Kollege Schiemann, in einem haben Sie ganz unzweifelhaft recht: Es geht auch uns um die ehrliche Darstellung des Erlebten in den Jahren 1989/90, aber auch in den vielen Jahren davor. Ich denke, das muss sein, unabhängig von den vielen Gedenktagen, die uns in diesem und im nächsten Jahr ereilen. Dieser Erinnerungs- und Aufbereitungsarbeit stellt sich meine Fraktion, auch meine Partei ganz ausdrücklich, auch wenn das zuweilen ein nach wie vor sehr schmerzhafter Prozess ist, den wir noch lange
Ich denke, in diesem Sinne, dass dieser Prozess der Aufarbeitung natürlich nicht abgeschlossen ist, können wir uns ganz ausdrücklich gegen jegliche Schlussstrichdebatten aussprechen. Im Übrigen darf ich, nicht um das kleinlich aufzurechnen, aber trotzdem hier sagen – da Kollege Schiemann von seinem Besuch in der Bautzener Gedenkstätte sprach –, dass auch meine Landesvorsitzende, Frau Dr. Ernst, und mein Fraktionsvorsitzender, Herr Dr. Hahn, vor einiger Zeit in der Gedenkstätte Bautzen waren und dort sehr deutliche und an Klarheit nicht zu übertreffende Worte hinsichtlich der Verurteilung der dort begangenen Verbrechen gefunden haben. Aber, wie gesagt, wir wollen das nicht gegeneinander aufrechnen.
Ich werde hier keine Top-down-Rede halten, wie das meine Vorredner Herr Dulig und Herr Schiemann getan haben, sondern ich werde wirklich zum Antrag sprechen. Er besteht aus zwei Punkten.
Zunächst Punkt 1, die Forderung nach verstärkter Förderung der Recherche-, Beratungs- und Bildungsarbeit des Landesbeauftragten. Ich denke, das hat die Staatsregierung erschöpfend beantwortet. Spätestens mit dem Haushalt ist klar, dass der Landesbeauftragte etwa über den dreifachen Umfang der Mittel verfügt. Im Übrigen hätte die Koalition, falls sie der Meinung ist, dass die gegenwärtigen Kompetenzen des Landesbeauftragten nicht ausreichend sind, die Mehrheit gehabt, das Landesbeauftragtengesetz zu verändern. Da dies nicht geschieht, scheint hier alles in Ordnung zu sein. – Ich denke, Punkt 1 ist erledigt.
Ich konzentriere mich deshalb auf den doch interessanteren Punkt 2 des Antrages. Darin wird von der Staatsregierung verlangt, verstärkt Projekte zur Information der Jugend über die Wirkung und Folgen der SED-Diktatur gemeinsam mit dem Landesbeauftragten aufzugreifen. Auf diesen Punkt möchte ich kurz eingehen.
Erstens fragt man sich natürlich, warum der Koalition beim Thema DDR immer nur die Schule einfällt. Gibt es denn überhaupt keine politische Erwachsenenbildung mehr?
Zweitens ist die Aufforderung, Schulprojekte zu initiieren, zumindest wenig glaubwürdig angesichts der Tatsache, dass die Koalition vor einiger Zeit den Geschichtsunterricht in den Mittelschulen gekürzt hat, indem sie den Schülerinnen und Schülern in Klasse 10 die Wahl zwischen Geschichte und Geografie ermöglicht. Was durch die Kürzung des regulären Geschichtsunterrichts ausfällt, kann auch Herr Beleites bei größter Anstrengung nicht auffüllen. Das könnten auch fünf Landesbeauftragte nicht kompensieren.
(Beifall bei der Linksfraktion – Caren Lay, Linksfraktion: So ist es! – Dr. André Hahn, Linksfraktion: Ja!)
Die Linksfraktion hat sich seinerzeit – ich denke, aus guten Gründen – gegen die Abwahlmöglichkeit von Geschichte ausgesprochen. Wir fordern nach wie vor einen durchgängigen Geschichtsunterricht bis Klasse 12. Schulprojekte können sinnvolle Ergänzungen des Geschichtsunterrichts darstellen. Wenn im Rahmen dieser Schulprojekte der Landesbeauftragte mitwirken will und sinnvoll mitwirken kann und dies im Rahmen seines gesetzlichen Auftrages liegt, dann soll er das tun. Dagegen hat meine Fraktion ausdrücklich nichts.
Drittens ist in der Antwort auf den Antrag, unterschrieben vom Justizminister, in wirklich bester DDR-Manier die Rede von einer „Grundhaltung“, die den Schülern zu vermitteln sei. Die kritische Urteilsfähigkeit, die Demokraten auszeichnen sollte, reicht der Staatsregierung offenbar nicht aus. Nein, es muss gleich wieder eine Grundhaltung sein. Das erinnert mich mehr an eine Staatsbürgerkunde neuen Typs als an politische Bildung. Ob die Schule mit der Vermittlung einer solchen Grundhaltung – sollte es sie überhaupt geben – nicht systematisch überfordert wäre, lasse ich hier einmal dahingestellt sein.
