Doch die Debatte zu diesem Thema ist wichtig, und sie so oft wie möglich in der Öffentlichkeit zu führen ist richtig; denn, meine Damen und Herren, bedenkt man die Tatsache, dass der damalige EU-Kommissar für Binnenmarkt, Frits Bolkestein, den nach ihm benannten Entwurf der EU-Dienstleistungsrichtlinie bereits im Februar 2004 vorgelegt hat, so zeigt dies die bisherigen Defizite in der „Veröffentlichung“ der Debatte.
Das ursprünglich erklärte Ziel der Richtlinie war die Schaffung eines Binnenmarktes für Dienstleistungen bis 2010 und der Abbau der „bürokratischen Hindernisse für die Wettbewerbsfähigkeit Europas“. Im Einleitungstext zu dieser Richtlinie war immer wieder auf kleine und mittlere Unternehmen als potenzielle Nutznießer verwiesen worden. Diesen grundsätzlichen Zielen hätte auch die PDS zustimmen können, gerade im Grenzland Sachsen.
Eine Analyse der einzelnen Regelungen der Richtlinie zeigt jedoch schnell, dass sie nicht zu einem fairen EUweiten Wettbewerb – vor allem der kleinen und mittleren Dienstleister – mit effektivem Schutz der legitimen Interessen der Arbeitnehmer und Verbraucher führen würde, sondern in Wahrheit auf die Interessen großer, multinational tätiger Dienstleistungskonzerne ausgerichtet ist. Das zeigt sich vor allem an zwei besonders in die Kritik geratenen Punkten: dem unklaren und nicht eindeutigen Anwendungsbereich der Richtlinie und dem so genannten Herkunftslandsprinzip.
Meine Damen und Herren! Wegen der unklaren Definition des Anwendungsbereiches besteht die reale Gefahr, dass Leistungen der Daseinsfürsorge, der staatlichen Gesundheitsversorgung, in Regelungen zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und der staatlichen Kulturförderung in den Anwendungsbereich der Richtlinie einbezogen werden. Dies wäre vor allem in Interesse der Großanbieter, die schon längst auf lukrative Schnäppchen in diesem Bereich hoffen und den mitgliedsstaatlichen Regelungen der öffentlichen Daseinsvorsorge den Garaus machen wollten.
Das Herkunftslandsprinzip erlaubt den großen, grenzüberschreitenden Dienstleistungsanbietern, die bisher den Regeln des Landes unterlagen, in dem sie jeweils konkret ihre Leistung erbrachten, nunmehr nach den Regeln des Mitgliedsstaates EU-weit tätig zu werden, die in ihrem Heimatland gelten bzw. in dem Land, in dem sie es für opportun halten, ihren Hauptbriefkasten anzumelden. Kleinen Unternehmen dürfte es dagegen schwer fallen, ihre offizielle Residenz nach Riga oder Porto oder wo es sich sonst gerade auszahlen mag zu verlegen.
Meine Damen und Herren! Am Ort der Dienstleistungserbringung müssten auch regionale und kommunale Behörden 25 Rechtsordnungen anwenden können. Hinzu kommt, dass die effektive Kontrolle und Durchsetzung der jeweiligen mitgliedsstaatlichen Regelungen, zum Beispiel des Arbeitnehmer- oder Verbraucherschutzes, nur
in Kooperation mit den Behörden des Herkunftslandes erfolgen könnte. Ein so genannter Standortwettbewerb um die schwächsten Qualitätsstandards und den geringsten Schutz von Arbeitnehmer- und Verbraucherschutzinteressen drohte und wird zu Recht von vielen befürchtet.
