Wir sehen ja, wie unbewältigte Fragen des Vertreibungsunrechts die Zukunft belasten können. Das wiedervereinigte Deutschland, Polen, Ungarn, Tschechien und andere Länder in Mittel- und Osteuropa sind heute Teil des vereinten Europas. Das ist ein entscheidender Schritt in der Entwicklung, den wir gegangen sind. Wir haben dabei viel erreicht. Es ist ein Beitrag für die Versöhnung mit unseren Nachbarn.
In diesem Kontext ist die Entscheidung der Vorsitzenden des BdV, Frau Präsidentin Erika Steinbach, zu respektieren. Wir schließen uns den Worten des Bundestagspräsidenten, Herrn Norbert Lammert, an, die er in seinem offenen Brief an Herrn Bartoszewski gerichtet hat, indem er ihn aufrief, das gemeinsame Interesse an freundschaftlichen Beziehungen zwischen Polen und Deutschland auch und gerade bei Missverständnissen in der Wortwahl und Tonlage deutlich werden zu lassen. Wir haben dem nichts hinzuzufügen.
Am 4. Dezember 2008 ist das Gesetz zur Stiftung „Flucht – Vertreibung – Versöhnung“ in Trägerschaft des Deutschen Historischen Museums im Deutschen Bundestag beschlossen worden und am 30. Dezember 2008 in Kraft getreten.
Die Errichtung eines Zentrums gegen Vertreibung ist wichtig und notwendig. Wir verstehen darin auch einen klaren Auftrag, Vertreibung im 20. Jahrhundert in Europa in einem europäischen Kontext darzustellen. Wir setzen damit ein Zeichen, Vertreibung auch künftig international zu ächten. Ziel ist zu Recht, – –
– an alle Vertreibungen und deren Ursachen zu erinnern. also beispielsweise auch an den Genozid auf dem Balkan, der noch zu Ende des 20. Jahrhunderts möglich war. Srebrenica steht hier als entsetzlicher Ereignisort.
Dann würde ich in dem Fall Herrn Nolle den Vortritt lassen. Ich hatte diese Wortmeldung nicht registriert; bitte.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren der demokratischen Fraktionen! 70 Jahre ist es her, dass deutsche Panzer die polnische Grenze niederwalzten und später im Blut und Schlamm von Stalingrad stecken blieben.
Es war der Weg über die süßlich rauchenden Schlote von Auschwitz-Birkenau, dem fanatischen Hirngespinst eines totalen Krieges und Abermillionen ermordeter Menschen. Dieser Wahnsinn wurde damals in einem Satz mit sieben schrecklichen Wörtern in das Gedächtnis der polnischen Nation eingebrannt: Polen hat als Staat aufgehört zu existieren.
Wo können wir sonst stehen als auf der Seite derjenigen, die damals niedergewalzt, niedergetrampelt, gefoltert, ermordet, verbrannt und verscharrt worden sind?
sondern bereits bei der Machtergreifung 1933, als die braunen Nazihorden mit helfender Unterstützung aller
damaligen sogenannten bürgerlichen und christlichen Parteien Hitlers Ermächtigungsgesetz zur uneingeschränkten Terrorherrschaft der Nazis durchsetzten gegen den alleinigen Widerstand der Sozialdemokraten und ihres Fraktionsvorsitzenden Otto Wels, der den Nazischergen zurief:„Das Leben können Sie uns nehmen, die Ehre nicht!“
Mehr als 25 Jahre nach dem Überfall auf Polen dauerte es, bis wir unseren Nachbarn und dem nach den Juden wohl am meisten geschundenen polnischen Volk die Hand reichten. In der Präambel des Warschauer Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen vom 7. Dezember 1970 wird dies so dokumentiert: „In der Erwägung, dass mehr als 25 Jahre seit Ende des Zweiten Weltkrieges vergangen sind, dessen erstes Opfer Polen wurde, und der über die Völker Europas schweres Leid gebracht hat, und dem Wunsche, dauerhafte Grundlagen für ein friedliches Zusammenleben und die Entwicklung normaler und guter Beziehungen zu schaffen sowie dem Bewusstsein, dass die Unverletzlichkeit der Grenzen und die Achtung der territorialen Integrität und der Souveränität aller Staaten in Europa in ihren gegenwärtigen Grenzen eine grundlegende Bedingung für den Frieden sind…“
Meine Damen und Herren! Ich vergesse nie das ergreifende Bild des auf polnischem Pflaster knienden Bundeskanzlers Willy Brandt.
