Ich erinnere weiter an die Kampagne der CDU gegen das Antidiskriminierungsgesetz. Ich war sehr erstaunt, heute Morgen von Herrn Rasch wieder so einen kleinen Haken zu hören.
Herr Ministerpräsident, offensichtlich versuchen Sie, die von Ihnen selbst ausgelöste Führungskrise innerhalb der CDU durch Angriffe gegen die GRÜNEN zuzukleistern, um auf diese Art und Weise Ihre eigene Partei zu reintegrieren.
Damit Sie wissen, was Sie ablehnen: Eine Diskriminierung liegt nach § 3 Abs. 3 des von Ihnen abgelehnten Entwurfs auch vor, wenn – ich zitiere –: „ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.“ – Wer sich in Sachsen nicht ganz fest die Augen zuhält, der weiß, dass leider ein solches diskriminierendes Klima für Migrantinnen und Migranten in manchen Regionen der Sächsischen Schweiz – Herr Leichsenring, Sie sind ja da ganz vornweg –, des Muldentalkreises, aber auch in anderen Regionen – –
Sachsens besteht. Meine Damen und Herren von der Koalition! Wir erwarten von Ihnen keine teure Imagekampagne, – –
sondern konkrete Unterstützung für die DemokratieInitiativen in diesem Land, damit wir diese Leute in fünf Jahren hier nicht mehr sehen müssen.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte hat eines gezeigt: Sachsen ist nicht das tolerante und weltoffene Musterländle, das wir uns als demokratische Parteien alle wünschen; und Sachsen ist eben auch nicht immun gegen rassistisches und menschenverachtendes Gedankengut. Sehr geehrte Damen und Herren! Demokratie, Weltoffenheit und Toleranz kann man aber nicht einfach in einem Landtag beschließen. Man kann sie weder herbeireden noch kann man sie durch Verschließen der Augen herbeihalluzinieren. Was wir hier können, ist vielleicht nicht viel, aber es ist mehr, als wir bisher getan haben. Wir können das Klima im Lande und vor allem die tatsächlichen Lebensumstände der Menschen so beeinflussen, dass die Menschen Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit wirklich leben können.
Es ist jedoch auch unverantwortlich und zynisch – und damit schließe ich an die vorherige Debatte an –, wenn Menschen, die trotz größten Bemühens keine Arbeit erhalten, zu einem Leben am Rande des Existenzminimums gezwungen werden und sich dann noch von den verantwortlichen Politikern anhören müssen, dass diese Erniedrigung das Mittel sei, sie zur Arbeit zu motivieren. Welchen bitteren Beigeschmack bekommt das schöne Wort Weltoffenheit, wenn jungen Menschen in Sachsen nach der Schule oder spätestens nach der Berufsausbildung zwar die ganze Welt offen steht, wenn sie Sachsen verlassen wollen, sie aber keine Perspektive zum Bleiben und Wiederkommen finden?
Nein, meine Damen und Herren, wenn wir über Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit reden, wäre es falsch, die sozialen Verwerfungen in diesem Land zu übersehen. Wir müssen die politischen Voraussetzungen schaffen, damit Demokratie und Toleranz gelebt werden können. Das betrifft alle gesellschaftlichen Bereiche, und ich möchte hier nur auf einige eingehen.
Wir haben bereits verschiedentlich über das Landesprogramm gegen Rechtsextremismus gesprochen. Ich möchte nicht näher darauf eingehen. Wir unterstützen es und haben es mehrfach gefordert. Das, was Herr Dulig hier formuliert hat, war etwas nebulös. Ich hoffe, es geht in die Richtung, dass die Untersetzung, wie sie jetzt im Haushalt ist, noch geändert wird, weil das, was Herr Abg. Lichdi geäußert hat, wirklich nicht Ziel und Zweck dieses Programms sein kann.
Auf der anderen Seite ist es natürlich auch so, dass in der Jugendarbeit nicht 20 % gekürzt werden können. Das konterkariert diesen Ansatz wieder.
Sicher: Arbeit mit jungen Menschen findet auch in der Schule statt. Aber wie sieht es denn dort aus? Neulich sagte mir eine Lehrerin, dass kein Raum so politikfrei sei wie die Schule. Eine Schule muss jedoch politisch sein.
Dazu muss ich sagen: Ich meine nicht parteipolitisch. Dafür muss man aber auch Lehrern den Rücken stärken und sie stärker dazu befähigen, genau dies tun zu können.
