Wenn mit Artikel 7 Abs. 2 der Sächsischen Verfassung eine Pflicht des Staates begründet werden soll, allgemeine Lebensrisiken für Einzelne oder Gruppen der Gesellschaft durch Vor- oder Fürsorge abzusichern, genügt dies nicht dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot. Es wird in keiner Weise deutlich, wer Einzelner oder Gruppe der Gesellschaft in diesem Sinne sein kann oder soll. Darüber hinaus lässt die vorgeschlagene Regelung eine Auseinandersetzung mit der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes vermissen; denn das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass das Sozialstaatsprinzip lediglich die Pflicht des Staates zur Fürsorge für Einzelne und Gruppen beinhaltet, die aufgrund ihrer persönlichen Lebensumstände oder gesellschaftlichen Benachteiligungen an ihrer persönlichen oder sozialen Entfaltung gehindert sind. Nach dem Änderungsantrag soll jedoch der Staat pauschal zur Für- oder Vorsorge verpflichtet werden, ohne auf die jeweiligen besonderen Umstände abzustellen. Darüber hinaus wird – das vermag das Sozialstaatsprinzip in keinem Fall zu leisten – der Eindruck erweckt, es solle ein verfassungsrechtlicher Anspruch des Einzelnen auf staatliche Für- oder Vorsorge geschaffen werden.
Meine Damen und Herren! Ebenso fragwürdig ist die mit der Änderung von Artikel 31 Abs. 3 der Sächsischen Verfassung beabsichtigte Schranke für die Privatisierung des öffentlichen Eigentums. Das hatten die Vorredner schon deutlich gemacht. Dieser Vorschlag verkennt die Bedeutung des Sozialstaatsprinzips nun wirklich grundlegend. Entgegen der Auffassung der Linksfraktion gebietet das Sozialstaatsprinzip gerade keine verfassungsrechtliche Beschränkung der Möglichkeiten von Privatisierung staatlichen und kommunalen Eigentums.
Meine Damen und Herren von der Linksfraktion! Ich bitte Sie, das Sozialstaatsprinzip nicht mit Sozialismus zu
verwechseln. Herr Bartl, Sie hatten das zwar in Ihrem Beitrag ausgeschlossen, aber ich denke, dass das doch noch leicht der Fall ist.
Zuletzt ist die Änderung von Artikel 32 Abs. 2 zu berücksichtigen. Hier wird mit der Erweiterung der privatisierungsfähigen Gegenstände allen Ernstes vorgeschlagen, eine dem Artikel 15 Grundgesetz widersprechende Regelung zu schaffen. Dabei übersehen Sie, dass ein über Artikel 15 hinausgehender Zugriff auf privates Eigentum verfassungsrechtlich nicht zulässig ist.
Aus diesen Gründen bitte ich Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, dem vorgelegten Gesetzentwurf Ihre Zustimmung zu verweigern.
Meine Damen und Herren! Ich schlage Ihnen vor, über den Gesetzentwurf artikelweise zu beraten und abzustimmen. Gibt es dagegen Widerspruch? – Das ist nicht der Fall.
Aufgerufen ist das Gesetz zur Ausformung und Stärkung des Sozialstaatsprinzips in der Sächsischen Verfassung. Wir stimmen über den Gesetzentwurf der Linksfraktion ab. Ich beginne mit der Überschrift. Wer seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Bei einer Reihe von Stimmenthaltungen und Stimmen dafür ist die Überschrift mit Mehrheit abgelehnt worden.
Ich rufe Artikel 1, Änderung der Verfassung des Freistaates Sachsen, auf. Artikel 2, Inkrafttreten, nehme ich gleich hinzu. Wer den Artikeln seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Bei Stimmenthaltungen und Stimmen dafür dennoch mehrheitlich abgelehnt. Damit wurden sämtliche Bestimmungen abgelehnt und es erübrigt sich eine Gesamtabstimmung. Der Tagesordnungspunkt ist beendet.
Die Linken möchten also, sozusagen kurz vor Zapfenstreich, das Sozialstaatsprinzip in der Sächsischen Verfassung stärker ausformen und konkretisieren.
In der von Ihnen formulierten Zielsetzung stellen Sie auf eine vorgeblich unzureichende – oder veraltete – Definition des Sozialstaatsprinzips ab. Im Vorwort gehen Sie auch auf den kulturellen und ökologischen Bereich ein; das wird aber in Ihren weiteren „Ausformungen“ vernachlässigt.