Und wie ein deutscher Bundeskanzler, der Sozialdemokrat Willy Brandt, am 12. August 1970 in Moskau in einer Fernsehansprache den Vertrag zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik erläuterte.
25 Jahre nach der Kapitulation des von Hitler zerstörten Deutschen Reiches hatte die Bundesrepublik ihr Verhältnis zum Osten neu begründet auf der Grundlage uneingeschränkten gegenseitigen Verzichts auf Gewalt.
Meine Damen und Herren! Ein Vierteljahrhundert nach der Katastrophe, die besonders von den Völkern im Osten unzählige Opfer gefordert hatte, entsprach es dem Interesse des ganzen deutschen Volkes, gerade die Beziehungen zur Sowjetunion zu verbessern, weil sie nicht nur eine der großen Weltmächte war, sondern auch ihren Teil der besonderen Verantwortung für Deutschland als Ganzes und für Berlin trug.
Willy Brandt scheute sich damals keineswegs, besonders in Moskau an die Berliner Mauer zu erinnern. Er sagte: „Morgen sind es neun Jahre her, dass die Mauer gebaut wurde. Heute haben wir, so hoffe ich zuversichtlich, einen Anfang gesetzt, damit Menschen nicht mehr im Stacheldraht sterben müssen, bis die Teilung unseres Volkes eines Tages hoffentlich überwunden werden kann.“
Für uns Sozialdemokraten war damals trotz des erbitterten, beschämenden politischen Widerstandes von großen
Willy Brandt schloss seine Moskauer Fernsehrede mit den Worten: „Mit diesem Vertrag geht nichts verloren, was nicht längst verspielt war. Wir haben den Mut, ein neues Blatt in der Geschichte aufzuschlagen, die vor allem der jungen Generation zugute kommen wird, die in Frieden aufgewachsen ist und die Folgen des Krieges noch mittragen muss, weil niemand der Geschichte unseres Volkes entfliehen kann.“
Meine Damen und Herren! Wir Sozialdemokraten wollen heute angesichts des unsäglichen Missbrauchs dieses Parlaments für braunen Wahn und für manche – so muss man hier sagen – klammheimliche, teils offene Sympathie auch anderswo daran erinnern, dass wir es waren, die mit den Ostverträgen die entscheidenden historischen Grundlagen dafür gelegt haben, dass wir hier heute in Freiheit diskutieren können und unseren demokratischen Rechtsstaat gegen die Feinde der Demokratie verteidigen können.
Herr Gansel, ich erteile Ihnen einen Ordnungsruf für Ihren Zwischenruf vorhin, in dem Sie den Kniefall von Willy Brandt am polnischen Ehrenmal als „Schande“ bezeichnet haben. Ich empfinde das als eine Schande für unseren Landtag.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein für Deutschland gefährlicher, für unsere polnischen und tschechischen Nachbarn beängstigender und Europa beunruhigender Zug ist auf die Schienen politischen Denkens hierzulande gestellt worden – der Zug der Anmaßung, der Geschichtsverfälschung und des Revanchismus. Nun will auch die NPD mit ihrer Aktuellen Stunde einen sichtbaren Platz auf diesem Zug erlangen und heizt also kräftig ein mit ihren sattsam bekannten braunen Politbriketts, will heißen mit Verfälschung historischer Tatsachen, mit Verkehrung von Ursache und Wirkung.