Aber der Staatsregierung war es in den letzten Jahren eben viel lieber, wenn die Lehrer gekuscht haben. Unabhängige Geister wurden nicht unbedingt gefördert. Oder denken wir nur daran, dass man den Geschichtsunterricht in der Mittelschule abwählen kann. Toleranz gegenüber Geschichtsblindheit mag zwar auch Toleranz sein, mit Demokratie und Weltoffenheit lässt sich das jedoch schwer vereinbaren.
Um noch ein letztes Beispiel anzubringen: Demokratie lebt eben auch von Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger, und Beteiligung meint mehr als einen Gang zur Wahlurne oder eine völlig verquere Debatte um ein Familienwahlrecht. Aber wie stiefmütterlich ging die CDU schon mit der Beteiligung von Institutionalisierten um? Das Quorum der Volksgesetzgebung ist unsäglich hoch, und wenn das Überspringen der Hürde dann doch einmal gelang, wurde die Entscheidung des Volkes durch das Handeln der Regierung ad absurdum geführt. Schauen Sie sich um in Europa. Seien Sie auch offen für mehr Demokratie, wie sie anderswo gelebt wird.
Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, wir können Demokratie, Weltoffenheit und Toleranz hier nicht beschließen. Aber wir können und müssen als Politiker unseren Teil dafür leisten, jedoch müsste dies dann langsam losgehen. Damit der Freistaat Sachsen vielleicht irgendwann einmal wirklich als demokratisch, weltoffen und tolerant bezeichnet werden kann, bedarf es vieler demokratischer, weltoffener und toleranter Sachsen, die sich nachdrücklich einmischen.
Die CDU-Fraktion hat noch Redezeit. – Sie wird nicht gewünscht. Gut. Ich frage die Staatsregierung. – Herr Staatsminister Winkler.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich widerspreche zunächst meinem Vorredner ganz energisch: Sachsen ist ein demokratisches, tolerantes und weltoffenes Land.
Ich möchte touristisch beginnen: Die Weltoffenheit unseres Landes drückt sich nicht nur in unserer sprichwörtlichen Reiselust aus, die immer mit der Neugier auf Neues und Unbekanntes verbunden ist, sondern ich möchte noch ein paar andere Zahlen nennen.
In Sachsen gibt es zum Beispiel über 70 Schulpartnerschaften mit Schulen in 51 Ländern der Welt. Wir haben zahlreiche Schüleraustausche. Die vielen längerfristigen
Auslandsaufenthalte von Jugendlichen und Studenten legen Zeugnis für die Weltoffenheit unseres Landes ab.
Ich möchte noch ein regionales Beispiel für Weltoffenheit und gute Zusammenarbeit über Grenzen hinweg erwähnen, wie wir es gestern gerade erlebt haben. Schön ist, dass sich die sächsische Stadt Görlitz und die polnische Stadt Zgorzelec auf dem Weg zur Kulturhauptstadt Europas 2010 gemeinsam beworben haben, und sie haben gute Vorarbeit geleistet.
Es gibt dort zweisprachige Kindergärten und Gymnasien und wir haben inzwischen über 1 700 Schülerinnen und Schüler, die Polnisch lernen. Ähnliches trifft auch für unsere tschechischen Nachbarn zu.
Dass Weltoffenheit nicht nur eine Frage der Einstellung zu Fremden, sondern gerade heute auch eine Frage des wirtschaftlichen Überlebens unseres Landes ist, das wissen wir auch. Wir haben inzwischen in Sachsen über 7 800 durch ausländische Investitionen neu geschaffene und 13 400 gesicherte, wettbewerbsfähige Arbeitsplätze.
Ich sage ganz deutlich: Uns sind auch in Zukunft ausländische Investoren herzlich willkommen, und wir geben ihnen allen Unterstützung; denn das bringt uns Arbeitsplätze und das nützt auch unserem einheimischen sächsischen Mittelstand.
Sachsen, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist als Wirtschaftsstandort international gefragt, und das soll auch so bleiben. Sachsen ist auch ein tolerantes Land. Dabei – das gebe ich gern zu – verstehe ich unter Toleranz, nicht alles und jedes einfach so widerspruchslos hinzunehmen. Das ist keine Toleranz, das ist Gleichgültigkeit, Desinteresse und Unsicherheit. Toleranz ist es, den anderen zu achten und ihn nach seinen Vorstellungen leben zu lassen, solange er sich an die für alle gleichermaßen geltenden Grundregeln unseres Zusammenlebens hält. Die überwiegende Mehrheit der Sachsen geht genau mit dieser Einstellung auf Andersdenkende, Andershandelnde und auch auf Fremde zu.
