Protocol of the Session on January 23, 2009

Mit dem Doppelhaushalt 2009/2010 haben wir erstmals nach 19 Jahren im Haushalt des Kunstministeriums einen eigenen Haushaltstitel „Stärkung der kulturellen Bildung“. Ich glaube, dies allein macht bereits deutlich, welchen Stellenwert wir – und die Koalition – heute der kulturellen Bildung im Freistaat Sachsen beimessen. 600 000 Euro stehen hier jährlich zur Verfügung. Damit soll einerseits ein Modellprojekt „Jedem Kind ein Musikinstrument“ – Herr Clemen wird dies noch genauer erläutern – finanziert werden, und zum anderen werden Projektgelder bereitgestellt, damit die Kulturraumsekretariate zwischen Schule, Kulturinstitution, Künstlern und außerschulischen Bildungen vermittelt werden können. Darauf werde ich noch genauer eingehen.

Meine Damen und Herren! Wenn wir von kultureller Bildung reden, dann geht es nicht nur um das Rezitieren und weniger um das Theoretisieren, sondern um das Leben von Kultur bis hin zu eigenen künstlerischen Produktionen. Dieses Interesse an Kunst und Kultur muss frühzeitig unterstützt und gefördert werden. Der Sächsische Bildungsplan für die Kindertagesstätten trägt dem Rechnung und muss seine Fortsetzung in den Schulen finden. So hat auch die Enquete-Kommission Kultur in Deutschland in ihrem Abschlussbericht unterstrichen, dass die allgemeinbildenden Schulen der beste Ort sind, um allen jungen Menschen, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft, einen grundlegenden und niedrigschwelligen Zugang zu kultureller Bildung zu eröffnen.

Bei kultureller Bildung denkt man in der Regel sofort und immer zuerst an musisch-kulturelle Fächer und an Literatur. Aber kulturelle Bildung kann und muss auch in anderen Fächern stärker in den Blick genommen werden. Sie muss immer gelebter Schulalltag, gelebte Schulkultur sein. Dann haben auch die musischen Fächer keine Akzeptanzprobleme mehr, wie es heute leider oftmals noch der Fall ist.

Zum Schulalltag wiederum gehören nicht nur schulinterne Aktivitäten, sondern auch die Erkundung des kulturellen Nahraumes bis dahin, dass die Schule externe Lernorte und externe Partner in ihren Bildungsprozess regelmäßig einbezieht. Beispielhaft kann hier das Programm „Lernstatt Museum in Sachsen – Schüler entdecken Museen“ genannt werden.

Als eines der großen Probleme im Bereich der kulturellen Bildung wurde bereits vom Sächsischen Kultursenat die fehlende Vernetzung zwischen Schule, Kulturinstitution

und regionalen Künstlern angesprochen. Auch im Bericht der Enquete-Kommission Kultur in Deutschland taucht immer wieder die Forderung nach Kooperation und Vernetzung zwischen Bildungsinstitutionen und Kultur auf; denn gerade Kinder aus kultur- und bildungsfernen Schichten haben außerhalb der schulischen Bildung oft nur geringe Chancen, mit Kunst oder gar Künstlern in Kontakt zu treten oder Museen, Bibliotheken, unsere Theater usw. zu erleben.

Nun haben wir hier in Sachsen im Vergleich zu vielen anderen Bundesländern optimale Voraussetzungen. Wir haben durch unser Kulturraumgesetz eine kulturelle Infrastruktur, die genau diese notwendige Vernetzung zwischen Schule und regionaler Kultur erleichtert.

Der Kulturraum Oberlausitz/Niederschlesien hat dies in einem Modellprojekt vorgemacht und sehr erfolgreich ein Netzwerk der kulturellen Bildung aufgebaut. Unterstützt wird die Zusammenarbeit zwischen Kultureinrichtungen und Künstlern mit den Schulen, so zum Beispiel gemeinsam mit dem Deutsch-sorbischen Volkstheater Bautzen, wodurch Theaterpartnerschaften entstanden. Darüber hinaus werden verschiedene Fortbildungen, etwa im Bereich Schulbibliotheken oder für bildende Künstler als Partner für Schulen, entwickelt und durchgeführt. Dieses erfolgreiche Modellprojekt ist Vorbild für ganz Sachsen. Daher haben wir in den letzten Haushaltsverhandlungen Geld in die Hand genommen, um allen Kulturräumen die Möglichkeit zu geben, derartige Netzwerke Schule und Kultur aufzubauen.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

So stehen jährlich 250 000 Euro im Haushalt des Kunstministeriums für den Bereich der kulturellen Bildung für dieses konkrete Projekt zur Verfügung.

