Protocol of the Session on March 12, 2009

ckung der eigenen Bürger, an Glasnost und Perestroika, aber auch am wirtschaftlichen Verfall und an beträchtlichen Umweltschäden. Der ganz alltägliche, über Jahrzehnte betriebene Terror der Stasi droht jedoch, wie eine Studie des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin ergab – es wurde bereits vorhin daraus zitiert –, in Vergessenheit zu geraten. Dieser Studie zufolge weiß die gesamtdeutsche Bevölkerung heute nur noch wenig über die Entwicklung der DDR. Lediglich Großereignisse, wie beispielsweise der Mauerbau, sind allgemein bekannt. Durch die Aufklärungsarbeit des Landesbeauftragten kann den nachwachsenden Generationen für diesen Teil der deutschen Geschichte ein solider Grundstein historischer Bildung vermittelt werden.

Zur Förderung dieses Anliegens hat der Sächsische Landtag im Doppelhaushalt 2009/2010 eine Ausweitung der dem Landesbeauftragten zur Verfügung stehenden Mittel beschlossen. Im Kapitel „Kosten für Veröffentlichungen, Dokumentation und Öffentlichkeitsarbeit“ sind insgesamt 210 000 Euro vorgesehen. Das ist – es wurde vorhin auch schon gesagt – nahezu eine Verdreifachung der Mittel gegenüber den Vorjahren. Sie sichert die historisch und gesellschaftlich wichtige Recherche-, Beratungs- und Bildungsarbeit des Landesbeauftragten im 20. Jahr nach der friedlichen Revolution.

Um der Tendenz einer Verklärung der DDR mit wachsendem zeitlichem Abstand entgegenzuwirken, ist die Staatsregierung gemeinsam mit dem Landesbeauftragten auf diversen Gebieten aktiv. So ist der Landesbeauftragte in die bei der Sächsischen Staatskanzlei gebildete Expertenkommission zur friedlichen Revolution eingebunden, die die Staatsregierung bei der Auswahl von Projekten zum Doppeljubiläum 20 Jahre friedliche Revolution und deutsche Einheit berät.

Gerade am 20. Jahrestag der friedlichen Revolution sieht sich die Staatsregierung besonders verpflichtet, Wissen über die grundlegenden Unterschiede zwischen der SEDDiktatur und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung auch und gerade der nachwachsenden Generation weiterzugeben, damit die historische Zeit des Herbstes 1989 – die ich persönlich nur am Fernsehapparat erleben durfte – mit Friedensgebeten, Montagsdemonstrationen sowie der Gründung oppositioneller Gruppen in Erinnerung bleibt.

(Beifall bei der CDU)

Sowohl im Bereich der Jugendarbeit, der außerschulischen Bildung und der Unterrichtsgestaltung an den Schulen gilt es, dieses Bewusstsein für die historische Zeit der DDR-Opposition und den Weg zur deutschen Einheit zu schärfen.

Der Bildungs- und Erziehungsauftrag des Freistaates Sachsen gebietet es, die Erinnerung an das geschehene Unrecht und die Opfer der SED-Diktatur aufrechtzuerhalten sowie die Grundwerte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung an unsere Schüler zu vermitteln. Wir können sie anleiten, sich für die Sicherung und Entwick

lung unserer Gesellschaft heute zu engagieren. Grundlage hierfür ist, die Jugend mit dem politischen System der Bundesrepublik Deutschland vertraut zu machen und sich mit dem Leben in der totalitären Herrschafts- und Gesellschaftsform der DDR auseinanderzusetzen.

Die Lehrpläne aller Schularten des Freistaates Sachsen enthalten die einschlägigen Bezüge, denn nur durch diese Wissensvermittlung kann die Geschichte der DDR korrekt eingeordnet werden. Die Schulen haben ihre Kontakte zum Landesbeauftragten intensiviert; Herr Beleites fungiert als Bindeglied zwischen Sozialarbeitern und Zeitzeugen. Wir vermitteln den jungen Menschen, die keine persönliche Berührung mit der SED-Diktatur mehr hatten, auch Themen wie die Öffnung des Eisernen Vorhangs durch Ungarn, die Montagsdemonstrationen oder das Ausharren der auf ihre Ausreise wartenden DDRBürger in der Prager Botschaft Ende September 1989.