Mein Kollege Prof. Cornelius Weiss hat einmal aus einem ähnlichen Anlass darauf aufmerksam gemacht, dass es bei der Beschäftigung mit der DDR-Geschichte zu Loyalitätskonflikten bei den Jugendlichen kommen könne, und zwar zwischen dem offiziellen Lehrstoff in der Schule und den Berichten der Eltern. Dort gebe es oft Widersprüche; denn die extremen Pole des Umganges mit dem historischen Subjekt DDR werden dem Leben in der DDR eben nicht gerecht. Die extremen Pole sind einerseits die Reduzierung der DDR auf Diktaturerfahrung und MfS und andererseits die verstärkt festzustellende Neigung zu nostalgischer Verklärung und Schönrednerei in Teilen der Bevölkerung, die es angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise gerade im Jahr 20 nach der Wende gibt.
Wenn es, viertens, nach der Staatsregierung geht, dann braucht es jedoch zur Stabilisierung der geforderten Grundhaltung auch wieder ein Feindbild. Zwar steht nicht „Feindbild“ in der Antwort, aber wenn ich lese, dass sich doch mit der totalitären Herrschafts- und Gesellschaftsform der DDR auseinandergesetzt werden solle, so ist offenbar genau diese Gesellschaftsform als eine Art Feindbild hochzustilisieren.
Auch hier will ich von dem Unsinn, der in der Formulierung steckt, absehen. Die Spezifik totalitärer Herrschaft besteht doch wohl insbesondere darin, dass sie die Gesellschaft zerstört, um ihren totalitären Herrschaftsanspruch realisieren zu können. Solche Feinheiten muss der Justizminister, dem ich gute Genesung wünsche, nicht kennen. Man sollte ihm das nachsehen, denn er ist schließlich nicht vom Fach.
Ankreiden muss ich dem Justizminister – oder besser gesagt der Staatsregierung – den unkritischen Gebrauch der Totalitarismus-Doktrin. Ich erinnere daran, dass wegen der darin enthaltenen Gleichsetzung von DDR und Nationalsozialismus die NS-Opferverbände ihre Mitarbeit
in der Stiftung Sächsischer Gedenkstätten aufgekündigt haben, und das schon seit Jahren. Allen voran der Zentralrat der Juden in Deutschland.
Zu seiner Beseitigung trägt das dauernde Gerede von der totalitären DDR nicht bei, ganz im Gegenteil.
Mit der ausschließlichen Fixierung der DDR als totalitäre Herrschaft steht für die Staatsregierung die Legitimationsfunktion des Geschichtsunterrichtes für die Politik im Vordergrund. Auch das hatten wir schon einmal, wenngleich unter einem entgegengesetzten Vorzeichen. Ich kann den Lehrerinnen und Lehrern hierzulande nur raten, sich nicht von Parteipolitikern, gleich welcher Couleur, vorschreiben zu lassen, wie sie Geschichte zu unterrichten haben.
Auch der Landesbeauftragte wird so klug sein, dies den Lehrern nicht vorschreiben zu wollen. Ich werde das auch nicht tun; Herr Staatsminister Wöller, da haben Sie völlig recht.
Lehrer haben – das macht die Besonderheit dieses Berufes aus – eine doppelte Qualifikation: eine pädagogische und eine fachliche. Als Fachlehrerinnen und Fachlehrer wissen sie besser als jeder Parteipolitiker, wie Fachwissen zu vermitteln ist. Sie orientieren sich dabei an den einschlägigen Fachwissenschaften, in diesem Fall an der zeitgeschichtlichen Forschung über die DDR. Deren Forschungsergebnisse zeichnen ein weitaus differenzierteres Bild von der DDR als die plumpe Schwarz-WeißMalerei sächsischer Koalitionspolitiker. Als Literatur empfehle ich den Autoren des vorliegenden Antrages manch lesenswerten Artikel aus dem „Deutschland Archiv“. Diese Zeitschrift für das vereinigte Deutschland liegt dankenswerterweise in unseren Postfächern.
Ich denke, die notwendige Kritik wegen der auf der Hand liegenden Gefahr einer parteipolitischen Instrumentalisierung des Geschichtsunterrichtes gerade im Superwahljahr muss die im Antrag geforderten Projekte überhaupt nicht ausschließen. Sie bettet sie lediglich in einen umfassenderen Rahmen ein; denn nachweislich beziehen ostdeutsche Schülerinnen und Schüler ihr Geschichtsbild auch aus einem Familien- und Milieugedächtnis –
wie es in der zeitgeschichtlichen Forschung heißt –, das weniger auf die großen Zusammenhänge wie Demokratie und Diktatur abstellt, sondern stärker auf das richtige, echte Leben im falschen. Hinzu kommen historische Spielfilme, Doku-Dramen, Computerspiele und eine
Der Geschichtsunterricht hat die verschiedenen DDRBilder zu berücksichtigen und in die Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit einzubeziehen. Es gibt also kein kanonisiertes Geschichtsbild von der DDR und schon gar kein staatlich verordnetes. Deshalb können keine Landtagsbeschlüsse – und im Übrigen auch keine Parteitagsbeschlüsse, weder von der CDU noch den Linken – ein solches erzeugen.