Mittlerweile ist die zivilgesellschaftliche Kritik in diesem Punkt so groß geworden, dass neben den Berichterstattern des Europaparlaments nunmehr selbst der deutsche Bundeskanzler und der französische Präsident eine Überarbeitung der Richtlinie fordern – nicht zuletzt, weil in der zunehmenden Ablehnung der Bolkesteinschen EUDienstleistungsrichtlinie in Frankreich die Zustimmung im dortigen EU-Verfassungsreferendum als gefährdet angesehen wird. Dabei wird zwar in die richtige Richtung, aber im Ergebnis zu kurz gedacht; denn der Entwurf Bolkesteins kann zum Stolperstein werden, zum Stolperstein für die europäische Integration. Denn ohne das Ziel der Sozialunion würde die Europäische Union scheitern. Deshalb ist die PDS bundesweit auch für die komplette Rücknahme des bisherigen EU-Dienstleistungsrichtlinienentwurfs.
Ein grundsätzlich neuer Regelungsansatz ist zur Schaffung eines EU-Binnenmarktes, der auch den Interessen der kleinen und mittleren Dienstleistungserbringer, der Verbraucher und Arbeitnehmer entspricht, erforderlich. Um diese Interessen zu fördern, sind wir bereit, auch Teildebatten zu führen. Deshalb komme ich nun, meine Damen und Herren, zu den vorliegenden Anträgen im Einzelnen.
Zum NPD-Antrag hat Kollege Brangs schon das Notwendige gesagt. Meine Herren von der NPD, es hat mich dennoch verwundert, dass die Fraktion einer Partei, welche den Parlamentarismus ablehnt und deren Parlamentarischer Geschäftsführer vor einigen Monaten in diesem Saal rief: „Es ist Ihre Demokratie!“, plötzlich Informationsrechte des Parlaments sichern will. Ebenso erstaunt hat es mich, wenn die Vertreter der NPD, die die Bundesrepublik Deutschland in ihren Reihen als – Zitat – „Organisationsmodalität der Fremdherrschaft“ oder als – ebenfalls Zitat – „kleinstdeutsche Lösung“ bezeichnen, sich jedoch in Punkt 3 ihres Antrages um die staatliche Grundordnung und das Grundgesetz eben dieser Bundesrepublik sorgen. Ich frage die NPD-Abgeordneten: Wie viel Kreide haben Sie für diesen Antrag geschluckt? Ich sage Ihnen: Sie sind unglaubhaft! Deshalb werden wir Ihrem Antrag nicht zustimmen.
Dem Antrag der Koalitionsfraktionen werden wir in der Mehrheit seiner Zielsetzungen zustimmen, wozu wir punktweise Abstimmung beantragen. Den Punkten 3, 4 und 6 stimmen wir zu, weil sie in identischer Form auch in unserem bereits erwähnten Antrag mit dem Titel „EUDienstleistungsrichtlinie überarbeiten“ enthalten sind. Allerdings wäre in der Debatte eine Klarstellung wünschenswert, wann nach dem Willen der Antragsteller die EU-Kommission die detaillierten, branchenbezogenen Folgeabschätzungen zu den Auswirkungen der Dienstleistungsrichtlinie vorlegen soll. Dem Punkt 5 stimmen wir zu, obwohl er aus unserer Sicht noch nicht klar genug formuliert ist und zu kurz greift; denn wer wirklich will, dass es durch die EU-Dienstleistungsrichtlinie nicht zur Verwerfung im Bereich der Sozialversicherung und
des Lohngefüges kommt, der wird um ein Bekenntnis zu Mindestsozialversicherungsstandards und Mindestlöhnen nicht herumkommen.
Die PDS-Fraktion wird dem bereits eingereichten Dienstleistungsrichtlinienantrag weitere Anträge folgen lassen, die sich unter anderem genau mit dieser Problematik befassen werden.