An der Stelle muss ich leider unterbrechen, aber es war nicht das letzte Mal, dass ich heute hier stand.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Ich erteile jetzt das Wort der Linksfraktion; Frau Bonk, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren von der Koalition! Uns hier Thesenpapiere und Wörterbuchdefinitionen von kultureller Bildung zu referieren, macht das Thema nicht aktueller. Aktuell ist höchstens der Handlungsbedarf, der in diesem Bereich in diesem Land besteht.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Gerade das von Ihnen, Herr Colditz, genannte Kultusministerium hat ja seit 2002 seine Verantwortung eben nicht mehr wahrgenommen. Der Rückbau des Strukturprogramms „Rock“ zum Beispiel hat nämlich eine bedeutende Auswirkung gehabt, nämlich den massenhaften Wegfall von Engagement Jugendlicher im musischen Bereich. Damals hat das Kultusministerium noch Aktivitäten in diesem Bereich entwickelt, zum Beispiel jährlich beglei

tend eine CD herausgebracht. Heute finden lediglich prämierte Aktivitäten statt.

Dem sächsischen Ausbildungs- und Erprobungskanal wurden die Personalmittel so gekürzt, dass die Studios künftig nicht mehr für die Aktivitäten junger Menschen offenstehen werden. Selbstständiger Umgang mit Kulturmedien, eine Vernetzung der Schülerradios wird nicht systematisch unterstützt. Das hat auch die Preisverleihung der Landesmedienanstalt in der Vergangenheit gezeigt. Ein einmal jährlich von der Landesmedienanstalt und dem Kultusministerium angebotener Wettbewerb zu dem Thema ist zwar ein schöner Tropfen, aber angesichts der Breite, der Notwendigkeit im Handlungsbedarf eben auf einen ziemlich großen heißen Stein, der eigentlich zu bewirtschaften wäre. Insofern sehen wir Handlungsbedarf in diesem Bereich angesichts dessen, was Ihre Politik alles nicht erreicht.

Um auf Herrn Hatzsch einzugehen: Für die von Ihnen genannten ganztägigen Angebote und die Vernetzung in den Kulturräumen stehen eben nur 7,50 Euro, wie ich gestern schon gesagt habe, für die Zusammenarbeit mit Künstlerinnen und Künstlern zur Verfügung. Das ist kein Grund, auf die Regierungspolitik stolz zu sein.

(Beifall der Abg. Caren Lay, Linksfraktion)

Entsprechend einem erweiterten Bildungsbegriff kennen wir – wie angesprochen – formelle und informelle Bildungssituationen. Meine Kollegin Cornelia Falken wird speziell noch auf die Angebote des Kultusministeriums eingehen. Ich möchte die Lernsituation bzw. den Aktivitätsbereich junger Leute, der nicht nur in Institutionen stattfindet, für musische und kulturelle Bildung beleuchten.

Denn mit dem Wegfall des Kulturprogramms „Rock“ ohne jeden Grund, ohne dass das Ministerium hätte benennen können, warum, das Technikanschaffungen und Erst-CD-Produktionen unterstützen sollte, gibt es keine Stelle im Land mehr, die selbst gestaltete musischkulturelle Aktivitäten junger Menschen unterstützt. Vereine, die sich in dem Bereich engagieren, scheitern nach kurzer Zeit angesichts des großen Arbeitsaufwandes im ehrenamtlichen Bereich.

Andere Bundesländer sind da viel weiter. Sie haben Vernetzungsangebote geschaffen. Baden-Württemberg, Hamburg, Bayern haben aus Landesmitteln Strukturen geschaffen, um eine vernetzte und entwickelte Szene zu schaffen, die eben auch die Verbindung mit den Trägern der Jugendhilfe hält, Probenräume und Fortbildungsangebote vorhält.

In Sachsen aber liegt das Thema irgendwo zwischen Kultusministerium, Sozialministerium und Kulturministerium. Um die selbstgestalteten kulturellen Angebote junger Menschen kümmert sich keiner. Ich bin davon überzeugt, dass Jugendkultur für junge Menschen eine so große Rolle in der Selbstgestaltung ihrer Lebensentwürfe über Musik, Kleidung und Freundeskreise spielt, dass

Politik gerade junge Menschen unterstützen muss, ihre kulturellen und musischen Angebote selbst zu entfalten.

(Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion)

Deswegen hat meine Fraktion die Wiederauflage eines Strukturprogramms zur Unterstützung junger Menschen, die Musik machen, gefordert, das mit einem eigenen Wettbewerb begleitet und Plektren produziert, um junge Leute eben in ihren Lebensbereichen anzusprechen.