Das Sächsische Staatsministerium der Justiz beabsichtigt, gemeinsam mit dem Landesbeauftragten unter dem Titel „Justiz in der Diktatur und im Rechtsstaat – Schüler erforschen Geschichte und begegnen Zeitzeugen“ ein Schulprojekt anzubieten. Es soll Schülern die Gelegenheit bieten, Opfer der DDR-Justiz sowie deren Schicksal kennenzulernen, und ihnen beispielsweise erläutern, dass den Gerichten der DDR die auch für einen Rechtsstaat unabdingbare Unabhängigkeit fehlte.

Typische politische Delikte waren „Sabotage“, „staatsfeindliche Hetze“ oder „Rowdytum“. Hier gilt es anhand von Auszügen aus den Gerichtsakten Schülern die unterschiedliche Funktion der Justiz im Rechtsstaat der Bundesrepublik Deutschland und in der Diktatur der DDR nahezubringen. Ab dem ersten Halbjahr 2009 wird darüber hinaus die Aufklärung über die Instrumentalisierung des Rechts und der Justiz in der DDR in die Ausbildung der Rechtsreferendare aufgenommen. Hier wird Herr

Beleites den Referendaren unter anderem aufzeigen, dass Rechtsanwälte kein Recht auf Akteneinsicht hatten und die Justiz flächendeckend durch die Hauptabteilung XX des Ministeriums für Staatssicherheit überwacht wurde.

Auch die Stiftung Sächsische Gedenkstätten arbeitet mit der Behörde des Landesbeauftragten im Rahmen von Recherchen mit Auskunfts-, Beratungs- und Bildungsstätten eng zusammen, um ebenso wie die Staatsregierung Projekte zu entwickeln, die die Leistung und den Mut der Bürger würdigen, die trotz der Repressionen die SEDDiktatur gestürzt und die Mauer zu Fall gebracht haben.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Martin Dulig und Mario Pecher, SPD)

Alle diese Projekte werden die Erinnerungskultur stärken und dadurch der teilweise festzustellenden Unkenntnis über die Fakten der SED-Diktatur weiter entgegenwirken.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD und der Staatsregierung)

Das Schlusswort hat die Koalition; wird das gewünscht? – Das ist nicht der Fall.

Meine Damen und Herren, somit können wir jetzt zur Abstimmung kommen. Ich stelle die Drucksache 4/14107 zur Abstimmung und bitte bei Zustimmung um Ihr Handzeichen. – Gibt es Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Bei einer ganzen Anzahl von Stimmenthaltungen und keinen Neinstimmen ist der Antrag so mit großer Mehrheit angenommen worden. Der Tagesordnungspunkt ist damit geschlossen.

Ich rufe auf den

Tagesordnungspunkt 4

Kinderarmut bekämpfen – Regelleistungen für Kinder und Jugendliche in Hartz-IV-Haushalten deutlich anheben!

Drucksache 4/14586, Antrag der Linksfraktion, mit Stellungnahme der Staatsregierung

Hierzu können die Fraktionen Stellung nehmen. Es beginnt die Linksfraktion, danach folgen CDU, SPD, NPD, FDP, GRÜNE und die Staatsregierung. Ich erteile Herrn Abg. Neubert das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor wenigen Wochen hat das Bundessozialgericht Kassel festgestellt, dass es verfassungswidrig sei, Kindern in Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften nur 60 % des Regelsatzes für Erwachsene zuzubilligen – eine Position, die von Anfang an ein entscheidender Kritikpunkt an der gesamten Hartz-IV-Gesetzgebung war; eine Position, die insbesondere von der Linken ebenfalls von Anfang an vertreten wurde, damals noch von den Vorgängerparteien PDS und WASG.

Aber auch die Sozialverbände haben darauf hingewiesen, dass es ein Unding sei, Kindern einfach nur 60 % des Existenzminimums eines Erwachsenen zuzubilligen. Nun haben wir es auch höchstrichterlich bestätigt: Es geht so nicht.