Meine Damen und Herren, Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats der Sinti und Roma in Deutschland, sagte erst dieser Tage, es sei seine Sorge, dass durch die jetzige Diskussion über die Vertriebenen „verblasst und verschwindet, was die Ursache war. Vorangegangen war den Vertreibungen ein Angriffs- und Vernichtungskrieg Deutschlands.“
Erinnern muss man, meine Damen und Herren, wenn es um Vertreibung geht, an die in der Weltgeschichte einmaligen Vertreibungsaktionen, die vor 70 Jahren, im November 1939, zum Beispiel unter dem Titel „Behandlung der Bevölkerung der ehemaligen polnischen Gebiete nach rassenpolitischen Gesichtspunkten“ als Denkschrift des sogenannten Rassenpolitischen Amtes der NSDAP vorgedacht und gestartet wurden. Unter den Begriffen „Eindeutschung“, „Abschiebung“ und „Neubesiedlung“ ging es konkret darum, etwa 6,6 Millionen Polen aus den mit kriegerischer Gewalt einverleibten Gebieten zu vertreiben.
Erinnern sollte man auch an das wahrlich nicht unwichtige Detail, dass Erika Steinbach 1943 im okkupierten Polen als Tochter eines deutschen Besatzungsoffiziers in einer Region geboren wurde, aus der zuvor polnische Bewohner vertrieben worden waren.
Es wird hierbei deutlich, dass eine europäische Gedenk- und Erinnerungskultur bezüglich des Zweiten Weltkrieges, seiner Ursachen und der daraus resultierenden Auswirkungen durch eine einseitige Fokussierung auf die sogenannten deutschen Vertriebenen unmöglich gemacht wird. Ohne eine solche europäische Gedenk- und Erinnerungskultur allerdings fehlt der auch von vielen deutschen Vertriebenen gewünschten Versöhnung das Fundament. Aus diesem Grund sind Vertreibungsdenkmäler oder -zentren nach dem Zuschnitt der NPD, egal ob in Görlitz oder in Berlin, für die gemeinsame europäische Zukunft und das gemeinsame Erinnern denkbar ungeeignete Projekte.
Aber auch die Person von Erika Steinbach wird bei unseren polnischen und tschechischen Nachbarn, aber nicht nur dort, als eine Belastung für die gemeinsamen Beziehungen angesehen – und dies trotz der differenzierenden Betrachtung von Ralph Giordano zu den Positionen Erika Steinbachs im „Hamburger Abendblatt“ – zu Recht.
Erika Steinbach stimmte im Bundestag gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze. Ebenso votierte sie gegen die Nachbarschaftsverträge mit Polen und Tschechien sowie gegen deren Aufnahme in die EU. Öffentlich erklärte sie zum Beispiel, dass „die Tschechen unter deutscher Herrschaft fast nicht gelitten“ hätten, dass es „falsch sei, wenn der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds vor allem für tschechische Naziopfer Geld bereitstelle“.
Ihre Politik gegenüber den damaligen EU-Beitrittsländern Polen und Tschechien brachte sie 1999 in der „Süddeutschen Zeitung“ wie folgt auf den Punkt: „Es bedarf keiner Kampfflugzeuge, ein schlichtes Veto zur Aufnahme uneinsichtiger Kandidaten ist ausreichend.“
Nachdem ich schließlich auch noch las, dass Erika Steinbach 1991 zu den damaligen ausländerfeindlichen Ausschreitungen in Hoyerswerda nichts weiter einfiel als „dass der Missbrauch des Asylrechts durch unsere Bürger
nicht mehr mitgetragen wird“, frage ich mich auch aus sächsischer Sicht, ob sie überhaupt an irgendeiner Stelle zu ehrlichem Mitleid fähig ist und deshalb Versöhnung bewirken kann.