Protocol of the Session on June 25, 2009

(Stefan Brangs, SPD: Es geht um Kultur, Herr Gansel!)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Staatsministerin hat ihrer Fachregierungserklärung einen schwelgerisch schönen Titel gegeben „Kultur – Sachsens große Chance. Kulturpolitik für den Freistaat Sachsen in Zeiten des Wandels“. Das bot Frau Stange die Gelegenheit, sich des leeren Wortschatzes etablierter Verdrängungspolitik zu bedienen, um über alles Mögliche zu sprechen, nur nicht über die offenen Problemfelder ihres Zuständigkeitsbereiches.

Die NPD-Fraktion hatte gehofft, dass die Ministerin den Schneid hat, das heißeste politische Eisen ihrer Amtszeit anzufassen – nämlich die Hochschulreform im Gefolge des Bologna-Prozesses. Dieser Prozess, der vor Kurzem – Sie haben es am Rande mitbekommen – massive studentische Proteste hervorgerufen hat, wurde 1999 von europäischen Bildungspolitikern und ihnen zuarbeitenden Wirtschaftslobbyisten in Gang gesetzt. Ziel der mittlerweile 46 Staaten umfassenden Initiative ist die Schaffung eines einheitlichen europäischen Hochschulraumes bis zum Jahr 2010.

Kernelement dieser Gleichschaltung der Universitätslandschaft und der Beseitigung nationaler Hochschultraditionen ist bekanntlich die Einführung des zweistufigen Studiensystems mit den europaweit vergleichbaren Abschlüssen Bachelor und Master. Ziel der BolognaReformer ist der flexible und damit letztlich wirtschaftshörige, der mobile und damit letztlich heimatlose Student. Der so herangezüchtete Schmalspur-Akademiker soll dann auf dem europäischen Arbeitsmarkt wie ein Bauer auf dem Schachbrett hin- und hergeschoben werden.

(Stefan Brangs, SPD: Das ist die falsche Rede! Zum Thema!)

Lauschen Sie doch einmal!

Und wir wissen: In der Brüsseler Wirtschaftszone soll neben Waren und Kapital, Dienstleistungen und Arbeitskräften eben auch die „Humanressource Wissen“ ungehemmt zirkulieren, um Marktbedürfnissen dienstbar gemacht zu werden. Der Eindruck, sich im starren Korsett des Bachelorsystems nur wegen neoliberaler Anpassungs- und Effizienzdiktate herumquälen zu müssen, nährt ganz wesentlich den studentischen Protest – genauso wie das dumpfe Gefühl, den Wunschzettel der Globalisierungspolitiker artig abzuarbeiten und trotzdem keine akademische Aufstiegsperspektive zu haben.

Statt nun aber auf die Studentenproteste gegen den Bologna-Irrsinn einzugehen und Visionen für eine konsequente Reform der Reform zu entwickeln, macht die Ministerin um die Hochschulmisere einen großen Bogen und hält lieber eine unverfängliche Schaufensterrede über den Wert der Kultur, dem ja niemand widerspricht.

Widerspruch ist aber angesagt, wenn es um die Umwandlung der einst blühenden deutschen Hochschullandschaft in ein hochschulpolitisches Absurdistan von Europas Gnaden geht. Widerspruch ist nötig, wenn für das lebensfremde Ziel der europaweiten Angleichung der Studiengänge ein verschultes Turbostudium mit minderqualifizierenden Bachelorabschlüssen eingeführt wird.

Genau dagegen gingen in der letzten Woche Zehntausende Studenten in über 70 deutschen Städten auf die Straße. Sie beklagen die allgemeine Unterfinanzierung der Universitäten, die umso mehr ins Auge sticht, wenn man registriert, wofür in dieser Pleitegeier-Republik noch reichlich Geld da ist: natürlich nicht für deutsche Familien und armutsbedrohte Kleinverdiener oder die viel beschworene Bildung, sondern für marode Banken.

Für den Begriff „Pleitegeier“ erteile ich Ihnen einen Ordnungsruf.

(Gitta Schüßler, NPD: Was?)

Und das, obwohl die schuldenfinanzierten Geldgeschenke an die Finanzmafia eine schwere Hypothek für die Zukunft sind, während Bildung eine lohnende Investition für die Zukunft des gesamten Landes wäre.

Die Studentenschaft kritisiert aber auch die ganz konkreten Begleiterscheinungen des europäischen Einheitsstudiums im Bachelorformat. Dazu gehören zu enge Stundenpläne, zu viele Prüfungen und zu wenig Wahlfreiheit. In jeder Vorlesung haben die Studenten nun sogenannte Credit Points nach dem europäischen ECTS-System zu sammeln. Dieses Leistungspunktesystem soll eine europaweit einheitliche Bewertung der Studienleistungen ermöglichen und geht – wie jede Gleichschaltungsmaßnahme – auf Kosten individueller Freiheiten wie nationaler Traditionen.