Dem Punkt 2 werden wir ebenfalls zustimmen, denn ein Vorrang der europäischen Entsenderichtlinie im Dienstleistungsbereich würde bedeuten, dass die so genannten Kernarbeitsnormen des Bestimmungslandes, das heißt des Landes, in dem die Dienstleistungserbringung erfolgt, gelten würden. Somit würden am Ort der Dienstleistungserbringung nationalstaatliche Standards zum Beispiel für Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten, für bezahlten Mindesturlaub, Arbeitssicherheit und -hygiene, für Gesundheitsschutz, für Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen für Schwangere und Jugendliche und schließlich für Mindestlohnsätze gelten. Letzteres zeigt, dass der Antrag der Koalitionsfraktionen nur sinnvoll ist, wenn man sich gleichzeitig für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes in der Bundesrepublik einsetzt. Die PDS hat dies immer getan und wird dies auch weiter tun.
Des Weiteren ergibt sich aus dem Koalitionsantrag in diesem Punkt für die beiden antragstellenden Fraktionen eigentlich die Notwendigkeit, der PDS-Position zur Stärkung des europäischen Entsenderechts beizutreten.
Nicht mehr hinnehmbar ist die Vielzahl von Rechtsverletzungen, insbesondere durch Großkonzerne, in den Bereichen, die mangels EU-Regelungen zur Vollstreckung von Bußgeldbescheiden in anderen Mitgliedsländern mangels flächendeckender Kontrollen und Ähnlichem nicht hinreichend verfolgt werden.
Dem Punkt 1 des Antrages der Koalitionsfraktionen können wir nicht zustimmen. Ich begebe mich jetzt nicht auf das Niveau eines Kollegen der CDU-Fraktion in der vorangegangenen Debatte und stelle jetzt keine Erwägungen darüber an, wo Sie diesen Antrag abgeschrieben haben oder mit wem auf dem äußersten rechten Rand Sie mit diesem Antrag vielleicht zusammenwachsen. Das tue ich bewusst nicht.
und vermittelt den falschen Eindruck, als sei die europäische Integration auf diesem Gebiet eine Einbahnstraße.
Eine EU-Richtlinie, die den EU-Markt für deutsche Unternehmen vereinfacht, aber gleichzeitig den deutschen Markt für Unternehmen aus der EU verschließt oder dort zumindest alles beim Alten belässt, wird es nicht geben.
Sächsische Interessen, auch in der Wirtschaftspolitik, sind in der gemeinsamen regionalen Interessendefinition
und Interessenbündelung mit unseren Nachbarregionen in der Bundesrepublik, in Polen und in Tschechien effektiver realisierbar.
Für die Schaffung eines einheitlichen EU-Binnenmarktes für Dienstleistungen als ein – wie es in den Debatten im Europaparlament hieß – „gleichmäßig ebenes Spielfeld mit fairen und gleichen Regelungen für alle“ in der Tradition des europäischen Sozialmodells und gemäß den Zielbestimmungen des geltenden Vertrages von Nizza ist die EU gefordert, die Bedingungen für einen solchen fairen Wettbewerb insbesondere an den Zielen einer hohen Qualität und Sicherheit der Dienstleistungen, eines hohen Niveaus des Verbraucherschutzes, Umweltschutzes und sozialen Schutzes sowie der Gleichstellung von Frauen und Männern zu orientieren.
Herr Zastrow ist mir vonseiten der FDP-Fraktion avisiert worden. – Entschuldigung, es spricht Herr Morlok.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte grundsätzlich für meine Fraktion klarstellen, dass wir das Herkunftslandsprinzip im Rahmen der EU-Dienstleistungsrichtlinie mit allem Nachdruck unterstützen.
In vielen, vielen Punkten ist das Herkunftslandprinzip gang und gäbe. Das haben viele von Ihnen unter Umständen schon wieder vergessen.
Wir haben in der EU den freien Warenverkehr im Binnenmarkt. Für all das, was Sie jeden Tag im Laden kaufen können, gilt bereits das Herkunftslandsprinzip – und das Abendland ist nicht untergegangen. Keiner von Ihnen hat auch gefordert, dass wir jetzt alle deutschen Sozialstandards, die wir in Deutschland bei der Herstellung von Waren und Gütern haben, in all den Ländern haben müssen, die Produkte liefern, die in unseren deutschen Läden verkauft werden. Das heißt, das Herkunftslandprinzip ist schon lange Praxis.
