Protocol of the Session on March 13, 2009

(Empörung der Abg. Dr. André Hahn und Caren Lay, Linksfraktion)

Eine Schuldneurose hindert die Systemparteien in diesem Landtag daran, auch nur einmal ohne nationale Selbstbezichtigung der Leidensgeschichte der eigenen Heimatvertriebenen zu gedenken. Es geht um 15 Millionen Deutsche, die nach Kriegsende auf grausame Weise aus ihrer jahrhundertealten Heimat in Ostpreußen und Danzig, in Pommern, Schlesien oder dem Sudetenland vertrieben worden sind, und weit mehr als zwei Millionen von ihnen verloren nicht nur ihre Heimat und ihr Eigentum, sondern sie verloren das höchste Gut überhaupt, nämlich ihr eigenes Leben.

(Karl Nolle, SPD: Und warum?)

Wir haben eben erlebt, dass man in dieser Republik des nationalen Selbsthasses selbst 64 Jahre nach Kriegsende nicht für die Erinnerungsanliegen der Vertriebenen werben kann, ohne dass wieder der böse Adolf als Popanz herhalten muss. Jede Debatte über die Vertreibungsgräuel an den Deutschen soll mit der dumm-dreisten Behauptung abgewürgt werden, diese seien eine bloße Reaktion auf den Nationalsozialismus gewesen. Wer jedoch so daherredet, weiß nichts von der Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges und der Vertreibung.

Einige Fakten: Schon nach dem Ersten Weltkrieg verleibte sich Polen mit Westpreußen, Posen und Teilen Oberschlesiens mehrheitlich deutsch besiedelte Gebiete ein. Dieser deutschen Minderheit verweigerte man im Polen der Zwischenkriegszeit alle Volkstumsrechte und betrieb eine regelrechte Apartheidspolitik gegen sie. In Westpreußen und Oberschlesien fanden Vertreibungen von Deutschen schon viele Jahre vor Hitlers Machtergreifung und erst recht viele Jahre vor Kriegsausbruch statt.

(Zuruf des Abg. Stefan Brangs, SPD)

Aus der ständigen Drangsalierung der deutschen Minderheit wurde ab März 1939 sogar offener Terror, nachdem England und Frankreich Polen eine militärische Garantieerklärung für den Kriegsfall gegeben hatten. Der PolenTerror gipfelte am 3. September 1939 im sogenannten Bromberger Blutsonntag, bei dem mehrere Tausend Deutsche durch polnische Zivilisten und Soldaten teilweise grausam massakriert wurden.

(Caren Lay, Linksfraktion: Was ist mit der Wehrmacht?)

Aber auch mit seinen anderen Nachbarn lebte Polen in der Zwischenkriegszeit in ständiger Aggression. 1919 griff Polen die Sowjetunion an, 1922 besetzte Polen einen Teil Litauens und 1938 einen Grenzstreifen zur Tschechoslowakei.

Alles das gehört zur Vorgeschichte des deutschpolnischen Krieges von 1939, der ja angeblich nur von Deutschland ausging. Übrigens, auch an den Judenverfolgungen während des Zweiten Weltkrieges beteiligten sich die Polen im damaligen Generalgouvernement häufig und freiwillig.

(Astrid Günther-Schmidt, GRÜNE, steht am Mikrofon.)

Das spontane Massaker von Jedwabne am 10. Juli 1941 ist dafür ein Beispiel.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, von dieser Dame grundsätzlich nicht.

(Beifall bei der NPD)

Der von den Polen bis heute gepflegte Mythos von der verfolgten Unschuld des 20. Jahrhunderts ist nicht haltbar und dient nur der moralischen Ummantelung knallharter Nationalinteressen. Gerade die deutschen Vertriebenen bekommen es immer wieder mit dem penetranten polnischen Opfermythos zu tun.

Eine echte Aussöhnung zwischen Deutschen und Polen wird es erst dann geben können, wenn man auch im Vertreiberland Polen die eigene geschichtliche Rolle einmal hinterfragt und die schweren Verbrechen an Deutschen vor, während und nach dem Weltkrieg endlich eingesteht. Der auf massiven polnischen Druck erfolgte Rückzug von Erika Steinbach aus dem Stiftungsrat des Zentrums gegen Vertreibung zeigt aber, dass man die Austreibung und Ausmordung der Deutschen in Polen bis heute für nicht mehr als eine historische Fußnote hält.

Wenn wir heute eine Bundesregierung hätten, die das Attribut „deutsch“ verdiente, und wenn wir eine Kanzlerin mit auch nur ein wenig Bismarck-Format hätten, dann wäre dem Bund der Vertriebenen gegen die frechen polnischen Einmischungsversuche der Rücken gestärkt worden.

Herr Gansel, ich erteile Ihnen dafür einen Ordnungsruf.

(Demonstrativer Beifall von der NPD – Holger Apfel, NPD: Wofür denn überhaupt?)

Ja, das ist an Lächerlichkeit nicht zu überbieten; aber sei es drum.