Die NPD-Fraktion hat im Herbst 2005 zur Expertenanhörung anlässlich der Änderung des Sächsischen Hochschulgesetzes Prof. Bernd Rabehl als Sachverständigen

benannt. Er erklärte zum universitären Qualitätsverfall durch Modularisierung und Verschulung: „Die europäische Universität wird dem bürokratischen Aufwand erliegen, Bausteine von Wissen zu benennen, Methoden vorzustellen, um Wissen zu reduzieren und zu nivellieren, um einen Grad oder Titel zu geben. Die Massenausbildung wird jede Qualität zerstören. Die Studenten werden zu Schülern gemacht, die einem Prüfungspensum folgen müssen, und die Studenten sind in ihrem Spezialwissen eher Lehrer und haben mit den Professoren der Universität kaum etwas gemein.“ – So Rabehl bereits im Jahr 2005.

Im gleichen Jahr war in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zu lesen: „Die Bolognisierung der Hochschulen führt zu einer Fixierung auf Zahlen und Statistiken, während die Qualität nur eine untergeordnete Rolle spielt. Es ist ein vordergründiger Wettlauf um internationale Konkurrenz, die zum Selbstzweck wird.“

Im September 2008 erklärte dann auch der Deutsche Hochschulverband, dass er den Bologna-Prozess in Deutschland für gescheitert hält. Wichtige Reformziele wie die Senkung der Abbrecherquoten und die Erhöhung studentischer Mobilität seien nicht erreicht worden. Im Gegenteil, die starre Organisation des Bachelorstudiums habe die Gesamtabbrecherzahlen sogar noch deutlich steigen lassen. Zudem seien die Studiengänge so spezialisiert worden, dass ein Studienortwechsel während des Bachelorstudiums selbst innerhalb Deutschlands nahezu unmöglich sei. Der kurze und für die etablierten Hochschulpolitiker niederschmetternde Befund des Deutschen Hochschulverbandes lautet: Der Bachelor taugt als berufsbefähigender Regelabschluss nicht.

Deshalb stehen neben den Studenten auch viele Professoren auf den Barrikaden – unter ihnen auch der Theologe Marius Reiser, der aus Protest gegen die Bologna-Reform sogar seine Professur an der Uni Mainz niedergelegt hat. Er erklärte gegenüber der Presse: „Das neue Studiensystem ist eine einzige große Dummheit. Man schafft die bewährten und weltweit angesehenen Abschlüsse ab und ersetzt sie durch neue, die es noch nirgends auf der Welt gegeben hat.“

(Caren Lay, Linksfraktion: Das ist aber heute gar nicht das Thema! – Stefan Brangs, SPD: Das widerspricht der Geschäftsordnung – sprechen Sie zum Thema!)

Kultur ist das Thema, und dazu gehört auch Bildungs- und Universitätskultur! – Der Theologe Marius Reiser erklärte weiter: „Und man macht das nicht probehalber bei zwei oder drei Universitäten, sondern gleich überall. Die Autonomie der Universitäten und die grundgesetzlich garantierte Freiheit von Forschung und Lehre kümmert niemanden mehr.“

Er fasste zusammen: „Man hatte hehre Ziele: höhere Mobilität, internationale Vergleichbarkeit der Abschlüsse, Verbesserung von Forschung und Lehre. Das Gegenteil ist erreicht worden. Auch wenn an den Gebäuden ganz groß

,Universität’ steht, ist das keine Universität mehr.“ – So Marius Reiser.

Ich weiß nicht, ob es die Staatsministerin ähnlich sieht, aber diese Worte eines Praktikers aus Forschung und Lehre stellen der Bologna-geeichten Hochschulreform doch ein vernichtendes Zeugnis aus. Obwohl sie eigentlich zu den staatstragenden Funktionseliten gehören, laufen insbesondere Juristen und Mediziner Sturm gegen die Bologna-Reform, die die bewährten deutschen Staatsexamina durch das sechssemestrige Schmalspurstudium des Bachelors ersetzt.