Im Grunde möchten Sie einen starken, zentralistischen Staat, Ihr Ruf danach ist unüberhörbar, aber wie Sie es
Natürlich tut er das nicht – aber, was hat denn „der Staat“, wie Sie es nennen, überhaupt noch für Handlungsmöglichkeiten unter der Fuchtel der EU? Sie möchten das Paradies für alle – nicht nur für alle Deutschen, sondern für alle Menschen – in der Sächsischen Verfassung festgeschrieben haben.
So, und jetzt, nach all diesen edlen Bestrebungen, die Sie hier in einen Gesetzentwurf gegossen haben, schauen wir uns doch mal das wirkliche Leben an – Ihr Abstimmungsverhalten nämlich zu Themen, die davon berührt werden:
Ich erinnere daran, dass Sie es gemeinsam mit der Koalition und der FDP waren, die unseren Antrag auf Erhebung einer Förder- und Feldesabgabe für sächsische Bodenschätze ablehnten. Hier – in Ihrem Punkt 6 – fordern Sie im Prinzip dasselbe.
Am 14. Dezember 2007 lehnten Sie unseren Antrag in Drucksache 4/10575 auf Sicherung der Prozesskostenhilfe ab, und jetzt möchten Sie an Artikel 38 der Sächsischen Verfassung einen Absatz 2 anhängen, um jedermann – auch bei unzureichender finanzieller Leistung – den Zugang zum Rechtsweg und zu anwaltlicher Beratung zu sichern.
Ihr Punkt 3 – Würde und Persönlichkeitsrechte – ist sicher nett gemeint, aber völlig illusorisch. Diese Sozial- und Wirtschaftsordnung beruht eben nicht auf der Würde des Menschen, sondern auf dem Recht des Stärkeren, ver
brämt mit einigen demokratischen Sprechblasen. Wenn Ihnen das 20 Jahre nach der Wende immer noch nicht aufgefallen ist, tut es mir sehr leid für Sie – aber eine „Ausformung“ in der Sächsischen Verfassung wird diese Tatsache auch nicht ändern.
So könnte ich noch eine ganze Weile fortfahren, will es aber dabei belassen – es erstaunt mich nur immer wieder, wie weltfremd DIE LINKE sich manchmal anstellt. Kurz gesagt, der „Antrag zur Ausformung und Stärkung des Sozialstaatsprinzips“ taugt vielleicht für Ihren Wahlkampf, falls Ihnen das noch jemand abnimmt – er ist ein schönes Beispiel linker unrealistischer Propaganda, mehr aber auch nicht.
2. Lesung des Entwurfs Gesetz zur Umsetzung des verfassungsrechtlichen Anspruches auf Lernmittelfreiheit in Sachsen (Sächsisches Lernmittelfreiheitsgesetz – SächsLFreihG)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Sächsischen Verfassung ist der Anspruch auf unentgeltlichen Unterricht und auf unentgeltliche Lernmittel an allen Schulen in öffentlicher Trägerschaft formuliert. Unser Gesetzentwurf, den wir heute beschließen wollen – ich gehe davon aus, auch mit Ihren Stimmen –, will diesen Anspruch endlich erfüllen.
Die CDU hat diesen Anspruch im § 38 Sächsisches Schulgesetz auf ein Minimum reduziert. Damit muss endlich Schluss sein!
Den sächsischen Schülerinnen und Schülern muss nur dieses Minimum von Schulbüchern zur Verfügung gestellt werden, und das nicht einmal in vollem Umfang. Der Begriff der Lernmittel umfasst unserer Auffassung nach wesentlich mehr, nämlich alle Hilfsmittel, die für den Unterricht notwendig sind. Das ist nicht nur unsere Auffassung. Die Sachverständigen, die wir im Sächsischen Landtag zu diesem Gesetzentwurf bzw. zur Großen Anfrage der Linksfraktion zur Lernmittelfreiheit angehört haben, haben dies unterstützt. Wenn Sie draußen die Bürgerinnen und Bürger des Freistaates Sachsen fragen, werden Sie feststellen, dass niemand, aber auch gar niemand unter Lernmittelfreiheit oder diesem Anspruch unserer Sächsischen Verfassung nur das Ausleihen von
Schulbüchern verstehen würde. Hier das klare Bekenntnis dieses Hohen Hauses und seiner Abgeordneten, der Sächsischen Verfassung endlich Rechnung zu tragen!
Nach unserer Auffassung gehören zur Lernmittelfreiheit alle Lernmittel, die für die Schule notwendig sind, nicht nur die Lehrbücher – das hatte ich bereits gesagt –, sondern auch die Atlanten, die Kompendien, die Wörterbücher und vieles mehr, was an Büchern benötigt wird, aber auch der Taschenrechner, die Arbeitshefte, die Arbeitsblätter, die Kopien, die angefertigt werden, das Verbrauchsmaterial und die Schreibhefte.