Sachsen ist ein demokratisches Land. Ich möchte jetzt nicht ausführlich über die Tatsache reden, dass Sachsen die Wiege der friedlichen Revolution 1989/1990 war. Viel bedeutsamer ist für mich und uns alle, die wir hier leben, dass sich demokratische Verfahrensweisen und demokratische Institutionen trotz der gegenwärtigen Probleme, die wir auch im Land haben, gefestigt haben. Bei aller Kritik: Die große Mehrheit der sächsischen Wähler hat Parteien ihre Stimme gegeben, die letztlich genau diese Demokratie repräsentieren. Analysen zeigen, dass zirka 80 % derjenigen, die rechtsextrem gewählt haben, Protestwähler waren. Unsere gemeinsame Aufgabe ist es jetzt, die Protestwähler ins demokratische Spektrum zurückzuholen. Wir alle müssen dafür sorgen, dass aus Protestwählern auf Dauer keine Antidemokraten werden.
Die neuen NPD-Wähler, das haben ebenfalls Analysen ergeben, sind nicht demokratiefeindlich, sie sind allenfalls demokratiekritisch. Meine Damen und Herren! Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit sind letztlich nichts anderes als Voraussetzungen für Freiheit und Menschenwürde. Wer das eine will, muss für das andere kämpfen. Das ist unsere Aufgabe, um nachhaltig für die Zukunft sicher zu stellen, dass Sachsen demokratisch, tolerant und weltoffen bleibt. Deshalb müssen wir uns offensiv mit denen auseinander setzen, die andere Ziele verfolgen.
Damit komme ich zur NPD. Weltoffenheit? – Fehlanzeige. Ihr Programm will Deutschland isolieren. Denn wie kann man es sonst nennen, wenn Sie – übrigens unter vollständiger Verkennung heutiger Wirklichkeit – von „raumorientierter Volkswirtschaft“ sprechen und die von Ihnen so bezeichnete „Internationalisierung der Volkswirtschaft“ entschieden ablehnen? Wie sonst kann man es nennen, wenn das Programm behauptet, eine, wie Sie schreiben, „Menschen und Völker verachtende Integration“ entfremde und entwurzele Deutsche und Ausländer? Was das demokratische Sachsen angeht, so fürchte ich, verrät eine Äußerung Ihres Bundesvorsitzenden in der Zeitschrift „Junge Freiheit“, was wir hier von Ihnen zu erwarten haben: die, wie er sich ausdrückt, „Abwicklung der BRD“, und zwar durch revolutionäre Veränderungen. Wie ich finde, nicht sehr demokratisch.
Eines noch. Das hat Herr Brangs von der SPD-Fraktion auch schon gesagt. Es betrifft den Parteitag. Ich glaube, wir haben es seit 1990 zum ersten Mal erlebt, dass eine Partei, die eine Fraktion hier im Sächsischen Landtag hat, einen Parteitag unter Ausschluss der Öffentlichkeit an geheim gehaltenem Ort durchführt. Mein Gott, meine Herren von der NPD, Sie müssen viel zu verbergen haben!
(Beifall bei der CDU, der PDS, der SPD, der FDP und den GRÜNEN – Uwe Leichsenring, NPD: Wir wollen nur unsere Ruhe haben!)
Frau Ernst hat gesagt: Man darf nicht nur banal ganz nach rechts schauen. Die Argumente sind durchaus austauschbar. Das haben wir ja bei Hartz IV gesehen.
Erklären Sie, sehr geehrte Damen und Herren von der PDS-Fraktion, den Unterschied zwischen der entlarvenden Behauptung des NPD-Bundesvorsitzenden Vogt, der wörtlich sagte: „Zweifellos handelt es sich bei Hitler um einen großen deutschen Staatsmann“ und der Behauptung des ehemaligen PDS-Bundestagsabgeordneten Täve Schur, der, wenn die Zeitung „Dresdner Neueste Nachrichten“ vom 6. April 1998 nicht lügt, gesagt hat – ich zitiere wörtlich –: „Hitler hat die Probleme ja noch in den Griff gekriegt; heute sind die Probleme zu groß dafür.“
Wo, meine Damen und Herren, ist denn da der wesentliche Unterschied? In jeder anderen Partei – außer bei den Rechtsextemisten selber – wäre ein Abgeordneter, der solche Äußerung machte, in Windeseile aus der Par
tei ausgeschlossen worden. Warum haben Sie nicht reagiert, warum hat Sie diese Äußerung nicht gestört? – Die Antwort liegt doch auf der Hand.