Für den Juristenstand warnen der Deutsche Anwaltsverein und der Deutsche Juristenfakultätentag schon seit vielen Jahren vor dem Qualitätsverfall durch das EU-genormte Discountstudium. Sie meinen, dass ein Bachelorstudiengang Jura schlicht und ergreifend nicht zum Beruf des Richters oder des Rechtsanwaltes qualifiziert. Der Rechtswissenschaftler Bernhard Kempen kritisiert den Trend zur Verschulung mit starren Studienplänen, die kaum Raum für studentische Selbstorganisation lassen, mit klaren Worten: „Alle diese haarklein festgelegten Module führen zu einem Scheuklappenstudium, das den Blick nach rechts und links verstellt. Damit werden keine Innovationsträger und Funktionseliten herangebildet.“

Ein Bachelor-Jurist mag ja beruflich noch irgendwo als Bürokraft unterkommen, auch wenn er nie die Anwaltstätigkeit oder das Richteramt wird ausüben können; doch was sollen Bachelor-Mediziner machen, wofür sollen sie eingesetzt werden? Sollen sie nach sechs Semestern Blitzstudium vielleicht schon Patienten behandeln dürfen? Die Medizindozenten Josef Pfeilschifter und Helmut Wicht fragten am 22. April in einem großen „FAZ“Beitrag, was aus diesen, von ihnen sogenannten DiscountMedizin-Bachelors werden soll. Die Antwort der beiden Medizindozenten mutet ironisch an, sie ist aber bitterernst gemeint. Sie schrieben in der „Frankfurter Allgemeinen“: „Die Versuchung ist sicherlich groß, in Form jenes ‚Bachelors’ die Bader und Feldscher der alten Tage wiederauferstehen zu lassen, den Krankenpfleger mit erweiterter Handlungsbefugnis, den Arzt mit eingeschränktem Spielraum. Unfähig, sich niederzulassen, nicht approbiert, bar aller wissenschaftlichen Ambitionen – aber als Subalternarzt fürs Alltägliche in einem durchrationalisierten Krankenhauskonzern vielleicht brauchbar.“ – So die „FAZ“.

Gegen diesen Reformirrsinn, der wieder einmal einem Versuchslabor der Europäischen Union entsprungen ist, sind in der letzten Woche mehr als hunderttausend Studenten und angehende Studenten auf die Straße gegangen.

(Martin Dulig, SPD: Reden Sie doch zum Thema!)

Reflexhaft nannte Bundesbildungsministerin Schavan die streikenden Studenten „vorgestrig“, weil sie durch ihre Kritik an der von der EU oktroyierten Bachelor-Reform die „Internationalisierung des Bildungssystems“ aufhalten wollten. Nun ja, wenn sich einige linke Studenten heute über die Verschulung des Studiums und damit den Verlust

von persönlicher Autonomie ausheulen, sind sie Opfer genau der Internationalisierung geworden, die sie sonst in Weltbürgermanier doch immer beklatschen. Das ist eine bittere Erkenntnis in einem bestimmten Studentenmilieu, das naiverweise glaubte, eine gute Internationalisierung von einer bösen Ökonomisierung trennen zu können. Aber Internationalisierung und Ökonomisierung sind siamesische Zwillinge, weil das internationale Kapital überall Entstaatlichung, Entnationalisierung und Entsolidarisierung vorantreibt, um eine reine Marktgesellschaft zu schaffen. Vielleicht dämmert angesichts der BolognaKatastrophe manchem Studenten, dass nationalstaatliche Souveränität und nationale Interessenpolitik nicht nur im Interesse der sogenannten kleinen Leute liegt, sondern auch im studentischen Interesse ist, um vor kapitalistischem Effizienzwahn und universitärem Konformitätsdruck geschützt zu werden.

Meine Damen und Herren! Die NPD tritt weiterhin für das humboldtsche Universitätsideal der Einheit von Forschung und Lehre ein. Wir treten für die Gleichberechtigung der Geisteswissenschaften mit den Natur- und Technikwissenschaften ein. Wir stellen ganzheitliche Bildung über eine bloße Ausbildung nach aktuellen Marktbedürfnissen. Deshalb hat die NPD-Fraktion seit dem ersten Tag ihrer Zugehörigkeit zu diesem Landtag den Bologna-Prozess kritisiert und allen hochschulpolitischen Anträgen in dieser Richtung die Zustimmung versagt.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der NPD)

Ich erteile der Fraktion der FDP das Wort; Herr Prof. Schmalfuß, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur gemächlich hat sich der Zug des SPD-geführten Wissenschafts- und Kunstministeriums in Gang gesetzt. Am Zielbahnhof ist er noch lange nicht angekommen.

(Stefan Brangs, SPD: Wir haben ja noch mal fünf Jahre Zeit!)

Nein, der Zug ist vielmehr auf halber Strecke, inmitten von Veranstaltungsreihen und Berichten auf Hochglanzpapier, stecken geblieben.

(Jürgen Gansel, NPD: Der Zug ist entgleist!)