Nach unserem Gesetzentwurf – das haben wir schon in den verschiedensten Bereichen in diesem Hohen Haus diskutiert – gehört auch dazu, dass die schulischen Veranstaltungen, die festgelegt werden, kostenfrei gestellt werden sollen und müssen. Das ist Anliegen unseres Gesetzentwurfes.
Im Landtag wurde das Thema Lernmittelfreiheit schon oft debattiert, insbesondere und ganz zielgerichtet immer dann, wenn wir Haushaltsdebatten haben. Sie werden sich alle erinnern. Die GRÜNEN und die SPD haben in diesen Diskussionen unterstützt, die Lernmittelfreiheit auf wirklich alle Lernmittel auszuweiten. Ich gehe davon aus, dass sie das auch heute tun werden. Ein ausreichendes Budget für die Lernmittel zur eigenverantwortlichen Verwendung der Schulen schließt unser Gesetzentwurf nicht aus. Das möchte ich ausdrücklich betonen. Natürlich wollen auch wir einen eigenverantwortlichen Bereich für die Schulen dabei haben.
In der Realität sieht es aber ganz anders aus. Die Realität sieht vor, dass der Schulträger den Schulen die notwendigen Mittel zur Verfügung stellt. Was sind notwendige Mittel? Wenn Sie sich einmal ganz genau anschauen, welche Mittel den Schulen im Freistaat Sachsen zur Verfügung gestellt werden, dann stellen Sie fest, dass dieses Budget extrem weit auseinandergeht. Es gibt Schulen, die von ihrem Schulträger 10 Euro pro Schüler bekommen, und es gibt Schulen, die von ihrem Schulträger 1 000 Euro und mehr pro Schüler bekommen. Das ist ein Zustand, der für uns nicht mehr haltbar ist.
Eine wirklich repräsentative Erhebung für den Bedarf an Lernmitteln hat diese Staatsregierung bisher nicht zuwege gebracht. Das wäre aber dringend notwendig, um eine realistische Größenordnung darzustellen. Werte Kollegen der SPD, hier stehen auch Sie in der Verantwortung; denn Sie haben in den letzten fünf Jahren, zumindest formal, mitregiert.
Oder vielleicht doch nicht? Denn auch in diesen fünf Jahren ist auf dem Gebiet der Erfassung, der repräsentativen Erhebung des Bedarfes an Lernmitteln nichts passiert. Das ist ein sehr negativer Punkt. Durch die Staatsregierung gibt es weder eine Vorgabe noch eine Empfehlung oder einen Richtwert für die Ausstattung der Schulen mit Lern- und Lehrmitteln.
Ja, wenn wir das nicht tun, müssen wir uns auch nicht darum kümmern, wie es aussieht. Realistisch ist – das werden Sie sehen, wenn Sie sich an den Schulen umschauen –, dass dort eine klassische Mangelwirtschaft herrscht, wenn es um die Lern- und Lehrmittel geht. Es gibt Schulen, die inzwischen bestimmte Sportunterrichtsbereiche gar nicht mehr ausführen können, weil sie die Materialien dafür nicht mehr zur Verfügung haben oder weil diese extrem veraltet sind. Herr Staatsminister, machen Sie endlich eine Bedarfserhebung, die realistische Größen darstellt!
Herr Staatsminister, orientieren Sie sich bei diesen Überlegungen ganz klar an Baden-Württemberg, wo ein solcher Gesetzentwurf bereits in Kraft ist. In Bayern hat es nicht funktioniert, obwohl die SPD einen solchen Gesetzentwurf eingebracht hat. Deshalb müsste das heute hier bei uns klappen. Schauen Sie bei dieser Überlegung ganz klar über den Tellerrand der Bundesrepublik Deutschland hinaus! Immer, wenn es für Sie positiv ist, tun Sie das ja auch. Es gibt zahlreiche Länder, in denen Schülerinnen und Schüler alles vorfinden, was sie für das Lernen brauchen, die frühmorgens nicht mit einem voll gepackten Ranzen in die Schule gehen und abends mit einem voll gepackten Ranzen wieder zurück. Hier haben wir ein sehr großes Defizit im Freistaat Sachsen, was zu verändern ist.
Lernmittelfreiheit ist ein wesentlicher Schlüssel zur Entkopplung von sozialer Herkunft und Bildungserfolg
Wenn Sie dieses Ziel auch vor Augen haben, dann müssen Sie heute unserem Gesetzentwurf zustimmen. Wir fordern Sie daher auf, dies hier und heute zu tun, um eine Chancengleichheit für Kinder und Jugendliche in Sachsen zu erreichen.