So, wie Willy Brandt – –

Dafür bekommen Sie noch einen Ordnungsruf. Wenn Sie jetzt noch einmal ausfällig werden, dann entziehe ich Ihnen das Wort.

Aber so, wie Willy Brandt schon 1970 in Warschau vor den Polen in die Knie ging, legte auch Angelika Merkel den Kriechgang ein

(Empörung bei der CDU, der Linksfraktion, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

und fiel dem BdV und ihrer eigenen Parteifreundin in den Rücken.

(Zurufe von der CDU, der SPD und der Linksfraktion)

Herr Gansel, und jetzt ist Schluss!

(Das Mikrofon des Redners wird abgeschaltet. – Jürgen Gansel, NPD: Das ist Ihr Demokratieverständnis? – Gegenrufe von der CDU, der Linksfraktion, der SPD, der FDP und den GRÜNEN – Jürgen Gansel, NPD: Das ist ein unglaublicher Missbrauch Ihres Amtes! – Holger Apfel, NPD: Sie sollten sich schämen!)

Das sehe ich anders. Sie können gern dagegen vorgehen.

(Zurufe von der NPD – Caren Lay, Linksfraktion, steht am Mikrofon.)

Es gibt eine Wortmeldung von Frau Lay; bitte.

Frau Präsidentin! Unabhängig von der völlig berechtigten Ordnungsmaßnahme denke ich, dass dieser Beitrag von Herrn Gansel verbal nicht unwidersprochen hier im Raum stehengelassen werden kann.

Das war wieder einmal ein Ausdruck des Geschichtsrevisionismus der NPD.

(Jürgen Gansel, NPD: Man wird doch noch ausreden dürfen!)

Ich schäme mich dafür, dass Sie diesen Beitrag hier gehalten haben. Und ich schäme mich dafür auch gegenüber unseren polnischen Nachbarn.

(Beifall bei der Linksfraktion, der SPD, der FDP, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Für die CDUFraktion spricht noch einmal Herr Bandmann; bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es war in der Tat der damalige Bundeskanzler Willy Brandt, der mit seinem symbolischen Kniefall am Denkmal der Aufständischen zur Erinnerung an den Aufstand im Warschauer Ghetto und damit zur Befreiung Warschaus und aus Respekt vor den Opfern in Warschau sich international große Anerkennung erworben hat. Es war Willy Brandt, der mit seinem Besuch in Erfurt Hoffnung im geteilten Deutschland gebracht hat. Es war Willy Brandt, der gesagt hat: „Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört“, als die Mauer gefallen war.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der FDP und der Staatsregierung)

Allerdings versuchten zur gleichen Zeit die sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Schröder und Lafontaine, die deutsche Einheit zu hintertreiben

(Beifall des Abg. Steffen Flath, CDU)

und den Artikel 23, der den Garant für die Wiedervereinigung im vereinten Deutschland gab, aus dem Grundgesetz zu streichen.

(Beifall bei der CDU)

Man sollte daran erinnern, dass genau dieser Artikel 23 heute der Entwicklung der Europäischen Union dient. Der Artikel 23 hat sich vollendet. Der heutige Artikel 23 im Grundgesetz dient dieser europäischen Entwicklung. Helmut Kohl – das sollte auch Herrn Karl Nolle bewusst sein – ist der Kanzler der deutschen Einheit, genauso wie Michael Gorbatschow die politischen Rahmenbedingungen mit Glasnost und Perestroika dafür gelegt hat.

Wir im Osten des geteilten Vaterlandes haben die Geschichte im Westteil sehr genau studiert und über „Deutschlandfunk“ und „RIAS Berlin“ sehr genau verfolgt. Ich habe nicht den Eindruck, dass das umgekehrt in gleicher Weise immer der Fall war.

(Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Stefan Brangs, SPD)

Eines sollte noch gesagt werden: Deutsche, aber vor allem polnische Bischöfe haben wiederholt und deutlich in Erklärungen und Dokumenten zur Versöhnung aufgerufen – beiderseits. Nun wird über eine Dokumentationsstätte zum Unrecht der Vertreibung schon seit längerer Zeit debattiert.

Am 6. September 2000 gründete der Bund der Vertriebenen eine Stiftung „Zentrum gegen Vertreibungen“. In dem von mir genannten Gesetz, das mit den Stimmen der Union, der SPD und der FDP beschlossen wurde, soll im Deutschlandhaus am Anhalter Bahnhof in Berlin eine Ausstellungs- und Dokumentationsstätte entstehen. Schwerpunkt des sichtbaren Zeichens soll eine Dauerausstellung sein.

Meine niederschlesische Heimatstadt Görlitz – erlauben Sie mir diese Feststellung, meine sehr geehrten Damen und Herren – und das Schlesische Museum sind ein Vorbild für ein Zentrum gegen Vertreibung, und zwar nicht nur gegen Vertreibung, sondern gegen Vertreibungen – Mehrzahl!