen, auf Ihre Stimme kann ich verzichten.

Meine Damen und Herren, die Äußerungen der Staatsregierung fehlen. Ich erlaube es mir daher, aus der Rede von Herrn Staatsminister Jurk vom April 2004, als er noch kein Staatsminister war, zu zitieren: „Ich bin der Auffassung, dass die Zumutbarkeitsregelungen bei Hartz IV einer grundsätzlichen Überarbeitung bedürfen. Wo keine Arbeit vorhanden ist, ist Druck auf Arbeitslose der falsche Weg. Wir müssen aber noch einen Schritt weiter gehen. Für mich ist klar: Nicht Billiglöhne sind unsere Zukunft, sondern die Einführung eines Mindestlohns in Deutschland.“

Meine Damen und Herren, es liegt uns heute nichts anderes vor und ich denke, dass die Aussagen von Herrn Jurk immer noch gültig sind. Ich rechne fest mit der Zustimmung Sachsens im Bundesrat zu dieser Regelung.

Ich danke Ihnen.