Wir als Deutsche, die wir eine exportorientierte Nation sind – auch die Sachsen holen im Export international auf –, profitieren von dieser Freiheit, von diesem Herkunftslandsprinzip im Bereich des Warenverkehrs. Nichts anderes gilt auch für Dienstleistungen.
Dienstleistungen haben in vielen Punkten den besonderen Effekt, dass sie nicht irgendwo gefertigt und verschickt werden, sondern sie werden sehr oft an Menschen erbracht, also dort, wo die Menschen sind.
Betrachten wir einmal den grenznahen Bereich. Dort würde die Ablehnung des Herkunftslandsprinzips dazu
führen, dass Sie über die Grenze nach Polen und Tschechien fahren können und dort eine Dienstleistung erwerben, was vollkommen korrekt wäre. Keiner würde sich daran stören. Wenn die gleiche Dienstleistung nur einen Kilometer weiter Richtung Deutschland erbracht würde, wäre sie nach Ihrer Überlegung unzulässig. Das kann es doch eigentlich nicht sein. Wir haben hier ein ähnliches Thema wie bei den Mindestlöhnen am Bau. Das ist genau das gleiche Thema. Auch in der Bauwirtschaft ist es so, dass Sie das Objekt, das Sie errichten, nun einmal typischerweise nicht im Ausland produzieren, sondern Sie errichten es da, wo Sie es später haben wollen.
Ich denke aber, dass Sie meinen Ausführungen auch die Aufmerksamkeit schenken sollten, die ich Ihnen geschenkt habe. Ich würde den Präsidenten bitten, zukünftig einzuschreiten, damit das nicht auf Kosten meiner Redezeit geht.
(Beifall bei der FDP – Interne Wortwechsel zwischen den Abg. Stefan Brangs, SPD, und Johannes Lichdi, GRÜNE)
Das mache ich dann schon. Es gibt hier zeitweise viel mehr Unruhe und daran sind viele beteiligt. Ich werde einschreiten, wenn ich das für richtig halte.
Mit den Mindestlöhnen im Baubereich haben wir genau das gleiche Problem, dass wir uns hier Wettbewerbschancen verbauen. Ich kenne das aus eigener Erfahrung als Unternehmer. Wir haben in Westdeutschland Mindestlöhne. Wir haben uns damit unseren Wettbewerbsvorteil der ostdeutschen Bauwirtschaft in Westdeutschland kaputtgemacht. Genau das werden wir langfristig auch tun, wenn wir der Harmonisierung nicht zustimmen. Wir haben zum Beispiel im Stahlbau die Situation, dass in der Regel in der Fabrik gefertigt und vor Ort montiert wird. Jetzt ist es so, dass sächsische Unternehmen in Sachsen nicht mehr wettbewerbsfähig sind, weil Unternehmen in Westdeutschland anders als die Unternehmen in Sachsen sehr wohl Arbeitnehmer aus Polen und Tschechien einsetzen dürfen, sehr, sehr billig in Westdeutschland produzieren und dann nach Ostdeutschland kommen und den Unternehmen Konkurrenz machen, die mit ostdeutschen Löhnen in der Fabrik vorfertigen und auf der Baustelle montieren. Genau diese Effekte treten ein. Das haben Sie offensichtlich alle nicht kapiert.
Ich differenziere das sehr wohl. Fragen Sie doch einmal hier bei den Unternehmen in Sachsen nach, wer unter diesem Wettbewerbsdruck steht. Reden Sie doch einmal mit den Verbänden. Dann werden Sie sehr schnell genau diese Informationen bekommen, wie ich sie erhielt und Ihnen gerade vorgetragen habe.