So viel zur Kurzzusammenfassung der Arbeit des SMWK in der aktuellen Legislaturperiode. Die Liste der Aufgaben und Versprechen war lang. Der Fairness halber können wir Ihnen, Frau Staatsministerin Dr. Stange, zusprechen, dass Sie einiges davon zumindest angegangen sind.

(Beifall bei der FDP)

Viele Themen sind von der Staatsregierung auf die politische Tagesordnung gesetzt worden. Viele Fragen wurden auf diversen Veranstaltungen diskutiert. Viele Dinge wurden angedacht – aber eben nur angedacht. Viele

Chancen wurden vertan und blieben ungenutzt. Themen wie Kultur- und Kreativwirtschaft, kulturelle Bildung, Kulturentwicklung im Zusammenhang mit der Globalisierung, demografischer Wandel und Kulturmarketing sind durchaus diskussionsträchtige Bereiche. Es ist auch durchaus nachvollziehbar, dass sich konkrete Handlungen erst nach einer ausreichend geführten Diskussion anschließen können.

Aber was nicht sein kann: dass außer Debattieren und Erörtern nichts passiert. Die auslaufende Legislaturperiode gehört aus kulturpolitischer Sicht zur Legislaturperiode der verpassten Chancen. Der Katalog der Beispiele ist lang.

Lassen Sie mich gleich zu Beginn das Desaster um den Erhalt unseres industriellen Erbes im Freistaat Sachsen ansprechen. Die Chancen, die in unserem Erbe der industriellen Geschichte Sachsens schlummern, sind enorm. So vereint die Industriekultur den für Sachsen aufgrund seiner historischen Entwicklung typischen Dualismus von prosperierender Wirtschaft und kulturellem Reichtum in Vergangenheit und Gegenwart. Als traditionelles Industrieland ist Sachsen reich ausgestattet mit sehenswerten Fabrikanlagen und imposanten Industriebauten. Das bringt ein Potenzial, um unsere Kinder und Jugendlichen für Technik und Wissenschaft zu begeistern und darauf neugierig zu machen

(Beifall bei der FDP und der Abg. Caren Lay, Linksfraktion)

Ein wichtiger Träger für diese Kultur ist der Zweckverband Sächsisches Industriemuseum. Seine Finanzierung und damit seine Zukunft sind jedoch weiterhin mit großen Fragezeichen versehen. In Aktuellen Debatten und Anhörungen, die von der FDP-Fraktion initiiert wurden, haben sich alle Beteiligten immer wieder zum industriellen Erbe bekannt. Die FDP-Fraktion hat die Staatsregierung mehrfach aufgefordert, den Bekenntnissen auch konkrete Taten folgen zu lassen – bedauerlicherweise bisher ohne nennenswerten Erfolg.

Auch die zusätzlich zur Verfügung gestellten Projektgelder aus dem Europäischen Sozialfonds sind mehr Schein als Sein, genau wie die zahlreichen Veranstaltungen der Staatsregierung rund um das Thema oder die Ankündigung, ein Kompetenzzentrum Industriekultur zu errichten. Eine anständige Grundfinanzierung mit ESF-Geldern ist nämlich nicht möglich.

Wohin das führt, sehen wir an den aktuellen Entwicklungen. Beim Zweckverband klafft ein aktuelles Finanzierungsloch von insgesamt 260 000 Euro. Davon sind mindestens 160 000 Euro notwendig, um die Liquidität kurzfristig zu sichern. Drei Zeitarbeitsverträge von Mitarbeitern mussten bereits aufgekündigt werden. Die geplante Hartmann-Ausstellung in Chemnitz steht auf der Kippe, eine Ausstellung, die eigentlich an den größten und berühmtesten Unternehmer der Stadt Chemnitz erinnern soll. Die Städte Chemnitz und Crimmitschau haben in Summe bereits 90 000 Euro zugesagt, um das

Schlimmste abzuwenden. Jetzt muss der Freistaat handeln. Sehr geehrte Frau Staatsministerin Stange, von einer soliden, perspektivischen Finanzierung für den Zweckverband Sächsisches Industriemuseum sind wir weit entfernt.

(Beifall bei der FDP)

Die aktuelle, wirklich sehr prekäre finanzielle Lage des Zweckverbandes hat die derzeitige Staatsregierung ganz allein zu verantworten. Daran gibt es keinen Zweifel. Die FDP-Fraktion hält weiterhin an ihrer Forderung nach einem Sächsischen Landesmuseum fest, einem Landesmuseum, an dem sich der Freistaat Sachsen, die Kommunen sowie private Träger oder Stifter beteiligen sollen. Das ist machbar, das ist sinnvoll. Vor allen Dingen schafft es Sicherheit für die Mitarbeiter und die langfristige Museumsentwicklung.