Kulturelle Bildungsangebote müssen allen jungen Menschen zur Verfügung stehen, nicht nur in den Städten, sondern besonders im ländlichen Raum. Ihre Politik der Kürzungen und Aushöhlungen der Strukturen in den letzten Jahren hat dabei die Strukturen so ausgedünnt, dass angesichts der sozialen Anforderungen und der notwendigen demokratischen Entwicklung diese Politik verantwortungslos zu nennen ist. Es reicht nicht oder es lohnt nicht, wenn Sie sich dann hier hinstellen und kulturelle Bildung proklamieren.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Der Wegfall der Sozialarbeit hat gerade auch die kulturelle Bildung im Land gefährdet. Kulturelle Bildung hat einen ganz besonderen Wert; denn sie vermittelt auf einmalige Weise die Befähigung, Lösungen für unbekannte Probleme zu suchen, Ideen auszubrüten, Zukunft zu denken, zu modellieren und zu experimentieren. Gerade deswegen muss sie auch in den ländlichen Raum.

Der Umgang mit neuen Medien als Kulturtechnik und Grundlage von selbstgestalteten Projekten ermöglicht jungen Menschen eigene Kreativität ohne großen technischen Aufwand. Das ist von der Staatsregierung noch nicht ausreichend in den Blick bzw. in Angriff genommen worden.

Die Ausstattung der Schulen mit Computer-Kabinetten hat nicht gereicht, weil nicht das Geld für kompetente freie Träger und die Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern zur Verfügung steht.

Ich komme zum Schluss. Indem Sie darin nicht aktiv werden, überlassen Sie dieses Feld kommerziellen Interessenträgern, wenn zum Beispiel „F 6“ die Bandförderung übernimmt und damit gleichzeitig die Klientel junger Aktiver für ihr Image gewinnt.

All diese Beispiele sollen zeigen, dass die Politik der Staatsregierung keineswegs ausreicht, hier eine Schaufensterdebatte zum Thema Kulturelle Bildung zu machen, und dass wir in der Selbstbefähigung junger Menschen einfach auf einen anderen Begriff kultureller Bildung setzen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Ich erteile das Wort der Fraktion der NPD; Herr Gansel, bitte.

(Martin Dulig, SPD: Herr Gansel, es geht um Kultur!)

Sehr geehrte Damen und Herren! Auf Antrag der Koalitionsfraktionen sprechen wir heute über die Stärkung der kulturellen Bildung.

Das klingt immer gut und ist für die selbsternannten Fachpolitiker ein dankbares Thema zur Absonderung weihevoller Phrasen aus ihrem Satzbaukasten. An diesem Wortgeklingel wird sich die NPD-Fraktion aber nicht beteiligen,

(Zuruf des Abg. Stefan Brangs, SPD)

sondern ein paar grundsätzliche Aspekte von Kultur und Bildung ansprechen.

Der Verhaltensbiologe Konrad Lorenz sagte zur Unabdingbarkeit nationaler Identität und kultureller Gemeinschaftsbande: „Der Mensch, von Natur aus ein Kulturwesen, kann ohne das Stützskelett, das ihm seine Zugehörigkeit zu einer Kultur und seine Teilhaberschaft an ihren Gütern verleihen, schlechterdings nicht existieren.“

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Das hat er zu Herrn Gansel gesagt!)

Herr Porsch, hören Sie doch einmal zu! Übrigens war Lorenz streng genommen ein Landsmann von Ihnen.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion)

„Wenn ein junger Mensch das geistige Erbe der Kultur, in der er aufwuchs, verloren und keinen Ersatz in der Geistigkeit einer anderen gefunden hat, ist es ihm verwehrt, sich mit irgendetwas und irgendjemandem zu identifizieren. Er ist tatsächlich ein Nichts und ein Niemand. Wer das geistige Erbe der Kultur verloren hat, ist ein wahrhaft Enterbter.“ – So weit Konrad Lorenz.

Zur kulturellen Identität, von der alle Bildungsanstrengungen auszugehen haben, gehören unabdingbar auch Geschichte und Sprache. Deutsches Geschichts- und Sprachbewusstsein ist zwar heute nicht mehr so verpönt wie in der alten Bundesrepublik der Vorwendezeit, aber es ist immer noch unterentwickelt. Weil die Schuld- und Sühnepädagogik weiterhin nationale Verklemmtheit und kulturelle Selbstverleugnung fördert, hat die Geschichte immer noch nicht ihre alte identitätsstiftende und bildungsprägende Kraft zurückgewonnen.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion)

Wer aber das nationale Geschichtserbe wie ein aus der Mode geratenes Kleidungsstück an der Garderobe des Zeitgeistes abgibt, steht gewissermaßen nackt und schutzlos da.

Eine ähnliche Identitäts- und Stützfunktion hat auch die eigene Sprache, die in diesem Staat aber gering geschätzt wird. Ich erinnere nur daran, dass die Mehrheitsparteien dieses Landtages erst am 11. Dezember 2008 den NPDAntrag ablehnten, das Bekenntnis zur deutschen Sprache ins Grundgesetz aufzunehmen.