Notwendig ist vielmehr die kritische Auseinandersetzung mit Geschichte, insbesondere mit der eigenen Geschichte. Davon sind wir als Landespolitiker und Parteipolitiker nicht ausgenommen. Hier möge jede Partei vor der eigenen Haustüre kehren.
Anders als die CDU behauptet DIE LINKE jedenfalls nicht, dass sie mit dieser Auseinandersetzung bereits am Ende sei, ganz im Gegenteil. Schon aus Gründen der Selbstachtung vor unserem eigenen programmatischen Anspruch, eben nicht für irgendeinen Sozialismus, sondern für einen demokratischen Sozialismus eintreten zu wollen,
(Volker Bandmann, CDU: Demokratischer Sozialismus ist eine Diktatur! – Widerspruch von der Linksfraktion)
müssen wir uns sehr ernsthaft mit unserer eigenen Geschichte, mit den Gründen des Scheiterns der DDR und des gesamten sozialistischen Weltsystems auseinandersetzen. Diese Arbeit ist, anders als bei Kollegen Bandmann, noch lange nicht vollendet.
DIE LINKE wird sich aus den genannten Gründen bei diesem Antrag der Stimme enthalten. Gleichfalls werden wir uns heute Abend beim 16. Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten der Stimme enthalten. Das tun wir nicht, weil wir den Landesbeauftragten missachten. Wir haben seinen Bericht sehr wohl mit Interesse zur Kenntnis genommen. Aber gerade aus Respekt vor dem Landesbeauftragten sind wir nicht bereit, jeden Satz, den der Landesbeauftragte aufgeschrieben hat, mit einer unkritischen, pauschalen, zustimmenden Kenntnisnahme zu bedenken.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Alle Jahre wieder ersuchen die beiden Koalitionsfraktionen mit ihrer Stimmenmehrheit den Landtag, „die Recherche-, Beratungs- und Bildungsarbeit des sächsischen Landesbeauftragten für die Unterlagen des
Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik verstärkt zu fördern und zu unterstützen“.
Die Begründung allerdings ist treffend: „Gerade im 20. Jahr nach der friedlichen Revolution besteht besonderer Bedarf an der wertvollen Beratungs- und Bildungsarbeit des Landesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit. Insbesondere die Aufklärung jüngerer Generationen über die SED-Diktatur und ihren Repressionsapparat soll verstärkt Aufgabe des Landesbeauftragten sein.“
Wenn es Ihnen bis jetzt nicht gelungen ist, die jungen Menschen in Sachsen vom Unrechtscharakter der kommunistischen Diktatur zu überzeugen, dann hilft Ihnen in den nächsten 20 Jahren auch nicht der verstärkte Einsatz des Landesbeauftragten, auch wenn er noch so rege ist. Das hat wahrscheinlich mehrere Gründe.
Die meisten Schüler leben hier und jetzt. Sie interessieren sich nicht für frühere Epochen, die durch noch so viele Beispiele langweiliger demokratischer Erinnerungskultur von ihnen nicht nachgelebt und nachempfunden werden können. Die wirtschaftliche, kulturelle und bildungspolitische Landschaft hat sich so dramatisch zum Negativen verändert, dass viele Eltern zu Hause eine ganz andere, verklärte Gedächtniskultur pflegen. Es sind Eltern, die 1989/1990 einem Zusammenschluss mit der BRD positiv gegenüberstanden, bis sie begreifen mussten, dass mit dem Beitritt der DDR zur BRD der Sozialstaat spürbar Schritt für Schritt zu Grabe getragen wird.
Die eigenen wirtschaftlichen Probleme haben so viele Menschen betroffen und treffen jeden Tag Tausende mehr, sodass diese nicht mit Rührung in den Augen nach hinten blicken, sondern mit Angst in ihre Zukunft. Viele Menschen im Freistaat Sachsen würden viel lieber etwas über die aktuellen Repressionsapparate und die heute manipulierten Medien in Erfahrung bringen, als sich mit vergangenen und begrabenen Systemen historisch zu belasten.
Damit ich nicht missverstanden werde: Ich will damit in keiner Weise die Verbrechen des Kommunismus, seine wirtschaftliche Erbärmlichkeit und seine graue Eintönigkeit infrage stellen, leugnen, verharmlosen oder relativieren. Doch kann man von einem scheinbar siegreichen System etwas mehr Gelassenheit und Entkrampfung im Umgang mit der historischen Behandlung des Geschlagenen erwarten.
Ich spreche nicht vom Vergessen oder Verdrängen als Mittel der Geschichtsbewältigung, sondern von der verkrampften Heldenpose, die hier von einigen Blockflöten eingenommen wird. Aber von Ihnen erwartet sowieso keiner mehr, dass Sie die Probleme von heute lösen, wenn sie mit der eigenen Vergangenheit Probleme haben.