Sehr geehrte Damen und Herren, wenn Sie das Urteil gelesen haben, wird auch Ihnen sofort klar, dass die inzwischen beschlossene geringfügige Erhöhung auf 70 % des Regelsatzes daran nichts ändert; denn was die Richter einfordern, ist eine eigenständige Bedarfsermittlung für Kinder, die deren elementaren Lebensbedürfnissen gerecht wird. Die Richter verlangen ausdrücklich, dass der für Kinder notwendige Bedarf ermittelt und definiert werden möge – ein Bedarf, der nach unserer festen Überzeugung alle notwendigen Ausgaben einschließen

muss, die sichern, dass ein Kind in seiner Entwicklungsphase Zugang zu einer ausreichenden, ausgewogenen und gesunden Ernährung hat. Er muss auch alles einschließen, was für einen gleichberechtigten Zugang zur Bildung nötig ist, wie beispielsweise notwendiges Material für die Schule. Davon, dass Kinder in der Wachstumsphase viel häufiger Kleidungsstücke brauchen, gar nicht zu sprechen.

Es gibt übrigens, sehr geehrte Damen und Herren, Experten, die vermuten, dass der Regelsatz für Kinder oder Jugendliche sogar höher sein muss als der für Erwachsene. Aber das ist zugegebenermaßen im Moment noch spekulativ. Die sachgerechte Bedarfsermittlung steht noch aus.

Damit bin ich bei unserem Antrag, den wir heute diskutieren. Wir verlangen darin nicht mehr und nicht weniger, als dass dieser kindgerechte Regelsatz unverzüglich ermittelt wird.

Sehr geehrte Damen und Herren! Kaum war das Urteil des Bundessozialgerichtes in der Welt, verlautete es aus dem Bundesfinanzministerium, man habe keinen unmittelbaren Handlungsbedarf und im Jahre 2009 käme es mit Sicherheit nicht mehr zu einer entsprechenden Neuregelung des Regelsatzes für Kinder. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, halte ich für den eigentlichen Skandal. Während Rettungsschirme für Banken und Industrieunternehmen und Konjunkturprogramme zweifelhaften Inhalts in Milliardenhöhe und innerhalb von wenigen Tagen und Wochen durch die Parlamente aller Ebenen durchgepeitscht werden – wir haben es gestern hier selbst erlebt –, löst die gerichtsnotorische Feststellung, dass zwei Millionen Kinder in Deutschland nicht das Notwendige für ihre gedeihliche Entwicklung erhalten, offensichtlich keinerlei Handlungsdruck bei CDU und SPD aus. Während in die Pleitebanken sofort Geld gepumpt wird, scheinen diese Kinder warten zu können. Welch zynische Prioritätensetzung! Damit können und wollen wir uns nicht abfinden.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Unser Antrag hat zwei Punkte zum Ziel: Erstens, der kindgerechte Regelsatz soll unverzüglich ermittelt werden. Zweitens, bis zu seiner Feststellung erhalten Kinder und Jugendliche den vollen Regelsatz wie Erwachsene. Aus unserer Sicht kann dies die einzig mögliche Konsequenz aus dem vorliegenden Urteil sein.

Darüber hinaus können wir uns selbstverständlich auch dem Vorschlag des Bundesrates vom vergangenen Mai anschließen, dass neben dem Regelsatz für Kinder auch noch Sachleistungen gewährt werden können. Da wir, wie Sie wissen, ebenso Verfechter der Lernmittelfreiheit wie auch Befürworter eines kostenlosen Mittagessens in den Kitas und Schulen sind, halten wir einen Rechtsanspruch auf diese konkreten Leistungen für Kinder in Bedarfsgemeinschaften für ausgesprochen sinnvoll.

Sehr geehrte Damen und Herren, wir sind es leid, dass jede konkrete Verbesserung der Lebenssituation von

Kindern und Jugendlichen immer wieder mit den Argumenten ausgebremst wird, man müsse erstens sparsam sein und zweitens müssten diese Leistungen den Kindern und Jugendlichen dann sowieso vom Regelsatz abgezogen werden. Gerade das zweite Argument – es wurde in der letzten Debatte fast unendlich vertieft – ist ein Argument gewissenloser Bürokraten. Zum Teil sind es dieselben, die Kindern und Jugendlichen jetzt die angemessene Erhöhung des Regelsatzes vorenthalten.

Ich fordere Sie auf, dieser verqueren Logik nicht länger zu folgen. Sie können jetzt nachweisen, dass Ihnen die Gesundheit, die Bildung und das Wohlbefinden mindestens genauso viel wert sind wie die Erneuerung des privaten Autoparks durch Abwrackprämien.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Für die CDUFraktion Herr Abg. Krauß, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will mit der Schilderung des Eindrucks beginnen, den ich hatte, als wir den Antrag der Linksfraktion lesen konnten. Mein Eindruck war, dass Sie nicht mehr fordern, der Freistaat Sachsen solle das Schulessen bezahlen und die Fahrtkosten für Schüler übernehmen, sondern dass das Schulessen und die Fahrtkosten Teil des Hartz-IV-Satzes für Kinder sein sollen.

Allerdings bleibt Ihre Forderung ein bisschen schwammig. Es wird nicht ganz klar, wie Sie das erreichen wollen. Unter Punkt 1 Ihres Antrags schreiben Sie, das Schulessen solle auf den Regelsatz oben draufkommen; unter Punkt 2 fordern Sie, es solle Teil des Regelsatzes werden. Ihr Antrag ist also leider unlogisch und in sich widersprüchlich.

Sie haben es geschafft, auf dieser halben Seite Papier, widersprüchliche Forderungen zu formulieren. Ich bin auch gespannt, was in Ihrem Wahlprogramm stehen wird, für welchen Weg Sie sich also entscheiden. Sie wechseln da ja ständig hin und her.

(Sebastian Scheel, Linksfraktion: Haben Sie auch ein Beispiel?)

Das Beispiel habe ich gerade genannt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will jetzt unseren Weg darstellen, das, was wir für richtig halten. Wir haben immer gesagt, dass wir für kindgerechte HartzIV-Sätze sind. Man muss auf die gleiche Art und Weise wie bei einem Erwachsenen schauen – da denken wir an die Einkommen- und Verbrauchsstichprobe, mit der 60 000 Haushalte in Deutschland untersucht werden –, wie viel eine Familie für die Bekleidung und das Essen ihres Kindes ausgibt und wie viel für Schulmittel ausgegeben wird. Dann sagt man – ähnlich wie beim Hartz-IVSatz für Eltern –: Das, was eine Normalfamilie bekommt, sollen auch die Kinder von Hartz-IV-Familien bekommen. Das ist ja die Logik. Zur Festlegung des Hartz-IV-Satzes

für die Eltern untersucht man 60 000 Haushalte in ganz Deutschland und schaut sich die unteren 20 % an – die unteren 20 %, die jeden Morgen früh aufstehen, auf Arbeit gehen und Steuern zahlen – und sagt: Das Gleiche, was diese bekommen, soll auch jemand bekommen, der Hartz IV bezieht.

Insofern ist der Ansatz richtig – den haben wir schon mehrfach hier im Landtag vertreten und auch schon darüber abgestimmt –, dass wir kindgerechte Hartz-IVSätze wollen. Wir sagen nicht, ein Kind sei automatisch ein 60-Prozent- oder 80-Prozent-Erwachsener, sondern wir sagen: Man muss genau schauen, was für Bekleidung, für Essen, für den Schulranzen ausgegeben wird; das sollen sie bekommen. Insofern haben wir das Urteil des Bundessozialgerichts begrüßt.

Jetzt ist Olaf Scholz, der Bundessozialminister, am Zuge. Er muss dafür sorgen, dass endlich die Berechnungsgrundlagen vorliegen.

(Zuruf von der Linksfraktion)

Deswegen kritisieren wir – wir haben es schon die ganze Zeit kritisiert –, dass das zu langsam geht.